Urteil
Unfallversicherung - Keine Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und Kraftfahrzeug-Hilfe nach einem Arbeitsunfall

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat


Aktenzeichen:

L 2 U 70/04


Urteil vom:

09.09.2009


Grundlage:

  • SGB VII § 7 Abs 1 |
  • SGB VII § 26 |
  • SGB VII § 40 Abs 1

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.

Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch um einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und von Kraftfahrzeug-Hilfe.

Die 1962 geborene Klägerin erlitt am 08. April 1998 gegen 10.00 Uhr morgens bei ihrer Tätigkeit als Erzieherin beim Verstecken von Ostereiern einen Unfall, den sie mit Schreiben an die Beklagte vom 25. August 1998 wie folgte schilderte: "... Da es vorher geregnet hatte, war die Wiese feucht. Auf dem kleinen Berg rutsche ich auf der Wiese mit dem linken Fuß weg und knickte mit dem rechten Fuß nach innen um."

Am Nachmittag des Folgetages begab sich die Klägerin zu dem Arzt für Chirurgie Dr. Z, der eine Distorsion der medialen Fußwurzel feststellte und Schonung sowie Salbenverbände verordnete. Röntgenologisch seien eine Aufrauhung des Kahnbeins und ein Ostibiale externum ersichtlich. Mit Durchgangsarztbericht vom 02. Juni 1998 teilte Prof. Dr. E mit, dass die von der Klägerin weiter geklagten Beschwerden nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen seien und dass die ambulante Weiterbehandlung ab dem 06. Juni 1998 zu Lasten der Krankenkasse erfolgen solle. Daraufhin stellte die Beklagte ihre Leistungsgewährung zum 5. Juni 1998 ein.

Nachdem die Klägerin gegenüber der Beklagten Anspruch auf weitere Leistungen geltend gemacht hatte, holte diese ein Gutachten des Chirurgen und Durchgangsarztes Dr. H vom 19. Februar 1999 ein, der nach Untersuchung und Auswertung der zwischenzeitlich auch von anderen Behandlern erhobenen Befunde zu dem Ergebnis kam, dass es zu keiner unfallbedingten knöchernen Verletzung am rechten Sprunggelenk gekommen sei. Die erste und späteren Röntgenkontrollen hätten keine sichere Fraktur am oberen oder unteren Sprunggelenk nachweisen können, sondern nur einen unfallfremden anlagebedingten Zusatzknochen, der eine Verbindung mit dem jeweiligen Kahnbein der rechten und linken Fußwurzel eingegangen sei. Die Abheilung einer leichten bis mäßigen Distorsion innerhalb von 8 Wochen sei durchaus zu erwarten, auch wenn ein Vorschaden durch Zusatzknochen bestehe. Gegen eine schwere Distorsion sprächen der Unfallhergang, das Verhalten der Klägerin nach dem Unfall und die Anfangsbefundung nach dem ersten verspäteten Arztbesuch. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sei nur bis zum 05. Juni 1998 anzunehmen. Es fänden sich keine Hinweise für das Vorliegen einer unfallbedingten oder unfallfremden Erkrankung, der einzig abweichende Befund, nämlich atypische Ostibiale ext., sei seitengleich an beiden Füßen vorhanden. Gegen echte Krankheitssymptome sprächen das Fehlen von Muskelverschmächtigungen am rechten Bein nach angeblich schwerster Behinderung über Monate hinweg, das Fehlen einer Schwellneigung am rechten Sprunggelenk, die nur geringfügige Bewegungseinschränkung am rechten Sprunggelenk, die seitengleiche Fußsohlenbeschwielung wie bei seitengleicher Nutzung der Füße und die seitengleiche Kalksalzdichte wie bei seitengleicher Inanspruchnahme beider Beine.

Mit Bescheid vom 07. April 1999 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente aufgrund des Arbeitsunfalls ab, da die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht in rentenberechtigendem Grade unfallbedingt gemindert sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08. Juli 1999 zurück.

Im hiergegen angestrengten Klageverfahren (Aktenzeichen S 25 U 642/99, später L 2 U 17/01) hat das Sozialgericht Berlin ein Gutachten des Arztes für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. B vom 28. April 2000 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin keine Gesundheitsschäden bestünden, die als bleibende Folgen des Unfalls vom 08. April 1998 festzustellen wären. Die Angaben der Klägerin, insbesondere zu einem zwischenzeitlich erfolgten operativen Eingriff im Bereich des rechten Sprunggelenkes, ließen sich nicht durch konkrete medizinische Untersuchungsbefunde oder nachvollziehbare Berichte belegen. Die im Rahmen des Unfalls vom 08. April 1998 erfolgten nachfolgenden medizinischen Untersuchungsbefunde ergäben aus objektiver Sicht ein völlig anderes Bild als das, welches die Klägerin bei der Untersuchung vorgetragen habe. Entscheidend sei letztlich ein unauffälliger MRT-Befund des rechten Sprunggelenkes, insbesondere kein Nachweis weiterer Traumafolgen, erhoben durch die Dres. S am 29. Juli 1998. Ein später durch Prof. Dr. L erhobener weiterer MRT-Befund vom 17. Juli 1999 habe letztlich ebenfalls keinen Nachweis einer knöchernen Traumafolge ergeben. Auch der Nachweis einer Bandläsion im Fußwurzelbereich habe durch Prof. Dr. L nicht geführt werden können. Mit Urteil vom 16. November 2000 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen, da Unfallfolgen über den 05. Juni 1998 hinaus nicht feststellbar seien.

Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht Berlin zunächst ein Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. B vom 09. Oktober 2002 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass als Folge des Ereignisses vom 08. April 1998 keine Gesundheitsstörungen mehr feststellbar seien. Die geklagte Symptomatik könne weder röntgenologisch noch kernspintomografisch eindeutig geklärt werden. Es sei in Übereinstimmung mit dem Vorgutachter Dr. H und den Feststellungen der übrigen Unfallärzte davon auszugehen, dass am 08. April 1998 eine Distorsion des rechten oberen Sprunggelenkes im Sinne eines Umknicktraumas ohne eindeutige morphologische Auswirkungen stattgefunden habe, insbesondere habe sich kein Hinweis für eine Außenwandruptur gefunden. Eine derartige Distorsion könne nur eine kurzfristige Arbeitsunfähigkeit von maximal 4 bis 6 Wochen auslösen. Er müsse jedoch deutlich auf die gesamte Problematik der Klägerin hinweisen. Im Gefolge der erlittenen Verletzung, die mit Sicherheit keine gravierenden pathologischen Veränderungen ausgelöst habe, sei die Klägerin in eine zunehmend ausweglose psychische Situation geraten, sie verlasse nach eigenen Angaben kaum noch ihre Wohnung und begrenze ihre eigene Wegstrecke auf 5 m. Die Klägerin müsse dringend einer psychologischen Exploration zugeführt werden.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Landessozialgericht sodann ein Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin P, B-Klinik für Biokinematik, B, vom 11. Januar 2005 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass durch das Unfallgeschehen eine nahezu vollständige funktionelle Unbrauchbarkeit des Beines eingetreten sei. Es bestehe vollständige Arbeitsunfähigkeit, die auf das Unfallgeschehen zurückzuführen sei. Die Beschwerden der Klägerin seien glaubwürdig und logisch nachvollziehbar. Zwar seien die strukturellen Unfallfolgen ausgeheilt, die physiologische Verheilungsdauer solcher Verletzungen dauere zwischen 2 und 6 Wochen. Was nicht behoben sei und weiterhin die bestehenden Beschwerden verursache, sei "die innere regulative Störung der muskulären Arbeitskohärenz (Pathologie der Biokybernetik)". Das funktionelle Gefüge des menschlichen Körpers bestehe nicht nur aus Knochen und Gelenken. Damit die Knochen des menschlichen Körpers sinnvoll bewegt und benutzt werden könnten, bedürfe es einer übergeordneten Regulation sowie einer funktionsfähigen Muskulatur. Gemäß den Kriterien der Pathologie der Biokinematik habe der angegebene Schmerzverlauf einen relativ klaren Hinweis auf die Ursache der schmerzhaften Funktionsminderung des Beines gegeben. Diesem entsprechend und nach dem Ergebnis seiner Untersuchung habe er einen hochpathologischen Befund im Bereich des M. gracilis in seinem Ursprungsfeld im rechten Schambeinast gefunden, die Diagnose habe auf eine Pathologie der M. gracilis-Kette festgelegt werden können.

Mit Urteil vom 12. April 2005 hat das Landessozialgericht Berlin die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und den von der Klägerin geltend gemachten Schmerzen im rechten Bein zur Überzeugung des Senats nicht mit erforderlicher hinreichender Wahrscheinlichkeit habe festgestellt werden können. Das Gericht folge den im Ergebnis übereinstimmenden Aussagen der Gutachter Dr. H, Dr. B und Dr. B. Herrn P könne hingegen nicht gefolgt werden. Dieser habe den Vorgutachtern insoweit voll zugestimmt, als dass gerade keine schwerwiegenden Verletzungen der Klägerin hätten festgestellt werden können. Nicht nachvollziehbar sei, wie aus einer Pathologie im Bereich der Abspreizbewegung des Beines und einem logischen Beginn der Störung im Beckenbereich auf eine unfallbedingte Verletzung im Innenbereich des Fußgewölbes geschlossen werden könne. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 25. August 2005 als unzulässig verworfen.

Während dieses gerichtlichen Verfahrens beantragte die Klägerin bei der Beklagten verschiedene weitere Leistungen, die sie mit den Folgen des stattgehabten Unfalls begründete und die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens waren bzw. weiterhin sind:

- Mit Schreiben vom 22. März 2003 beantragte die Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Alle Arbeitsversuche seit ihrem Arbeitsunfall seien fehlgeschlagen, sie könne ihren Beruf als Erzieherin nicht mehr ausüben. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 02. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2003 ab, da nach dem Ergebnis der Gutachten der Dr. H, Dr. B und Dr. B infolge des Arbeitsunfalls lediglich eine zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilte Distorsion des rechten oberen Sprunggelenkes im Sinne eines Umknicktraumas ohne morphologische Schädigungen stattgefunden habe. Leistungen seien lediglich bis zum 05. Juni 1998 zu erbringen gewesen. Seitdem sei die Klägerin unfallunabhängig behandlungsbedürftig, ein Zusammenhang mit dem stattgehabten Unfallgeschehen bestehe nicht. Hiergegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt.

- Am 02. Juli 2003 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für ein Gelkissen, da sie seit dem Unfall erhebliche Schmerzen im Ischiasnerv habe, sowie mit weiterem Schreiben vom selben Tag eine MRT-Untersuchung. Beides lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Juli 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2003 ab, da unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit nur bis zum 05. Juni 1998 bestanden habe. Die hiergegen zum Sozialgericht Berlin erhobene Klage (S 25 U 179/04) hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 1. Juli 2004 zum vorliegenden Verfahren verbunden.

- Am 10. Juli 2003 wandte sich die Klägerin an die Beklagte mit dem Antrag, ihr bei der innerbetrieblichen Umsetzung im öffentlichen Dienst behilflich zu sein. Hierauf erwiderte die Beklagte mit Schreiben vom 24. Juli 2003, dass ein Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bereits anhängig sei und dass man das erneute Schreiben der Klägerin deshalb nicht als weiteren Antrag werte. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 02. Oktober 2003 zurück, der Widerspruch sei unzulässig, da im Hinblick auf das Begehren der Klägerin kein (weiterer) Verwaltungsakt vorgelegen habe. Die hiergegen zum Aktenzeichen S 25 U 619/03 erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 17. Februar 2004 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. März 2004 zum vorliegenden Verfahren verbunden.

- Am 19. August 2003 beantragte die Klägerin die Übernahme von Kosten für den Umbau ihres Autos, da sie aufgrund des erlittenen Unfalls nicht mehr Autofahren könne. Mit Bescheid vom 03. September 2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe durch Übernahme von Umbaukosten für den Pkw der Klägerin ab, da der Arbeitsunfall keinerlei Gesundheitsschäden als Dauerfolgen hinterlassen habe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte ebenfalls mit Widerspruchsbescheid vom 02. Oktober 2003 zurück, da ein durch den Unfall verursachter Gesundheitsschaden weiterhin nicht feststellbar sei. Die hiergegen zum Aktenzeichen S 69 U 620/03 erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin durch Beschluss vom 01. Juli 2004 ebenfalls zum vorliegenden Verfahren verbunden.

- Am 30. Juli 2003 beantragte die Klägerin die Übernahme von Kosten für eine osteopathische Behandlung. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Oktober 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2003 ab, da die Unfallfolgen folgenlos ausgeheilt seien. Die hiergegen zum Aktenzeichen S 67 U 8/04 erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 17. Februar 2004 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. März 2004 zum vorliegenden Verfahren verbunden.

Mit Urteil vom 22. Oktober 2004 hat das Sozialgericht Berlin die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

- Die Klage gegen den Bescheid vom 15. Juli 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2003 und die damit ausgesprochene Ablehnung der von der Klägerin beantragten erneuten MRT-Untersuchung im G sei wegen Versäumens der Klagefrist unzulässig. Diesbezüglich hat die Klägerin keine Berufung erhoben.

- Die Klage sei unzulässig, soweit sich die Klägerin gegen das Schreiben der Beklagten vom 24. Juli 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2003 mit dem Ziel einer Unterstützung bei einer innerbetrieblichen Umsetzung wende, da es insoweit an einem Verwaltungsakt der Beklagten fehle. Auch hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Berufung nicht mehr.

- Der Klageantrag gegen den Bescheid vom 02. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2003 mit dem Ziel, Leistungen der beruflichen Rehabilitation in Gestalt einer Umschulung zu erhalten, der Antrag, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 03. September 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2003 Kraftfahrzeughilfe zu gewähren, sowie der - mit der Berufung nicht mehr geltend gemachte - Antrag, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Juli 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2003 eine osteopathische Behandlung und Schmerztherapie zu gewähren, seien zwar statthaft, jedoch unbegründet.

Die im Laufe des Verfahrens eingeholten Stellungnahmen bzw. Gutachten der Prof. Dr. E, Dr. H, Dr. B und Dr. B seien sämtlich zu dem Ergebnis gekommen, dass fortbestehende Unfallfolgen nicht feststellbar seien. Die Distorsion des rechten Sprunggelenkes durch das Unfallereignis sei binnen einiger Wochen spätestens bis zum 05. Juni 1998 ausgeheilt gewesen. Die darüber hinaus von der Klägerin angegebenen rechtsseitigen Fuß- und Beinbeschwerden ließen sich entweder überhaupt nicht objektivieren oder jedenfalls nicht ursächlich auf den Unfall zurückführen. Die mangelnde Objektivierbarkeit der angegebenen Beschwerdesymptomatik sei in den Akten ebenso mehrfach dokumentiert wie Hinweise auf ein aggravatorisches Verhalten der Klägerin und unwahre Behauptungen. Dies bestätige der von der Klägerin beim Betreten und Verlassen des Gerichtssaales gewonnene Eindruck des Gerichtes; die Klägerin sei zügigen und raumgreifenden Schrittes ohne jede erkennbare Beeinträchtigung gelaufen. Weshalb ihr vom Versorgungsamt Berlin wegen einer angeblichen massiven Funktionsstörung des rechten Beines ein GdB von 50 sowie eine besondere Gehbehinderung zuerkannt worden sei, sei nicht nachvollziehbar.

Gegen dieses ihr am 04. November 2004 zugegangene Urteil richtet sich die am 30. November 2004 eingegangene Berufung der Klägerin. Die Klägerin trägt vor, dass - wie der Gutachter P festgestellt habe - eine Unbrauchbarkeit ihres Beines eingetreten sei, die ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sei. Abgesehen von Herrn P hätten sämtliche Gutachter nicht ausreichend den von ihr beschriebenen Unfallhergang gewürdigt, wie sie ihn nochmals mit Schreiben vom 19. März 2009 geschildert hat, sie verweise insbesondere darauf, dass ihr rechtes Bein nach rechts weggegrätscht sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Oktober 2004 aufzuheben und

1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2003 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08. April 1998 Leistungen der beruflichen Rehabilitation in Gestalt einer Umschulung zu gewähren und

2. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03. September 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02. Oktober 2003 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08. April 1998 Leistungen der Kraftfahrzeughilfe in Gestalt der Erstattung der Kosten für den behindertengerechten Umbau eines Pkws zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf das Ergebnis der Gutachten der Dr. Hl, Dr. B, Dr. B und auf ihre bereits im Verfahren L 2 U 17/01 mit Schriftsatz vom 31. Januar 2005 erhobenen Einwände gegen die Ausführungen des Gutachters P. Dieser habe weder ausgeführt, auf welches Bein der Klägerin sich seine Ausführungen bezögen, noch einen konkreten pathologischen Befund mit einer konkreten Funktionseinschränkung beschrieben. Ebenso bleibe offen, welche detaillierten Untersuchungen mit welchem konkreten Ergebnis durchgeführt worden seien, eine konkrete Diagnose werde nicht genannt. Eine medizinisch wissenschaftliche Begründung für das von ihm gefundene Ergebnis werde nicht gegeben. Die Ausführungen des Herrn P, zwar ebenfalls von einer Ausheilung der strukturellen Verletzungen der Klägerin auszugehen, jedoch die innere Regulationslogik gestört zu sehen, wiesen auf eine so genannte "innere" Entstehungsursache der Beschwerden der Klägerin hin. Auch wenn der Gutachter ausführe, dass Bagatellunfälle, wie ihn auch die Klägerin erlebt habe, typisches Anlassgeschehen für die Störung der inneren Regulationslogik seien, weise diese Wertigkeit den Unfall der Klägerin als Gelegenheitsanlass aus, nicht jedoch als rechtlich wesentliche Teilursache. Weiter spreche der Umstand, dass sich die Beschwerden mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum angeschuldigten Unfall verstärkt hätten, deutlich gegen einen Ursachenzusammenhang mit dem Unfall. Schließlich habe der Gutachter keine Muskelatrophie der Beine festgestellt, was auf eine seitengleiche Nutzung beider Beine durch die Klägerin hinweise.

Das Gericht hat die Akten des Landgerichts Berlin (Aktenzeichen 13 O 27/02) mit einem gegen das Land Berlin geführten Verfahren beigezogen, in dem insbesondere das Gutachten des Prof. Dr. W vom 01. September 2003 enthalten ist, welches die Klägerin erstinstanzlich lediglich auszugsweise überreicht hatte und auf das Bezug genommen wird.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat das Gericht sodann ein - mit Einverständnis der Klägerin nach Aktenlage erstelltes - Gutachten des Facharztes für Orthopädie, Rheumatologie, physikalische und rehabilitative Medizin, Chirotherapie und Sozialmedizin Dr. B, T.klinik, vom 06. September 2008 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin auf orthopädisch-rheumatologischem Fachgebiet ein myotendinoses Schmerzsyndrom bei generalisierter funktioneller Störung des Bewegungsapparates bestehe. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seien nach Aktenlage die Diagnosen: Leicht bis mäßiges depressives Syndrom bei äußerer Konfliktsituation, histrionische Persönlichkeit und Verdacht auf Agoraphobie zu stellen. Die besonderen Umstände der gesamten Krankheitsentwicklung deuteten darauf hin, dass es sich bei der Klägerin um ein psychosomatisches Krankheitsbild handele, das bereits vor dem Unfallereignis vom 08. April 1998 bis dahin unbemerkt bestanden haben müsse. Dieses psychosomatische Krankheitsbild sei die Hauptursache für die prothrahierte schmerzbedingte Gesundheitsstörung, anfänglich nur des rechten Fußes, die sich im Laufe der Zeit bis in das rechte Bein ausgedehnt und durch das Bagatelltrauma mit Fußwurzeldistorsion erst klinisch auffällig geworden sei. Dem Unfallereignis vom 08. April 1989 komme dabei nur eine untergeordnete kausale Bedeutung zu. Wesentliche Ursache des komplexen Krankheitsbildes sei eine ausgeprägte psychosomatische Erkrankung. Er stimme überein mit Dr. Hl und Prof. Dr. E, dass die Abheilung der leichten bis mittelmäßigen Distorsion innerhalb von knapp 8 Wochen durchaus zu erwarten gewesen sei, so dass die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit am 05. Juni 1998 geendet habe.

Zu Herrn P führte er aus, dass dieser diagnostisch und therapeutisch nach dem auch ihm bekannten Prinzip der Pathologie der Biokybernetik arbeite, welches im komplexen Krankheitsgeschehen der Klägerin durchaus einen wichtigen Stellenwert habe. Es sei aber völlig falsch, wenn Herr P das gesamte bisher noch andauernde Krankheitsgeschehen auf den Unfall vom 08. April 1998 zurückführe. Herr P selbst weise darauf hin, dass typischer Anlass für die Installation einer pathologischen inneren Regulationslogik ein Bagatellunfall sei. Das gestörte Gleichgewicht der inneren Regulation müsse bei der Klägerin ein generalisiertes körperliches Problem sein. So habe die Klägerin am 04. April 2001 durch Stoß mit dem Kopf an ein Waschbecken ein weiteres Distorsionstrauma erlitten, das ebenfalls ungewöhnlich lange, nämlich mindestens 1 ½ Jahre bis zur Begutachtung durch Dr. B am 09. Oktober 2002 angehalten habe. Den Schlüssel enthalte das bisher letzte Gutachten von Prof. Dr. W, welches im Rechtsstreit wegen einer im Jahr 2000 durchgeführten Operation vor dem Landgericht Berlin erstattet worden sei. Bezeichnenderweise habe die Klägerin erstinstanzlich lediglich die Seiten 18 und 20 überreicht; diese vermittelten isoliert gesehen durchaus den Eindruck, dass ihren Beschwerden rein somatische Störungen zugrunde lägen. Allerdings seien von ihr die Begriffe funktionelle Parese und der Hinweis, dass es sich insgesamt um eine funktionelle Störung handele, wohl nicht verstanden worden. Dies sei im erstinstanzlichen Urteil zu Recht dahin interpretiert worden, dass funktionelle Beschwerden insbesondere auch psychisch bedingt sein könnten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.

Rechtsweg:

SG Berlin, Urteil vom 22. Oktober 2004 - S 67 U 385/03

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Das Sozialgericht Berlin hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Klägerin weder einen Anspruch auf Leistungen zur beruflichen Rehabilitation in Form einer Umschulung noch auf einen behindertengerechten Umbau ihres Pkw hat.

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, zu denen auch die berufliche Rehabilitation in Form einer Umschulung gehört, setzen nach § 26 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) zunächst einen zugrunde liegenden Versicherungsfall voraus (BSG, Urteil vom 20. März 2007, Aktenzeichen B 2 U 18/05 R, SozR 4-2700 § 35 Nr. 1, zitiert nach juris.de). Versicherungsfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Kraftfahrzeughilfe ist nach § 40 Abs. 1 SGB VII zu erbringen, wenn die Versicherten infolge Art oder Schwere des Gesundheitsschadens nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen sind, um die Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Für beide geltend gemachten Ansprüche ist zunächst erforderlich, dass ein fortbestehender Gesundheitsschaden als Unfallfolge feststellbar ist; allein auf dieser Grundlage kämen Ansprüche gegen die Beklagte als gesetzlichen Unfallversicherungsträger in Betracht.

Derartige Unfallfolgen sind bei der Klägerin jedoch nicht mehr vorhanden. Zur Begründung wird zunächst § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt und auf die verwiesen wird. Hier ist umfassend und überzeugend dargelegt, dass und weshalb den gutachterlichen Feststellungen des Dr. H vom 19. Februar 1999, des Dr. B vom 28. April 2000 und des Dr. B vom 09. Oktober 2002 gefolgt werden kann. Auch der erkennende Senat schließt sich den Feststellungen dieser drei Gutachter an. Danach bestanden irgendwelche Folgen des Unfalls vom 08. April 1998 jedenfalls über den 05. Juni 1998 hinaus nicht mehr.

Die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen durch Einholung des Gutachtens des Dr. B vom 06. September 2008 haben das erstinstanzlich gefundene Ergebnis in jeder Hinsicht bestätigt. Auch Dr. B ist nach Auswertung der äußerst umfangreichen medizinischen Unterlagen und Befunde zu dem Ergebnis gekommen, dass die durch den Unfall verursachten strukturellen Verletzungen jedenfalls zum Zeitpunkt der Leistungseinstellung vollständig ausgeheilt waren. Als wesentliche Ursache des bei der Klägerin derzeit bestehenden Krankheitsbildes vermutet Dr. B eine ausgeprägte psychosomatische Erkrankung bzw. eine Verhaltensstörung, die nach seiner Einschätzung bereits vor dem Unfallereignis bis dahin unbemerkt bestanden haben muss. Letztlich kann die Ursächlichkeit des fortbestehenden Erscheinungsbildes der von der Klägerin angegebenen Beschwerden dahingestellt bleiben, maßgebend ist allein, dass dieses jedenfalls nicht seine wesentliche Ursache in dem Unfall vom 08. April 1998 hat.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Landgericht Berlin eingeholten Gutachten des Prof. Dr. W vom 01. September 2003, welches die Klägerin zunächst nur auszugsweise überreicht hatte. Erstinstanzlich ist zu Recht darauf hingewiesen, dass dem von Prof. Dr. W gewählten Begriff "funktioneller" Störungen gerade zu entnehmen ist, dass keine organmedizinische Ursache objektivierbar ist. Die Richtigkeit dieses Verständnisses ist durch Dr. B ausdrücklich bestätigt worden.

Den Ausführungen des Arztes P in dessen Gutachten vom 11. Januar 2005, welches auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG in dem auf die Gewährung einer Verletztenteilrente gerichteten Verfahren L 2 U 17/01 vom Landessozialgericht Berlin eingeholt worden war und der als einziger die Beschwerden der Klägerin ursächlich auf den Unfall zurückführt, kann nicht gefolgt werden. Bereits im Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. April 2005 ist dargelegt, dass die Ausführungen dieses Gutachters nicht nachvollziehbar sind. Abgesehen davon, dass die von ihm vertretene grundsätzliche Auffassung - wie von Dr. B in dessen Gutachten beschrieben - schulmedizinisch nicht anerkannt und damit wissenschaftlich nicht nachgewiesen ist, mangelt es für die Verwertbarkeit seiner Ausführungen auch daran, dass er in keiner Weise verständlich machen konnte, worauf sich seine Schlussfolgerungen gründen. Objektivierbare Befunde wurden nicht benannt. Vielmehr führte Herr P aus, dass die Beschwerden der Klägerin nicht auf sicht- bzw. messbaren anatomischen Veränderungen beruhten, woraus folgt, dass objektivierbare Befunde, die seine Auffassung stützten, auch nicht zu erheben waren. Gründe, die gegen die von ihm angenommene Gebrauchsunfähigkeit des rechten Beines sprechen und die von Vorgutachtern umfassend dargelegt wurden, wie beispielsweise das Fehlen von Muskelatrophien der Beine, wurden von ihm nicht ansatzweise diskutiert. Insgesamt fehlt dem Gutachten jede nachvollziehbare Begründung, wie die Beklagte mit Schriftsatz vom 31. Januar 2005 bereits umfassend dargestellt hat, auch hierauf wird verwiesen.

Letztlich hat auch der von der Klägerin nach § 109 SGG benannte Gutachter Dr. B dargestellt, dass die Schlussfolgerungen des Arztes P auch unter Zugrundelegung des von ihm angenommenen "Prinzips der Pathologie der Biokybernetik" im Ergebnis "völlig falsch" seien. Dessen Ausführungen, auf die vorliegend Bezug genommen wird, ist nichts hinzuzufügen.

Auch die Einwände der Klägerin führten zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere haben die Gutachter durchaus den von der Klägerin beschriebenen Unfallhergang, der mit einem Abspreizen der Beine beim Umknicken verbunden war, zugrunde gelegt. Diesen Vorgang hatte die Klägerin bereits frühzeitig im Verwaltungsverfahren in ihrem ersten Antrag vom 25. August 1998 geschildert, die Gutachter sind von keinem anderen Hergang ausgegangen. Letztlich ändert dies ohnehin nichts daran, dass Verletzungsfolgen nicht mehr gefunden werden konnten. Soweit seitens der Klägerin weiterhin vorgetragen wird, dass ihr schließlich das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung) zuerkannt worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass dies zum einen keinerlei rechtliche Bindungswirkung für die hier zu entscheidenden Fragen entfaltet und dass zum anderen eine derartige Entscheidung bei Kenntnis des Ergebnisses der medizinischen Ermittlungen im vorliegenden Verfahren nicht hätte getroffen werden dürfen; auch dies ist der Klägerin erstinstanzlich bereits deutlich dargelegt worden.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.

Referenznummer:

R/R4517


Informationsstand: 30.03.2010