Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1
SGG). Zutreffend hat das
LSG entschieden, dass die Versicherte von der Beklagten in der ambulant betreuten Wohngruppe Leistungen für eine dreimal tägliche Medikamentengabe selbst als einfachste Maßnahme der HKP beanspruchen konnte und von den Kosten dieser Versorgung freizustellen war.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Urteile, durch die die Beklagte zur Leistung verurteilt worden ist und deren Aufhebung sie begehrt, sowie der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.3.2019, durch die sie die vom 1.2. bis 31.3.2019 begehrten Leistungen der Medikamentengabe abgelehnt hatte. Gegen diese Bescheide wandte sich die verstorbene Versicherte zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4
SGG), gerichtet auf Änderung der angefochtenen Bescheide, weil die Beklagte durch diese für die streitige Zeit statt der beantragten Medikamentengabe das Richten von Medikamenten in einem Wochendispenser bewilligt hatte. Auf die Freistellung von darüber hinausgehenden Kosten für die erbrachte Medikamentengabe haben die Beteiligten den Streitgegenstand im Revisionsverfahren übereinstimmend begrenzt.
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Durch den Tod der Versicherten im Revisionsverfahren ist eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eingetreten, da sie durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist (§ 202 Satz 1
SGG iVm § 246 Abs 1 Halbsatz 1
ZPO). Rechtsnachfolger der Versicherten sind zwar derzeit nicht bekannt und noch zu ermitteln. Indes kann der Rechtsstreit durch den Prozessbevollmächtigten auch für die unbekannten Rechtsnachfolger fortgeführt werden (vgl
BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - BSGE 116, 210 = SozR 4-3500 § 28 Nr 9, RdNr 10;
BSG vom 12.5.2017 - B 8 SO 14/16 R - BSGE 123, 171 = SozR 4-3500 § 66 Nr 1, RdNr 12;
BSG vom 21.9.2017 - B 8 SO 4/16 R - SozR 4-3500 § 17 Nr 1 RdNr 13). Eine Rechtsnachfolge in den Anspruch auf Kostenfreistellung kommt nach §§ 58, 59
SGB I iVm § 1922 Abs 1, § 2039
BGB auch in Betracht (
BSG vom 24.9.2002 -
B 3 KR 15/02 R - SozR 3-2500 § 33 Nr 47 S 261;
BSG vom 3.8.2006 - B 3 KR 24/05 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 10 RdNr 13 ff;
BSG vom 30.11.2017 - B 3 KR 11/16 R - SozR 4-2500 § 37 Nr 15 RdNr 12).
3. Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Freistellung von Kosten für HKP ist vorliegend § 37 Abs 4 Alt 1
SGB V (hier § 37
SGB V idF des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes - PpSG vom 11.12.2018, BGBl I 2394). Danach sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Kraft für die HKP stellen kann. Dies setzt voraus, dass der Versicherte einen Antrag auf die Sachleistung an die Krankenkasse gerichtet und diese einen Anspruch auf HKP grundsätzlich anerkannt hat. Sind die weiteren Voraussetzungen des § 37 Abs 4 Alt 1
SGB V erfüllt, wandelt sich der die HKP betreffende Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch um. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs 4 Alt 1
SGB V einschließlich der Angemessenheit der entstandenen Kosten hat das
LSG - vorbehaltlich des Bestehens eines Sachleistungsanspruchs - zutreffend auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen bejaht.
Über den ausdrücklich geregelten Kostenerstattungsanspruch hinaus ist § 37 Abs 4 Alt 1
SGB V auch auf Fälle der - wie hier - Kostenfreistellung anzuwenden (vgl zur Ergänzung eines Erstattungs- durch einen Freistellungsanspruch
BSG vom 18.6.2020 - B 3 KR 14/18 R - vorgesehen für BSGE = SozR 4-2500 § 13 Nr 52, RdNr 25).
4. Der Kostenfreistellungsanspruch nach § 37 Abs 4 Alt 1
SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch und setzt voraus, dass die selbstbeschaffte HKP zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (vgl zB
BSG vom 30.11.2017 - B 3 KR 11/16 R - SozR 4-2500 § 37 Nr 15 RdNr 15). Rechtsgrundlage für den Sachleistungsanspruch ist hier § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als HKP Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege). Nach § 37 Abs 3
SGB V besteht der Anspruch auf HKP nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Nach § 37 Abs 6
SGB V legt der GBA in Richtlinien nach § 92
SGB V ua fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach § 37 Abs 2
SGB V auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können (hier HKP-RL
idF vom 17.9.2009, geändert am 20.9.2018 mWv 1.12.2018,
BAnz AT 30.11.2018 B4, und am 17.1.2019 mWv 22.2.2019,
BAnz AT 21.2.2019 B2).
Diese Regelungen für den Anspruch auf Behandlungssicherungspflege hat der Senat dahin konkretisiert, dass der Anspruch zunächst an allen geeigneten Orten besteht, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Einschränkungen in Bezug auf den Aufenthaltsort ergeben sich aus der Geeignetheit der räumlichen Verhältnisse und für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen nur dann, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht (
BSG vom 30.11.2017 - B 3 KR 11/16 R - SozR 4-2500 § 37 Nr 15 RdNr 25; zuletzt
BSG vom 7.5.2020 - B 3 KR 4/19 R - juris RdNr 19).
5. Hiernach lebte die Versicherte in der streitigen Zeit an einem für die Leistung von HKP nach § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V geeigneten Ort. Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des
LSG (§ 163
SGG), die dieses auch rechtlich zutreffend gewürdigt hat, lebte die Versicherte in einer ambulant betreuten Wohngruppe nach § 38a
SGB XI (zu den rechtlichen Maßstäben hierfür
BSG vom 10.9.2020 - B 3 P 1/20 R - SozR 4-3300 § 38a Nr 3;
BSG vom 10.9.2020 - B 3 P 2/19 R - SozR 4-3300 § 38a Nr 4;
BSG vom 10.9.2020 - B 3 P 3/19 R - SozR 4-3300 § 38a Nr 5). Sie hatte in dieser - was hier zu Recht allein im Streit steht - keinen von der Erteilung entsprechender Einzelaufträge unabhängigen vertraglichen Anspruch auf die Erbringung von Medikamentengabe als einfachster Behandlungspflege durch in der Wohngruppe tätige Personen oder Dienste (dazu 6.). Dies steht mit den gesetzlichen Bestimmungen im Einklang (dazu 7.). Eine Umgehung der Abgrenzung von ambulanter und stationärer pflegerischer Versorgung liegt hierin nicht (dazu 8.).
6. Einen vertraglichen Anspruch hat das
LSG frei von Rechtsfehlern ausgeschlossen, weil weder der Mietvertrag noch die Verträge der Bewohner untereinander (Gremiumsvereinbarung) oder mit von ihnen beauftragten Personen und Diensten (Präsenzkraftvereinbarung, Betreuungsvertrag, Pflegevertrag) der Versicherten Anspruch darauf vermittelten, durch eine der in der Wohngruppe anwesenden oder für deren Mitglieder tätigen Personen oder Dienste dreimal täglich die notwendige Hilfe bei der Einnahme ihrer Medikamente zu erhalten, ohne dass es dazu eines gesonderten Auftrags durch sie selbst an einen Dienstleister bedurft hätte.
Dass das
LSG bei seiner Auslegung der von ihm festgestellten von der Versicherten geschlossenen Verträge und insbesondere des Betreuungsvertrags revisionsrechtlich zu beachtende Grenzen der Vertragsauslegung verkannt haben könnte, macht die Beklagte nicht geltend. Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Würdigung sogenannter nicht typischer Verträge durch das Tatsachengericht ist darauf beschränkt, ob dieses Gericht Bundesrecht (§ 162
SGG) verletzt hat, also insbesondere die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157
BGB) nicht beachtet oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl näher zu den Maßstäben
BSG vom 5.3.2014 - B 12 KR 22/12 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 17 RdNr 25;
BSG vom 25.10.2016 - B 1 KR 6/16 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 59 RdNr 19 f). Das ist vorliegend nicht ersichtlich (vgl zur Beanstandung einer Vertragsauslegung
BSG vom 28.5.2003 - B 3 KR 32/02 R - SozR 4-2500 § 37 Nr 2).
Ein Anspruch lässt sich insbesondere nicht den Bestimmungen des vom
LSG festgestellten und ausgelegten Betreuungsvertrags der Versicherten mit dem gemeinschaftlich von den Bewohnern ausgewählten Pflegedienst entnehmen, bei dem es sich nicht um einen typischen Formularvertrag handelt. Nach der Würdigung des
LSG sieht der Vertrag zwar die ständige Anwesenheit eines Mitarbeiters des Pflegedienstes in der Wohngruppe vor, beschränkt den Leistungsumfang indes auf Leistungen der psychosozialen Betreuung und Begleitung nach dem
SGB XI gegen eine monatliche Betreuungspauschale von 680 Euro und schließt die Erbringung von Leistungen der HKP nach dem
SGB V vom Leistungsumfang aus.
Nach den Feststellungen des
LSG sind Ansprüche auf HKP-Leistungen ersichtlich nicht Regelungsgegenstand des Mietvertrags der Versicherten. Von vornherein nicht richten können sich solche Ansprüche gegen die von den Bewohnern gemeinschaftlich beauftragte Person nach § 38a Abs 1 Satz 1 Nr 3
SGB XI, die gesetzlich vorgegeben nur mit Tätigkeiten unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung beauftragt werden darf. Der Pflegevertrag beinhaltet nach seinem festgestellten Inhalt nur Leistungen der ambulanten Pflege nach §§ 36, 38
SGB XI.
7. Gesetzliche Grenzen der möglichen Gestaltung des Leistungsgeschehens in ambulant betreuten Wohngruppen verletzen diese Verträge nicht. Versicherte verlieren ihren Anspruch auf einfachste Behandlungspflege gegen die Krankenkasse nicht dadurch, dass sie ihre Versorgung mit häuslicher Pflege gemeinschaftlich mit anderen Pflegebedürftigen organisiert haben.
a) Auf die Erbringung einfachster Behandlungspflege besteht in einer ambulant betreuten Wohngruppe (§ 38a
SGB XI) kein Anspruch aufgrund gesetzlicher Bestimmungen gegen in ihr tätige Personen oder Dienste. Weder die Regelungen des
SGB V zur Erbringung von HKP noch die des
SGB XI zur Erbringung von Leistungen bei häuslicher Pflege und zur gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung in einer ambulant betreuten Wohngruppe sehen vor, dass in einer Wohngruppe nach dem
SGB XI der Anspruch auf HKP nach dem
SGB V ausgeschlossen oder auch nur beschränkt ist.
Nach der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und sozialer Pflegeversicherung bei ambulanter pflegerischer Versorgung können Versicherte vielmehr Leistungen der Behandlungspflege als HKP einschließlich der einfachsten Maßnahmen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann beanspruchen, wenn sie zugleich ambulante Pflegeleistungen im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung beziehen. Das hat der Gesetzgeber bei Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zum 1.1.2017 durch die Neufassung von § 13 Abs 2
SGB XI ausdrücklich bekräftigt (Art 2 Nr 6 des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes - PSG II vom 21.12.2015, BGBl I 2424). Danach bleiben die Leistungen nach dem
SGB V einschließlich der Leistungen der HKP nach § 37
SGB V unberührt und es gilt dies auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, soweit diese im Rahmen der HKP nach § 37
SGB V zu leisten sind. Zu einem Zusammentreffen von Leistungen der Krankenkasse zur Behandlungspflege nach § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V mit Leistungen der Pflegekasse bei häuslicher Pflege kann es danach regelhaft nicht kommen; diese Leistungen sind grundsätzlich nicht deckungsgleich (vgl zum Verhältnis von HKPr Krankenpflege nach § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V zur häuslichen Pflegehilfe nach § 36
SGB XI Kruse in LPK-
SGB XI, 5. Aufl 2018, § 13 RdNr 12; Luik in jurisPK-
SGB XI, 2. Aufl 2017, § 13 RdNr 52, 86, 92, Stand 27.7.2020; Udsching in Udsching/Schütze,
SGB XI, 5. Aufl 2018, § 13 RdNr 8, dort auch RdNr 9a zur Sonderlage der Intensivpflege mwN zur Rechtsprechung des Senats).
b) Das gilt auch, soweit in die Pflegebegutachtung seit 1.1.2017 nach § 15 Abs 2 Satz 1
iVm § 14 Abs 2 Nr 5 Buchst a
SGB XI die Bewältigung von und der selbständige Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen in Bezug ua auf Medikation eingehen sollen (sog Modul 5).
Dass in die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit insoweit Beeinträchtigungen einfließen, deren Kompensation Leistungen der HKP wie die Medikamentengabe dienen, lässt die gesetzliche Zuständigkeitsabgrenzung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und sozialer Pflegeversicherung bei ambulanter pflegerischer Versorgung unberührt und führt zu keinen Leistungsverschiebungen zwischen beiden Leistungssystemen. Dies zeigt zum einen § 15 Abs 5
SGB XI. Danach sind bei der Pflegebegutachtung auch solche Kriterien zu berücksichtigen, die zu einem Hilfebedarf führen, für den Leistungen des
SGB V vorgesehen sind, und es gilt dies auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, dh Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf aus medizinisch-pflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Maßnahme in den in § 14 Abs 2
SGB XI genannten sechs Bereichen ist oder mit einer solchen notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. Zum anderen ist es ausweislich der Gesetzesmaterialien zum PSG II Teil der gesetzlichen Regelungskonzeption, dass der Bereich Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen Kriterien erfasst, die dem Themenkreis der selbständigen Krankheitsbewältigung zuzuordnen sind, und dass es hierbei ausdrücklich nicht darum geht, den Bedarf an Maßnahmen der HKP nach dem
SGB V einzuschätzen. Insoweit gilt § 13 Abs 2
SGB XI, dh diese Leistungen werden auch weiterhin in der häuslichen Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht und in der vollstationären Versorgung nach § 43
SGB XI von der sozialen Pflegeversicherung (BT-Drucks 18/5926 S 110, 114).
Dass also Hilfebedarfe, für die Leistungen der HKP nach § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V vorgesehen sind, in die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit einfließen, führt nicht zugleich dazu, dass diese Bedarfe durch Leistungen der sozialen Pflegeversicherung zu decken sind. Die Einbeziehung dieses Aspekts in die Bewertung von Pflegebedürftigkeit berührt nicht die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der HKP und lässt den Vorrang der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 13 Abs 2
SGB XI uneingeschränkt bestehen (Udsching in Udsching/Schütze,
SGB XI, 5. Aufl 2018, § 14 RdNr 18 und § 15 RdNr 37; Udsching in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl 2018, § 36
SGB XI RdNr 4).
Das ist auch konsequent. Denn zum einen bezieht sich das Modul 5 weitgehend auf die eigenständige Durchführung und selbständige Bewältigung krankheitsbezogener Arbeit durch die Betroffenen, womit häufig ein Hilfebedarf bei der Anleitung und Motivation oder Schulung, also an unterstützenden Betreuungsleistungen, verknüpft ist (BT-Drucks 18/5926 S 110). Solche pflegerischen Betreuungsmaßnahmen nach § 36 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 3
SGB XI sind aber nicht deckungsgleich mit Maßnahmen der HKP nach § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V, die nach der HKP-RL erforderlich sind, wenn und weil die eigenständige Durchführung und selbständige Bewältigung krankheitsbezogener Arbeit nicht (mehr) möglich ist, und durch die nicht unterstützende Hilfe zur Selbsthilfe geleistet wird, sondern mit der die Maßnahmen und Handlungen durch einen Dritten geleistet werden.
Und zum anderen: Würde die Berücksichtigung von Beeinträchtigungen im Bereich des Moduls 5 bei der Ermittlung der Pflegebedürftigkeit zum Ausschluss von HKP nach § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V führen, müssten die Hilfebedarfe durch Pflegesachleistungen nach § 36
SGB XI gedeckt werden, die indes im Unterschied zu den Leistungen nach dem
SGB V gedeckelt sind, oder durch selbstbeschaffte Leistungen der Betroffenen auf eigene Kosten. Die Ausweitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs sollte indes weder mit Leistungsverschiebungen zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung verbunden sein (BT-Drucks 18/5926 S 148 f), noch sollte diese zu einer Schlechterstellung der Betroffenen führen (BT-Drucks 18/5926 S 82, 140 f, 144).
c) Das ändert sich auch dann nicht, wenn mehrere Pflegeversicherte Leistungen der häuslichen Pflegehilfe gemeinsam in Anspruch nehmen.
Diese Möglichkeit besteht seit 1.7.2008 zunächst nach § 36 Abs 1 Satz 5
SGB XI (Art 1 Nr 17 Buchst a des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes vom 28.5.2008, BGBl I 874) und nunmehr § 36 Abs 4 Satz 4
SGB XI explizit mit dem Ziel, bei ambulanter Versorgung durch das "Poolen" von Leistungsansprüchen, dh den gemeinsamen Abruf von Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem
SGB XI, im Interesse der Pflegebedürftigen eine wirtschaftlichere Versorgung mit diesen Leistungen zu ermöglichen (BT-Drucks 16/7439 S 38, 54 f). Im Ergebnis können hierdurch die ungedeckten Pflegekosten der Betroffenen geringer gehalten werden. Diesem Regelungsziel widerspricht es nicht, wenn Versicherte im Rahmen ihrer gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung die Inanspruchnahme gemeinsam abgerufener häuslicher Pflegehilfe vertraglich auf die Leistungszwecke des
SGB XI beschränken und sich hinsichtlich der Behandlungspflege - auch der einfachsten Art - gegenseitig auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche nach § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V verweisen.
Anders ist das mit dem "Poolen" verfolgte Ziel auch nicht zu verwirklichen. Mit einer monatlichen Betreuungspauschale von 680 Euro hätte die Versicherte nicht für sich allein die ständige Anwesenheit eines Mitarbeiters des Pflegedienstes sicherstellen können, dies bedurfte der gemeinschaftlichen Organisation und gemeinsamen Inanspruchnahme der Betreuungsleistungen mit anderen Pflegebedürftigen. Dieses "Poolen" verlöre aber für die Pflegebedürftigen und den betreuenden Pflegedienst seinen Sinn, wenn dem Dienst die Erbringung auch individuell verschiedener einfachster Behandlungspflege gegenüber den einzelnen Pflegebedürftigen als Teil seiner Betreuungsaufgaben gegenüber der Gemeinschaft der Pflegebedürftigen zugewiesen wäre, und zwar nur deshalb, weil ein Mitarbeiter ständig anwesend ist und diese Behandlungspflegemaßnahmen faktisch womöglich erbringen könnte.
d) Dem steht die Rechtsprechung des Senats zum Anspruch auf die Erbringung von einfachsten Maßnahmen der Behandlungspflege durch Einrichtungen der Eingliederungshilfe nicht entgegen.
Der Senat hat für Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach dem
SGB XII (bis 31.12.2019; seit 1.1.2020 Neuregelung in Teil 2 des
SGB IX) entschieden, dass diese ein geeigneter Ort für HKP-Leistungen nach § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V sein können, wenn die Einrichtung die Leistung nicht selbst schuldet. Einrichtungen schulden grundsätzlich selbst einfachste Maßnahmen der HKP, die für Versicherte in einem Haushalt praktisch von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden können (vgl § 37 Abs 3
SGB V). Diese gehören in der Regel als gesetzlicher Bestandteil der Eingliederungshilfe und aufgrund der nach den Vereinbarungen nach §§ 75 ff
SGB XII vorzuhaltenden sächlichen und personellen Ausstattung zu den Maßnahmen, die von der Einrichtung der Natur der Sache nach zu erbringen sind. HKP ist dann insoweit nicht erforderlich (
BSG vom 25.2.2015 - B 3 KR 11/14 R - BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr 13).
So liegt es hier bei der von Pflegebedürftigen gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung in einer ambulant betreuten Wohngruppe (§ 38a
SGB XI) nach ihrer abweichenden gesetzlichen Regelungskonzeption nicht. Die Rechtsprechung des Senats zur Erbringung von einfachster Behandlungspflege durch Einrichtungen der Eingliederungshilfe ist daher nicht auf ambulant betreute Wohngruppen übertragbar.
8. Die gesetzeskonforme vertragliche Gestaltung der Leistungserbringung in der Wohngruppe der Versicherten ist im Verhältnis zur Beklagten entgegen ihrem Vorbringen nicht deshalb unbeachtlich, weil die Versorgung der Pflegebedürftigen in der Wohngruppe hier ihrer Art nach als vollstationär zu qualifizieren wäre.
In vollstationären Pflegeeinrichtungen nach § 71 Abs 2
SGB XI sind HKP-Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich ausgeschlossen. Die Grenze zwischen ambulanter und stationärer Pflegeversorgung iS des
SGB XI verläuft für ambulant betreute Wohngruppen nach § 38a Abs 1 Satz 1 Nr 4 Halbsatz 1
SGB XI dort, wo ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen "Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs 1
SGB XI für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen". Abgrenzungsrelevant ist danach weniger die rechtliche und/oder personelle Gestaltung auf der Anbieterseite als der Umfang der den Pflegebedürftigen zu gewährleistenden Leistungen. Diese dürfen einem vollstationären Leistungsumfang entsprechen, aber nicht weitgehend entsprechen. Den Pflegebedürftigen müssen für ihre Ausgestaltung Wahlmöglichkeiten verblieben sein (vgl dazu
BSG vom 10.9.2020 - B 3 P 2/19 R - SozR 4-3300 § 38a Nr 4 RdNr 29;
BSG vom 10.9.2020 - B 3 P 3/19 R - SozR 4-3300 § 38a Nr 5 RdNr 25).
Dass die Versicherte auf eine iS des § 38a Abs 1 Satz 1 Nr 4 Halbsatz 1
SGB XI weitgehend einer vollstationären pflegerischen Versorgung entsprechende Betreuung in der Wohngruppe verwiesen war und ihr Wahlmöglichkeiten nicht verblieben waren, ist nach den vom
LSG festgestellten und in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgelegten Verträgen nicht zu erkennen. Dagegen spricht zudem, dass die Versicherte in der streitigen Zeit in einer nach dem Bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz anerkannten ambulant betreuten Wohngemeinschaft lebte, in der sie Leistungen bei häuslicher Pflege einschließlich des Wohngruppenzuschlags nach § 38a
SGB XI von der Pflegekasse bezogen sowie Leistungen der HKP nach § 37 Abs 2 Satz 1
SGB V von der Krankenkasse bewilligt erhalten hat, womit die Versorgung der Versicherten von der Beigeladenen wie von der Beklagten implizit als ambulant qualifiziert worden ist.
9. Soweit aus Sicht von Krankenkassen und Pflegekassen durch die Erbringung von HKP-Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung und Leistungen bei häuslicher Pflege zulasten der sozialen Pflegeversicherung gegenüber Versicherten in ambulant betreuten Wohngruppen die Gefahr von Überzahlungen der diese Leistungen erbringenden Dienste bestehen sollte, ist dieser durch die Ausgestaltung der entsprechenden Vergütungsvereinbarungen mit den ambulanten Diensten zu begegnen. Die Leistungsansprüche der Versicherten werden hiervon nicht berührt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.