Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. August 2017 geändert. Die Beigeladene zu 1) wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller vorläufig zuzahlungsfrei unter Berücksichtigung des von der Antragsgegnerin bewilligten Betrages von 1.017,01 Euro mit dem Hörsystem Widex Cros2-312 Unique 440 Fusion S-Hörer zu versorgen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Beigeladene zu 1) trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
I. Die Beteiligten streiten um die vorläufige Versorgung des Antragstellers mit Hörhilfen.
Der 1954 geborene Antragsteller ist auf dem rechten Ohr taub und auf dem linken Ohr gering schwerhörig. Neben einem Hörgerät für dieses Ohr benötigt er, um räumlich hören zu können, eine sog. Cros-Versorgung. Hierbei wird durch ein Mikrofon der am tauben Ohr ankommende Schall mittels Kabel oder kabellos (per Funk) zum anderen Ohr weitergeleitet, dort aufgenommen und im Gehirn verarbeitet. Als BiCros wird die Kombination einer Cros-Versorgung mit einem Hörgerät am besseren Ohr bezeichnet.
Der Antragsteller ist bei einem Projektsteuerungsunternehmen im Bereich Schienenverkehr beschäftigt. Als
IT-Berater ist er dort - nach Auskunft seiner Arbeitgeberin - u.a. für die Administration (User- und Rollenmanagement) und den Support diverser
IT-Tools sowie für das
IT-Projektmanagement zuständig. Im Rahmen dieser Tätigkeiten sind Abstimmungen mit sog. internen Kunden, d.h. Mitarbeiter der deutschlandweit zu betreuenden Abteilungen des Unternehmens, und mit externen Kunden (andere konzerninterne Unternehmen und Hersteller) notwendig. Insoweit und als zentraler Ansprechpartner für die Redaktion der Intranetseite des Unternehmens ist er auf ständige Kommunikation, auch in Gestalt von Telefon- und Webkonferenzen und häufig unter Einsatz sog. Over-Ear-Headsets, angewiesen. Darüber hinaus muss er bei der Arbeit im Großraumbüro Geräusche und Stimmen räumlich filtern und einordnen können.
Weil sein seit 2010 genutztes Hörgerät (La Belle CL 410 BiCros) nicht mehr zuverlässig funktionierte, beantragte - auf der Grundlage einer ohrenärztlichen Hörhilfenverordnung vom 5. August 2014 - die
Fa. Hörgeräteakustik S, nachdem der Antragsteller am 7. September 2016 bei ihr vorstellig geworden war, am 14. September 2016 für ihn bei der Antragsgegnerin die Versorgung mit dem Hörsystem Widex Cros2-312 Unique 440 Fusion S-Hörer - einem BiCros-Gerät mit Funkübertragung - zum Gesamtpreis von 3.913,02 Euro (nebst externen Hörern und Reparaturpauschalen). Die Antragsgegnerin teilte dem Antragsteller hierauf mit, dass sie sich an den Kosten der Hörgeräteversorgung mit insgesamt 1.017,01 Euro (abzüglich 10.- Euro Zuzahlung) beteilige (Schreiben vom 28. September 2016). Über den hiergegen gerichteten Widerspruch des Antragstellers hat die Antragsgegnerin noch nicht entschieden.
Mit weiterem Schreiben vom gleichen Tag leitete sie den o.g. Antrag an die Beigeladene zu 1) (Deutsche Rentenversicherung Bund) weiter, weil "ein Mehrbedarf aufgrund beruflicher Bedarfe erforderlich" erscheine. Dieses Schreiben ging am 11. Oktober 2016 bei der Beigeladenen zu 1) ein, die den Antrag unter dem 17. Oktober 2016 an die Beigeladene zu 2) als kontoführende Rentenversicherungsträgerin weiterreichte. Diese teilte dem Antragsteller mit, dass "im Rahmen der Hörgeräteversorgung folgende Kosten übernommen [würden]: Grundversorgung zu Lasten der Krankenversicherung 1.007,01
EUR". Nach erfolglosen Widerspruchsverfahren des Antragstellers bezüglich der o.g. Schreiben der beiden Beigeladenen führt er gegen diese zwei Klageverfahren (Az.: S 7 R 795/17, S 141 R 1373/17), über die das Sozialgericht noch nicht entschieden hat.
Den Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 8. August 2017 abgelehnt, weil nach dem bisherigen Vortrag nicht ersichtlich sei, dass der Antragsteller überhaupt ein aufzahlungsfreies Hörgerätesystem getestet habe und die begehrte Kostenübernahme zu einer endgültigen Vorwegnahme der Hauptsache führe. Auch ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht, weil angesichts der übersandten Kontoauszüge eine ratenweise Abzahlung möglich erscheine.
Gegen diesen ihm am 14. August 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 25. August 2017, zu deren Begründung er vorträgt: Ein von ihm aus beruflichen Gründen benötigtes Gerät mit Funkübertragung werde zuzahlungsfrei nicht angeboten. Er sei aufgrund unterschiedlicher Kommunikationssituationen in seiner Tätigkeit auf ein besonderes Hörvermögen angewiesen. Sowohl bei Tragen eines Headset als auch bei der Begehung von Baustellen (wie
z.B. Gleisanlagen), auf denen Helmpflicht bestehe, könne sich ein kabelgebundenes System leicht verhaken und dazu führen, dass das Übertragungskabel herausgerissen werde. Während der anschließenden Instandsetzung seines Hörsystems könne er seinen beruflichen Pflichten kaum nachkommen und sei aufgrund des dann besonders eingeschränkten Hörvermögens zusätzlichen Gefahren auf der Baustelle ausgesetzt. Er verfüge über keinerlei Vermögen und sei seiner Tochter unterhaltspflichtig.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. August 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn bis zur Bestandskraft des Bescheids vom 28. September 2016 vorläufig mit dem Hörsystem Widex Cros2-312 Unique 440 Fusion S-Hörer zu versorgen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu 1) zur verpflichten, ihn bis zur Bestandskraft des Bescheids vom 28. September 2016 vorläufig mit dem Hörsystem Widex Cros2-312 Unique 440 Fusion S-Hörer zu versorgen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Die Stellungnahme der versorgenden Akustikerin zeige, dass eine Versorgung zum Festbetrag möglich sei. Ein konkretes Hörgerät könne sie jedoch nicht benennen, diese Entscheidung obliege dem jeweiligen Hörgeräteakustiker, der nach dem mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (BIHA) geschlossenen "Vertrag zur Komplettversorgung" dem Versicherten mindestens ein zum Festbetrag erhältliches Hörgerät zur Verfügung stellen müsse. Eine ärztliche Verordnung der Hörhilfe sei im vorliegenden Fall entbehrlich.
Die Beigeladenen teilen die Auffassung der Antragsgegnerin.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten im hiesigen Verfahren und den beiden o.g. Klageverfahren gegen die Beigeladenen sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin und beider Beigeladenen, die dem Senat vorgelegen haben, Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist gemäß §§ 172
Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Beigeladene zu 1), nicht aber die Antragsgegnerin ist vorläufig verpflichtet, den Antragsteller mit dem von ihm begehrten Hörgerät vorläufig zu versorgen.
1. Der Antragsteller hat für sein Begehren im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsanspruch mit der für das einstweilige Rechtsschutzverfahren erforderlichen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (
vgl. § 86b
Abs. 2 Sätze 2 und 4
SGG i.V.m. § 920
Abs. 2 Zivilprozessordnung).
a. Nach
§ 33 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch müssen die Leistungen nach § 33
SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (
§ 12 Abs. 1 SGB V).
Da mit den Hörgeräten der Ausgleich der Behinderung erfolgen soll, indem die beim Antragsteller eingeschränkte Hörfähigkeit künstlich verbessert wird, hat die Prüfung des Anspruchs anhand des § 33
Abs. 1 Satz 1, dritte Alternative
SGB V zu erfolgen. Im Vordergrund steht daher der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung
bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche ein Grundbedürfnis. Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist. Die Wirtschaftlichkeit eines dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (
vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 25. Juni 2009 -
B 3 KR 2/08 R - und vom 16. September 2004 -
B 3 KR 20/04 R -; Senat, Urteil vom 09. März 2011 -
L 9 KR 152/08 -; alle juris; Beschluss vom 13. Juli 2017 -
L 9 KR 60/17 B ER -, unveröffentlicht). Teil des von den Krankenkassen nach § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs ist es in diesem Sinne, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (
§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen (
BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 -
B 3 KR 5/12 R - juris). Dagegen stößt der krankenversicherungsrechtliche Anspruch an seine Grenze, wo es um ausschließlich berufliche und arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile geht (
BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 -
B 5 R 8/14 R -, juris).
b. Ein Anspruch auf Hilfsmittelversorgung mit der besonderen Zielsetzung des Ausgleichs behinderungsbedingter Nachteile gerade am Arbeitsplatz kann Versicherten nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zustehen. Die gesetzliche Rentenversicherung erbringt bei Vorliegen der persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 9
Abs. 2 Sozialgesetzbuch / Sechstes Buch -
SGB VI -) Leistungen zur Rehabilitation, um den Auswirkungen u.a. einer Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern (§ 9
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 und 2
SGB VI). Trotz der Verweisung in § 15 und § 16
SGB VI auf die Regelungen des Sozialgesetzbuchs / Neuntes Buch (
SGB IX) ist
§ 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX, wonach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch Hilfsmittel umfassen, es sei denn, dass solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können, nicht anwendbar. Denn Hilfsmittel können gemäß § 15
Abs. 1 Satz 1
SGB VI,
§ 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX auch im Bereich der medizinischen Rehabilitation durch die gesetzliche Rentenversicherung erbracht werden, eine Qualifizierung von Hörgeräten als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
i.S.v. § 33
Abs. 1,
Abs. 3
Nr. 1 und 6,
Abs. 8 Satz 1
Nr. 4
SGB IX i.V.m. §§ 9, 10, 11, 16
SGB VI scheidet aus (
BSG a.a.O.; Urteil vom 21. August 2008 -
B 13 R 33/07 R -, juris). Eine Leistungspflicht der beigeladenen Rentenversicherungsträger kommt hier in Betracht, weil der Antragsteller nach seinem Vorbringen insbesondere für seine berufliche Tätigkeit auf das streitgegenständliche Hörgerät angewiesen ist.
c. Mit einer stattgebenden Entscheidung kann eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden sein, sie ist dem einstweiligen Rechtsschutz quasi immanent (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 12.A., § 86b Rd. 31; Binder, in: Lüdtke/Berchtold, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 5.A. § 86b Rd. 45; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 23. A., § 123 Rd. 14; Krodel, NZS 02, 234). Im Bereich von Sachleistungen erfüllt der Sozialleistungsträger, wenn er vorläufig zur Versorgung mit einer Sachleistung verpflichtet wird, den geltend gemachten Anspruch für die Dauer der Vorläufigkeit, d.h. regelmäßig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, in vollem Umfang. Gleichwohl liegt hierin keine "echte", endgültige Befriedigung des geltend gemachten Anspruchs, weil dem Sozialleistungsträger eine Korrektur auch für die Vergangenheit möglich ist (
BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 -
1 BvR 120/09 -, juris): Bei einem Unterliegen im Hauptsacheverfahren kommt eine Erstattung der erbrachten Sachleistungen in Geld nach § 50
Abs. 2
i.V.m. § 50
Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (
SGB X) und / oder ein Schadensersatzanspruch nach § 86b
Abs. 2 Satz 4
SGG i.V.m. § 945
ZPO in Betracht (
BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 - B 1 KR 1/16 R -, juris; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 12.A., § 86b Rd. 31; jeweils
m.w.N.). Diese Ansprüche unterliegen zwar, gerade bei teuren Sachleistungen wie den hier streitgegenständlichen Hörgeräten, wegen u.U. nicht ausreichender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der durch die einstweilige Regelung Begünstigten einem Vollstreckungsrisiko. Zugleich verliert dieser Umstand aber an Bedeutung, wenn - wie im vorliegenden Fall der Antragsteller - der Begünstigte ein die Bezugsgröße nach § 18 Sozialgesetzbuch / Viertes Buch (
SGB IV) überschreitendes und daher überdurchschnittliches regelmäßiges Einkommen erzielt. Geboten ist daher eine differenzierte Sichtweise, die in den Blick nimmt, inwiefern im Einzelfall eine stattgebende Entscheidung im Eilverfahren die Hauptsache vorwegnimmt.
3. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Antragsteller ein Anspruch auf die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel zu.
a. Das streitgegenständliche Hörgerät ist unstreitig geeignet, um die erheblichen Einschränkungen des Hörvermögens des Antragstellers weitest möglich auszugleichen. Es ist auch erforderlich, weil - insbesondere angesichts des Verhaltens der Antragsgegnerin - nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller ein ebenso geeignetes Hörgerät mit BiCros-Versorgung zum Festbetrag oder zumindest preisgünstiger erhalten kann. Auch im hiesigen Fall hat die betroffene Krankenkasse durch die vom
BSG (Beschluss vom 28. September 2017 - B 3 KR 7/17 B -; Urteile vom 30. Oktober 2014 -
B 5 R 8/14 R - und vom 24. Januar 2013 -
B 3 KR 5/12 R -; alle juris) wiederholt als rechtswidrig gekennzeichnete Praxis, die Versorgung mit Hörgeräten weitgehend zu externalisieren, sich dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren fast vollständig entzogen, sodass sie sich nicht in der Lage sah, dem Senat eine für den Antragsteller geeignete Versorgung zum Festbetrag zu benennen. Es ist aber Aufgabe der Krankenkasse und des diese beratenden Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Fällen wie dem vorliegenden, eine oder auch mehrere andere Festbetragsgeräte zu benennen, mit denen Antragsteller gleich gut wie mit dem von ihnen gewählten System versorgt werden können. Verzichtet die Krankenkasse unter Verstoß gegen § 14 Sozialgesetzbuch / Erstes Buch (
SGB I) auf eine solche Benennung preiswerterer Geräte, ist sie in gerichtlichen Verfahren mit dem Einwand ausgeschlossen, die Zweckmäßigkeit des gewählten Geräts sei nicht erwiesen (Senat, Beschluss vom 13. Juli 2017 -
L 9 KR 60/17 B ER -, juris). Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die Antragsgegnerin durch den o.g. "Vertrag zur Komplettversorgung" ihr obliegende Pflichten nicht wirksam auf Leistungserbringer übertragen kann. Insbesondere ihrer aus § 14
SGB I resultierenden Pflicht, den Versicherten bei einem - wie hier - unübersichtlichen Markt den konkreten Weg zu gesetzlich möglichen Leistungen aufzuzeigen (
BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 -
B 3 KR 20/08 R -; Senat, Urteil vom 09. März 2011 -
L 9 KR 302/07 -;
vgl. auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteile vom 19. April 2016 -
L 13 R 5102/13 -, und vom 02. Dezember 2011 -
L 4 KR 5537/10 -; Senat, Beschluss vom 13. Juli 2017 -
L 9 KR 60/17 B ER -; jeweils juris), muss sie selbst nachkommen. Eine Übertragung dieser Kernaufgabe auf Dritte ist vor dem Hintergrund von
§ 197b Sätze 1 und 2 SGB V ausgeschlossen (Bloch, in: Eichenhofer/ Wenner,
SGB V, 2.A., § 197b Rd. 6; Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht / Peters, Stand: September 2017,
SGB V § 197b Rn. 4).
Ist demnach eine Versorgung des Antragstellers zum Festbetrag nach derzeitigem Sachstand nicht möglich, ist es bedeutungslos, dass er möglicherweise von vornherein auf das hier streitgegenständliche Hörgerät festgelegt war (
vgl. BSG, Beschluss vom 28. September 2017 - B 3 KR 7/17 B -, juris).
Unerheblich ist, dass der Antragsteller keine aktuelle vertragsärztliche Verordnung einer Hörhilfe vorgelegt hat. Gemäß § 33
Abs. 5a Satz 1
SGB V ist eine vertragsärztliche Verordnung für die Beantragung von Hilfsmitteln nur erforderlich, soweit eine erstmalige oder erneute ärztliche Diagnose oder Therapieentscheidung medizinisch geboten ist. § 27
Abs. 1 Satz 4 der vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen Hilfsmittel-Richtlinien wiederholt dies für die Folgeversorgung mit Hörhilfen. Eine der in Satz 5 dieser Vorschrift genannten Fallgruppen einer medizinisch gebotenen ärztlichen Diagnose oder Therapieentscheidung liegt nicht vor. Anhaltspunkte, dass die der ohrenärztlichen Verordnung aus dem Jahre 2014 zugrunde liegenden medizinischen Befunde nicht mehr gegeben sein könnten, sind nicht ersichtlich.
b. Angesichts dessen kann der Senat offen lassen, ob auch auf der Grundlage von §§ 9 bis 11, 15
Abs. 1 Satz 1
SGB VI i.V.m. § 26 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX ein Anordnungsanspruch zu bejahen ist. Hierfür spricht allerdings einiges. Der Antragsteller dürfte in den persönlichen Anwendungsbereich (§ 10
SGB VI) fallen, weil er hörbehindert ist und deshalb - wie von ihm und seiner Arbeitgeberin nachvollziehbar dargestellt - typische Anforderungen seiner Berufstätigkeit, insbesondere die Teilnahme an Telefon- und Webkonferenzen unter häufigem Einsatz sog. Over-Ear-Headsets, aber auch das räumliche Filtern und Einordnen von Geräuschen und Stimmen bei der Arbeit im Großraumbüro und auf Baustellen, ohne die notwendige Hörgeräteversorgung nicht (mehr) erfüllen kann; dabei ist auf die konkret ausgeübte Beschäftigung und nicht auf die generelle Erwerbsfähigkeit
i.S.v. § 43
Abs. 2 Satz 2
SGB VI abzustellen (
BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R -, juris).
4. Der Anspruch richtet sich (zumindest) im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aber nicht gegen die Antragsgegnerin, sondern gegen die Beigeladene zu 1) als zuständige zweitangegangene Rehabilitationsträgerin.
a. Ausgangspunkt ist der Antrag des Antragstellers an die Antragsgegnerin auf Versorgung mit einer Hörhilfe. Ob ein solcher
ggf. schon in der Übergabe der Hörhilfenverordnung an die Hörgeräteakustikerin zu sehen ist (
vgl. BSG, Urteile vom 30. Oktober 2014 - B 5 R 8/14 R - und vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R -; jeweils juris), bleibt mangels derzeit vorhandener Anhaltspunkte der Prüfung im Klageverfahren vorbehalten. Auf der Grundlage eines am 14. September 2016 bei ihr gestellten Antrags ist die Antragsgegnerin ihrer Pflicht nach § 14
Abs. 1 Sätze 1 und 2
SGB IX, einen Antrag auf Teilhabeleistungen innerhalb von zwei Wochen hinsichtlich ihrer Zuständigkeit zu prüfen und
ggf. spätestens am ersten Werktag danach an den aus ihrer Sicht zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten, nachgekommen. Ausreichend für die Einhaltung dieser Frist ist die Absendung durch den erstangegangenen, nicht aber der Zugang beim zweitangegangenen Rehabilitationsträger (
BSG, Urteil vom 03. November 2011 -
B 3 KR 8/11 R -, juris). Nach derzeitigem Sachstand ist prima facie davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin - entsprechend ihrem Vorbringen - den o.g. Antrag am 28. September 2016 an die Beigeladene zu 1) abgesandt hat.
b. Die von der Beigeladenen zu 1) veranlasste erneute Weiterleitung des Antrags an die Beigeladene zu 2) war rechtswidrig. Eine solche zweite Weiterleitung ist von § 14
SGB IX nicht vorgesehen (Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen,
BT-Drs. 15/1783,
S. 13;
BSG, Urteile vom 08. März 2016 - B 1 KR 27/15 R - und vom 25. Juni 2008 - B 11b AS 19/07 R -; jeweils juris; Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. A., § 14 Rd. 90; Götze in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, Stand 12/12, § 14
SGB IX, Rd. 15). Daher sind entsprechende Regelungen in der von den Rehabilitationsträgern beschlossenen "Gemeinsamen Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung" (in der Fassung vom 28. September 2010) wegen Verstoßes gegen diese Vorschrift ebenso unbeachtlich wie der Umstand, dass die Beigeladene zu 2) über den Antrag entschieden hat. Die Beigeladene zu 1) hätte, wenn sie sich als zweitangegangene Rehabilitationsträgerin für unzuständig hielt, vielmehr den durch § 14
Abs. 2 Satz 5
SGB IX eröffneten Weg wählen müssen. Danach klärt der Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, wenn er für die beantragte Leistung nicht Rehabilitationsträger nach § 6
Abs. 1
SGB IX sein kann, unverzüglich mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger, von wem und in welcher Weise über den Antrag innerhalb der Fristen nach den Sätzen 2 und 4 entschieden wird und unterrichtet hierüber den Antragsteller.
c. Im Falle einer rechtzeitigen Weiterleitung hat der zweitangegangene Rehabilitationsträger den Antrag auf Teilhabeleistungen im Außenverhältnis zum behinderten Menschen unter allen rehabilitationsrechtlichen Gesichtspunkten, d.h. losgelöst von seiner Zuständigkeit nach § 6
Abs. 1
SGB IX, zu prüfen (
BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 19/06 R -, juris; Götze, a.a.O., Rd. 14; Luik, a.a.O., Rd. 91
m.w.N.). Als zweitangegangene Rehabilitationsträgerin ist die Beigeladene zu 1) daher vorläufig für die volle Kostenübernahme bezüglich des vom Antragsteller gewählten Hörgeräts auch dann zuständig, wenn sich dessen Anspruch allein aus § 33
SGB V herleiten ließe.
d. Eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin nach § 43
SGB I ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Denn diese Vorschrift ist im Anwendungsbereich von § 14
SGB IX als lex specialis in der Regel ausgeschlossen (
BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 7/10 R -, juris; Luik, a.a.O., Rd. 24f,
m.w.N.; zweifelnd
BSG, Urteil vom 10. Juli 2014 - B 10 SF 1/14 R -, juris).
e. Einer vorläufigen Verpflichtung der Beigeladenen zu 1) steht nicht entgegen, dass der Antragsteller dies nicht ausdrücklich beantragt hat. Denn das Gericht hat wegen § 123
SGG ("Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.") den ihm unterbreiteten Lebenssachverhalt unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (
BSG, Urteil vom 12. November 2003 - B 3 KR 39/02 R -, juris). Eine sachgerechte Auslegung des Vorbringens des Antragstellers ergibt, dass er im Rahmen des Eilrechtsschutzes primär daran interessiert ist, durch irgendeine der involvierten Rehabilitationsträgerinnen mit dem streitgegenständlichen Hörgerät versorgt zu werden.
5. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er ist aufgrund seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht in der Lage, die noch offenen, d.h. nicht durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. September 2016 abgedeckten Kosten für das streitgegenständliche Hörgerät i.H.v. 2.896,01 Euro zu tragen. Nach seinen glaubhaften Angaben verfügte er zuletzt über keine weiteren positiven Vermögenswerte als einen Betrag von
ca. 750.- Euro auf seinem Girokonto. Aus seinem monatlichen Arbeitsentgelt von zuletzt
ca. 2.560.- Euro netto sowie Kindergeld (192.- Euro) muss der Antragsteller neben den Kosten seiner Mietwohnung (
rd. 1.100.- Euro), dem Unterhalt für seine Tochter (400.- Euro) und Darlehenstilgungen (
rd. 500.- Euro) auch seinen (sonstigen) Lebensunterhalt bestreiten. Der pauschale Hinweis des Sozialgerichts, "angesichts der übersandten Kontoauszüge erschein[e] eine ratenweise Abzahlung durchaus möglich" - rechtliches Gehör hat das Sozialgericht zu diesem Einwand nicht gewährt -, lässt unberücksichtigt, dass die Beurteilung des Anordnungsgrundes aus verfassungsrechtlichen Überlegungen heraus (
BVerfG, Beschluss vom 01. August 2017 - 1 BvR 1910/12 -, juris,
m.w.N.) nicht schematisch erfolgen darf und im vorliegenden Fall hierfür im Einzelnen zu klären wäre, ob dem Antragsteller dies finanziell zumutbar und die o.g. Hörgeräteakustikerin grundsätzlich, aber auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zu einer Ratenzahlungsvereinbarung bereit wäre.
6. Die vorläufige Verpflichtung der Beigeladenen zu 1) ist auf die Versorgung des Antragstellers mit dem streitgegenständlichen Hörgerät als Sachleistung gerichtet. Denn bei Hilfsmitteln handelt es sich allgemein, d.h. unabhängig vom jeweils zuständigen Rehabilitationsträger, um Sachleistungen (Oppermann, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, Stand: 03/12, § 31
SGB IX, Rd. 4; Nellissen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 2. A., § 31, Rd. 71). Soweit die Beigeladene zu 1) die Versorgung des Antragstellers in der Weise durchführt, dass sie den Kaufpreis an die o.g. Hörgerätakustikerin zahlt, ist der von Antragsgegnerin bewilligte Betrag von 1.017,01 Euro anzurechnen.
Der Antragsteller kann allerdings auch beantragen, dass die Leistung als Geldleistung - an ihn - erbracht wird (§ 9
Abs. 2 Satz 1
SGB IX).
7. Im Hauptsacheverfahren wird das Sozialgericht zum einen sicherstellen müssen, dass aufgrund der Anhängigkeit des streitgegenständlichen Anspruchs in verschiedenen Kammern Urteile mit divergierenden Ergebnissen verhindert werden (
vgl. Luik, a.a.O., Rd. 49), sei es, indem die drei Klageverfahren verbunden werden, sei es, dass nach Beiladung der beiden weiteren involvierten Rehabilitationsträgerinnen eines der Klageverfahren durchgeführt wird und die anderen beiden zum Ruhen gebracht werden. Zum anderen dürfte, sollte ein Antrag bei der Antragsgegnerin vor dem 14. September 2016 nicht festzustellen sein, deren Behauptung, sie habe den Antrag auf Teilhabeleistungen am 28. September 2016 an die Beigeladene zu 1) abgesandt, näher zu prüfen sein; denn diese Behauptung könnte angesichts der üblichen Postlaufzeiten von nur wenigen Tagen und angesichts eines Eingangs bei der Beigeladenen zu 1) erst am 11. Oktober 2016 gewissen Zweifeln unterliegen. Des Weiteren hätte die Antragsgegnerin, da eine endgültige Versorgung des Antragstellers nach dem unter 1.c. Gesagten noch aussteht, Gelegenheit zum Nachweis, dass eine für den Antragsteller geeignete BiCros-Versorgung zum Festbetrag oder preisgünstiger möglich ist. Schließlich könnte, sofern sich die vom Antragsteller gewählte Versorgung ausschließlich wegen beruflicher Umstände als erforderlich erweist, eine Kostenteilung zwischen den Beigeladenen in Erwägung zu ziehen sein (
BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R -, juris).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG analog und folgt dem Ergebnis in der Sache.
Diese Entscheidung kann
gem. § 177
SGG nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden.