Urteil
Krankenkassen müssen computergesteuerte Prothesen (C-Leg) bezahlen

Gericht:

BSG 3. Senat


Aktenzeichen:

B 3 KR 68/01 R


Urteil vom:

06.06.2002


Leitsatz:

Zum Anspruch gegen die Krankenkasse auf Versorgung mit einer neuen technisch verbesserten Oberschenkelprothese (so genanntes C-Leg), wenn deren Kosten deutlich höher sind als die der bisherigen, noch funktionstüchtigen Versorgung.

Kurzbeschreibung:

Die 1963 geborene Klägerin ist nach einem 1980 erlittenen Motorradunfall und Beinamputation links von der beklagten Krankenkasse mit Oberschenkelprothesen versorgt worden, die bei Verschleiß nach dem jeweiligen Stand der Technik erneuert worden sind. Sie besaß zwei Prothesen mit sog. Endolite-Gelenken und Mauchhydraulik, mit denen sie der Beklagten eine ärztliche Verordnung über eine Prothese mit einem elektronisch gesteuerten Hydrauliksystem vor (so genanntes C-Leg), das nach deinem Kostenvoranschlag rund 20000 Euro kosten sollte. Der Vorteil dieser Prothese besteht vor allem in einer höheren Gangsicherheit auf unebenen Gelände und beim Treppenabwärtslaufen. Die Beklagte lehnte die Ausstattung mit diesem System als Überversorgung ab.

Das SG hat der Klage stattgegeben, das LSG hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Das LSG hat ausgeführt, die Klägerin sei mit dem bisherigen System gut ausgekommen. Die geringere Sturzgefahr bei dem neuen System lasse sich auch durch entsprechend größere Vorsicht mit dem bisherigen System erreichen; insoweit sei das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten.

Mit der Revision machte die Klägerin geltend, dass sie bei der Betreuung ihrer kleinen Kinder ständig Gefahrensituationen meistern müsse, in denen die Gangsicherheit der Prothese von großer Bedeutung sei. Nach dem 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - sei den besonderen Bedürfnissen behinderter Mütter und Väter bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages ausdrücklich Rechnung zu tragen.

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Die Beklagte hat sie mit dem begehrten C-Leg auszustatten, weil es in der Lage ist, die bei der Klägerin bestehende Behinderung soweit wie nach dem Stand der Wissenschaft und Technik möglich auszugleichen. Der gegenüber den bisherigen Systemen deutlich höhere Preis steht dem nicht entgegen, weil er mit einer wesentlichen Funktionsverbesserung einhergeht, die Verbesserung als nicht nur rein ästhetischer oder komfortabler Natur ist.

Entgegen der Ansicht des LSG lässt sich eine Verringerung der Sturzgefahr nicht in gleicher Weise auch durch größere Vorsicht beim Gehen erreichen. Im täglichen Leben von behinderten Menschen gibt es häufig Situationen, in denen es auf schnelles Reagieren ankommt, so dass für behutsames Gehen keine Zeit bleibt. Die von der Klägerin hervorgehobene besondere Situation bei der Beaufsichtigung ihrer Kinder ist dafür nur ein augenfälliges Beispiel.

Rechtsweg:

SG Würzburg Urteil vom 14. September 2000 - S 3 KR 165/98
Urteil des LSG München vom 26. Juli 2001 - L 4 KR 6/01

Quelle:

Sozialrecht + Praxis 11/2002

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einer Oberschenkelprothese mit dem Kniegelenksystem C-Leg.

Die 1963 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist auf Grund eines 1980 erlittenen Motorradunfalls links beinamputiert. Sie ist Mutter zweier Kinder, die zur Zeit zwei und sieben Jahre alt sind. Die Beklagte hat sie im Laufe der Zeit mit Beinprothesen versorgt. Gegenwärtig besitzt sie zwei Prothesen mit so genannten Endolite-Gelenke und Mauchhydraulik, mit denen sie ein gutes Gangbild erreicht. Die Versorgung mit einer ärztliche verordneten elektronisch gesteuerten Oberschenkelprothese, einem so genannten C-Leg, das laut Kostenvoranschlag 39.858,33 Mark kosten sollte, lehnte die Beklagte als Überversorgung ab (Bescheid vom 22. Juni 1998). Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos ( Widerspruchsbescheid vom 2. September 1988).

Das Sozialgericht (SG) holte im nachfolgenden Klageverfahren ein Gutachten von Professor W. (Ärztlicher Direktor dr Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T.) ein und hat die Beklagte daraufhin verpflichtet, die Klägerin mit einer Oberschenkelprothese mit C-Leg-Kniegelenk zu versorgen (Urteil vom 14. September 2000). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 26. Juli 2001 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Versorgung mit der beantragten C-Leg-Prothese entspreche nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Bei der Klägerin würden durch die Versorgung mit der neuartigen Prothese keine Verbesserungen gegenüber der vorhandenen Versorgung erzielt, die zu den Grundbedürfnissen gerechnet werden könnten. Hierfür reiche es nicht aus, dass sich die Klägerin mit dieser Prothese auch auf unebenem Gelände sicher und schnell bewegen könne. Der Klägerin sei es mit der vorhandenen Prothesenversorgung gelungen, ihre eigene und die Sicherheit ihrer Kinder zu wahren. Die von ihr hierbei beachtete Vorsicht weiterhin anzuwenden, erscheine zumutbar.

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 33 Abs. 1 Satz 1 iVm § 12 Abs. 1 SGB V sowie der §§ 9, 26 und 31 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Das begehrte Hilfsmittel bedeute keine Überversorgung, sondern eine wesentliche Verbesserung der Gangsicherheit im Vergleich zu den bisherigen Prothesen. Es sei damit notwendig. Das LSG habe verkannt, dass sie, die Klägerin, insbesondere bei der Betreuung und Versorgung ihrer kleinen Kinder, ständig Gefahrensituationen ausgesetzt sei, die ohne Versorgung mit der beantragten C-Leg-Prothese zu Schäden an Gesundheit und Leben führen könnten.

Die Begründetheit des von ihr geltend gemachten Anspruchs ergebe sich verstärkt aus den Normen des am 1. Juli 2001 in Kraft getretenen SGB IX. Nach § 9 Abs. 1 SGB IX sei bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen. Dabei sei auch auf die persönliche Lebenssituation des Leistungsberechtigten Rücksicht zu nehmen; den besonderen Bedürfnissen behinderter Mütter bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages müsse Rechnung getragen werden (§ 9 Abs. 1 Satz 3 SGB IX).


Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Juli 2001 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14. September 2000 zurückzuweisen.


Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Juli 2001 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Die Klägerin hat, wie vom SG zu Recht entschieden, Anspruch auf Versorgung mit eine Oberschenkelprothese mit dem Kniegelenksystem C-Leg. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V idF durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (erste Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (zweite Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Eine Beinprothese ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil sie für die speziellen Bedürfnisse behinderter Menschen hergestellt und ausschließlich von diesem Personenkreis benutzt wird (vgl. BSGE 84, 266 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 33).

Ein Anspruchsausschluss nach § 34 Abs. 4 SGB V idF durch das GRG greift auch nicht ein. Nach dieser Vorschrift (idF durch das Gesetz vom 20. Dezember 1991, BGBl 2325) kann der Bundesminister für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse (KK) nicht übernimmt (Satz 1). In der auf Grund dieser Ermächtigung erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung (KVHilfsmV vom 13. Dezember 1989, BGBl I 2237), die idF durch die Verordnung vom 17. Januar 1995 (BGBl I 44) gilt, sind Prothesen mit Computersteuerung nicht erfasst. Der Ausschluss eines Hilfsmittels aus der Leistungspflicht der Krankenversichrung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass es - wie vorliegend das C-Leg - in dem nach § 128 SGB V von den Spitzenverbänden der KKn erstellten Hilfsmittelverzeichnis nicht aufgeführt ist. Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei dem Hilfsmittelverzeichnis um eine Auslegungshilfe, die für die Gericht nicht verbindlich ist (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 25 S 147).

Die durch das SGB IX (vom 19. Juni 2001, BGBl I 1046) in den § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingefügte Ergänzung, wonach Versicherte auch dann einen Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel haben, wenn dieses erforderlich ist, "um einer drohenden Behinderung vorzubeugen", hat hier keine Bedeutung.

Ziel der Versorgung behinderter Menschen mit Hilfsmitteln ist die Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 1 Satz 1 SGB IX). Im Rahmen dieser für alle behinderten Menschen (vgl. die Definition in § 2 Abs. 1 SGB IX) geltenden Bestimmungen ist die gesetzliche Krankenversicherung allerdings nur innerhalb ihres Aufgabengebietes - Krankenhilfe und medizinische Rehabilitation - und unter ihren besonderen Voraussetzungen (vgl. § 7 SGB IX) zur Gewährung von Hilfsmitteln verpflichtet. Die frühere Rechtsprechung ging davon aus, das die Krankenversicherung vordringlich bei solchen Hilfsmitteln leistungspflichtig sei, die einen Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezweckten (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 12; SozR 3-2500 § 33 Nr. 29).

Ein derart unmittelbarer Ausgleich wurde angenommen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion ermöglichte, ersetzte oder erleichterte. Hilfsmittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzten, sondern den Funktionsausfall anderweitig ausglichen oder milderten, sollten nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fallen, wenn Grundbedürfnisse betroffen waren (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 10; SozR 3-2500 § 33 Nr. 16, S 73; Nr. 31, S 184 f).

Dem lag die Erwägung zu Grunde, dass sich der direkte Funktionsausgleich in allen Lebensbereichen auswirkt und damit ohne Weiteres auch Grundbedürfnisse betroffen sind, während bei einem mittelbaren Ausgleich besonders geprüft werden muss, in welchem Lebensbereich er sich auswirkt. Eine solche Differenzierung erleichtert damit die rechtliche Einordnung und den Begründungsaufwand, ändert aber nichts daran, dass auch nach neuem Recht des SGB IX die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln nur dann Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, wenn sie der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient.

Geht es, wie hier, um den Ersatz eines noch voll funktionstüchtigen Hilfsmittels durch ein technisch verbessertes Gerät mit Gebrauchsvorteilen gegenüber dem bisherigen Hilfsmittel, so reicht es nicht aus, wenn die Verbesserung sich nur in einzelnen Lebensbereichen auswirkt, die nicht zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Dies hat der Senat etwa bei einem erheblich hörgeminderten Versicherten angenommen, der bereits mittels eines Cochlear-Implantats eine grundlegende Verbesserung seines Hörvermögens erreicht hatte und eine darüber hinaus begehrte so genannte Mikroportanlage in Situationen benutzen wollte, die nicht zu seinem Lebensalltag zählten (Konferenzen, Gerichtsverhandlungen, vgl. SozR 3-2500 § 33 Nr. 34). Das Wirtschaftlichkeitsgebot schließt darüber hinaus eine Leistungspflicht der Krankenversicherungen für solche Innovationen aus, die nicht die Funktionalität, sondern in erster Linie Bequemlichkeit und Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels betreffen. Speziellen Wünschen des Behinderten trägt insoweit nunmehr die neu geschaffene Regelung in § 31 Abs. 3 SGB IX Rechnung. Die Gebrauchsvorteile des C-Leg gegenüber einer herkömmlichen Prothese werden von den genannten Einschränkungen nicht erfasst. Sie sind weder auf spezielle Lebensbereiche begrenzt, noch erschöpfen sie sich in der Bequemlichkeit oder im Komfort der Nutzung.

Der Einsatz der Beine zum Gehen, Laufen und Stehen ist jederzeit und überall erforderlich und damit ein Grundbedürfnis, das das C-Leg nach dem gegenwärtigen Stand der Technik soweit wie möglich deckt. Der Gebrauchsvorteil hängt allerdings, wie sich den medizinischen Feststellungen der Vorinstanzen entnehmen lässt, maßgebend von den körperlichen und geistigen Voraussetzungen des Prothesenträgers und seiner persönlichen Lebensgestaltung ab. Nicht jeder Betroffene ist in der Lage, die Gebrauchsvorteile des C-Leg zu nutzen; dann fehlt es an der Erforderlichkeit dieses speziellen Hilfsmittels. Die Versorgung mit einem C-Leg kann nur derjenige beanspruchen, der nach ärztlicher Einschätzung im Alltagsleben dadurch deutliche Gebrauchsvorteile hat. Entgegen der Auffassung des LSG dient der Gebrauchsvorteil, den das C-Leg der Klägerin im Vergleich zu einer herkömmlichen Oberschenkelprothese bietet, in erheblichem Umfang diesem Grundbedürfnis.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen, die sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Direktors der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., Professor W., stützen, sind die von der Klägerin in ihrem Lebensalltag erzielbaren Gebrauchsvorteile gegenüber den bislang von ihr verwendeten Prothesen erheblich und wirken sich bei zahlreichen Aktivitäten im Alltagsleben positiv aus. Von Gewicht sind insbesondere die generell deutlich verminderte Sturzgefahr, die für die Klägerin im Umgang mit ihren kleinen Kindern erhebliche Bedeutung hat, ferner Verbesserungen des Bewegungsablaufs auf unebenem Gelände sowie beim Berg- und Treppeabgehen. Diese Verbesserungen der neuartigen Prothese gegenüber einer herkömmlichen wirken sich allgemein im Alltag und nicht nur bei sportlichen Aktivitäten der Klägerin positiv aus.

Die Verbesserungen durch das neuartige Hilfsmittel bestehen nicht nur in einer größeren Bequemlichkeit, auf die ohne Nachteil für die Funktionssicherheit verzichtet werden könnte. Entgegen der Auffassung des LSG kann die Klägerin deshalb nicht darauf verwiesen werden, schon durch entsprechende Vorsicht Stürze beim Gehen auf unebenem Gelände oder beim Berg- und Treppeabgehen zu vermeiden. Es mag zwar zutreffen, dass die zusätzliche Standsicherheit, die durch die automatische Steuerung der Prothese erzielt wird, zum Teil durch eine größere Vorsicht kompensiert werden kann. Das ist aber immer dann nicht der Fall, wenn die eigene Sicherheit zurücktreten muss, weil andere Gefahren abzuwenden sind, etwa bei der Beaufsichtigung der Kinder, oder wenn eine größere Gefahr als die eines Sturzes rasches Laufen erfordert. Während bei der Beaufsichtigung von Kindern derartige Situationen nicht selten auftreten, mögen andere Gefahrenlagen eher selten sein, dafür aber umso gravierender. In allen diesen Fällen wirkt sich der Sicherheitsvorteil der Prothese aus.

Die Beklagte kann sich zur Abwendung ihrer Leistungspflicht auch nicht auf die erheblichen Mehrkosten dieser Versorgung berufen. Soweit der Senat in anderem Zusammenhang ausgeführt hat, zwischen den Kosten und dem Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels müsse eine "begründbare Relation" bestehen (SozR 3-2500 § 33 Nr. 4 Bildschirmlesegerät, Nr. 16 elektronisches Lese-Sprechgerät und Nr. 34 Mikroportanlage), war damit keine zusätzliche Kosten-Nutzen-Erwägung gemeint, die immer zusätzlich zum Erfordernis der umfassenden Einsetzbarkeit des Hilfsmittels oder (bei einer Innovation) des Gebrauchsvorteils bei einem Grundbedürfnis anzustellen wäre. Sie kann allenfalls dann geboten sein, wenn der zusätzliche Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels im Alltagsleben eher gering, die dafür anfallenden Kosten im Vergleich zu einem bisher als ausreichend angesehenen Versorgungsstandard als unverhältnismäßig hoch einzuschätzen sind. Der Schutz der Solidargemeinschaft vor Überforderungen kann dann gerade im Interesse der vordringlich auf Hilfe angewiesenen behinderten Menschen Einschränkungen erfordern. Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor. Die mit dem C-Leg-Kniegelenk verbundenen Funktionsvorteile wirken sich nicht nur am Rande des Alltagslebens, sondern im Lebensmittelpunkt der Klägerin aus, nämlich im Familienleben.

Es kann offen bleiben, ob sich die daraus begründete Leistungspflicht der Beklagten jetzt auch ausdrücklich aus § 9 Abs. 1 SGB IX ergibt. Die Vorschrift macht ein besonderes Wunsch- und Wahlrecht von Behinderten in der Entscheidung über Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe allerdings davon abhängig, dass es sich um "berechtigte" Wünsche handelt, was darauf hindeuten könnte, dass zuvor zu prüfen ist, ob die für den jeweiligen Sozialleistungsbereich maßgebenden Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Klägerin weist aber zutreffend darauf hin, dass die Vorschrift, die ansonsten den Regelungsgehalt des § 33 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) speziell im Hinblick auf Leistungsansprüche von Behinderten wiederholt, die Sozialleistungsträger ausdrücklich verpflichtet, den besonderen Bedürfnissen behinderter Mütter und Väter bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages Rechnung zu tragen.

weiterer Fundorte:
Rechtsdienst der Lebenshilfe 4/02, S. 171 ff
Leben und Weg 2/2003, S. 30 f

Referenznummer:

R/R1634


Informationsstand: 16.07.2002