Urteil
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - Erstattung selbstbeschaffter Leistung

Gericht:

LSG Hamburg 3. Senat


Aktenzeichen:

L 3 R 24/17


Urteil vom:

29.05.2018


Grundlage:

Tenor:

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

In Streit steht die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die am xxxxx 1983 geborene Klägerin nahm nach dem Abitur zunächst ein Lehramtsstudium auf, das unbeendet blieb, und erwarb im Oktober 2009 einen Bachelor of Arts im Studiengang "Modern China". Sie war in der Folgezeit bei verschiedenen Arbeitgebern als kaufmännische Angestellte tätig. Daneben absolvierte sie erfolgreich den Fernlehrgang "Außenwirtschaft und Exportmanagement mit I.-Zertifikat". Das letzte Arbeitsverhältnis endete zum 14. Oktober 2013. Bereits ab dem 16. September 2013 war die Klägerin auf Dauer arbeitsunfähig erkrankt. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung N. sah ihre Erwerbsfähigkeit als erheblich gefährdet an und empfahl medizinische Leistungen zur Rehabilitation (Stellungnahme vom 9. Oktober 2014). Zum Wintersemester 2014/2015 nahm die Klägerin ein Studium der Psychologie an der F. H1 auf, an der sie seitdem ununterbrochen ohne Beurlaubung immatrikuliert ist. Sie war zunächst als Vollzeitstudentin eingeschrieben. Die Beklagte, der die Studienaufnahme seinerzeit nicht bekannt war, gewährte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Klägerin wurde im März und April 2015 fünf Wochen lang stationär im S.-Klinikum in B., Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie, behandelt. Der Entlassungsbericht vom 6. Mai 2015 nennt unter anderem die Diagnose "hyperkinetische Störungen: einfache Aktivität- und Aufmerksamkeitsstörung". Die letzte Tätigkeit als Einkäuferin könne die Klägerin nur unter drei Stunden täglich ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein Leistungsvermögen für mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit klar umrissenem Aufgabengebiet im Stehen, Gehen oder Sitzen im Umfang von sechs Stunden und mehr mit qualitativen Einschränkungen. Die Klägerin wurde unter Hinweis auf ihre noch unzureichende Stabilisierung arbeitsunfähig entlassen. Die Weiterführung der ambulanten Psychotherapie und gegebenenfalls die Durchführung einer weiteren teilstationären oder stationären psychiatrisch/psychotherapeutischen Behandlung wurden dringend empfohlen. Für die Zeit nach der Stabilisierung wurde eine berufliche Rehabilitationsleistung angeregt.

Spätestens am 9. Juli 2015 beantragte die Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Beklagten und äußerte den Wunsch, eine Ausbildung zur Heilpraktikerin zu absolvieren. Um insbesondere die Belastbarkeit beurteilen zu können, nahm sie vom 9. bis zum 27. November 2015 an einer Berufsfindungsmaßnahme beim Berufsförderungswerk H. teil. Dort äußerte sie Interesse an einem Studium der sozialen Arbeit oder der Sozialpädagogik. Der Maßnahmeträger diagnostizierte bei der Klägerin eine psychische Minderbelastbarkeit auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung mit in Triggersituationen starkem Ohnmachtserleben und Einschränkungen im Denken; ein Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom, unter medikamentöser Behandlung; auf dem Boden eines Verdachts auf emotional instabile Persönlichkeitsstörung sowie medikamentös behandelter Bluthochdruck. Er gelangte zur Einschätzung, die Klägerin könne nach einer Phase der Stabilisierung eine Ausbildung auf hohem Niveau realisieren. Derzeit bestehe jedoch noch keine ausreichende psychische Belastbarkeit für eine berufliche Integration. Zudem sei ihre Motivation derzeit klar auf eine Tätigkeit im sozialen Bereich ausgerichtet. Auch von Seiten des Berufsförderungswerks wurde vorgeschlagen, der Klägerin eine weitere stationäre psychosomatische Behandlung zu gewähren und die psychotherapeutische Behandlung zu intensivieren (Gutachten zur beruflichen Integration vom 8. Dezember 2015). Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten gelangte nach Aktenlage zu dem Schluss, die Klägerin sei über sechs Stunden leistungsfähig für körperlich mittelschwere Arbeiten in einem möglichst überschaubaren Arbeitsbereich bei lediglich qualitativen Einschränkungen, unter anderem dem Ausschluss von Tätigkeiten mit einer besonderen Nähe zu sozialen Bereichen. Er empfahl ebenfalls eine weitere stationäre psychosomatische Behandlung (Gutachten vom 30. Dezember 2015). Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Klägerin teilte mit, eine erneute stationäre Behandlung nicht in Anspruch nehmen zu wollen. Sie halte sich für ausbildungsfähig und bevorzuge eine berufsfördernde Leistung. Sie legte eine Stellungnahme ihrer seinerzeit behandelnden Psychotherapeutin, Dipl.-Psych. G. vor, die die sofortige Aufnahme einer berufsfördernder Maßnahme unter psychotherapeutischer Begleitung befürwortete.

Nach weiterer Korrespondenz mit der Beklagten informierte die Klägerin mit Schreiben vom 5. März 2016 über ihr Studium an der F. H1 und äußerte den Wunsch, dieses in ein Präsenzstudium im Bachelorstudiengang Psychologie an der M. School H. umzuwandeln. Dort würden Studiengebühren in Höhe von 695 Euro pro Monat anfallen. Daraufhin widerrief die Beklagte die Bewilligung von medizinischen Rehabilitationsleistungen. Zudem lehnte sie mit Bescheid vom 21. März 2016 die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Sie blieb bei ihrer Einschätzung, dass die begehrte Leistung derzeit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfolgreich durchgeführt werden könne. Vorrangig sei die psychotherapeutische Behandlung weiterzuführen bzw. die angebotene stationäre Behandlung durchzuführen. Das angestrebte Studium sei im Übrigen nicht förderfähig, weil es die maximal mögliche Förderzeit von zwei Jahren überschreite. Zudem erscheine die von der Klägerin angestrebte Tätigkeit als Psychotherapeutin langfristig nicht leidensgerecht.

Mit ihrem Widerspruch wandte die Klägerin sich weiterhin gegen die aus ihrer Sicht unzutreffenden Einschätzungen des Berufsförderungswerks sowie des sozialmedizinischen Diensts der Beklagten. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Gewährung der beantragten Leistung zur Teilhabe am Arbeitslebens setze gemäß § 10 Abs. 1 Nummer 2 SGB VI voraus, dass durch diese eine Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werden könne oder, bei bereits geminderter Erwerbsfähigkeit, diese wesentlich gebessert, wiederhergestellt oder eine wesentliche Verschlechterung abgewendet werden könne. Aus dem Abschlussbericht des Berufsförderungswerks H. und der anschließenden Auswertung ergebe sich indes, dass die Klägerin derzeit nicht ausreichend belastbar für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei. Deswegen sei ihr auch eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation bewilligt worden, nach deren Abschluss das weitere Vorgehen bezüglich der beruflichen Leistungen zur Rehabilitation hätte geplant werden können. Abgesehen davon würden Studiengänge grundsätzlich nicht gefördert.

Mit ihrer am 19. September 2016 erhobenen Klage hat die Klägerin auch die Erstattung der Kosten begehrt, die ihr seit dem 5. März 2016 durch ihr Fernstudium entstanden sind und fortlaufend entstehen. Sie hat Kosten in Höhe von 371 Euro pro Semester zuzüglich der zunächst unbezifferten Kosten für Studienmaterial geltend gemacht. Sie hat vorgebracht, das Fernstudium zunächst nur "zur Probe" aufgenommen zu haben. Die Beklagte hat an ihrer Entscheidung festgehalten. Das Sozialgericht Hamburg hat den Verwaltungsvorgang der Beklagten beigezogen und am 1. März 2017 einen Erörterungstermin durchgeführt. Die Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg verspreche und mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gerechnet werden müsse.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 2. März 2017 abgewiesen. Dabei ist es davon ausgegangen, die Klägerin begehre allein die Förderung eines Präsenzstudiums der Psychologie an der M. School H ... Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Das Sozialgericht ist der Begründung der Beklagten gefolgt und hat hervorgehoben, angesichts der vorliegenden medizinischen Unterlagen sei es nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte jedenfalls derzeit die erforderliche Eignung der Klägerin für die begehrte Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben verneine. Die Ergebnisse der Berufsfindungsmaßnahme würden zudem deutlich darauf hinweisen, dass der Klägerin die Eignung auch für eine langfristige Tätigkeit im angestrebten Beruf der Psychotherapeuten fehle. Die Beklagte habe erkennbar Ermessen ausgeübt, das das Gericht nicht durch eigene Erwägungen übergeben dürfe. Keinesfalls bestehe eine Situation einer Ermessensreduzierung "auf null". Schließlich würde die erstrebte Ausbildung mit einer Mindeststudienzeit von sechs Semestern bei Vollzeitstudium und von mindestens zwölf Semestern bei Teilzeitstudium die Höchstförderungsdauer von zwei Jahren nach § 37 Abs. 2 SGB IX überschreiten. Bei dieser Sachlage sei es auch nicht geboten, weitere medizinische Ermittlungen anzustrengen.

Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 4. März 2017 zugestellt worden. Mit ihrer am 15. März 2017 erhobenen Berufung vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen und betont, sie sei sehr wohl für ein Psychologiestudium geeignet, wie sie inzwischen unter Beweis gestellt habe. Nachdem die Beklagte sich den kooperativen Bemühungen um ihre berufliche Integration letztlich verweigert habe, habe sie, die Klägerin, an dem bereits aufgenommenen Fernstudium festgehalten, weil es für sie passend sei und weil eine anderweitige berufliche Förderung inzwischen aus Zeit- und Kostengründen ineffizient sei. Es sei unangemessen, wenn ihr nunmehr eine Kostenübernahme allein mit dem Argument verweigert werde, das Ermessen sei nicht "auf null" reduziert.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Mit Beschluss vom 16. Mai 2017 hat der seinerzeit zuständige Senat den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist ebenfalls erfolglos geblieben (SG Hamburg, Beschl. v. 3. Juli 2017, S 20 R 478/17 ER; LSG Hamburg, Beschl. v. 21. August 2017, L 2 R 81/17 B ER). Seit dem Wintersemester 2017/2018 ist die Klägerin als Teilzeitstudentin immatrikuliert. Mit Beschluss vom 10. November 2017 ist die Berufung der Berichterstatterin übertragen worden. Die mündliche Verhandlung hat am 29. Mai 2018 stattgefunden. Im Termin hat die Klägerin klargestellt, weiterhin sowohl eine Kostenerstattung für das Fernstudium als auch die Förderung eines Präsenzstudiums zu begehren. Die bislang aufgelaufenen Materialkosten für das Fernstudium hat sie auf mindestens 300 Euro geschätzt. Als Förderleistung komme für sie inzwischen nur noch die Förderung eines Präsenzstudiums an der Universität H. in Betracht.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 2. März 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 21. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

1. rückwirkend ab dem 5. März 2016 die Kosten ihres Studiums der Psychologie an der F. H1 in Höhe von 371,00 Euro pro Semester Belegungsgebühr zuzüglich mindestens 300,00 Euro insgesamt für Studienmaterialien zu erstatten und sie von den zukünftigen Kosten dieses Studiums freizustellen;

2. ihr Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer schnellstmöglichen Förderung eines Präsenzstudiums der Psychologie an der Universität H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren S 20 R 478/17 ER = L 2 R 81/17 B ER sowie der beigezogenen Unterlagen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Rechtsweg:

SG Hamburg, Urteil vom 02.03.2017 - S 9 R 1011/16

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist unbegründet.

1. Der Senat kann über den bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch der Klägerin (Klageantrag zu 1.) entscheiden, obwohl das Sozialgericht hierüber nicht entschieden hat. Ein derartiges "Heraufholen von Prozessresten" ist zulässig (Keller in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 140 Rn. 2a mwN, auch zur Gegenauffassung). Die Klägerin kann indes nicht verlangen, dass die Beklagte ihr die durch das Psychologiestudium an der F. H1 seit dem 15. März 2016 entstandenen Kosten erstattet sowie sie von zukünftigen Kosten freistellt.

a. Das Rentenversicherungsrecht enthält keine Vorschrift über die Erstattung selbstbeschaffter Teilhabeleistungen. Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs kommen einzig § 18 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung - (SGB IX) und § 18 Abs. 6 Satz 1 SGB IX in Betracht. Dabei lässt der Senat offen, ob diese Vorschriften im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung unmittelbar anzuwenden wären. Dagegen spricht, dass § 16 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) hinsichtlich Art und Umfang der zu gewährenden Leistungen auf die §§ 49 bis 54 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung - (SGB IX) verweist, aber gerade nicht auf § 18 SGB IX, in dessen Abs. 4 Satz 1 sowie Abs. 6 Satz 1 nunmehr rehabilitationsrechtliche Erstattungsansprüche nach Selbstbeschaffung geregelt sind (so BSG, Urt. v. 26. Juni 2007, B 1 KR 36/06 R, juris-Rn. 17 f., bezogen auf die Vorgängerregelung in § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung und bezogen auf das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung). Wollte man dem folgen, wäre die dann vorliegende Regelungslücke aber sachgerecht durch entsprechende Heranziehung des § 13 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - gesetzliche Krankenversicherung - zu schließen, der inzwischen auf § 18 SGB IX verweist, der damit ebenfalls entsprechend anzuwenden wäre (BSG, Urt. v. 21. Aug. 2008, B 13 R 33/07, juris-Rn. 22)

b. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten des selbst aufgenommenen Psychologiestudiums an der F. H1 aus oder entsprechend § 18 Abs. Satz 1 SGB IX besteht indes nicht, ebenso wenig aus oder entsprechend § 18 Abs. 6 Satz 1 SGB IX. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind in keiner Variante erfüllt.

aa. § 18 Abs. 4 Satz 1 SGB IX verpflichtet den Rehabilitationsträger zur Erstattung der Aufwendungen für selbstbeschaffte Leistungen in Konstellationen, in denen die begehrte Leistung als genehmigt gilt. Als genehmigt gelten Leistungen, über die der leistende Rehabilitationsträger nicht innerhalb von zwei Monaten ab Antragseingang bei ihm entschieden hat (§ 18 Abs. 3 Satz 1 iVm Abs. 1 SGB IX). Die Beklagte entschied mit dem angegriffenen Bescheid vom 21. März 2016 aber fristgemäß über den geltend gemachten Primärleistungsanspruch, nämlich innerhalb von weniger als drei Wochen. Ihr gegenüber hatte die Klägerin erstmals mit Schreiben vom 5. März 2016 konkretisiert, mit dem Antrag auf Teilhabeleistungen die Förderung eines Psychologiestudiums zu begehren, was sich zudem noch nicht auf das Studium an der F. H1 bezog, sondern auf ein Präsenzstudium an der M. School H ...

bb. Ebenso wenig sind die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs aus oder entsprechend § 18 Abs. 6 Satz 1 SGB IX erfüllt. Diese Vorschrift verpflichtet den Rehabilitationsträger zur Erstattung der Kosten notwendiger selbstbeschaffter Leistungen, wenn er eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.

(1) Die von der Klägerin begehrte Studienförderung war keine unaufschiebbare Leistung. Da die Erstattungsvorschrift sich unter Verwendung im Wesentlichen gleicher Begriffe an § 13 Abs. 3 SGB V anlehnt, sind die hierfür entwickelten Grundsätze über die Voraussetzungen der Erstattungspflicht übertragbar (so bereits LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 19. März 2009, L 10 R 2684/07, juris-Rn. 23 mwN). Unaufschiebbarkeit ist gegeben, wenn die Leistung, ohne die Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs, erbracht werden muss (Noftz in: Hauck/ders., SGB V, Stand: 11/16, § 13 Rn. 49 mwN). Ein Notfall oder eine andere dringliche Bedarfslage lag hinsichtlich der Studienaufnahme der Klägerin ersichtlich nicht vor. Es war ihr vielmehr zumutbar, vor Studienaufnahme die begehrte Förderung zunächst zu beantragen und die Entscheidung der Beklagten abzuwarten, zumal die Klägerin bereits über eine abgeschlossene Ausbildung verfügte und in der Vergangenheit unterschiedliche Ausbildungsziele angegeben hatte (Ausbildung zur Heilpraktikerin; Studium der sozialen Arbeit; Studium der Sozialpädagogik).

(2) Ebenso wenig kann die Klägerin sich auf eine zu Unrecht abgelehnte Leistung berufen.

(a) Dem steht schon entgegen, dass die Klägerin ihr Studium an der F. H1 lange vor Erlass des Bescheids vom 21. März 2016 aufnahm und damit die Belegungsgebühren und sonstigen Kosten anfallen ließ, bevor die Beklagte den Leistungsantrag ablehnte.

(aa) Aus dem Schutzzweck des Sachleistungsgrundsatzes folgt, dass eine Erstattung selbst beschaffter Leistung einen kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Ablehnung des Leistungsträgers und der Leistungsbeschaffung voraussetzt (Noftz in: Hauck/ ders., SGB V, Stand: 11/16, § 13 Rn. 54 mwN). Denn dem Leistungsträger muss für die anzustellenden Ermittlungen und Erwägungen eine angemessene Zeitspanne eingeräumt werden, während der eine Beeinflussung durch vom Versicherten selbst unternommene Schritte hinsichtlich einer von ihm selbst ohne Absprache mit dem Leistungsträger gewählten und organisierten Rehabilitationsmaßnahme - etwa durch Absolvierung eines wesentlichen Teils einer Ausbildung - unterbleibt (BSG, Urt. v. 24. Febr. 2000, B 2 U 12/99 R, juris-Rn. 19, auch zum Folgenden). Anderenfalls besteht die erhebliche Gefahr, dass der Versicherte anderweitigen, besser geeigneten Rehabilitationsvorschlägen nicht mehr mit der erforderlichen Offenheit gegenübersteht, weil er sich durch den Antritt der selbstorganisierten Maßnahme innerlich bereits fest daran gebunden hat und nicht mehr geneigt ist, sich mit einem anderen Berufsfeld auseinanderzusetzen und sich dort im Bewusstsein, Geld und Mühe für die begonnene selbstgewählte Ausbildung umsonst aufgewandt zu haben, neu einzuarbeiten. Es wird daher im Regelfall vom Versicherten erwartet, sich rechtzeitig an den zuständigen Rehabilitationsträger zu wenden.

(bb) Das tat die Klägerin nicht. Sie nahm das Fernstudium unstreitig aus eigenem Antrieb auf. Bei Studienbeginn zum 1. Oktober 2014 hatte sie noch keinerlei Teilhabeleistungen bei der Beklagten beantragt. Die Klägerin informierte die Beklagte selbst anlässlich ihres Antrags auf Teilhabeleistungen vom 9. Juli 2015 nicht darüber, eingeschrieben zu sein und im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein Fernstudium zu betreiben. Als sie mit Schreiben vom 5. März 2016 den Wunsch nach Förderung eines Psychologiestudiums äußerte, befand sie sich bereits am Ende ihres dritten Fachsemesters. Zudem bezog sich die damit erstmals konkret beantragte Förderung eines Psychologiestudiums noch auf ein Präsenzstudium an der M. School H ... Die Förderung ihres Fernstudiums hat die Klägerin letztlich zu keinem Zeitpunkt (als Naturalleistung) beantragt, sondern insoweit direkt einen Kostenerstattungsanspruch geltend gemacht. Dabei zeigte sich gerade, dass sie bereits auf ein Berufsfeld fixiert war (nämlich das der sozialen und heilenden Berufe), obgleich eine derartige frühzeitige Festlegung der Versicherten im Bereich der beruflichen Rehabilitation wie ausgeführt vermieden werden soll.

(cc) Für die Klägerin folgt nichts Günstigeres daraus, dass sie ihren Kostenerstattungsanspruch auf die Studienkosten beschränkt hat, die seit dem 5. März 2016 aufgelaufen sind. Auch insoweit fehlt es am erforderlichen Kausalzusammenhang. Das gilt selbst, soweit man nur auf die Kosten abstellen wollte, die seit Erlass des ablehnenden Bescheids vom 21. März 2016 entstanden sind. Zwar wird bei laufenden oder sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Leistungen, wozu der Senat hier die Aufwendungen für das Fernstudium zählt, die ablehnende Entscheidung des Trägers als Zäsur angesehen, mit der Folge, dass für spätere Leistungen der erforderliche Kausalzusammenhang bejaht wird, soweit die Verwaltungsentscheidung noch geeignet war, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen (BSG, Urt. v. 3. Aug. 2006, B 3 KR 24/05, juris-Rn. 22 mwN; Urt. v. 19. Juni 2001, B 1 KR 23/00 R, juris-Rn. 14 mwN). Davon hat der Senat sich indes nicht überzeugen können. Es kann nicht angenommen werden, dass die fehlende Förderzusage der Beklagten noch geeignet war, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen. Es mag sein, dass die Klägerin zunächst ausprobieren wollte, ob ihr der Fachbereich Psychologie liege und sie den Anforderungen gewachsen sei. Der Senat entnimmt ihrem Gesamtvorbringen aber, dass sie zur Weiterführung und erfolgreichen Beendigung ihres Psychologiestudiums fest entschlossen war, als sie mit Schreiben vom 5. März 2016 ihren Förderantrag erstmals dahin konkretisierte. Sie befand sich wie erwähnt seinerzeit bereits am Ende des dritten Semesters; sie hatte sich trotz der von ihr in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschilderten Anfangsschwierigkeiten und der zu Beginn des zweiten Semesters absolvierten mehrwöchigen stationären Behandlung zu keinen Zeitpunkt beurlauben lassen und sie machte gegenüber der Beklagten überaus deutlich, ihre Wahl nunmehr getroffen und nur noch an einer nachträglichen Kostenerstattung des Fernstudiums sowie dessen Umwandlung in ein Präsenzstudium interessiert zu sein.

(b) Ein Kostenerstattungsanspruch wegen zu Unrecht abgelehnter Leistungen scheitert zudem daran, dass die Beklagte die Förderung eines Psychologiestudiums nicht zu Unrecht ablehnte.

(aa) "Zu Unrecht" abgelehnt ist eine Leistung, wenn darauf ein konkreter Rechtsanspruch bestand (Noftz in: Hauck/ ders., SGB V, Stand: 11/16, § 13 Rn. 53). Da der Kostenfreistellungsanspruch nicht weiter reicht als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch, setzt er das Bestehen eines Primärleistungs(Naturalleistungs-)anspruchs des Versicherten und dessen rechtswidrige Nichterfüllung voraus (BSG, Urt. v. 7. Mai 2013, B 1 KR 44/12 R, juris-Rn. 10 f. mwN, bezogen auf § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V).

(bb) Die Klägerin hatte indes, als sie ihr Fernstudium aufnahm, keinen Anspruch auf Förderung eines Psychologiestudiums gegenüber der Beklagten, noch kann sie die gewünschte Studienförderung seitdem beanspruchen. Dabei kommt es rechtlich nicht darauf an, ob die Klägerin persönlich für ein Psychologiestudium geeignet war oder ob sie dies heute ist. Der Senat konnte daher auch von weiteren medizinischen Ermittlungen absehen. Denn der erforderliche Primärleistungsanspruch würde selbst dann fehlen, wenn man sich dem Vorbringen der Klägerin anschließen wollte, sie sei trotz ihrer Erkrankungen jedenfalls seit dem 5. März 2016 in der Lage, das Studium erfolgreich zu durchlaufen und anschließend den Beruf der Psychologin oder - nach entsprechender Weiterbildung - denjenigen der psychologischen Psychotherapeutin zu ergreifen. Nach den gesetzlichen Vorgaben obliegt es allein der Beklagten, die Rehabilitationsleistung nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Die Neigung der Klägerin ist angemessen zu berücksichtigen (§ 16 SGB VI iVm § 49 Abs. 4 Satz 1 SGB IX), ohne dass dadurch das Bestimmungsrecht der Beklagten aufgehoben wäre. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Förderung eines Psychologiestudiums käme nur in Betracht, wenn zusätzlich zum Vorliegen der persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, an denen das Sozialgericht in Übereinstimmung mit der Beklagten beachtliche Zweifel geäußert hat, eine "Ermessensreduzierung auf null" gegeben wäre. Erforderlich hierfür ist, dass das Ermessen nur in einem bestimmten Sinne ausgeübt werden kann und jede andere Entscheidung fehlerhaft wäre (siehe hierzu nur Keller in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rn. 29). Das vermag der Senat ebenso wie das Sozialgericht nicht zu erkennen. Der Berufswunsch der Antragstellerin ist nachvollziehbar, aber selbst im Lichte der durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz geschützten Berufs(wahl-)freiheit nicht das allein entscheidende Kriterium für die Auswahl der Teilhabeleistung. So hat die Antragsgegnerin im Wege der anzustellenden Einzelfallprüfung nach § 16 SGB VI iVm § 49 Abs. 4 Satz 1 SGB IX auch die Eignung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen zu berücksichtigen. Angesichts der Fülle an Weiterbildungs- und Ausbildungswegen, die gerade mit den umfassenden Vorkenntnisse, dem abgeschlossenen Studium, der beruflichen Qualifikation und der Berufserfahrung der Klägerin denkbar sind, gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass jede andere Auswahlentscheidung als die Förderung eines Psychologiestudiums sich zwingend als ermessenfehlerhaft und damit rechtswidrig darstellen würde.

(3) Da der Klägerin demnach bereits dem Grunde nach keine Kostenerstattung von der Beklagten beanspruchen kann, lässt der Senat dahin stehen, ob sie die geltend gemachten Kosten ausreichend dargelegt hat und hat insoweit auch von weiteren Ermittlungen abgesehen.

2. Dass die Klägerin von der Beklagten (Natural-)Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Förderung eines Präsenzstudiums der Psychologie an der Universität H. begehrt (Klageantrag zu 2.) und nicht länger an der M. School H., ist gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG nicht als Klageänderung anzusehen. Mit dieser Änderung ihres konkreten Leistungsbegehrens trägt die Klägerin lediglich dem nach Klagerhebung eingetretenen Umstand Rechnung, dass sie, wie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, ein Studium an der privaten Hochschule nicht finanzieren könne. Für die eingetretene Verschlechterung ihrer finanziellen Verhältnisse spricht zudem, dass sie das Fernstudium inzwischen nur noch als Teilzeitstudium betreibt. Die Klägerin kann indes die Förderung eines Präsenzstudiums an der Universität H. nicht von der Beklagten beanspruchen.

a. Ein derartiger Anspruch könnte sich allein aus §§ 9 ff., 16 SGB VI iVm § 49 Abs. 1 SGB IX ergeben. Danach hat der Rehabilitationsträger bei Vorliegen der persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen die zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Leistungen zu erbringen, um die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen. Bei der Auswahl der Leistung (Auswahlermessen) steht ihm ein uneingeschränkter Ermessensspielraum zu (Luik in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 49 Rn. 112 mwN). Das Begehren der Klägerin, das sich auf die Förderung des konkret benannten Studiengangs beschränkt, ist daher nur begründet, wenn das der Beklagten zugestandene Ermessen "auf null" reduziert wäre. Jede andere Auswahlentscheidung der Beklagten als die Förderung eines Psychologiestudiums - nunmehr an der Universität H. - müsste sich als ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig darstellen.

b. Wie im Zusammenhang mit dem Fernstudium der Klägerin dargelegt, ist das nicht der Fall. Dass es sich bei der begehrten Naturalleistung um die Förderung eines Präsensstudiums handelt, gibt schon deswegen zu keiner anderen Beurteilung Anlass, weil dieses unter keinem Gesichtspunkt förderungswürdiger erscheint als ein Fernstudium. Hinzu tritt, dass die Kläger, wie sie in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, sich bereits zum Wintersemester 2017/2018 erfolglos um einen Studienplatz an der Universität H. beworben hat. Sie hat die Einschätzung geäußert, angesichts der bestehenden Zugangsbeschränkungen zum Studiengang Psychologie wohl keinen Studienplatz mehr zu erlangen und sich auch derzeit nicht erneut bewerben zu wollen. Das erscheint nach der Lebenserfahrung überaus nachvollziehbar, zum Wintersemester 2017/18 lag der NC bei 1,4. Die Beklagte hat es aber nicht in der Hand, der Klägerin im Wege der Teilhabeleistung einen Studienplatz im Wunschstudiengang am Wunschort zu verschaffen, wenn hierauf zulassungsrechtlich kein Anspruch besteht.

c. Da die Klägerin demnach die konkret begehrte Förderung schon mangels einer Ermessensreduzierung "auf null" nicht zu beanspruchen vermag, kann der Senat auch an dieser Stelle dahin stehen lassen, ob sie hierfür zumindest inzwischen persönlich geeignet wäre. Ebenfalls offen lässt der Senat, ob dem konkreten Förderbegehren der Klägerin, wie vom Sozialgericht im Überstimmung mit der Beklagten angenommen, die Regelung in 53 Abs. 2 Satz 1 SGB IX entgegensteht, wonach die Leistungsdauer in der Regel auf zwei Jahre beschränkt ist. Daran könnte man zweifeln, weil diese zeitliche Beschränkung jedenfalls ausdrücklich nur Leistungen zur beruflichen Weiterbildung iSd § 49 Abs. 3 Satz 4 SGB IX erfasst. Diese sind nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung allein nach objektiven Merkmalen von den Leistungen zur beruflichen oder schulischen Ausbildung abzugrenzen (Luik in: jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 53 Rn. 32 mwN) und nicht subjektiv danach, ob der Versicherte bereits über eine abgeschlossene Ausbildung verfügt.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. III. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R7781


Informationsstand: 15.10.2018