Urteil
Grundsatz des Vorrangs von Ansprüchen gegen Rehabilitationsträger vor Ansprüchen gegen Arbeitgeber auch gegenüber Integrationsamt - Behinderungsgerechte Ausstattung eines Arbeitsplatzes mit Blindenhilfsmitteln

Gericht:

VG Saarlouis


Aktenzeichen:

3 K 198/16 | 3 K 198.16


Urteil vom:

08.02.2017


Leitsätze:

Die sozialgerichtliche Rechtsprechung, dass Ansprüche gegenüber Rehabilitationsträgern auf Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form technischer Arbeitshilfen Vorrang haben vor den Ansprüchen gegenüber den Arbeitgebern auf behindertengerechte Arbeitsplatzausstattung, findet auch gegenüber dem Integrationsamt Anwendung, wenn ein Fall der Verwaltungsabsprache Ziffer 2.4 über die Gewährung von Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben im Verhältnis zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vorliegt.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Saarland

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Integrationsamtes vom 15.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses beim Integrationsamt vom 01.03.2016 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 15.04.2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch die Klägerin wird für notwendig erklärt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ersichtlichen Kostenschuld abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die blinde Klägerin, deren Grad der Behinderung 100 beträgt, arbeitet seit dem 03.06.1985 beim ............. als Phonotypistin, wobei sie Ton- und Videoaufzeichnungen von Vernehmungen und Tatortbesichtigungen abschreibt. Aufgrund einer Änderung des EDV Netzwerks des Landeskriminalamtes wurde ihr Arbeitsplatz von XP auf Windows 7 und Office 10 umgestellt.

Am 15.04.2015 beantragte sie daher bei der Deutschen Rentenversicherung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Gestalt einer Arbeitsplatzausstattung in Höhe von 39.254,70 EUR (Kostenvoranschlag der Firma durchblick-IT vom 07.04.2015, Vgl. zu den Einzelheiten Bl. 19 - 48 der Verwaltungsunterlagen der Beklagten). Unter dem 24.04.2015 wurde dieser Antrag von der Deutschen Rentenversicherung "zuständigkeitshalber" der Beklagten mit der Begründung übersandt, es handele sich um Leistungen der begleitenden Hilfen im Arbeitsleben, da der Antragstellung eine Modernisierung/technische Weiterentwicklung des Arbeitsplatzes zugrunde liege; insoweit werde auf die Verwaltungsabsprache Ziffer 1 zweiter Absatz bzw. Ziffer 2.4 über die Gewährung von Leistungen der begleitenden Hilfen im Arbeitsleben im Verhältnis zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben verwiesen (Vgl. hierzu: Wiegand in: Wiegand, SGB IX Teil 1 - Regelungen für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen, 11/06, Anhang Nr. 1).

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13.05.2015 mit, für die bei der Deutschen Rentenversicherung beantragten Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben sei unter dem Gesichtspunkt der Ausstattung des Arbeitsplatzes grundsätzlich der Arbeitgeber zuständig. Dieser könne beim Integrationsamt einen Zuschuss zu den behinderungsbedingten Mehrkosten beantragen. Als Anlage werde daher ein entsprechender Vordruck für den Arbeitgeber beigefügt, den dieser ausgefüllt und mit den entsprechenden Unterschriften versehen, zusammen mit einer Kopie des Schwerbehindertenausweises der Klägerin und einem zweiten Kostenvoranschlag für die geplante Maßnahme, dem Landesamt zurückschicken solle.

Mit Schreiben ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 30.06.2015 teilten diese unter Hinweis auf §§ 102 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2, 33 SGB IX mit, dass es durchaus zulässig sei, dass die Klägerin vorliegenden Antrag selbst stelle. Der Wortlaut des Gesetzes lasse keinen Rückschluss zu, dass ein Antrag vorrangig vom Arbeitgeber zu stellen sei. Diese Auffassung werde durch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 23.1.2015 - 13 K 3573/14 - gestützt.

Am 29.07.2015 fand am Arbeitsplatz der Klägerin ein Ortstermin statt, über den ihre Prozessbevollmächtigten vorab nicht informiert wurden. In der Verwaltungsakte befindet sich ein über diesen Termin gefertigter Vermerk in dem u.a. ausgeführt wird: "Die Ursache des Austausches bzw. der Ergänzung der technischen Hilfsmittel wurde detailliert besprochen. Dabei wurde festgestellt, dass Frau A. im Antrag beim Rentenversicherungsträger falsche Angaben gemacht hat, was zur Weiterleitung an das Integrationsamt führte. Bei einigen Komponenten ergibt sich die Notwendigkeit des Austauschs nicht wie angegeben aufgrund der Veränderung des Betriebssystems durch den Arbeitgeber, sondern dadurch, dass die vorhandenen Hilfsmittel defekt sind und eine Reparatur unwirtschaftlich ist. Um Frau A. kurzfristig zu helfen, wurden die einzelnen Positionen des Angebotes besprochen und den jeweils zuständigen Leistungsträgern sowie dem Arbeitgeber zugeordnet. ... Es wurde daher vorgeschlagen, dass Frau A. erneut einen Antrag (diesmal nur über die Komponenten des Angebots für deren Ersatzbeschaffung die DRV zuständig ist) bei ihrer Rentenversicherung stellt, der Arbeitgeber die von ihm bereitzustellenden Komponenten beschafft und das Integrationsamt die Teile, die im Rahmen der begleitenden Hilfe gefördert werden können, bezuschusst. Frau A. will sich diese Vorgehensweise überlegen und in den nächsten Tagen das Integrationsamt über ihre Entscheidung informieren."

Am 13.08.2015 teilte die Klägerin mit, sie wünsche die Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheides.

Mit Bescheid vom 15.09.2015, ab am 16.09.2015, bewilligte die Beklagte die Beschaffung technischer Arbeitshilfen bis zu einem Höchstbetrag von 2.907,22 EUR. Zuwendungsfähig seien ausschließlich folgende Kosten: Pos. 5 (Update Cobra Screenreader), Pos. 8 (Portables Vorlesegerät), Pos. 9 (Omnipage Ultimate Standard), Pos. 10 (M-PAD-Abspiel-Software) des Angebots der Firma Durchblick-IT. Im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens erfolge hier ein Zuschuss in Höhe von 80 v.H. der entstehenden Kosten, da das Integrationsamt durch das Wunsch- und Wahlrecht der schwerbehinderten Klägerin keinen höheren Zuschuss bewilligen könne als das bei einer Leistung an den Arbeitgeber nach § 26 SchwbAV der Fall wäre. Bei Pos. 1 (PC-System incl. Monitor), Pos. 2 (Wechselplattensystem), Pos. 6 (Scanner) und Pos. 7 (Texterkennungssystem für Papierunterlagen) des Angebots handele es sich um Komponenten, die behinderungsunabhängig vom Arbeitgeber zu stellen seien. Die Kostenübernahme durch das Integrationsamt werde daher abgelehnt. Der Austausch von Pos. 3 (Braillezeile), Pos. 4 (Querschieber für Braillezeile), Pos. 11 (Braille Notizgerät) und Pos. 12 (Abspielgerät für Audio etc.) sei erforderlich, da, entgegen den Angaben im Antrag an die Deutsche Rentenversicherung, diese zu ersetzenden Komponenten defekt seien und es sich somit zweifelsfrei nicht um Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben handele. Pos. 13 - 15 (Installation, Auslieferung, Schulung) seien der Erneuerung der vorgenannten Geräte zuzuordnen. Daher werde die Kostenübernahme durch das Integrationsamt abgelehnt und dieser Teil des Antrages unter Hinweis auf die Weiterleitungsmöglichkeit des Integrationsamtes entsprechend der Verwaltungsabsprache an die Deutsche Rentenversicherung zurückgeleitet. Auch die Kostenübernahme oder Bezuschussung der beantragten Fortbildungsmaßnahmen gemäß Angebot des BFW Würzburg vom 20.03.2015 sei abzulehnen, da der Arbeitgeber für Aus- und Fortbildung seiner Mitarbeiter zuständig sei. Die Entscheidung ergehe im Rahmen des dem Integrationsamt eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 13.10.2015 Widerspruch ein. Sie sieht die prozentuale Förderung der behinderungsspezifischen Arbeitsplatzausstattung als willkürlich und damit ermessensfehlerhaft an. Selbst § 26 Abs. 1 SchwbAV sehe eine Förderung des Arbeitgebers bis zu 100 % vor. Zudem würde die Finanzkraft einer Arbeitnehmerin der Finanzkraft eines Arbeitgebers gleichgestellt. Im Übrigen werden zu den im Bescheid abgelehnten Positionen Ausführungen gemacht.

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17.12.2015 ergangenem Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses beim Integrationsamt der Beklagten vom 01.03.2016, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 04.03.2016 zugegangen, wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 18.03.2016 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

Sie trägt vor, nach dem die Deutsche Rentenversicherung mittlerweile Leistungen bewilligt habe, seien nur noch die Positionen 5-10 des Kostenvoranschlages der Firma Durchblick-IT sowie die vom BFW Würzburg angebotene Anwendungsschulung streitgegenständlich, was im Übrigen unstreitig ist.

Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen hinsichtlich einer fehlerhaften Ermessensausübung und trägt vertiefend vor, vorliegend handele es sich um blindenspezifische Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX. In Anbetracht der Tatsache, dass behinderungsspezifische Hilfsmittel als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 33 SGB IX zu gewähren seien, habe sie nun einen entsprechenden Anspruch gegen die Beklagte, auch wenn es sich bei ihr nicht um einen Rehabilitationsträger im Sinne von § 6 SGB IX handele. Durch die Weiterleitung des Antrages durch die Deutsche Rentenversicherung gemäß § 14 SGB IX sei die Beklagte formeller Leistungsträger geworden und habe über den Antrag unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zu entscheiden. § 33 Abs. 1 SGB IX sehe vor, dass die erforderlichen Leistungen "erbracht", mithin nicht bezuschusst, sondern vollständig finanziert werden würden. Hinsichtlich der Schulungskosten sei zwar grundsätzlich richtig, dass solche vom Arbeitgeber durchgeführt werden müssten. Die Beklagte übersehe dabei aber, wie auch bezüglich der Pos. Scanner und Software, dass sie, die Klägerin, aufgrund ihrer Blindheit eine Schulung an einem behindertengerecht zugerüsteten Arbeitsplatz benötige und auch die Bedienung im Gegensatz zu sehenden Person anders erfolge. Mangels visueller Wahrnehmung könne von ihr keine Maus genutzt werden. Sie bediene einen PC über eine Vielzahl von Tastenkombinationen. Mithin werde für hochgradig sehbehinderte und blinde Personen eine vom Normalfall abweichende Schulung benötigt. Hieraus folge, dass eine behinderungsspezifische Anwendungsschulung vorzunehmen sei, bei der auch eventuelle Besonderheiten hinsichtlich der verwendeten Hilfsmittel zu beachten seien. Eine derartige Schulung gehe deutlich über die vom Arbeitgeber zu leistende Arbeitnehmerförderung hinaus. Es handele sich bei allen genannten Positionen um einen behinderungsspezifischen Bedarf.


Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 15.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2016 aufzuheben;

2. die Beklagte zu verurteilen, über ihren Antrag ermessensfehlerfrei unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden;

3. die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Vorverfahren festzustellen.


Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, eine Kostenübernahme der Beschaffung der Farbscanner sowie der Poettexterkennungssoftware scheide aus, da es sich bei diesen technischen Geräten um üblicherweise vorhandene Büroausstattung handele. Ihre Leistungspflicht richtete sich allein nach § 102 SGB IX und kollidiere hier mit der arbeitsvertraglich und gesetzlich bestimmten Pflicht des Arbeitgebers nach Maßgabe des § 81 SGB IX. Sie treffe daher nur eine ersatzweise Einstandspflicht, die aber nicht im Hinblick auf Arbeitsmittel gelte, die der Arbeitgeber ohnehin zur Verfügung stellen müsse, um seinen arbeitsvertraglichen Pflichten zu entsprechen. Um solche im Büroalltag zwingend notwendige, vom Arbeitgeber zu beschaffende, Standardarbeitsmittel handele es sich vorliegend aber. Letztlich würden üblicherweise vorhandene Arbeitsmaterialien auch nicht deswegen de facto zu technischen Arbeitshilfen, weil sie von einem behinderten Arbeitnehmer während der täglichen Arbeit verwendet würden. Die im Bescheid erfolgte Bezuschussung sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Die Ermessensentscheidung sei nach Maßgabe der §§ 102 Abs. 3 Nr. 1 lit. a SGB IX in Verbindung mit §§ 14,17,18 19 SchwbAV getroffen worden und orientiere sich neben der Parallelwertung des § 26 SchwbAV auch daran, dass gemäß § 81 Abs. 4 Nr. 4 und 5 SGB IX zunächst der Arbeitgeber verpflichtet sei, einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz mit sämtlichen erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Da sie somit im vorliegenden Fall faktisch die Rolle eines "Ausfallsbürgen" gegenüber dem Arbeitgeber der Klägerin übernehme, sei es gerechtfertigt, die erforderlichen Kosten um 20 % des Gesamtbetrages zu kürzen. Dieser Ermessensentscheidung liege des Weiteren das Prinzip zugrunde, dass das Integrationsamt lediglich Zuschüsse leiste, also Arbeitgeber lediglich unterstütze und nicht stellvertretend deren Pflichten übernehme. Auch das Erwerbseinkommen der Klägerin dem Grunde nach sei - neben dem Pflichtenportfolios des Arbeitgebers - als Aspekt in die Ermessensentscheidung aufgenommen worden.

Das Gericht hat mit Verfügung vom 31.10.2016 auf die Sach- und Rechtslage hingewiesen(Vgl. Bl. 49 - 52 der Gerichtsakte). Die Beteiligten haben sodann auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und einer Entscheidung durch den Berichterstatter zugestimmt (Vgl. Bl. 64 und 66 der Gerichtsakte).

Wegen des Sachverhalts im übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsunterlagen des Beklagten Landesamtes, der zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung konnte nach den entsprechenden Erklärungen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO) ergehen.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 15.09.2015 und der Widerspruchsbescheid vom 01.03.2016 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, da sie ermessensfehlerhaft ergangen sind; es obliegt der Beklagten, über den Antrag der Klägerin nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 a SGB IX unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).

Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX ist das Integrationsamt (§ 101 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX) für die Verwendung der Ausgleichsabgabe nach § 77 SGB IX zuständig. Das Integrationsamt kann im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen erbringen. Nach § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB IX i.V.m § 17, 19 SchwbAV kann diese Förderung an schwerbehinderte Menschen insbesondere für technische Arbeitshilfen gewährt werden. Die Bewilligung von Leistungen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe liegt nach der genannten Vorschrift im pflichtgemäßen Ermessen des Integrationsamtes. Deshalb besteht grundsätzlich nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, nicht aber auf bestimmte Mittel oder auf eine bestimmte Art von Mitteln. Das Ermessen des Integrationsamtes ist durch den in § 77 Abs. 5 Satz 1 SGB IX gesetzlich vorgeschriebenen Verwendungszweck der Ausgleichsabgabe determiniert und begrenzt (Std. Rspr. der Kammer, vgl. nur Urteil vom 29.09.2015 - 3 K 1015/14 -, zur Gewährung an einen Arbeitgeber).

Im Rahmen der Kontrolle der Ermessensentscheidung nach § 102 Abs. 3 SGB IX hat das Verwaltungsgericht innerhalb der Grenzen des § 114 VwGO nur zu prüfen, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder die Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Dabei hat das Gericht zu überprüfen, ob all das, was nach Lage der Dinge in die Entscheidung einzustellen ist, auch eingestellt wurde, die Behörde den Sachverhalt richtig ermittelt hat und die sodann vorgenommene relative Gewichtung sachgerecht durchgeführt wurde. Nicht zu prüfen ist, ob irgendwelche Gesichtspunkte für die getroffene Entscheidung sprechen, so dass sie im Ergebnis aufrechterhalten werden kann.

Dies zugrunde gelegt ist die Ermessensentscheidung der Beklagten vorliegend rechtlich zu beanstanden.

Die Beklagte kann bezogen auf den hier in Rede stehenden Einzelfall die Verweigerung der Kostenübernahme hinsichtlich der Positionen 6 und 7 (Scanner und Poet-Software) zunächst nicht damit begründen, dass die Klägerin vorrangig einen Anspruch gegenüber ihrem Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 SGB IX (Diese Bestimmungen lautet: "Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung.") geltend zu machen hat.

Das Gericht macht sich vorliegend die Ausführungen des VG Hamburg im Urteil vom 23.01.2015 - 13 K 3573/14 -, die den Beteiligten bekannt sind, zu eigen (Vgl. insoweit Bl. 63-69 der Verwaltungsunterlagen der Beklagten, hier insbesondere Bl. 68), da die beschafften Geräte, wie die Klägerin der Beklagten gegenüber erläutert hat (Vgl. Bl. 45-48 der Verwaltungsunterlagen der Beklagten), in ihrem Eigentum stehen, verbleiben und nicht Bestandteil ihres Arbeitsplatzes beim LKA sind bzw. werden (Hinsichtlich des Scanners bestünde nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin grundsätzlich sogar ein generelles Verbot seiner Nutzung an der Dienststelle, vgl. Bl 46 der Verwaltungsunterlagen der Beklagten). Unter Hinweis auf die genannte Rechtsprechung des VG Hamburg ergibt sich die Verpflichtung des Integrationsamtes der Beklagten auch bezüglich der oben genannten Kostenpositionen eine Ermessensentscheidung im Rahmen des § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB IX zu treffen ferner daraus, dass in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt ist, dass Ansprüche gegenüber Rehabilitationsträgern auf Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form technischer Arbeitshilfen Vorrang haben vor den Ansprüchen gegenüber den Arbeitgebern auf behindertengerechte Arbeitsplatzausstattung (Vgl. nur BSG, Urteil vom 22.09.1981 - 1 RA 11/80 -, juris). Das Integrationsamt zählt zwar nicht zu den in § 6 Abs. 1 SGB IX aufgezählten Rehabilitationsträgern, aber die Deutsche Rentenversicherung Bund ist eine solche nach den §§ 6 Abs. 1 Nr. 4, 5 Nr. 2 SGB IX, 125, 126 SGB VI. Dies bedeutet, dass die Rentenversicherung Bund, wenn sie über den Antrag auch Bezug auf die hier in Rede stehenden Kostenpositionen entschieden hätte, nicht auf die Verpflichtung des Arbeitgebers auf Ausstattung des Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen hätte verweisen dürfen. Die Rentenversicherung Bund hat über diesen Teil des Antrages aber nur deshalb nicht entschieden, weil nach der geltenden Verwaltungsabsprache unter Ziffer 2.4 das Integrationsamt für betriebsbedingte Maßnahmen aufgrund von Modernisierung/technischer Weiterentwicklung zuständig sein soll. Wenn nach der Verwaltungsabsprache dieses Aufgabengebiet dem Integrationsamt der Beklagten übertragen worden ist, und dieses gleichsam anstelle des Rehabilitationsträger tätig wird, kann dieses, ebenso wenig wie es der Rehabilitationsträger selbst könnte, eine Leistung schon deshalb ablehnen, weil der Arbeitgeber vorrangig zuständig sei. Das Integrationsamt ist zwar im Verhältnis zum Rehabilitationsträger im Rahmen der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben grundsätzlich nachrangig zur Leistung verpflichtet, aber wenn es Aufgaben des Rehabilitationsträgers in Form einer Verwaltungsabsprache übernimmt, muss es sich so behandeln lassen, wie der Rehabilitationsträger selbst. Insoweit wird durch die Gewährung aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe hier der Aufgabe des Gesetzes Rechnung getragen, welche in erster Linie ist, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gesellschaft (§ 1 SGB IX) zu ermöglichen und damit auch die Teilhabe am Arbeitsleben dauerhaft zu sichern (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX). Hierzu gehört bezogen auf die Klägerin dementsprechend zwangsläufig auch die in Rede stehende Schulung an den speziellen behinderungsgerechten Hilfsmitteln nach § 102 Abs. 3 Satz 2 SGB IX. Grundsätzlich muss den hier in Rede stehenden direkt arbeitsplatzbezogenen finanziellen Hilfen Priorität bei der Ermessensausübung hinsichtlich der Verwendung der Mittel der Ausgleichsabgabe zukommen, da der konkrete Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vom SGB IX als Kernstück der schwerbehindertenrechtlichen Regelungen gesehen wird (Vgl. nur Bayr. VGH, Beschluss vom 09.06.2016 -12 ZB 15.2176-).

Hinsichtlich der Positionen 5, 8-10 des Kostenvoranschlags hat die Beklagte eine Bezuschussung in Höhe von 80% der entstehenden Kosten mit der Begründung vorgesehen, das Integrationsamt könne durch das Wunsch- und Wahlrecht der schwerbehinderten Klägerin keinen höheren Zuschuss bewilligen als dies bei einer Leistung an den Arbeitgeber nach § 26 SchwbAV der Fall wäre (Vgl. den Bescheid vom 15.09.2015, Bl. 83, 84 der Verwaltungsunterlagen der Beklagten, auf den im Widerspruchsbescheid verwiesen wird, vgl. Bl. 117 der Verwaltungsunterlagen der Beklagten).

Diese Begründung hält einer rechtlichen Prüfung ebenfalls nicht stand.

Die Ausführungen der Beklagten lassen nicht erkennen, dass ihr bewusst war, dass bei einer Leistungsgewährung an den Arbeitgeber im Wesentlichen andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, als bei einer solchen an den schwerbehinderten Menschen selbst. Nach der Rechtsprechung der Kammer (Vgl. Urteil vom 29.05.2015 - 3 K 1015/14 -), die der Beklagten bekannt ist, bestimmen sich Art und die Höhe der Förderung eines Arbeitgebers gemäß § 26 Abs. 2 SchwbAV maßgeblich nach den Umständen des Einzelfalles. Insbesondere soll danach berücksichtigt werden, ob eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung von Maßnahmen nach Absatz 1 gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 (Diese Bestimmung lautet: "Die Arbeitgeber stellen durch geeignete Maßnahmen sicher, dass in ihren Betrieben und Dienststellen wenigstens die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen eine möglichst dauerhafte behinderungsgerechte Beschäftigung finden kann."), Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 (Diese Bestimmung lautet: "Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr, unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung.") und 5 (Diese Bestimmungen lautet: "Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung.") und Abs. 5 Satz 1 (Diese Bestimmung lautet: "Die Arbeitgeber fördern die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen.") des SGB IX besteht und erfüllt wird sowie ob schwerbehinderte Menschen ohne Beschäftigungspflicht oder über die Beschäftigungspflicht hinaus (§ 71 SGB IX) ... beschäftigt werden. Nach § 26 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 2 SchwbAV sollen Leistungen nur erbracht werden, wenn sich der Arbeitgeber in einem angemessenen Verhältnis an den Gesamtkosten beteiligt.

Es bedarf keiner weiteren Vertiefung, dass diese Kriterien bei der Förderung des schwerbehinderten Menschen selbst nicht anwendbar sind, auch nicht im Wege einer "Parallelwertung" (Vgl. den Schriftsatz der Beklagten vom 03.05.2016, Bl. 53 ff. der Gerichtsakte). § 26 SchwbAV ist nach Wortlaut und Systematik der Verordnung eine spezielle Regelung den Arbeitgeber betreffend.

Im Übrigen könnte selbst der Arbeitgeber nach § 26 Abs. 1 S. 1 SchwbAV Darlehen oder Zuschüsse bis zur vollen Höhe der entstehenden notwendigen Kosten erhalten und trifft die Auffassung der Beklagten, sie sei faktisch "Ausfallbürge" gegenüber dem Arbeitgeber der Klägerin, da dieser zunächst nach § 81 Abs. 4 SGB IX verpflichtet sei, nach der oben dargelegten Auffassung des Gerichts nicht zu.

Soweit die Beklagte im gerichtlichen Verfahren ihre Ermessensentscheidung ergänzend auf die "finanzielle Leistungsfähigkeit" der Klägerin stützt (Vgl. den Schriftsatz vom 07.12.2016, Bl. 63, 64 der Gerichtsakte), merkt das Gericht an, dass sich in den vorgelegten Verwaltungsunterlagen - soweit ersichtlich - keine diese "Leistungsfähigkeit" betreffenden Unterlagen befinden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren war wegen der Schwierigkeit des Verfahrens für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R7365


Informationsstand: 22.08.2017