Urteil
Teilhabeleistungen - Prognoseentscheidung - gerichtlicher Vergleich - Bezugsdauer von Verletztengeld

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 31. Senat


Aktenzeichen:

L 31 U 375/08


Urteil vom:

16.07.2009


Tenor:

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Januar 2007 sowie der Bescheid vom 18. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Dauer der Zahlung von Verletztengeld.

Der im Jahr 1960 geborene Kläger hat den Beruf des Maurers gelernt und später in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in diesem Beruf gearbeitet. Bei einem Arbeitsunfall am 14. März 1982 zog er sich eine rechtsseitige Knieverletzung mit vorderer Kreuzbandruptur und Innenmeniskusläsion zu, die zu mehreren operativen Eingriffen führte. Nachdem er zuvor bei seinem bisherigen Arbeitgeber ab Januar 1994 als Vorarbeiter gearbeitet hatte, trat ab 30. Juni 1995 Arbeitsunfähigkeit ein. Seitdem bezog er zusätzlich zu einer Rente aus der Gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund einer zunächst festgestellten MdE von 30 v. H. von der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung und später von der der Beklagten als deren Rechtsnachfolgerin Verletztengeld. Wegen der Erhöhung der MdE ist ein Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen L 3 U 43/04 beim Landessozialgericht anhängig. Seit 7. Oktober 1999 bezieht er Berufsunfähigkeitsrente. Nach Einstellung der Verletztengeldzahlung durch Bescheid vom 24. September 1999 kam es zu einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin (S 67 U 215/00). In der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2002 schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich: I ...

II. Der Kläger bekundet sein Interesse und seine Bereitschaft, an einer erneuten Umschulung zum Bürokaufmann teilzunehmen. Die Beklagte verpflichtet sich, eine dahingehende Umschulung des Klägers erneut zu überprüfen und ihm hierzu einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen. Sollte eine Umschulung nicht für möglich oder Erfolg versprechend gehalten werden, werden dem Kläger sonstige Leistungen zur beruflichen Rehabilitation angeboten.

III. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. September 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2000 über den 6. Oktober 1999 hinaus bis auf weiteres Verletztengeld zu gewähren.

IV ...

Aufgrund des Vergleichs nahm die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld am 6. Oktober 1999 wieder auf. Ein Ausführungsbescheid wurde nicht erlassen. Am 1. März 2005 erstattete Prof. Dr. E auf Veranlassung der Beklagten ein fachchirurgisches Zusammenhangsgutachten. Er stellte als Unfallfolge folgende Gesundheitsbeeinträchtigungen fest:

Ersatz des rechten vorderen Kreuzbandes durch eine autologe Patellasehne die anteromediale Instabilität des rechten Kniegelenks die fortgeschrittene posttraumatische Arthrose des rechten Kniegelenks die Minderung der Beinmuskulatur rechts, insbesondere der Oberschenkelmuskulatur die beschriebenen Narbenverhältnisse mit tastbarer Faszienlücke am rechten äußeren Oberschenkel.

Er halte den Kläger durchgängig für arbeitsunfähig in seinem gelernten Beruf als Maurer. Er sei jedoch für die Ausübung der Tätigkeit als Vorarbeiter, die er von 1992 bis zu seiner Arbeitsunfähigkeit am 30. Juni 1995 ausgeübt habe, seit dem 1. April 1998 wieder arbeitsfähig. In dieser Tätigkeit sei der Kläger seitdem lediglich aufgrund unfallunabhängiger Erkrankungen zeitlich begrenzt arbeitsunfähig gewesen. Der Kläger sei in der Lage wettbewerbsfähig mindestens 15 Wochenstunden leichte Tätigkeiten zu verrichten. Die MdE werde ab dem Tag nach Wegfall der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit auf 20 v. H. geschätzt.

Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 18. März 2005 erneut die Zahlung des Verletztengeldes und zwar mit Ablauf des 10. März 2005 ein. Zur Begründung führte sie aus, aufgrund des von Prof. Dr. E am 1. März 2005 erstatteten Gutachtens stehe fest, dass berufsfördernde Maßnahmen nicht mehr erforderlich seien. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2005 zurück. In der Begründung heißt es, der Kläger habe anlässlich eines von der Beklagten initiierten Gesprächs zwischen ihm und dem Berufsförderungswerk Brandenburg am 25. Februar 2003 Zweifel an seiner gesundheitlichen Eignung sowie an den Arbeitsmarktchancen für die Qualifizierung zum Bürokaufmann geäußert. Prof. Dr. E habe in seinem Gutachten vom 1. März 2005 eine Arbeitsfähigkeit des Klägers seit dem 1. April 1998 für die wettbewerbsfähige Verrichtung von mindestens 15 Wochenstunden und keine Notwendigkeit für berufsfördernde Rehabilitationsmaßnahmen gesehen. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Verletztengeld seien nicht mehr gegeben, die Zahlung sei gemäß § 46 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) einzustellen gewesen.

Am 26. Juli 2005 hat der Kläger gegen diese Entscheidung Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben. Er ist der Ansicht, dass es nicht darauf ankomme, ob er, der derzeit arbeitslos sei, als Vorarbeiter einsetzbar sei. Entscheidend sei die Einsetzbarkeit in seinem Ausbildungsberuf als Maurer. Dass eine Umschulung bzw. Weiterbildung bisher nicht erfolgt sei, beruhe allein auf einem Versäumnis der Beklagten. Er sei umschulungswillig und rehabilitationsfähig. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass er einen Termin zu einem Beratungsgespräch wegen eines erlittenen Bandscheibenvorfalls nicht habe wahrnehmen können.

Die Beklagte war der Ansicht, dass Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind, da ein erfolgreicher Abschluss nicht zu erwarten sei. Der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage an einer Maßnahme dauerhaft teilzunehmen und er habe diesen Maßnahmen nicht zugestimmt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Januar 2007 abgewiesen. In den Urteilsgründen hat es ausgeführt, die Einstellung des Verletztengeldes sei zu Recht erfolgt. Zwar könne sie nicht damit begründet werden, dass der Kläger nicht mehr arbeitsunfähig sei, denn dieser Annahme stehe der bindende gerichtliche Vergleich vom 25. Oktober 2002 entgegen, in dem von einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgegangen worden sei. Jedoch sei davon auszugehen, dass es keine Maßnahmen gäbe, die zur erfolgreichen beruflichen Qualifikation des Klägers führe. Bei dem Kläger bestünden erhebliche unfallunabhängige Beeinträchtigungen. Außerdem bestünden Zweifel an dem ernsthaften Willen und einer hinreichenden Motivation des Klägers zur Teilnahme an einer solchen Maßnahme zwecks späterer Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit. Dies ergebe sich aufgrund des Verlaufs und des Ergebnisses der in Ausführung des Vergleichs vom 25. Oktober 2002 von der Beklagten unternommenen Bemühungen.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 23. Februar 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. März 2007 eingelegte Berufung des Klägers. Die Argumentation des Sozialgerichts sei nicht nachvollziehbar. Er habe stets seine Bereitschaft zur beruflichen Rehabilitation zum Ausdruck gebracht. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte im Rechtsmittelverfahren entscheide. Seiner Mitwirkungspflicht zur Teilhabe an ärztlichen Untersuchungen sei er stets nachgekommen. Wäre ihm mitgeteilt worden, dass die Bewilligung von berufsfördernden Maßnahmen von weiteren Eigenbemühungen abhänge, hätte er sich entsprechend darum gekümmert.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 19. Januar 2007 und des Bescheides der Beklagten vom 18. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 zu verurteilen, ihm über den 10. März 2005 hinaus Verletztengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Anlässlich eines Gesprächs im Berufsförderungswerk Brandenburg am 25. Februar 2003 habe der Kläger selbst Zweifel daran geäußert, ob eine kaufmännische Ausbildung das Richtige für ihn sei. Er habe eher im handwerklichen Bereich Interessen gehabt, sei hierfür aber aus gesundheitlichen Gründen nicht geeignet gewesen. Auch ein Beratungsgespräch beim Arbeitsamt am 5. Dezember 2003 habe ergeben, dass er an langfristigen Umschulungsmaßnahmen nicht interessiert gewesen sei. Eine Vielzahl von Weiterbildungsmaßnahmen sei aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Bemühungen, den Kläger im Rahmen einer berufspraktischen Reintegrationsmaßnahme beruflich einzugliedern, hätten keinen Erfolg gehabt. Zu einem für den 3. Mai 2004 vorgesehenen Gespräch bei der Fortbildungsakademie der Wirtschaft sei der Kläger wegen eines Bandscheibenvorfalls nicht erschienen. Einen neuen Termin habe er nicht vor Juli 2004 wahrnehmen können. Die vorgesehene Anmeldung des Klägers zu einem Lehrgang "Fachwirt für kaufmännische Betriebsführung im Handwerk" sei daran gescheitert, dass der Lehrgang nur für Handwerkerfrauen geplant gewesen und ein weiterer Kurs in absehbarer Zeit nicht angeboten worden sei. Nach alledem sei nach mittlerweile zehnjähriger Verletztengeldzahlung die Einstellung gerechtfertigt. Es bestehe keine Aussicht auf Wiedereingliederung, zumal Eigenbemühungen des Klägers nicht erkennbar seien.

Am 17. Januar 2008 wurde ein Erörterungstermin durchgeführt. Auf den Inhalt der Niederschrift wird Bezug genommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, soweit sie vorlag, Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Berlin Urteil vom 19.01.2007 - S 67 U 555/05

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Kläger durch den angefochtenen Bescheid i. S. des § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Er hat Anspruch auf Verletztengeld über den 10. März 2005 hinaus. Das Urteil des Sozialgerichts vom 19. Januar 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 waren aufzuheben.

Verletztengeld wird nach § 45 Abs. 1 SGB VII erbracht, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalles arbeitsunfähig ist und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Arbeitsentgelt hatte. Der Beginn der Zahlung richtet sich nach § 46 Abs. 1 SGB VII. Danach wird Verletztengeld von dem Tage an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird, oder mit dem Beginn einer Heilbehandlungsmaßnahme, die den Versicherten an der Ausübung einer ganztägigen Erwerbstätigkeit hindert, § 46 Abs. 1 SGB VII. In Anwendung dieser Vorschriften hat die Beklagte dem Kläger zunächst Verletztengeld bis zum 6. Oktober 1999 gewährt. Grundlage für die Weitergewährung über den 10 März 2005 hinaus war der gerichtliche Vergleich vor dem Sozialgericht am 25. Oktober 2002, den die Beteiligten in dem Verfahren S 67 U 215/00 geschlossen haben. Dieser Vergleich ist ordnungsgemäß in der Sitzungsniederschrift vom 25. Oktober 2002 protokolliert, vorgelesen und von den Beteiligten genehmigt (§§ 122 SGG i.V.m. 162 Zivilprozessordnung -ZPO-) und vom Vorsitzenden und der Protokollführerin unterschrieben (§ 163 ZPO). Darin verpflichtet sich die Beklagte u. a. unter Aufhebung des Bescheides vom 24. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2000 über den 6. Oktober 1999 hinaus bis auf weiteres Verletztengeld zu zahlen.

Die Einstellung der Zahlung des Verletztengeldes kann daher nur unter Berücksichtigung der sich aus dem Vergleich ergebenden Rechte und Pflichte in Ergänzung durch die gesetzlichen Regelungen erfolgen.

Wann das Verletztengeld endet, ist in § 46 Abs. 3 SGB VII geregelt. Nach § 46 Abs. 3 Satz 1 endet das Verletztengeld:

1. Mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder der Hinderung an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit durch eine Heilbehandlungsmaßnahme 2. mit dem Tag, der dem Tag vorausgeht, an dem ein Anspruch auf Übergangsgeld entsteht. Die Voraussetzungen sind nicht gegeben. § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VII normiert die bereits aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII abzuleitende Folge, dass das Verletztengeld endet, wenn eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht mehr vorliegt. Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles liegt anknüpfend an die Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter aufgrund der Folgen eines Versicherungsfalls nicht in der Lage ist, seiner zuletzt ausgeübten oder einer gleich oder ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen (st. Rspr. vgl. Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky SGB VII Komm Bd. 3, Stand April 2009, § 46 RdNr. 6 f mwN; Ricke in KassKomm SGB V, Stand Januar 2009 § 46 RdNr. 10). Arbeitsunfähigkeit ist daher gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Tätigkeit wegen Krankheit nicht mehr ausüben kann. Unerheblich ist, dass er möglicherweise eine andere Tätigkeit ausüben kann. Ausgehend hiervon lässt sich feststellen, dass der Kläger weiterhin unfallbedingt arbeitsunfähig ist. Dabei kann offen bleiben, ob an die Tätigkeit des Klägers als Maurer, die er zur Zeit des Unfalles ausgeübt hat oder an die Tätigkeit als Vorarbeiter, die er zeitweise nach dem Unfall ausgeübt hat, anzuknüpfen ist. Denn im Hinblick auf beide Tätigkeiten besteht weiterhin unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit. Dies ergibt sich für den Senat aus dem von Prof. Dr. E am 1. März 2005 erstatteten Gutachten. Der Gutachter hat in seinem Gutachten die im Tatbestand wiedergegebenen Unfallfolgen genannt. Er hält den Kläger für wettbewerbsfähig und in der Lage, mindestens 15 Wochenstunden leichte Tätigkeiten zu verrichten. Er kommt zu der arbeitsmedizinischen Bewertung, dass er nicht mehr als Maurer arbeiten kann. Soweit der Gutachter zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger in der vor seiner Arbeitsunfähigkeit am 30. Juni 1995 ausgeübten Tätigkeit als Vorarbeiter weiterhin arbeitsfähig sei, folgt der Senat dem nicht. Denn wie bereits im Urteil des Sozialgerichts ausgeführt, stehen dieser Einschätzung die von Prof. Dr. E selbst festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers entgegen. Denn er soll unfallbedingt Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und in Gruben unterlassen, da er u. a. an einer unfallbedingten anteromedialen Instabilität des rechten Kniegelenks leidet. Derartige Tätigkeiten sind jedoch im Rahmen der Aufsichts- und Kontrolltätigkeiten eines Vorarbeiters auf dem Bau (Hochbau) zu verrichten. Da der Kläger dies nicht mehr kann, steht fest, dass er auch in dem Beruf des Vorarbeiters arbeitsunfähig ist. Dafür spricht auch, dass der Kläger vom Rentenversicherungsträger Berufsunfähigkeitsrente bezieht. Im Übrigen waren sich die Beteiligten auch bei Abschluss des Vergleichs darüber einig, dass weiterhin Arbeitsunfähigkeit des Klägers besteht.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sind aber auch die Beendigungstatbestände des § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII nicht erfüllt. Danach endet das Verletztengeld, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und berufsfördernde Leistungen nicht zu erbringen sind,

1. mit dem Tag, an dem die Heilbehandlung so weit abgeschlossen ist, dass die Versicherten eine zumutbare, zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen können, 2. mit Beginn der in § 50 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buchs genannten Leistungen, es sei denn, dass diese Leistungen mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehen, 3. im Übrigen mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, jedoch nicht vor dem Ende der stationäreren Behandlung.

Damit enthält § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII alternativ drei Beendigungstatbestände, die nur eingreifen können, wenn folgende zwei Grundvoraussetzungen kumulativ gegeben sind: Mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ist nicht zu rechnen und berufsfördernde Leistungen (seit dem 1. Juli 2001 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) sind nicht zu erbringen.

Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann im vorliegenden Fall nur im Zusammenhang mit den Regelungen des gerichtlichen Vergleichs geprüft werden, da dieser Vergleich Grundlage für die Weiterzahlung des Verletztengeldes ist. Ausgehend hiervon ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Beendigung des Verletztengeldes derzeit nicht vorliegen. Darüber, ob berufsfördernde Leistungen zu erbringen sind, hat die Beklagte noch nicht entschieden. Einer derartigen Entscheidung bedarf es aber im vorliegenden Fall wegen des zwischen der Beklagten und dem Kläger geschlossenen gerichtlichen Vergleichs. Der gerichtliche Vergleich ist sowohl öffentlich- rechtlicher Vertrag als auch Prozesshandlung (vgl. Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Komm. 9. Aufl. 2008, § 101 RdNr. 3, 10, 12; § 51 RdNr. 7). Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Vertrages hat sich die Beklagte dazu verpflichtet, einen Bescheid über die Gewährung oder die Ablehnung einer Umschulungsmaßnahme zu erlassen oder, wenn eine Umschulung nicht für Erfolg versprechend gehalten wird, dem Kläger sonstige Leistungen zur beruflichen Rehabilitation anzubieten und unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. September 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2000 über den 6. Oktober 1999 bis auf weiteres Verletztengeld zu zahlen.

Aus der Verpflichtung der Beklagten, einen rechtsmittelfähigen Bescheid über die Gewährung oder Nichtgewährung einer Umschulungsmaßnahme zu erlassen oder sonstige Leistungen zur beruflichen Rehabilitation anzubieten, ergibt sich ein Anspruch des Klägers auf eine derartige Entscheidung. Vor Erlass eines solchen rechtsmittelfähigen Bescheids darf die Beklagte daher im vorliegenden Fall die Tatbestandsvoraussetzung des § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII "und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind" nicht verneinen. Solange aber ein Anspruch auf die Gewährung bzw. auf Bescheidung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben besteht, die einen Anspruch auf Übergangsgeld auslösen, liegt ein Ende des Verletztengeldanspruchs nicht vor. Im Übrigen ist hier eine Prognoseentscheidung erforderlich, die nicht durch die Gerichte ersetzt werden kann (vgl. Urteil des BSG vom 13. September 2005 - B 2 U 4/04 R - RdNr. 42 zitiert nach Juris; Nehls in Hauck/Noftz SGB VII Stand 2005, § 46 RdNr. 11 mwN) und die die Beklagte nicht getroffen hat. Die Frage, ob berufsfördernde Maßnahmen zu erbringen sind, richtet sich dabei nach den Erfolgsaussichten, dem Alter des Versicherten und weiteren Umständen, die der Unfallversicherungsträger bei seiner Prüfung berücksichtigen muss.

Wenn die Beklagte nunmehr darauf hinweist, dass berufsfördernde Leistungen auch deshalb nicht in Betracht kommen, weil der Kläger nur dann eine Mitwirkung erkennen lasse, wenn er hierzu konkret und gezielt aufgefordert werde, so kann hiermit die Einstellung der Verletztengeldzahlungen ebenfalls nicht begründet werden. Es ist Sache der Beklagten die Mitwirkung des Klägers in diesem Sinne herbeizuführen. Die Absage eines Gesprächs bei der Fortbildungsakademie aus Krankheitsgründen kann dem Kläger nicht entgegen gehalten werden. Auch hat er nicht zu vertreten, dass eine Teilnahme an einem Kurs "Fachwirt für kaufmännische Betriebsführung im Handwerk" nicht zustande kam, weil an diesem Lehrgang nur Handwerkerfrauen teilnehmen konnten.

Auch auf das von der Beklagten in den Mittelpunkt ihres Vorbringens gestellte Überschreiten der 78. Wochen durch reinen Zeitablauf kommt es nicht an (vgl. BSG Urteil vom 13. September 2005 - B 2 U 4/04 R - RdNr. 41, zitiert nach Juris), denn das SGB VII enthält keine Höchstgrenze von 78 Wochen für das Verletztengeld. Zudem war die in § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VII genannte Frist von 78 Wochen bereits am 25. Oktober 2002 bei Abschluss des gerichtlichen Vergleichs erheblich überschritten, gleichwohl verpflichtete sich die Beklagte zur Weiterzahlung von Verletztengeld und wie dargelegt, zum Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheids über die Gewährung berufsfördernde Maßnahmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen, die die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R4560


Informationsstand: 28.04.2010