Urteil
Anspruch auf Verletztengeld bei bestehendem Arbeitsverhältnis - Begriff der Arbeitsunfähigkeit

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 22. Senat


Aktenzeichen:

L 22 U 117/08


Urteil vom:

15.12.2011


Grundlage:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2006 und der Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2003 geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Verletztengeld vom 18. Juni 2003 bis 02. April 2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Zahlung von Verletztengeld.

Am 02. September 2002 verletzte sich der Kläger bei der Ausführung von Spritzarbeiten im Gebäude der B-GmbH in B in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit bei der F.M. GmbH B., wo der Kläger seinerzeit als Anstreicher beschäftigt war.

In der Zeit vom 04. September 2002 bis 06. September 2002 wurde der Kläger stationär behandelt im V. Klinikum N., wo eine Radiusköpfchenfraktur rechts diagnostiziert wurde. Der Facharzt für Chirurgie Dr. T. teilte der Beklagten im Zwischenbericht vom 25. April 2003 mit, der Kläger habe am 15. April 2003 seine Tätigkeit wieder aufgenommen, habe jedoch im Betrieb bei Überkopfarbeiten über ständige Schmerzen des betroffenen Armes geklagt. Nach einem gescheiterten Arbeitsversuch sei eine dauerhafte Tätigkeit als Maler und Lackierer im ursprünglichen Unfallbetrieb nicht möglich. Der Kläger bleibe bis auf weiteres arbeitsunfähig.

Im Beschäftigungsbetrieb des Klägers bestanden innerbetrieblich für den Kläger keine Umsetzungsmöglichkeiten.

Mit Schreiben vom 28. Mai 2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, in seiner Unfallsache sei mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen. Weiterhin kämen auch keine qualifizierten beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen in Betracht. Es sei beabsichtigt, das Verletztengeld in Anlehnung an § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) enden zu lassen. Deshalb werde die Verletztengeldzahlung mit Ablauf des 17. Juni 2002 (gemeint 2003) eingestellt. Er erhalte Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.

Als Anlagen wurden genannt: Stellennachweise der Firma L. GmbH, H. D. H R. F., T-Betrieb in T. über das Arbeitsamt, S. GmbH.

Der Kläger meldete sich am 12. Juni 2003 arbeitslos. Die F. D. GmbH bescheinigte gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit, Dienststelle B. am 19. Juni 2003, dass das Beschäftigungsverhältnis zum Kläger noch bestehe. Letzte Tätigkeit des Klägers sei die eines Malers/Anstreichers gewesen.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, wie in der schriftlichen Anhörung mitgeteilt, werde das Verletztengeld zum 17. Juni 2003 eingestellt, weil am 18. Juni 2003 eine zumutbare Tätigkeit zur Verfügung stehe (§ 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII).

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2003 wurde der Widerspruch des Klägers hiergegen zurückgewiesen. Ihm sei eine zumutbare, zur Verfügung stehende Arbeitsstelle für den Bereich Brandenburg und Berlin mit dem Anhörungsschreiben zugesandt worden. In dem Stellennachweis als Taxifahrer im Unternehmen L. GmbH in Berlin werde dargestellt, dass eine Bewerbung mit und ohne P-Schein erfolgen könne. Der P-Schein könne in einer ca. dreimonatigen Ausbildung erworben werden, wobei die Kosten durch den Arbeitgeber finanziert würden.

Mit Bescheid vom 25. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2003 lehnte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen des Arbeitsunfalls ab.

Am 29. September 2003 beim Sozialgericht (SG) Berlin eingehend hat der Kläger gegen die Widerspruchsbescheide Klagen erhoben und hat seine Ansprüche auf Zahlung von Rente und von Verletztengeld über den 17. Juni 2003 hinaus weiterverfolgt. Er sei nicht in der Lage, eine angemessene Erwerbstätigkeit mit der festgestellten Verletzung auszuüben. Ein unfallbedingter Knorpelschaden im Bereich des Radiusköpfchens und eine verbliebene Frakturspaltdehiszenz ließen arbeitsbelastete Armbewegungen nicht dauerhaft zu. Eine zumutbare Tätigkeit stehe ihm nicht zur Verfügung.

Die Verfahren wurden unter dem Geschäftszeichen S 69 U 539/03 verbunden.

Das SG holte eine Auskunft der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Berlin-Brandenburg über die inhaltlichen Anforderungen und Tätigkeiten eines Malers und Lackierers, Taxifahrers und Hausmeisters ein.

Der Facharzt für Orthopädie Dr. E. erstattete im Juli 2004 ein orthopädisches Gutachten. Er stellte nach ambulanter Untersuchung vom 01. Juli 2004 einen "Zustand nach operiertem Radiusköpfchenbruch rechts mit schmerzhafter Funktionseinschränkung" fest. Aufgrund der schmerzhaften Minderung der Belastbarkeit sei mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit als Maler nicht zu rechnen. Der Kläger sei aufgrund der Leiden in der Lage, vollschichtig und wettbewerbsfähig als Taxi-Fahrer, Hausmeister oder Mitarbeiter in einem Wachschutzunternehmen zu arbeiten. Die Unfallfolgen seien mit einer MdE mit maximal 10 v. H. zu bemessen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2003 und den Bescheid vom 25. Juni 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 17. Juni 2003 hinaus Verletztengeld und nach Ende des Verletztengeldes Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit dem am 30. Juni 2006 verkündeten Urteil hat das SG die Klage(n) abgewiesen. Die Heilbehandlung sei soweit abgeschlossen, dass der Kläger zumindest eine Tätigkeit als Taxifahrer aufnehmen könne. Die Tätigkeit als Taxifahrer sei auch zumutbar. Soweit er eingewandt habe, dass er keinen Personenförderungsschein habe, habe die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass Stellenangebote für Taxifahrer auch ohne den so genannten P-Schein ausgeschrieben worden seien und der Arbeitgeber zusätzlich die Kosten für den Erwerb dieses Scheins übernehme. Vor dem Hintergrund der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als angelernter Maler sei dem Kläger die Tätigkeit als Taxifahrer auch zumutbar. Damit stehe fest, dass die Beklagte das Verletztengeld zu Recht am 17. Juni 2003 eingestellt habe. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente lägen nicht vor.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26. Juli 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. August 2006 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung des Klägers.

Zur Begründung wurde insbesondere vorgetragen, dem Kläger sei bei seiner langen Berufspraxis als Maler die Tätigkeit eines Taxifahrers nicht zuzumuten, er sei einem Facharbeiter gleichzustellen. Auch sei die Heilbehandlung noch nicht abgeschlossen, so dass die Tätigkeit als Taxifahrer auch nicht in Betracht komme. Auch stehe dem Kläger die Tätigkeit als Taxifahrer nicht zur Verfügung, da er nicht in Besitz der zur Beförderung von Personen notwendigen behördlichen Genehmigungen sei. Die Beklagte habe durch die Vorlage von nur einer Stellenausschreibung für Taxifahrer ohne Schein nicht den Nachweis geführt, dass derartige Stellen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Auch habe das Gericht das erstinstanzliche Gutachten von Dr. E. nicht zutreffend gewürdigt. Fraglich sei, ob der Kläger mit seinem handwerklichen Hintergrund überhaupt in der Lage sei, die Taxifahrerprüfung, die eine dreimonatige Vorbereitung erfordere, zu bestehen. Der Kläger leide unverändert an Belastungsbeschwerden am rechten Ellenbogengelenk. Die Tätigkeit als Taxifahrer sei nicht leidensgerecht, da er beim Führen eines Fahrzeugs den Arm ständig in einer Belastungshaltung am Lenkrad halten müsse. Die Tätigkeit als Hausmeister komme nicht in Betracht, da Überkopfarbeit vorausgesetzt werde. Die Anspruchsablehnung basiere auf einer unhaltbaren und realitätsfernen Verweisung des Klägers auf eine Tätigkeit als Taxifahrer, obwohl er keinen Personenbeförderungsschein besitze.

In der nichtöffentlichen Sitzung des 22. Senats vom 22. Januar 2010 erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers , der Beendigungszeitraum des Verletztengeldes solle der 02. April 2004 sein (Ablauf von 78 Wochen). In der nichtöffentlichen Sitzung vom 23. Februar 2011 nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufung zum Antrag auf Gewährung einer Rente zurück.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2003 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Verletztengeld zu zahlen vom 18. Juni 2003 bis 02. April 2004.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen. Das SG habe rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass dem Kläger die Tätigkeit eines Taxifahrers zumutbar sei. Der Kläger widerspreche sich, wenn er die Gleichstellung mit einem Facharbeiter beanspruche und auf der anderen Seite bezweifle, die Taxifahrerprüfung bestehen zu können. Soweit der Kläger bestreite, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch Taxifahrerstellen ohne P-Schein zur Verfügung stünden, müsse er sich auf die ihm nachgewiesene Stellenbeschreibung vom 27. Mai 2003 verweisen lassen. Soweit der Kläger behaupte, er habe sich auf die Taxifahrerstelle beworben und sei noch nicht einmal zu einem Gespräch eingeladen worden, sei festzustellen, dass dies auch nicht Voraussetzung der Vorschrift sei. Die überzogene Darstellung der Beschwerden durch den Kläger habe durch den Faustschlusstest seitens des Gutachters nachgewiesen werden können.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete der Facharzt für Chirurgie Dr. B. September 2008 ein chirurgisches und sozialmedizinisches Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 27. August 2008. Die unfallbedingte MdE sei ab 18. Juni 2003 mit 10 v. H. zu bemessen. Nach den Untersuchungsbefunden seien die gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalls geeignet davon auszugehen, dass bei dem Kläger mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit als Maler und Lackierer innerhalb von 78 Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht habe gerechnet werden können. Seither habe sich aber eine wesentliche Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse ergeben, so dass der Kläger zumindest seit dem Zeitpunkt seiner Untersuchung am 27. August 2008 wieder als Maler und Lackierer einsetzbar wäre unter Berücksichtigung der Tätigkeitsprofile in der Auskunft der Bundesagentur für Arbeit und nach Auskunft der Angaben des Klägers vom 21. Mai 2003.

Die ehemalige Arbeitgeberin des Klägers erteilte eine Arbeitgeberauskunft im März 2011 und überreichte Lohnabrechnungen für die Zeit Januar bis Dezember 2001 und Januar bis Oktober 2002. Der Kläger benannte als Zeugen für seine bisherige Tätigkeit bei der D. GmbH D. M. und Herrn P. Der Zeuge P. teilte fernmündlich mit, er könne sich an den Kläger nicht mehr erinnern und habe auch schon im Jahr 2000 aufgehört zu arbeiten. Die Anschrift des Zeugen M. konnte nicht ermittelt werden.

Am 17. November 2011 wurde in der nichtöffentlichen Sitzung des 22. Senats der Zeuge M. Geschäftsführer der Dt. GmbH, vernommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakten zum Geschäftszeichen S 69 U 539/03, S 69 U 540/03, auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten zum Geschäftszeichen und auf den Inhalt der Akten des Arbeitsamts B. zum Geschäftszeichen.

Rechtsweg:

SG Berlin, Urteil vom 30.06.2006 - S 69 U 539/03

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig.

Die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist nach § 54 Abs. 4 SGG zulässig. Insbesondere fehlt ihr nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Das Prozessziel einer Gewährung von Verletztengeld kann nicht auf einfachere Weise - auch nicht mit der isolierten Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG - erreicht werden. Die Beklagte hatte dem Kläger nicht unbefristet Verletztengeld bewilligt. Nach den gesamten Umständen des Falles ist davon auszugehen, dass die Bewilligung jeweils nicht länger als bis zur nächsten durchgangsärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gelten sollte (vgl. hierzu BSG-Urteil vom 09. Dezember 1986 - 8 RK 12/85, zitiert nach juris).

Die Klage ist auch im Übrigen statthaft.

Die Klage ist auf eine Geldleistung gerichtet, die 750 Euro übersteigt. Das Verletztengeld betrug kalendertäglich 28,97 Euro. Damit ist im Zeitraum vom 18. Juni 2003 bis 02. April 2004 der Betrag von 750 Euro überschritten, § 144 Satz 1 Nr. 1 SGG.

Die Berufung ist auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Auf die Klage waren die Bescheide zu ändern.

Die Bescheide stehen nicht in Übereinstimmung mit den Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 Satz 2 SGB VII. Die Beklagte hat diese Vorschrift zwar dieser Entscheidung zugrunde gelegt, aber fehlerhaft angewandt.

§ 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VII besagt:

Wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind, endet das Verletztengeld mit dem Tag, an dem die Heilbehandlung so weit abgeschlossen ist, dass die Versicherten eine zumutbare, zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen können.

Die Prognose der Beklagten, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei, ist nicht zu beanstanden.

Nach Rechtsprechung des BSG liegt Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls anknüpfend an die Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter aufgrund der Folgen eines Versicherungsfalls nicht in der Lage ist, seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Tätigkeit wegen Krankheit (weiter) zu verrichten. Dass er möglicherweise eine andere Tätigkeit trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung noch ausüben kann, ist unerheblich. Gibt er nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit die zuletzt inne gehabte Arbeitsstelle auf, ändert sich allerdings der rechtliche Maßstab insofern, als für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr die konkreten Verhältnisse an diesem Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf dann auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten "verwiesen" werden (B 2 U 31/06 R, Rz 12, zitiert nach Juris unter Hinweis auf Rechtsprechung des BSG).

Nach diesen Maßstäben bestand Arbeitsunfähigkeit des Klägers und mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit war zur Zeit der Bescheiderteilung nicht zu rechnen, nachdem der Facharzt für Chirurgie Dr. T. in seinem Bericht vom 25. April 2003 mitgeteilt hat, dass nach einem gescheiterten Arbeitsversuch am 15. April 2003 eine dauerhafte Tätigkeit des Klägers als Maler und Lackierer im ursprünglichen Unfallbetrieb nicht mehr möglich sei. Dr. B. teilt diese Beurteilung. Er hat ausgeführt, dass nach den vorliegenden Untersuchungsbefunden davon ausgegangen werden konnte, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit des Klägers als Maler und Lackierer innerhalb von 78 Wochen wegen der Arbeitsunfähigkeit am 02. September 2002 nicht habe gerechnet werden können. Auch Dr. E. hat diese Auffassung vertreten. Die inzwischen eingetretene, von Dr. B. beschriebene wesentliche Verbesserung war erst zum Zeitpunkt seiner Untersuchung nachgewiesen worden.

Dahinstehen kann, ob Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen waren. Jedenfalls hat die Beklagte nicht nachgewiesen, dass der Kläger eine Erwerbstätigkeit aufnehmen konnte, die ihm zumutbar war und zur Verfügung stand.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt es gerade auf das Tatbestandsmerkmal des "zur-Verfügung-Stehens-einer Erwerbstätigkeit" an, was bedeutet, dass dem Versicherten ein zumutbarer Arbeitsplatz konkret und tatsächlich nachgewiesen wird (Kasseler Kommentar Ricke, Sozialversicherungsrecht, § 46 SGB VII Rz. 13 Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 23. Oktober 2007 - L 3 U 24/07, zitiert nach juris Rz. 33).

Eine zumutbare, dem Kläger konkret zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit war dem Kläger zur Zeit der Einstellung des Verletztengeldes am 18. Juni 2003 nicht nachgewiesen.

Wie dargelegt ist im Rückgriff auf die Rechtsprechung zum Krankengeld nach den §§ 44 ff. SGB V bei einem bestehenden Arbeitsverhältnis eine Verweisung grundsätzlich nur innerbetrieblich möglich. Eine Verweisung über das bestehende Arbeitsverhältnis hinaus ist dagegen in der Regel ausgeschlossen, weil die Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes andernfalls gefährdet wäre und dem Versicherten im Rahmen der Krankengeldgewährung nicht zugemutet werden kann, den bisherigen Arbeitsplatz aufzugeben. Erst wenn der Versicherte nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit die zuletzt inne gehabte Arbeitsstelle aufgibt, ändert sich wie dargelegt der rechtliche Maßstab insofern, als für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr die konkreten Verhältnisse an diesem Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf (erst) dann auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten verwiesen werden (Urteil des BSG vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 31/06 R; Hessisches LSG a.a.O.). Dies gilt auch für Fälle, in denen die Arbeitsunfähigkeit schon längere Zeit andauert und abhängig davon, ob noch eine gewisse Aussicht auf Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit besteht (BSGE 60, 180, 185 f.).

Eine betriebsinterne Umsetzung war aktenkundig nicht möglich. Die von der Beklagten vorgenommene Verweisung über das bestehende Arbeitsverhältnis hinaus war nicht zulässig, denn im Zeitpunkt der Einstellung des Verletztengeldes und auch zum Zeitpunkt der angefochtenen Bescheide bestand das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der D. GmbH fort.

Nach Aussage des Zeugen M. war der im Jahr 1985 zunächst befristete geschlossene Arbeitsvertrag stillschweigend auf unbestimmte Zeit verlängert worden. Am 14. April 2004 wurde der Kläger dort nach Ende der Zahlung des Verletztengeldes "ausgesteuert". Nach Auslaufen des Krankengeldes war ein Arbeitsversuch des Klägers dort entgegengenommen worden. Eine ausdrücklich erklärte einvernehmliche Vertragsaufhebung ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Auch eine Kündigungserklärung ist weder seitens der Arbeitgeberin noch durch den Kläger vorgetragen oder sonst ersichtlich erfolgt. Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige unwiderrufliche Willenserklärung. Deren Abgabe und Zugang bei einer der Arbeitsvertragspartner ist nicht nachgewiesen. Die Arbeitslosmeldung des Klägers im Juni 2003 bei der Bundesanstalt für Arbeit kann die Merkmale einer Kündigungserklärung schon deshalb nicht erfüllen, weil sie gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit und nicht gegenüber der Arbeitgeberin gegeben wurde.

Im vorliegenden Rechtsstreit ist nicht zu prüfen, ob und/oder wann im weiteren Verlauf das Arbeitsverhältnis beendet wurde, jedenfalls zum Zeitpunkt der angefochtenen Bescheide war dies nicht der Fall.

Hingegen hat der Zeuge M. ausgesagt, nach Auslaufen des Krankengeldes habe der Kläger einen Arbeitsversuch dort unternommen, was die beidseitige Bereitschaft der Arbeitgeberin und des Klägers bedeutete, das Arbeitsverhältnis fortzuführen.

Selbst wenn das Arbeitsverhältnis ab 18. Juni 2003 für beendet erachtet würde, ließe sich nicht feststellen, dass die Beklagte dem Kläger einen zumutbaren und zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz konkret nachgewiesen hatte. Bei beendetem Arbeitsverhältnis hat das BSG auf das berufliche Bezugsfeld der ähnlichen oder gleichartigen Tätigkeiten abgestellt. Dabei ist allgemein festzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit im Wesentlichen geprägt haben und welche dieser Beschäftigung gleich gearteten Tätigkeiten in Betracht kommen (BSGE 57, 227). Die Verweisung ist nicht nur von der Art der Tätigkeit, sondern auch von der Entlohnung abhängig, denn die Verweisungstätigkeit muss auch als wirtschaftlich gleichwertig anzusehen sein (BSG SozR 2200 § 182 Nr. 104). Darüber hinaus müssen auf dem Arbeitsmarkt Arbeitsstellen für ähnliche Tätigkeiten in nennenswerter Zahl vorhanden seien, die der Versicherte täglich zumutbar erreichen kann (BSG SozR 2200 § 182 Nr. 104).

Diesen Kriterien werden die dem Kläger genannten Angebote nicht gerecht.

Soweit die Beklagte ausweislich ihres Anhörungsschreibens dem Kläger einen Arbeitsplatz bei der Firma H. und R. F. GmbH angeboten hat, ist bereits wegen fehlender Angabe des Gehalts/Lohns nicht feststellbar, dass diese Arbeitsstelle wirtschaftlich gleichwertig und dem Kläger zumutbar war. Des Weiteren ist die Stellenbeschreibung derartig inkonkret, dass die körperliche und soziale Zumutbarkeit nicht prüfbar sind. So ist die Rede von "Überwachung, Reinigung, Concierge-Aufgaben, Dienstleistungen, Organisation der Wünsche der Bewohner, handwerkliche Fähigkeiten, perfekte Deutschkenntnisse." Dienstleistungen und Organisation der Wünsche der Bewohner sind nicht hinreichend bestimmt und damit nicht nachvollziehbar.

Die übrigen Angebote betreffen Tätigkeiten als Taxifahrer. Jedenfalls für den Taxibetrieb, der Teltow, Kleinmachnow als Arbeitsort genannt hat und für das Angebot der L.-Taxen GmbH ist jeweils bereits wegen fehlender Angaben des Gehalts/Lohns nicht feststellbar, dass diese Arbeitsstellen wirtschaftlich gleichwertig und dem Kläger zumutbar waren.

Zudem fehlt es hinsichtlich der Angebote für Taxifahrer bereits am Nachweis eines Arbeitsplatzes für eine "zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit" im Sinne genannten Gesetzes.

Schon nach dem Anzeigentext erforderten solche Tätigkeiten einen Personenförderungsschein, und zwar für den im Fall der GmbH und gemäß dem Angebot der S. GmbH für B. Damit stand dem Kläger ein Arbeitsplatz aufgrund dieser Stellenangebote aktiv nicht zur Verfügung, da er über einen so genannten Taxischein oder Personenbeförderungsschein nicht verfügt.

Die Erlangung stellt sich auch nicht als bloße Formalität dar. Gemäß § 48 Abs. 1, 3 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschrift (Bundesgesetzblatt 1998 Teil I Nr. 55 S. 2231 in der Fassung der Verordnung vom 14. Dezember 2001 (Bundesgesetzblatt I S. 3783) bedarf es einer zusätzlichen Erlaubnis der Fahrerlaubnisbehörde, wenn Gäste befördert werden und ein Taxi geführt werden soll. Voraussetzung für die Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgasterlaubnis ist u. a. Nachweis der geistigen und körperlichen Eignung gemäß § 11 Abs. 9 i. V. m. Anlage 5. Der Nachweis der geistigen Eignung ist nicht erbracht

Falls die Erlaubnis für Taxen gelten soll, ist erforderlich nach Ziffer 7, dass der Bewerber in einer Prüfung nachweist, dass er die erforderliche Ortskenntnis am Ort des Betriebssitzes besitzt, es sei denn der Ort des Betriebssatzes hat weniger als 50.000 Einwohner. Letzteres ist jedenfalls für das Stellenangebot in Berlin erkennbar nicht der Fall. Die erforderliche Prüfung hatte der Kläger nicht abgelegt, offen ist, ob er sie bestehen würde.

Rechtlich unerheblich ist, dass in der Stellenbeschreibung der L. GmbH mitgeteilt wird, "mit und ohne P-Schein, P-Schein kann durch eine ca. dreimonatige Ausbildung erworben werden, AG finanziert nach bestandener Prüfung Übernahme durch Firma garantiert". Auch unter diesen Voraussetzungen stand dem Kläger am 18. Juni 2003 kein Arbeitsplatz zur Verfügung.

Dahinstehen kann nach allem, inwieweit die Beschäftigung als Taxifahrer grundsätzlich eine dem Kläger zumutbare Verweisungstätigkeit ist, ob es sich im vorgenannten Sinne um eine gleichähnlich geartete Tätigkeit handelt, die ohne größere Umstellung und Einarbeitung vom Kläger ausgeführt werden konnte.

Nach allem sind die angefochtenen Bescheide auf die Anfechtungsklage zu ändern.

Auch die Leistungsklage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Verletztengeld für den beantragten Zeitraum vom 18. Juni 2003 bis 02. April 2004.

Das Verletztengeld wird von dem Tag an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird, oder mit dem Tag des Beginns einer Heilbehandlungsmaßnahme, die den Versicherten an der Ausübung einer ganztägigen Erwerbstätigkeit hindert, § 46 Abs. 1 SGB VII.

Der Kläger war nach den oben genannten Maßstäben im Zeitraum vom 18. Juni 2003 bis 02. April 2004 infolge der durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsstörungen arbeitsunfähig und deshalb nicht in der Lage, seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nachzugehen.

Die Arbeitsunfähigkeit war ärztlich festgestellt. Dr. T. hat in seinem Bericht vom 25. April 2003 mitgeteilt, dass dem Kläger bei persistierenden Belastungsschmerzen und einem Streckdefizit des rechten Ellenbogengelenks und nach gescheitertem Arbeitsversuch vom 15. April 2003 die dauerhafte Tätigkeit als Maler im ursprünglichen "Unfallbetrieb" nicht möglich war. Eine solche Tätigkeit hatte der Kläger vor dem Arbeitsunfall auch ausgeführt.

Der Zeuge M. hat im Einzelnen ausgeführt, dass der Kläger Arbeiten eines Anstreichers/Malers ausgeführt hat. Der Senat nimmt auf seine Aussage Bezug. Diese Arbeiten erfordern nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit vom 21. Mai 2004 zeitweise Arbeiten in Zwangshaltungen wie Bücken, Hocken und Knien. Körperliche Gewandtheit mit belastbarer Wirbelsäule und funktionstüchtigen Gliedmaßen sind Voraussetzung.

Sowohl Dr. E. als auch Dr. B. haben den aktenkundigen Befunden entnommen, dass diese Tätigkeiten jedenfalls noch am 02. April 2004 vom Kläger nicht ausgeführt werden konnten.

Dr. E. hat den Kläger am 01. Juli 2004 untersucht und ist noch aufgrund seiner Untersuchung zur Beurteilung gekommen, dass aufgrund der unfallbedingten schmerzhaften Funktionsstörungen, einer schmerzhaften Minderung der Belastbarkeit, Arbeitsfähigkeit als Maler nicht bestand.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R8275


Informationsstand: 13.12.2019