Urteil
Ablehnung eines zunächst vorläufig bewilligten Arbeitslosengelds - Anspruch auf höhere Leistungen

Gericht:

BSG


Aktenzeichen:

B 11 AL 38/21 R


Urteil vom:

06.06.2023


Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. September 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten; im Übrigen haben die Beteiligten einander Kosten für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Rechtsweg:

SG Chemnitz, Urteil vom 28. November 2017 - S 28 AL 80/17
LSG Sachsen, Urteil vom 16. September 2021 - L 3 AL 6/18

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die endgültige Ablehnung des ihm zunächst vorläufig bewilligten Arbeitslosengelds (Alg) und begehrt höhere Leistungen (noch) für die Zeit vom 1.10.2016 bis 31.12.2016.

Mit Bescheid vom 26.11.2012 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) dem 1980 geborenen Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.10.2012 bis "längstens" 31.10.2047 (Monat des Erreichens der Regelaltersgrenze). Mit weiterem Rentenbescheid vom 10.12.2012 verfügte die DRV, der Kläger erhalte "anstelle" seiner bisherigen Rente eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.4.2013 bis 31.3.2016. Diese Befristung beruhe auf dem Umstand, dass die Verhältnisse des Arbeitsmarkts berücksichtigt worden seien. Daneben bestehe Anspruch auf die bisherige Rente, wobei für Zeiten, für die mehrere Ansprüche bestünden, nur die höchste Rente geleistet werde, sodass die bisherige Rente ab 1.4.2013 nicht mehr zu leisten sei.

Vom 2.6.2014 an war der Kläger aufgrund eines zunächst auf zwölf Monate befristeten Arbeitsvertrags in Vollzeit beschäftigt und verdiente monatlich 1544,67 Euro brutto zuzüglich eventueller Prämien. In der Zeit ab 2.6.2015 wurde der Kläger zu unveränderten Bedingungen wiederum für ein Jahr weiterbeschäftigt; das Arbeitsverhältnis endete schließlich aufgrund gerichtlichen Vergleichs erst mit Ablauf des 30.9.2016.

Wegen des erzielten Arbeitsentgelts berechnete die DRV die klägerische Rente wegen voller Erwerbsminderung neu und verfügte, dass diese für die Zeit vom 1.6.2014 bis 31.3.2016 "nicht zu zahlen" sei. Zugleich forderte sie die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen iHv insgesamt 1069,32 Euro (Rentenbescheide vom 27.8.2014 und 4.2.2015).

Am 10.2.2016 meldete sich der Kläger persönlich bei der Beklagten arbeitsuchend und zugleich mit Wirkung zum 3.6.2016 arbeitslos. In der Folgezeit übermittelte er online seinen Alg-Antrag. Die Beklagte traf zunächst gestützt auf § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III eine "der Höhe und dem Beginn nach" vorläufige Entscheidung über den Anspruch, weil ihr die Arbeitsbescheinigung noch nicht vorliege, und bewilligte dem Kläger Alg iHv 18,38 Euro täglich für die Zeit vom 3.6.2016 bis 2.12.2016 (Bescheide vom 13. und 15.7.2016). Zugleich wies sie ihn auf die Pflicht hin, "zu viel gezahlte Beträge umgehend zurückzuzahlen", falls er "nach der endgültigen Entscheidung keinen oder nur einen geringeren Anspruch auf die Leistungen" habe. Gegen die Leistungshöhe erhob der Kläger Widerspruch, den die Beklagte mit Hinweis auf ihren Ermessensspielraum bei der Festsetzung vorläufiger Leistungen als unbegründet zurückwies (Widerspruchsbescheid vom 26.7.2016). Wegen der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung verlängerte die Beklagte die Dauer der vorläufigen Alg-Bewilligung auf die Zeit bis zum 17.1.2017 (Änderungsbescheide vom 10.8.2016).

Im Oktober 2016 stellte die Beklagte fest, dass die frühere Arbeitgeberin des Klägers diesen wegen seines Rentenanspruchs bis 31.3.2016 als versicherungsfrei in der Arbeitslosenversicherung betrachtet hatte. Beitragspflicht habe erst nach Wegfall des Rentenanspruchs zum 1.4.2016 bestanden. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit, ihm stehe kein Alg-Anspruch zu, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. In den letzten zwei Jahren vor dem 3.6.2016 sei er weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Das für die Zeit vom 3.6.2016 bis 30.9.2016 vorläufig geleistete Alg iHv insgesamt 2168,84 Euro müsse er zurückzahlen (Ablehnungsbescheid vom 12.10.2016; Erstattungsbescheid vom 12.10.2016). Die dagegen fristgerecht erhobenen Widersprüche wies die Beklagte als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheide vom 25.1.2017). Versicherungspflicht wegen des Bezugs der dem Kläger bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung sei nicht eingetreten, weil ihm diese Leistung tatsächlich nicht ausgezahlt worden sei.

Das SG hat die "Klage" unter Bezugnahme auf die Widerspruchsbescheide abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 28.11.2017). Im Berufungsverfahren hat das LSG die zuständige Einzugsstelle einfach beigeladen. Der Kläger hat sein Begehren auf die Zeit vom 1.10.2016 bis 31.12.2016 beschränkt und den Antrag auf Aufhebung des Erstattungsbescheids zurückgenommen. Im Übrigen hat das LSG antragsgemäß die erstinstanzliche Entscheidung und den "Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 12. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Januar 2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger vom 1. Oktober 2016 bis zum 31. Dezember 2016 Arbeitslosengeld in Höhe und im Umfang der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen" (Urteil vom 16.9.2021). Zwar habe innerhalb der Rahmenfrist kein Versicherungspflichtverhältnis nach § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III bestanden, da dem Kläger seine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht ausgezahlt worden sei und es damit an einem tatsächlichen Leistungsbezug gefehlt habe. Der Versicherungspflicht des Klägers in seinem Beschäftigungsverhältnis (§ 25 Abs 1 Satz 1 SGB III) bis zum 2.6.2016 stehe jedoch nicht entgegen, dass ihm für die Zeit bis zum 31.3.2016 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt worden sei. Dabei habe es sich um eine Rente auf Zeit gehandelt, während Versicherungsfreiheit nach § 28 Abs 2 SGB III lediglich bei einer Dauerrente bestehe. Soweit der Wortlaut der Norm dies nicht erkennen lasse, sei sie teleologisch zu reduzieren. Denn der Ausschluss eines Beschäftigten aus dem Schutz der Arbeitslosenversicherung sei nur gerechtfertigt, wenn er bereits endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die in § 28 Abs 2 SGB III angeordnete Versicherungsfreiheit sei nicht auf die Fälle dauernder Erwerbsminderung teleologisch zu beschränken. Dies folge nicht nur aus dem Wortlaut der Regelung, sondern auch aus der Gesetzessystematik. Als Konsequenz der Auffassung des LSG könnten eine Versicherungspflicht wegen Rentenbezugs (§ 26 Abs 2 Nr 3 SGB III) und eine Versicherungspflicht als Beschäftigter (§ 25 Abs 1 Satz 1 SGB III) zusammentreffen. Dass der Gesetzgeber für diesen Fall keine Konkurrenzregelung geschaffen habe, erscheine nicht naheliegend. Zudem bestehe in den Fällen, die das LSG als von § 28 Abs 2 SGB III normiert ansehe, meist schon Versicherungsfreiheit gemäß § 28 Abs 1 Nr 2 SGB III.


Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 16. September 2021 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. November 2017 zurückzuweisen.


Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Der Gesetzgeber habe beabsichtigt, den Schutz erwerbsgeminderter Personen in der Arbeitslosenversicherung zu verbessern. Diese müssten für den Fall der Rückkehr auf den Arbeitsmarkt nach dem Bezug einer befristeten Erwerbsminderungsrente abgesichert sein.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie hält die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen der Beklagten für rechtmäßig; eine eigene Entscheidung über den sozialversicherungsrechtlichen Status des Klägers habe sie nicht getroffen.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Der Kläger hat wie das LSG zutreffend erkannt hat Anspruch auf Alg für die Zeit vom 1.10.2016 bis 31.12.2016.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 12.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.1.2017 (§ 95 SGG). Nicht mehr streitgegenständlich ist der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 12.10.2016 in der Gestalt des zweiten Widerspruchsbescheids vom 25.1.2017, da sich diese Verwaltungsakte ausschließlich auf den nicht mehr streitbefangenen Zeitraum bis zum 30.9.2016 beziehen.

Sein Begehren auf Gewährung von Alg für die Zeit vom 1.10.2016 bis 31.12.2016 verfolgt der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG; vgl zur statthaften Klageart nach vorläufiger Bewilligung BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 39/17 R - BSGE 126, 294 = SozR 44200 § 41a Nr 1, RdNr 11). Regelungsgegenstand des angefochtenen Ablehnungsbescheids der Beklagten ist die abschließende Verwaltungsentscheidung, dass dem Kläger für den streitbefangenen Zeitraum kein Alg-Anspruch zusteht. Diese Verfügung hat die von der Beklagten zuvor ausgesprochene vorläufige Leistungsbewilligung nach § 328 Abs 1 SGB III (dazu sogleich) ersetzt. Damit haben sich die diesbezüglichen Bescheide vom 13. und 15.7.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 10.8.2016 gemäß § 39 Abs 2 SGB X auf sonstige Weise erledigt (vgl BSG vom 10.5.2011 B 4 AS 139/10 R SozR 44200 § 11 Nr 38 RdNr 13; BSG vom 23.10.2018 B 11 AL 20/17 R SozR 46065 Art 61 Nr 1 RdNr 14; BSG vom 30.6.2021 B 4 AS 76/20 R SozR 44200 § 22 Nr 116 RdNr 11). Dass die abschließende Entscheidung nicht nur eine Leistungsablehnung darstellt, sondern auch die "Aufhebung" der vorläufigen Bewilligung nach § 328 Abs 2 SGB III beinhaltet, wirkt sich auf die statthafte Klageart nicht aus. Insoweit hält der erkennende Senat nicht an der Rechtsprechung des derzeit personengleich mit dem erkennenden Senat besetzten 4. Senats des BSG fest, der in einer verwaltungsverfahrensrechtlich vergleichbaren Konstellation eine isolierte Anfechtungsklage für statthaft gehalten hat, um die Vorläufigkeitserklärung zu beseitigen und eine endgültige Bewilligung zu erlangen (BSG vom 12.10.2016 B 4 AS 60/15 R SozR 44200 § 7 Nr 51 RdNr 13; kritisch hierzu Düe in Brand, SGB III, 9. Aufl 2021, § 328 RdNr 23). Die Vorläufigkeitserklärung ist unmittelbarer Bestandteil des Verwaltungsakts und diesem nicht etwa in Form einer Nebenbestimmung beigefügt (vgl BSG vom 30.6.2021 B 4 AS 76/20 R SozR 4-4200 § 22 Nr 116 RdNr 11 mwN). Da es sich bei dem streitgegenständlichen Alg um eine Leistung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, hat der Kläger die auf Aufhebung des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 12.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.1.2017 gerichtete Anfechtungsklage zu Recht mit einer Leistungsklage verbunden (§ 54 Abs 4 SGG). Dagegen ist in dieser Konstellation kein Raum für eine Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 SGG, die lediglich statthaft ist, wenn sich das klägerische Begehren darauf beschränkt, die vorläufige Entscheidung für endgültig zu erklären (§ 328 Abs 2 SGB III), wenn also - anders als im vorliegenden Fall - kein weitergehender Leistungsanspruch geltend gemacht wird (BSG vom 1.12.2016 - B 14 AS 34/15 R - SozR 44200 § 11 Nr 79 RdNr 9 f; BSG vom 8.2.2017 - B 14 AS 22/16 R - juris RdNr 10 f; BSG vom 23.10.2018 - B 11 AL 20/17 R - SozR 46065 Art 61 Nr 1 RdNr 16 f).

Diesem Ergebnis steht keine von der materiell-rechtlichen Lage abweichende Bindungswirkung der bestandskräftig gewordenen Bescheide der Beklagten vom 13. und 15.7.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 10.8.2016 (§ 77 SGG) entgegen (siehe dazu BSG vom 23.10.2018 B 11 AL 20/17 R SozR 46065 Art 61 Nr 1 RdNr 15). Deren Reichweite hängt vom Verfügungssatz des Verwaltungsakts ab und ist im Wege der Auslegung nach dem insoweit maßgebenden objektiven Empfängerhorizont (siehe zur Auslegung von Verwaltungsakten zuletzt BSG vom 18.10.2022 - B 12 R 7/20 R - RdNr 13 mwN - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSG vom 15.2.2023 - B 4 AS 2/22 R - RdNr 16 mwN - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) zu ermitteln. Entscheidend ist, ob die den "Typus prägenden Merkmale" der vorläufigen Entscheidung unzweifelhaft erkennbar sind (BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 41500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN). Das LSG hat die Bescheide der Beklagten zu Recht als vorläufige und nicht endgültige Bewilligung qualifiziert (dazu auch BSG vom 24.6.2020 B 4 AS 10/20 R SozR 41300 § 45 Nr 23 RdNr 21). Nach § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich eine längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (§ 328 Abs 1 Satz 2 SGB III). Im vorliegenden Fall machen die Bescheide der Beklagten vom 13. und 15.7.2016, die insoweit kraft ausdrücklicher Anordnung eine rechtliche Einheit bilden, hinreichend deutlich, dass es sich lediglich um eine vorläufige Entscheidung über den Anspruch handelt. Als Rechtsgrundlage ist zutreffend § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III benannt; der Grund der Vorläufigkeit, dass eine erforderliche Arbeitsbescheinigung noch nicht vorliegt, ist angegeben. Auch dem Hinweis, der Umfang der Vorläufigkeit beziehe sich auf Höhe und Beginn der Leistung, würde ein objektiver Empfänger des Bescheids nicht entnehmen, über den Anspruch sei dem Grunde nach schon endgültig entschieden. Einem solchen Verständnis steht die Belehrung entgegen, der Empfänger sei verpflichtet, "zu viel gezahlte Beträge umgehend zurückzuzahlen", falls er "nach der endgültigen Entscheidung keinen oder nur einen geringeren Anspruch auf die Leistungen" habe. Insgesamt lässt der Verwaltungsakt erkennen, dass noch nicht feststeht, ob dem Kläger ein Alg-Anspruch zusteht. Das gilt auch für die Änderungsbescheide der Beklagten vom 10.8.2016, mit denen die Anspruchsdauer wegen der Teilnahme des Klägers an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung verlängert wurde. Den Charakter der nur vorläufigen Bewilligung veränderten sie dagegen nicht; vielmehr wurde der Kläger erneut ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Leistungen auf einer vorläufigen Entscheidung beruhen und unter Umständen zurückzuzahlen sind.

Da die vorläufige Bewilligung dem Berechtigten keine dauerhafte Rechtsposition einräumt (vgl zum fehlenden Vertrauensschutz in Bezug auf vorläufige Verwaltungsakte BSG vom 19.3.2020 B 4 AS 1/20 R juris RdNr 10 mwN), bedurfte es vor der abschließenden Entscheidung auch keiner Anhörung (BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 60/15 R - SozR 44200 § 7 Nr 51 RdNr 17; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, K § 328 RdNr 275, 379, Stand August 2018; Winkler in Böttiger/Körtek/Schaumberg, SGB III, 3. Aufl 2019, § 328 RdNr 26; aA etwa Schmidt-De Caluwe in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 328 RdNr 41). Dazu verpflichtet § 24 Abs 1 SGB X nur vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift. Daran fehlt es im Fall des § 328 Abs 1 SGB III. Die vorläufige Bewilligung steht von vornherein unter dem Vorbehalt der anderweitigen abschließenden Entscheidung, wie insbesondere die Erstattungspflicht des § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III erkennen lässt. Der Begünstigte muss jederzeit damit rechnen, dass das mit seinem Leistungsantrag eingeleitete Verwaltungsverfahren seinen endgültigen Abschluss findet, sodass kein Bedürfnis für einen Fortbestand der Interimsregelung mehr besteht.

Dass sich der Antrag des Klägers und die Entscheidung des LSG auf eine Verurteilung der Beklagten dem Grunde nach beschränken, unterliegt keinen rechtlichen Bedenken (vgl BSG vom 5.8.2021 - B 4 AS 58/20 R - SozR 44200 § 7 Nr 65 RdNr 17; zur Zulässigkeit eines Grundurteils in einem bloßen Höhenstreit BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 81/12 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 2 RdNr 10 mwN).

Das LSG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage - soweit sie im Berufungsverfahren aufrechterhalten worden ist - zulässig und begründet ist. Der angefochtene Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 12.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.1.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Alg für die Zeit vom 1.10.2016 bis 31.12.2016 zu.

Anspruch auf Alg hat gemäß § 137 Abs 1 SGB III, wer arbeitslos ist (Nr 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (Nr 3). Arbeitslos iS von § 137 Abs 1 Nr 1 SGB III ist gemäß § 138 Abs 1 SGB III, wer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit, Nr 1), sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen, Nr 2) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit, Nr 3). Diese Voraussetzungen hat der Kläger nach dem Gesamtzusammenhang der für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt. Der Kläger hat sich mit Wirkung zum 3.6.2016 persönlich arbeitslos gemeldet und war in der Folgezeit bis zum 31.12.2016 arbeitslos im vorgenannten Sinn oder allein wegen einer nach § 81 SGB III geförderten beruflichen Weiterbildung nicht verfügbar (§ 144 Abs 1 SGB III).

Der Wirksamkeit der persönlichen Arbeitslosmeldung des Klägers steht auch nicht entgegen, dass sie bereits zusammen mit der frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung am 10.2.2016 erfolgt ist. Gemäß § 141 Abs 1 SGB III in der hier noch maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 20.12.2011 (BGBl I 2854) hatte sich der Arbeitslose persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden, was auch zulässig war, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten war. Wie das BSG bereits entschieden hat, handelt es sich dabei nicht um eine starre Ausschlussfrist. Vielmehr ist jedenfalls von einer wirksamen Arbeitslosmeldung auszugehen, wenn sich der Arbeitslose zeitnah zur im Gesetz enthaltenen Dreimonatsgrenze mit Billigung der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat. Denn die zeitliche Begrenzung, die der Gesetzgeber zum 1.1.2004 eigens verlängert hat, um die Regelung an die Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung anzugleichen (so die Begründung des Entwurfs des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks 15/1515 S 83), dient allein dem Schutz der zuständigen Agentur für Arbeit vor einem überflüssigen Verwaltungsaufwand durch eine zu frühe Aufnahme der Vermittlungstätigkeit (siehe zum Ganzen BSG vom 18.5.2010 - B 7 AL 49/08 R - SozR 44300 § 122 Nr 8 RdNr 12 ff). Daher steht es auch in ihrem Ermessen, auf diesen Schutz zu verzichten und besonders frühzeitig mit der Arbeitsvermittlung zu beginnen. Das erscheint vor allem sachgerecht, wenn schon die Arbeitsuchendmeldung nach § 38 Abs 1 SGB III - wie im vorliegenden Fall - im Rahmen eines persönlichen Kontakts mit der zuständigen Arbeitsagentur erfolgt ist, und daher ein weiterer Meldetermin in engem zeitlichem Zusammenhang für beide Beteiligten einen vermeidbaren Zusatzaufwand darstellen würde.

Entgegen der Revision hat der Kläger schließlich auch die Anwartschaftszeit erfüllt. Das setzt voraus, dass der Arbeitslose in der seinerzeit noch zweijährigen Rahmenfrist (§ 142 Abs 1 Satz 1, § 143 Abs 1 SGB III aF) mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis iS der §§ 24 ff SGB III gestanden hat. Das traf auf den Kläger in der Zeit vom 3.6.2014 bis 2.6.2016 nach den Feststellungen des LSG durchgehend zu. Unerheblich für die Erfüllung der Anwartschaftszeit ist demgegenüber nach dem klaren Wortlaut des § 142 Abs 1 Satz 1 SGB III, ob für den Kläger während der Rahmenfrist Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt worden sind (vgl BSG vom 14.9.2010 B 7 AL 3/09 R juris RdNr 14 aE).

Wie die Beklagte und die Vorinstanzen zu Recht entschieden haben, zählte der Kläger in dieser Zeit allerdings nicht zum Kreis der sonstigen Versicherungspflichtigen nach § 26 SGB III. Danach sind Personen ua in der Zeit versicherungspflichtig, für die sie von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Leistung versicherungspflichtig waren oder eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen haben (§ 26 Abs 2 Nr 3 SGB III in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung; zum 1.1.2003 eingeführt durch Art 1 Nr 10 Buchst a) Doppelbuchst cc) Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10.12.2001, BGBl I, 3443).

Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger in der Rahmenfrist nicht. Zwar wurde ihm mit Rentenbescheid vom 10.12.2012 durch die DRV eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.4.2013 bis 31.3.2016 zuerkannt. Diese wurde ihm jedoch wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen für die Zeit vom 1.6.2014 bis 31.3.2016 nicht geleistet.

Zutreffend hat das LSG im Einklang mit der allgemeinen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum entschieden, dass der von § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III vorausgesetzte Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nicht nur deren Bewilligung, sondern auch die tatsächliche Auszahlung erfordert (ebenso etwa LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.5.2014 L 16 AL 287/13 und vom 19.2.2015 L 20 AL 22/14; Scheidt in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 26 RdNr 38; Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 26 RdNr 80, Stand März 2019; Schneil in BeckOGK, SGB III, § 26 RdNr 29, Stand 1.5.2023; Timme in Hauck/Noftz, SGB III, K §?26 RdNr 35, Stand März 2023). In diesem Sinne hat das BSG bereits die damalige Voraussetzung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag nach § 28a Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB III interpretiert (BSG vom 4.12.2014 - B 5 AL 1/14 R - SozR 44300 § 28a Nr 9 RdNr 20 ff; s zu den Motiven der nachfolgenden Gesetzesänderung die Begründung des Regierungsentwurfs zum Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz (AWStG) BT-Drucks 18/8042 S 22 ff). Zwar kann der Begriff des Leistungsbezugs kontextabhängig unterschiedlich verstanden werden (vgl zu § 105b AFG etwa BSG vom 29.3.2001 - B 7 AL 14/00 R - juris RdNr 15 mwN). Die Anknüpfung des § 26 Abs 2 SGB III an verschiedene Entgeltersatzleistungen spricht aber dafür, dass die Regelung dem sozialversicherungsrechtlichen Kontinuitätsgedanken (dazu Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 26 RdNr 79, Stand März 2019) entsprechend nur solche Fälle erfasst, in denen diese (anstelle weggefallener Einkünfte) zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen.

Von wesentlicher Bedeutung für das Auslegungsergebnis des Senats ist schließlich, dass der Gesetzgeber den letzten Halbsatz des § 26 Abs 2 SGB III (nach der Aufzählung der in Betracht kommenden Leistungen) zum 1.8.2016 geändert hat und dort - im Gegensatz zu den verschiedenen Alternativen - genügen lässt, dass die betreffende Person "Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung" hatte. Dieser Novellierung hätte es nicht bedurft, wenn schon der - zuvor an beiden Stellen verwendete - Begriff des Bezugs einen bloßen (etwa ruhenden) Anspruch erfassen würde. So wird denn die alte Fassung in den Gesetzesmaterialien auch im Sinne des tatsächlichen Leistungsbezugs interpretiert (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum AWStG, BT-Drucks 18/8042 S 22). Zwar kann in der Neufassung des § 26 Abs 2 SGB III und den dahinterstehenden Motiven des Gesetzgebers keine authentische Interpretation der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Gesetzesfassung liegen (vgl BVerfG vom 21.7.2010 - 1 BvL 11/06 ua - BVerfGE 126, 369 [392] = SozR 45050 § 22b Nr 9 RdNr 73). Es sind aber keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber des Job-AQTIV-Gesetzes eine andere Regelungsintention gehabt hätte oder die Auffassung des AWStG-Gesetzgebers fehlsam wäre. Insbesondere liegt kein Fall vor, in dem der Gesetzgeber auf eine bestimmte Rechtsprechung - sei es (teilweise) positivierend, sei es (teilweise) korrigierend - reagiert hat und deswegen eine besonders zu würdigende Motivlage gegeben wäre, bei der aus dem Tätigwerden des Gesetzgebers nicht ohne Weiteres ein Auslegungsargument für die vorherige Normfassung gewonnen werden könnte (vgl BSG vom 6.6.2023 - B 4 AS 5/22 R - RdNr 24 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

Entgegen der Ansicht der Beklagten stand der Kläger in der Zeit vom 3.6.2014 bis 2.6.2016 jedoch in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Dies trifft gemäß § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III auf Personen zu, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Nach den bindenden Feststellungen des LSG war der Kläger während der gesamten Rahmenfrist aufgrund befristeter Arbeitsverträge in Vollzeit beschäftigt und verdiente ein monatliches Grundgehalt iHv 1544,67 Euro brutto.

Zu Recht ist das LSG schließlich auch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beschäftigung des Klägers nicht ausnahmsweise einem Versicherungsfreiheitstatbestand unterlag.

Versicherungsfrei sind gemäß § 28 Abs 1 Nr 2 SGB III ua Personen, die wegen einer Minderung ihrer Leistungsfähigkeit dauernd nicht mehr verfügbar sind, von dem Zeitpunkt an, an dem die Agentur für Arbeit diese Minderung der Leistungsfähigkeit und der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung volle Erwerbsminderung im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt haben. Dies ist im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des LSG nicht geschehen. Die Beklagte ist zu keinem Zeitpunkt von fehlender Verfügbarkeit des Klägers ausgegangen.

Versicherungsfrei sind gemäß § 28 Abs 2 SGB III ferner Personen in einer Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs einer Sozialleistung iS des § 26 Abs 2 Nr 1 oder 2 SGB III, soweit ihnen während dieser Zeit ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. Anders als die Beklagte meint, greift auch diese Regelung im Fall des Klägers nicht ein.

Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob angesichts der von § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III abweichenden Formulierung des Versicherungsfreiheitstatbestands davon auszugehen ist, dass insofern eine (möglicherweise auch zu Unrecht) fortbestehende Rentenbewilligung dem Grunde nach ausreicht. Wollte man die Feststellung des Stammrechts der Rente wegen voller Erwerbsminderung durch den zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung genügen lassen, wäre es unschädlich, dass die Rente dem Kläger während seiner Beschäftigung tatsächlich nicht geleistet worden ist. Der Senat hat bereits zu der Vorgängervorschrift in § 169c AFG entschieden, dass für die Frage, ob einem Versicherten ein Rentenanspruch zuerkannt ist, dem Bewilligungsbescheid des Rentenversicherungsträgers Tatbestandswirkung beizumessen ist (BSG vom 15.9.1994 - 11 RAr 99/93 - SozR 34100 § 62a Nr 1, juris RdNr 24 ff). Dasselbe gilt aber auch für den umgekehrten Fall, in dem eine solche Bewilligung nachträglich modifiziert wird. So hat das BSG zum Ruhen des Alg-Anspruchs nach § 118 Abs 1 Nr 3 AFG entschieden, dass eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus einer der gesetzlichen Rentenversicherungen nicht zuerkannt ist, wenn der Rentenversicherungsträger seinen Bewilligungsbescheid geändert, die Rentenzahlungen eingestellt und die schon geleistete Rente zurückgefordert hat. Zuerkannt sei ein Anspruch nur dann und solange, wie der andere Leistungsträger infolge der Zuerkennung Zahlungen zu erbringen habe. Vor diesem Hintergrund gelte die Tatbestandswirkung auch für einen die ursprüngliche Bewilligung ändernden Bescheid, demzufolge die Rente von einem gewissen Zeitpunkt an nicht mehr gezahlt wird (BSG vom 12.12.1991 - 7 RAr 24/91 - BSGE 70, 51 = SozR 34100 § 118 Nr 3 = juris RdNr 16, 19 ff). Diese Rechtsprechung hat der Senat später für den Fall fortgeführt, dass Rentennachzahlungen zur Befriedigung von Ersatzansprüchen einbehalten werden (BSG vom 20.9.2001 - B 11 AL 35/01 R - BSGE 89, 13 = SozR 34300 § 142 Nr 1 = juris RdNr 22). Der Gesetzgeber hat auch darauf verzichtet, in § 28 Abs 2 SGB III eine § 134 Abs 3c Satz 3 AFG entsprechende Regelung aufzunehmen, der zur Begrenzung der Auswirkungen der vorgenannten Rechtsprechung eine ausdrückliche Bestimmung für den späteren Wegfall eines zunächst zuerkannten Rentenanspruchs getroffen hatte.

Jedenfalls erfasst der Versicherungsfreiheitstatbestand solche Sachverhalte nicht, in denen die Beschäftigung oder der Bezug einer Sozialleistung iS des § 26 Abs 2 Nr 1 oder 2 SGB III der einzige Anknüpfungspunkt für den Schutz der Arbeitslosenversicherung ist, also nur durch diese Tatbestände Versicherungspflicht bewirkt würde. Mit anderen Worten: § 28 Abs 2 SGB III greift nur ein, wenn schon der zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherungspflicht begründet.

Entgegen der Ansicht des LSG setzt § 28 Abs 2 SGB III allerdings nicht voraus, dass dem Berechtigten eine unbefristete Rente zuerkannt ist. Für eine solche Auslegung der Norm gibt es keine überzeugenden Argumente. Ihr Wortlaut bietet dafür keinerlei Anhaltspunkte. Zudem werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich nur auf Zeit geleistet (§ 102 Abs 2 Satz 1 SGB VI); die Zuerkennung einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer durch den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 102 Abs 2 Satz 5 SGB VI stellt also nach der gesetzlichen Konzeption einen Ausnahmefall dar. Dies war dem Gesetzgeber bei der Schaffung des § 28 Abs 2 SGB III auch bewusst (vgl Begründung des Entwurfs des Job-AQTIV-Gesetzes, BT-Drucks 14/6944 S 26). Schließlich würde ein solches Verständnis dazu führen, dass sich die Tatbestände des § 28 Abs 2 SGB III und des § 28 Abs 1 Nr 2 SGB III, der ausdrücklich die dauerhafte Leistungseinschränkung voraussetzt, weitgehend decken würden, wie die Revision zutreffend kritisiert. Schließlich fehlte es dann an einer Konkurrenzregelung für den praxisrelevanten Fall des Zusammentreffens des tatsächlichen Bezugs einer Zeitrente mit einer Beschäftigung oder mit dem Bezug einer Sozialleistung iS des § 26 Abs 2 Nr 1 oder 2 SGB III.

Zu Recht hat das LSG indes darauf hingewiesen, dass Sinn und Zweck des in § 28 Abs 2 SGB III normierten Versicherungsfreiheitstatbestands den vorliegenden Fall nicht erfassen. Dem ist durch eine Auslegung der Vorschrift Rechnung zu tragen, die den engen systematischen Zusammenhang zu § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund setzt § 28 Abs 2 SGB III voraus, dass die Zuerkennung eines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung ein Versicherungspflichtverhältnis nach § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III begründet. Es handelt sich also um eine bloße Kollisionsnorm, die den Vorrang einer Versicherung als Bezieher einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor einem Versicherungspflichtverhältnis wegen des Bezugs anderer Sozialleistungen oder wegen einer Beschäftigung anordnet (ähnlich Scheidt in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 28 RdNr 11 und die Fachlichen Weisungen der Beklagten zu § 28 SGB III S 5 f, wonach es sich um eine Konkurrenzregelung handelt, die darauf abzielt, dass die soziale Absicherung der Rentenbezieher im Verantwortungsbereich der Rentenversicherung bleibt).

Dies erhellt der entstehungsgeschichtliche Hintergrund des § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III und des § 28 Abs 2 SGB III. Die angesprochenen Regelungen gehen beide auf das Job-AQTIV-Gesetz vom 10.12.2001 (BGBl I 3443) zurück. Dass der Gesetzgeber sie auch inhaltlich im Zusammenhang gesehen hat, lassen die Gesetzesmaterialien klar erkennen. Im Besonderen Teil der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt es zu Nummer 11 (§ 28 SGB III) nur: "Anpassung der Regelung an die Neuregelung zur Einbeziehung der Bezieher einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in die Versicherungspflicht (vgl. Änderung zu § 26)." (BT-Drucks 14/6944 S 30). Sinn und Zweck der Vorschrift ist also die Vermeidung eines überflüssigen zweiten Versicherungspflichttatbestands: Personen, die aufgrund der Gesetzesnovelle bereits als Erwerbsminderungsrentner in den Schutz der Arbeitslosenversicherung einbezogen sind, sollen ggf als Bezieher einer anderen Sozialleistung und als Beschäftigte versicherungsfrei gestellt werden. Eine solche Konkurrenzsituation ist allerdings nach dem oben Gesagten im vorliegenden Fall nicht eingetreten, sodass es der Anwendung des § 28 Abs 2 SGB III hier nicht bedarf.

Diese Auslegung entspricht der allgemeinen Zielsetzung der mit dem Job-AQTIV-Gesetz verbundenen Reform des SGB III, Lücken in der sozialen Sicherung zu schließen (BT-Drucks 14/6944 S 26). Dieses Ziel würde im vorliegenden Fall - wie die Revisionserwiderung zu Recht betont - verfehlt, wollte man den Anwendungsbereich des Versicherungsfreiheitstatbestands des § 28 Abs 2 SGB III nicht mit der Reichweite des Versicherungspflichttatbestands des § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III harmonisieren. Die dadurch drohende Lücke im Versicherungsschutz zeigen die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen der Beklagten anschaulich auf. Dieses Ergebnis widerspräche Sinn und Zweck des Job-AQTIV-Gesetzes.

Da der Kläger in der Zeit vom 3.6.2014 bis 2.6.2016, wie bereits dargelegt, nicht gemäß § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III versicherungspflichtig war, unterfiel er demnach auch nicht dem Versicherungsfreiheitstatbestand des § 28 Abs 2 SGB III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1 SGG.

Referenznummer:

R/R9629


Informationsstand: 19.10.2023