Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung allein durch den Kammervorsitzenden entscheiden, weil der Sachverhalt geklärt ist, die Sache selbst keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Beteiligten mit richterlichen Verfügung vom 07.07.2014 dazu gehört wurden (§ 105
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Im Übrigen haben sich beide Beteiligten ausdrücklich mit dieser Form der Entscheidung einverstanden erklärt.
Die Klage ist zwar als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54
Abs. 1 Satz 1
SGG zulässig, jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2014 ist nicht zu beanstanden, weil der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt wird. Vielmehr hat der Beklagte darin zu Recht eine Kostenübernahme für das von der Firma H. hergestellte Therapie-Dreirad "Easy Rider 2" abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung dieses Dreirades als Hilfsmittel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung.
Zwar besteht gemäß
§ 27 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 3 in Verbindung mit
§ 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) auch ein Anspruch auf Gewährung von orthopädischen und sonstigen Hilfsmitteln, jedoch nur soweit diese erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen und soweit das Hilfsmittel nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen oder als solches ausgeschlossen ist (§ 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V). Hilfsmittel sind dabei sächliche Mittel oder technische Produkte, die individuell gefertigt oder als serienmäßig hergestellte Ware in unverändertem Zustand oder als Basisprodukte mit entsprechend handwerklicher Zurichtung, Ergänzung
bzw. Abänderung von den Leistungserbringern abgegeben werden (§ 2 Satz 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung - Hilfsmittelrichtlinie - in der Fassung vom 16.01.2008). Wie bei anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bedarf es zunächst einer ärztlichen Verordnung, die der Vertragsarzt nach pflichtgemäßem Ermessen innerhalb des durch das Gesetz und die Richtlinien bestimmten Rahmens zu treffen hat (§ 6 Satz 1 Hilfsmittelrichtlinie) und der Arzt sich vorher von dem Zustand des Versicherten überzeugt und sich erforderlichenfalls über die persönlichen Lebensumstände informiert hat oder ihm diese aus der laufenden Behandlung bekannt sind.
Obwohl der den Kläger behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin
Dr. E. am 04.11.2013 ausdrücklich ein Therapiedreirad des Typs "Easy Rider 2" wegen Gehirntumor verordnet hatte, ist dieses weder zur Behandlung der bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen noch als Gegenstand des Behinderungsausgleiches medizinisch notwendig. Zwar leidet der Kläger - ausweislich des von der Kammer im Parallelverfahren (S 10 KR 853/11 = L 1 KR 3/13) bereits angeforderten Befundberichtes seines behandelnden Hausarztes
Dr. E. vom 07.01.2012 - infolge der bereits 1968 durchgeführten Gehirnoperation an koordinativen Defiziten wie Gleichgewichtsstörungen, Orientierungs- und Differenzierungsfähigkeiten, die mit permanenter Gangunsicherheit wegen Schwindels verbunden sind. Jedoch beübt er, gemäß dem Attest der Ergotherapeutin G. vom 14.09.2011, diese Defizite mittels eines Neurotrainigsprogramms und kognitiver Schulung unter Einsatz spezieller Computerprogrammen sowie mit dem Ansatz der entsprechenden Techniken ein. Dieses Trainingsprogramm fördert die Funktionsdefizite und baut der Verschlimmerung - soweit möglich - vor. Entsprechend hatte sowohl der Hausarzt
Dr. E. in seinem ergänzenden Attest vom 16.10.2012 wie die Ergotherapeutin in ihrem Attest vom 14.09.2011 darauf hingewiesen, dass das gewünschte Liegerad zur Unterstützung der Ausdauer eine "sinnvolle Ergänzung" bildet. Auch anlässlich der Antragstellung vom 04.11.2013 wies
Dr. E. in seinem Attest vom gleichen Tage nochmals auf die infolge der Gehirnerkrankung bestehenden deutlichen koordinativen Störungen, besonders in Bezug auf Gleichgewichtsfähigkeit, Rhythmusfähigkeit und der Koppelungsfähigkeit sowie auf eine sehr eingeschränkte Ausdauer hin. Dies bedeutet aber nicht, dass das strittige Liegedreirad medizinisch notwendig iSd. § 33
SGB V ist.
Insbesondere lässt sich das gewünschte Liegerad nicht als Gegenstand des Behinderungsausgleiches im Sinne des § 33
SGB V begreifen, da die gesetzliche Krankenversicherung nur verpflichtet ist, solche Hilfsmittel zu gewähren, die die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen. Dementsprechend hat die Beklagte ein Hilfsmittel immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen einer Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und dabei einen Ausgleich für das durch die Behinderung fehlende
bzw. eingeschränkte Grundbedürfnis des menschlichen Lebens schafft (
vgl. BSG, Urteil vom 19.04.207 -
B 3 KR 9/06 R). Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrung aufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Allerdings schuldet eine gesetzliche Krankenkasse in Bezug auf das Gehen und die Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums nicht die Vergrößerung des Aktionsradius über den Nahbereich hinaus (
vgl. BSG, Beschluss vom 22.04.2009 -
B 3 KR 54/08 B und Urteil vom 19.04.2007 - B 3 KR 9/06 R, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dementsprechend ist unter der Erschließung des Nahbereichs die Fähigkeit zu verstehen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um etwa mittels eines kurzen Spaziergangs an die frische Luft zu kommen
bzw. die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen oder um die Alltagsgeschäfte (z. Bsp. Einkaufen, Post- und Bankgeschäfte, Besuch von Ärzten und Apotheken) zu erledigen. Dabei ist davon auszugehen, dass dieser Nahbereich durch "Gehen" erschlossen wird, weshalb im Falle das wegen der Behinderung ein solches "Gehen" nicht möglich sein sollte, regelmäßig der Ausgleich durch einen handbetriebenen Rollstuhl oder - soweit medizinisch notwendig - durch einen Elektrorollstuhl geleistet wird (
vgl. BSG, Beschluss vom 22.04.2009 - B 3 KR 54/08 B und Urteile vom 19.04.20908 - B 3 KR 9/06 R und vom 26.03.2003 -
B 3 KR 23/02 R). Dies ist offenbar nicht notwendig, da der Kläger nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen durchaus in der Lage ist, zu Fuß sich seinen Nahbereich zu erschließen; eine Einschränkung der Beweglichkeit seiner unteren Extremitäten - bis auf eine Schwindelsymptomatik - in diesem Umfange wird nirgends dokumentiert.
Im Übrigen weist der beratende Arzt der Beklagten,
Dr. J., in seiner Stellungnahme vom 16.01.2014 zutreffend darauf hin, dass nach dem Hilfsmittelverzeichnis mehrspurige Fahrräder im Sinne von Therapierädern grundsätzlich nur für Kinder bei bestimmten medizinischen Voraussetzungen als Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht kommen und damit für Erwachsene nicht mehr in Frage kommen. Denn bei Erwachsenen dienten diese Produkte (nur) der Fortbewegung, ohne dass sie die hohen therapeutischen Anforderungen wie bei einem Kind erfüllt werden. Die vom Bundessozialgericht in seinen Entscheidungen vom 07.10.2010 (
B 3 KR 5/10 R) und vom 18.05.2011 (
B 3 KR 10/10 R) getroffenen Ausnahmen von diesem Grundsatz liegen im Falle des Klägers nicht vor.
Dabei weist die Beklagte, gestützt auf die überzeugenden Ausführungen des MDK-Arztes
Dr. J. vom 16.01.2014, zu Recht darauf hin, dass das gewünschte Therapiedreirad für den Kläger auch nicht als Trainingsgerät in Betracht kommt. Abgesehen von der Fragestellung, ob Trainingsgeräte nicht bereits als solche wegen der fehlenden Überwachung durch ausgebildetes Personal von vorneherein dem privaten Bereich zuzuordnen sind und deshalb nicht auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung zu beziehen sind, lässt sich im Falle des Klägers eine sozialmedizinische Indikation für die Versorgung mit dem Therapie-Dreirad "Easy Rider 2" nicht erkennen. Grundsätzlich fallen nämlich Maßnahmen der Bewegungsförderung nur ausnahmsweise in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen, wenn sie mit Behandlungs- und Therapiecharakter bei eindeutigem Krankheitsbezug einhergehen. Um im Falle jedoch eine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und Ausdauer, der Beweglichkeit, Kraft und Erweiterung des Aktionsradius zu erreichen oder die vom Hausarzt genannten Störungen des Gleichgewichts und der Bewegungskoordination zu behandeln, stehen ausreichende und effektive Heilmittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung, wie etwa Krankengymnastik, Ergotraining, Gehtraining mit vorhandenen Hilfsmitteln.
Schließlich scheitert der Einsatz des "Trainingsgerätes" (Easy Rider 2) bereits an der fehlenden Möglichkeit eines eigenbestimmten und selbständigen Einsatzes des Dreirades. Denn ausweislich der Begutachtung zur Feststellung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz (im Sinne von § 45 a Elftes Buch Sozialgesetzbuch Soziale Pflegeversicherung - (
SGB XI) vom 23.09.2013 stellte der Gutachter D. fest, dass im Zeitraum vom 11.04.2012 und 20.09.2013 die kognitiven Störungen erheblich zugenommen hätten und der Kläger - auch nach den Darlegungen der Pflegekraft - häufig unkontrolliert die Wohnung verlasse und sich dabei in große Gefahr bringe, da er den Verkehr auf den Straßen nicht abschätzen könne. Angesichts dessen erscheint es ausgeschlossen, dass sich der Kläger "zu Trainingszwecken" mittels eines Therapie-Dreirades in den öffentlichen Straßenverkehr begibt. Außerdem verweist der Gutachter auf Merkfähigkeitsstörungen, lückenhaftes Kurzzeitgedächtnis sowie Verwirrtheit mit zeitlich situativer Desorientierung hin sowie die Tatsache, dass der Kläger verlangsamt reagiere und seine Zeit brauche und gezielte Orientierungshilfen auch im Alltag brauche. Wenn deshalb der Gutachter von einer in erhöhtem Maße eingeschränkten Alltagskompetenz ausgeht und selbst die Ehefrau des Klägers anlässlich ihrer Einvernahme in der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2013 vor dem Hessischen Landessozialgericht (L 1 KR 3/13) ausgesagt hat, dass der Kläger nicht in der Lage sei, alleine mit einem Therapiefahrrad unterwegs zu sein, weil ihm die Orientierung fehle, lässt sich der unbeaufsichtigte Einsatz eines Therapiedreirades keinesfalls begründen. Dieses Manko kann jedoch nicht dadurch beseitigt werden, dass die "rüstige" Mutter des Klägers ihn bei Ausfahrten begleiten können soll. Weder ist ein entsprechendes Eingreifen der Mutter "zu Fuß" möglich (viel höhere Geschwindigkeit des Therapiedreirades) noch gar durch "Nebenher-Fahren".
Angesichts des kognitiven Defizits kann der Kläger das von ihm gewünschte Therapiedreirad nicht ohne Gefahr für sich oder andere benutzen, weshalb ihm dieses erst recht nicht auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen ist. Deshalb kommt es nicht mehr darauf an, ob das konkret gewünschte Rad "Easy Rider 2" der Firma H. - trotz ausdrücklicher Leistung im Hilfsmittelverzeichnis (Hilfsmittelverordnung, Ziffer 22.51.02.0048) - nicht bereits deshalb für den Kläger als Hilfsmittel ausscheidet, weil es sich für ihn um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt (§ 33
Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz
SGB V).
Insgesamt hat die Beklagte daher zu Recht eine Kostenübernahme des gewünschten Therapie-Dreirades "Easy Rider 2" des Herstellers H. abgelehnt, weshalb der Bescheid vom 21. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2014 der Sach- und Rechtslage entspricht. Die dagegen erhobene Klage war daher als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.