Der Kläger, der einem Schwerbehinderten im Sinne des § 2 Schwerbehindertengesetz gleichgestellt ist, war seit Februar 1985 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Metallindustrie, das sich mit der Bearbeitung von Metallteilen befaßt, zuletzt als Bestücker in der Galvanik beschäftigt.
Im Jahre 1988 wurde der Kläger ausweislich einer Aktennotiz des Mitarbeiters
S. in einem persönlichen Gespräch verwarnt, weil er am 25. März 1988 in alkoholisiertem Zustand eine Kollegin beschimpft habe. Am 15. November 1991 stellte der Vorgesetzte des Klägers, W., nach Schichtbeginn um 22.40 Uhr bei ihm eine Alkoholfahne fest. Zwei mit Einverständnis des Klägers im Wege der Atemalkoholanalyse (durch sogenannten Alkomat) durchgeführte Tests ergaben Werte von 1,42
bzw. 1,44 Promille.
Der Kläger erhielt daraufhin am 26. November 1991 ein Abmahnungsschreiben, das auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
"Am 15. November 1991 sind Sie stark alkoholisiert zur Arbeit gekommen. Ein mit Ihrem Einverständnis durchgeführter Alkoholtest ergab über 1,4 Promille. Wegen alkoholbedingter Arbeitsunfähigkeit wurden Sie daraufhin wieder nach Hause geschickt. Durch Ihren übermäßigen Alkoholgenuß haben Sie grob gegen unsere Arbeitsordnung verstoßen. Ein derartiges Verhalten können wir keinesfalls akzeptieren. Aus diesem Grund erhalten Sie hiermit eine strenge Abmahnung. Wir weisen Sie nachdrücklich darauf hin, daß wir das Beschäftigungsverhältnis mit Ihnen im Wiederholungsfall kündigen werden."
Am 17. Juli 1992 wurden bei dem Kläger nach Beginn der Frühschicht erneut Anzeichen für eine Alkoholisierung festgestellt. Der Mitarbeiter des Werkschutzes We. führte im Einverständnis des Klägers gegen 7.55 Uhr wiederum eine Atemalkoholanalyse durch. Dabei waren der Betriebsratsvorsitzende Sp. und der Betriebsrat M. sowie der Leiter der Personalbetreuung
Dr. K. und die Krankenschwester Sc. anwesend. Der Test ergab einen Wert von 1,6 Promille. Der Kläger lehnte eine Wiederholung des Tests ab. Das von der Krankenschwester entnommene Blut wurde nur hinsichtlich der Leberwerte untersucht. Zwischen den Parteien ist streitig geblieben, ob der Kläger sein Einverständnis auch zu einer Analyse des Blutalkoholwertes erteilt hat. Der Werksarzt stellte aufgrund der Leberwerte keinen Hinweis für eine Alkoholabhängigkeit des Klägers fest.
Am 4. August 1992 beantragte die Beklagte bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung, die am 27. Oktober 1992 erteilt wurde. Der dagegen vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid vom 19. November 1993 zurückgewiesen. Auf das Anhörungsschreiben vom 3. August 1992 teilte der Betriebsrat am 10. November 1992 mit, er sehe keine Möglichkeit, der Kündigung zu widersprechen. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 11. November zum 31. Dezember 1992 fristgemäß auf.
Bei der Beurteilung einer im Zusammenhang mit alkoholbedingtem Fehlverhalten des Arbeitnehmers stehenden Kündigung ist zunächst im Einzelfall abzugrenzen, ob verhaltensbedingte Gründe vorliegen oder ob die strengen Maßstäbe einer personenbedingten Kündigung aus Krankheitsgründen anzuwenden sind. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Alkoholabhängigkeit eine Krankheit im medizinischen Sinne. Von krankhaftem Alkoholismus ist auszugehen, wenn infolge psychischer und physischer Abhängigkeit Gewohnheits- und übermäßiger Alkoholgenuß trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann. Eine Kündigung wegen Pflichtverletzungen, die auf Alkoholabhängigkeit beruht, ist in der Regel sozialwidrig, weil dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Pflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen ist. Beruht dagegen die Pflichtverletzung wegen Alkoholisierung im Betrieb nicht auf Alkoholabhängigkeit, kommt - in der Regel nach erfolgloser Abmahnung - eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht.
Vorliegend sind ausschließlich die Grundsätze zur verhaltensbedingten Kündigung wegen Alkoholmißbrauchs maßgebend. Die Beklagte hat die Kündigung auf wiederholte arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen gestützt. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts in Bezug genommen, in dem festgestellt ist, daß der Kläger nicht alkoholabhängig ist und damit für Pflichtverletzungen zur Verantwortung zu ziehen ist. Der Werksarzt der Beklagten hat aufgrund der Leberwerte keine Hinweise für eine Suchterkrankung diagnostiziert.
3. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht ferner davon ausgegangen, der Kläger habe am 17. Juli 1992 erheblich gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er so stark alkoholisiert am Arbeitsplatz erschien, daß er nach Hause gefahren werden mußte. Damit liegt gleichzeitig ein Verstoß gegen Ziff. 7 der Arbeitsordnung vor. Das Landesarbeitsgericht hat dabei - ohne dies auszuführen - zu Recht unterstellt, der Kläger unterliege keinem absoluten, sondern lediglich einem relativen Alkoholverbot.
Die Arbeitsordnung entspricht der allgemeinen arbeitsvertraglichen Nebenpflicht und teilweise der Unfallverhütungsvorschrift in § 38
Abs. 1 VGBI, die es dem Arbeitnehmer verbietet, sich in einen Zustand zu versetzen, in dem er sich oder andere gefährden kann. Für die Pflichtverletzung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer alkoholisiert zur Arbeit erscheint oder erst im Betrieb alkoholische Getränke zu sich nimmt. Der Arbeitnehmer hat die Pflicht, seine Arbeitsfähigkeit auch nicht durch privaten Alkoholgenuß zu beeinträchtigen.
Der Kläger hat zumindest diese Nebenpflicht nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichtes verletzt, wobei noch hinzukommt, dass infolge der festgestellten Ausfallerscheinungen (u.a. schwankender Gang, ausbalancieren des Gewichts, lallende Sprache) auch noch eine Beeinträchtigung seiner Hauptpflicht zur Arbeitsleistung zu besorgen ist.
Im Kündigungsrechtsstreit muß der Arbeitgeber gemäß
§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG darlegen und beweisen, daß der Arbeitnehmer alkoholbedingt nicht mehr in der Lage ist, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß zu erfüllen
bzw. durch die Alkoholisierung für ihn oder andere Arbeitnehmer ein erhöhtes Unfallrisiko besteht. Der Nachweis der Alkoholisierung ist dann mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, wenn der Arbeitnehmer sich nicht mit einem Alkoholtest einverstanden erklärt.
Er kann wegen des verfassungsmäßig garantierten Grundrechts auf körperliche Integrität weder zu einer Untersuchung seines Blutalkoholwertes gezwungen werden (von Hoyningen-Huene, DB 1995, 142, 145; Willemsen/ Brune, DB 1988, 2304, 2306) noch zur Mitwirkung an einer Atemalkoholanalyse (Künzl, BB 1993, 1581, 1584; differenzierend Willemsen/Brune, aaO). Ausreichend ist es allerdings, wenn der Arbeitgeber darlegt, aufgrund welcher Indizien (Alkoholfahne, lallende Sprache, schwankender Gang, aggressives Verhalten) er subjektiv den Eindruck einer Alkoholisierung gewonnen hat, und wenn er den entsprechenden Beweis durch Zeugenaussage führen kann (so auch
LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 28. November 1988 - 4 Sa 382/88 - LAGE § 615
BGB Nr. 17).
Im Schrifttum (Glaubitz, BB 1979, 579, 580; Künzl, BB 1993, 1581, 1584; Schäfer, aaO,
S. 55; Willemsen/Brune, DB 1988, 2304) wird vertreten, dem Arbeitnehmer bei Anzeichen einer Alkoholisierung Gelegenheit zu geben, durch objektive Tests
(z. B. mittels Alkomat oder einer vom Werksarzt entnommenen Blutprobe) den Verdacht einer Alkoholisierung auszuräumen. Dieser Auffassung ist aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers - ähnlich der Anhörung vor einer Verdachtskündigung - mit der Einschränkung zuzustimmen, daß der Arbeitgeber über entsprechende Möglichkeiten verfügt, was
u. a. für den Kleinbetrieb wohl nicht generell gefordert werden kann, und daß die Alkoholisierung nicht offensichtlich vorliegt (
z.B. bei erkennbarer Volltrunkenheit). Insofern kann die Alkomatmessung sowohl zur Be- als auch Entlastung des Arbeitnehmers beitragen.
4. Das Landesarbeitsgericht hat indes rechtsfehlerhaft angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil der Kläger angeblich zuvor nicht wirksam abgemahnt worden sei.
a) Aus dem Tatbestandsmerkmal "bedingt" in § 1
Abs. 2 Satz 1
KSchG wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel abgeleitet. Eine Kündigung ist nur erforderlich ("ultima ratio"), wenn sie nicht durch mildere Maßnahmen zu vermeiden ist. Eine gegenüber der Kündigung mildere Maßnahme ist die Abmahnung. Abmahnung bedeutet, daß der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringt (Dokumantationsfunktion) und damit deutlich - wenn auch nicht expressis verbis - den Hinweis verbindet, im Wiederholungsfall sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (Warnfunktion). Sie ist grundsätzlich auszusprechen, wenn wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens gekündigt werden soll und die Störungen im Verhaltens- und Leistungsbereich liegen.
b) Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird durch das von Preis (Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987,
S. 454
ff.) herausgearbeitete Prognoseprinzip ergänzt. Der Kündigungszweck ist zukunftsbezogen ausgerichtet. Entscheidend ist, ob eine Wiederholungsgefahr besteht und ob sich das vergangene Ereignis auch zukünftig belastend auswirkt (Senatsurteil vom 16. August 1991, aaO). In der Regel wird erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, daß sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragstreu verhalten wird (Hueck/von Hoyningen-Huene, aaO, § 1 Rz 284; ders. DB 1995, 142). Demgemäß ist eine Abmahnung nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer sie als nicht erfolgversprechend angesehen werden konnte. Besondere Umstände sind vor allem anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer eindeutig nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Dies ist der Fall, wenn er seine Vertragsverletzungen hartnäckig und uneinsichtig fortsetzt, obwohl er die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens kannte; der Arbeitgeber müßte auch hier bei Ausspruch einer Abmahnung mit weiteren erheblichen Pflichtverletzungen rechnen.
aa) Im Gegensatz zu der Auffassung der Vorinstanz genügt für die Rechtswirksamkeit der Abmahnung, daß der Kläger am 15. November 1991 mit einer starken Alkoholfahne im Betrieb angetroffen worden ist, worüber sich mehrere Arbeitnehmer beschwerten, so daß der Schichtführer einschreiten und der Kläger nach Hause geschickt werden mußte.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat demgegenüber gemeint, der mittels Atemalkoholtest ermittelte Wert sei nicht hinreichend zuverlässig. Diese Würdigung berücksichtigt die grundsätzlichen strukturellen Unterschiede zwischen dem Straf- und Zivilrecht nicht ausreichend und wird weder den rechtlichen noch den praktischen Problemen des Arbeitslebens gerecht.
(1) Grundsätzlich entspricht die Übertragung starrer Promillegrenzen aus dem Strafrecht nicht den Anforderungen des Arbeitsrechts. Eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung richtet sich im Einzelfall an der auszuübenden Tätigkeit sowie regionalen und branchenspezifischen Gesichtspunkten aus. Während bei einem operierenden Unfallchirurgen oder Piloten schon eine geringe Alkoholisierung als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung anzusehen ist, wird dies bei einem Bauarbeiter nicht so schnell anzunehmen sein, zumindest solange keine Unfallgefahren drohen.
Selbst wenn kein betriebliches Alkoholverbot herrscht und die geschuldete Arbeit nicht mit Alkoholkonsum schlechterdings unvereinbar ist, wird grundsätzlich nur ein geringer Alkoholkonsum erlaubt sein (
z.B. das Glas Sekt bei der Beförderungs- und Geburtstagsfeier, ein Glas Bier in der Pause). Der Arbeitgeber kann auch bei einem relativen Alkoholverbot sowohl erwarten, daß der Arbeitnehmer zum Dienst erscheint, ohne zuvor in erheblichem Umfang alkoholische Getränke zu sich genommen zu haben, als auch, daß der mündige Arbeitnehmer - auch wenn Alkohol in der Betriebs kantine erhältlich ist - während der Arbeit allenfalls geringfügig dem Alkohol zuspricht. Mathematische Toleranzgrenzen lassen sich insofern nicht aufstellen.
(2) Darüber hinaus unterliegt der Nachweis einer Alkoholisierung durch Atemalkoholanalyse im Arbeitsrecht nicht denselben strengen Anforderungen wie im Strafrecht, weil dort die exakte Feststellung der Alkoholisierung wegen des Grundsatzes "in dubio pro reo" zentrale Bedeutung hat.
Ein exakter Nachweis könnte im übrigen nur durch eine Untersuchung der Blutalkoholkonzentration geführt werden. Aus diesem Grund können im Ermittlungsverfahren Richter und bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch die Staatsanwaltschaft und deren Beamte gemäß § 81a StPO anordnen, daß ein Arzt eine Blutprobe ohne Einwilligung des Beschuldigten nach den Regeln ärztlicher Kunst entnimmt, wenn keine gesundheitlichen Nachteile zu befürchten sind. Demgegenüber kann ein Arbeitnehmer nicht dazu gezwungen werden, sich einer Blutentnahme zur Feststellung des Alkoholgehalts zu unterziehen; das Instrumentarium der Strafprozeßordnung steht dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung. Es würde daher die Anforderungen an seine Darlegungs- und Beweislast überspannen, wenn er in diesen Fällen sich nicht an dem durch Alkomat erzielten Ergebnis orientieren könnte.