Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für einen Gebärdendolmetscher für den Besuch einer Schule
Urteil des Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 01.03.2023
Aktenzeichen: L 2 SO 304/23
Schüler können eine Schulassistenz als Gebärden-Dolmetscher verlangen. Diese Leistung muss die Eingliederungshilfe bezahlen.
Der Besuch eines Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums mit dem Förderschwerpunkt Hören schließt die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen in Form eines Gebärdendolmetschers im Unterricht für ein gehörloses Kind nicht grundsätzlich aus. Denn insoweit handelt es sich nicht um eine Maßnahme, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen ist.
Orientierungssätze:
- Es ist nicht Aufgabe von Mitschülern und Mitschülerinnen, die Teilhabe behinderter Menschen am Unterricht sicherzustellen.
- Gerade auch die Teilnahme an Unterrichtsgesprächen sieht der Senat als wichtigen Teil der Teilhabe am Unterricht an. Allein die Weitergabe von Zusammenfassungen solcher Unterrichtsgespräche sichert nach Überzeugung des Senats gerade nicht eine ausreichende Teilhabe am Unterricht.
- Ein Dolmetschen durch die Lehrer und Lehrerinnen - selbst wenn sie die Deutsche Gebärdensprache selbst gut beherrschen würden - ist schwer möglich, wenn die Lehrer und Lehrerinnen das Unterrichtsgespräch moderieren und Fragen beantworten müssen.
- Selbst wenn Leistungen außerhalb des Kernbereichs pädagogischer Arbeit auch vom Schulträger verlangt werden könnten, ist der Eingliederungshilfeträger für eine solche Leistung zumindest so lange (nachrangig) zuständig, wie der (ggf vorrangig verpflichtete) Schulträger eine solche Leistung tatsächlich nicht erbringt (vgl BSG vom 9.12.2016 - B 8 SO 8/15 R= BSGE 122, 154 = SozR 4-3500 § 53 Nr 5).
- Zum Eilrechtsschutz nach § 86b Abs 2 S 1 SGG.
Darum geht es im Leitsatz:
Für gehörlose Schüler ist ein vollständiges Gebärden-Dolmetschen wichtig, um dem Unterricht ausreichend folgen zu können. Das bedeutet, sie brauchen eine Simultan-Übersetzung (also eine Wort-für-Wort-Übersetzung) und nicht nur eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte.
Simultan-Übersetzungen können Lehrer im Unterricht aber nicht leisten. Auch nicht an einer Schule mit dem Förderschwerpunkt „Hören“. Denn die Schüler verständigen sich unterschiedlich: Es gibt zum Beispiel auch Schüler, die (wenig) hören können und Lautsprachen-orientiert sind.
Wie in jeder Schule ist die Hauptaufgabe der Lehrer, die Schüler zu unterrichten, Wissen zu vermitteln und Fragen zu beantworten.
Deshalb können Schüler eine Schulassistenz als Gebärden-Dolmetscher verlangen. Diese Leistung muss die Eingliederungshilfe bezahlen.
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