Der Bescheid der Beklagten vom 27.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2017 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin haben die Beklagte und die Beigeladene als Gesamtschuldner zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen trägt die Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Nachdem die Beklagte Rentenversicherung als vermeintlich zweitangegangener Rehabilitationsträger die Versorgung mit einem den Vertragspreis der beigeladenen Krankenkasse übersteigenden Hörgerät abgelehnt und die Klägerin sich deshalb ein Hörgerät selbst beschafft hat, begehrt die Klägerin die Erstattung eines Betrags von 2.357,80
EUR.
Die Klägerin leidet unter beidseitiger Schwerhörigkeit und ist darüber hinaus stark sehbehindert. Wegen der Sehbehinderung erfolgte die Versetzung in den Bereich der telefonischen Kundenberatung. Ihr Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) verordnete am 06.09.2016 eine Hörhilfe. In der Folge wendete sich die Klägerin an die Firma L.
GmbH (fortan Hörgeräteakustiker), welche am 15.11.2016 ein Ton- und Sprachaudiogramm erstellte und eine Beratung für Hörsysteme durchführte. Eine schriftliche oder elektronische Versorgungsanzeige erfolgte nach Angabe des Hörgeräteakustikers und der Beigeladenen nicht. In der Folge passte der Hörgeräteakustiker die zuzahlungspflichtige Hörhilfe Siemens Insio 3 px CIC 113/50 (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.12.7292 - fortan Insio) und die aufzahlungsfreie Hörhilfe "Inizia 1 Compact Power" (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.12.0251 - fortan Inizia) an. Der Freiburger Sprachtest ergab dabei für das Insio im Freifeld mit 65dB Nutzschall ein Sprachverstehen von 95% und im Freifeld mit 65
dB Nutzschall und 60
dB Störschall ein Sprachverstehen von 55 %. Für das Inizia ergab sich im Freifeld mit 65dB Nutzschall ein identisches Sprachverstehen von 95% und im Freifeld mit 65
dB Nutzschall und 60
dB Störschall ein Sprachverstehen von 50 %. Am 10.01.2017 erstellte der Hörgeräteakustiker einen Kostenvoranschlag für die Versorgung mit dem Insio und fasste am 17.01.2017 seinen Anpass- und Abschlussbericht ab. Als Entscheidungskriterien für die Auswahl des Insio gab der Hörgeräteakustiker an, die Klägerin arbeite in einem Call-Center. Ein im-Ohr-Hörgerät (IDO) habe eine bessere Schallaufnahme beim Tragen des Headsets, ein hinter-dem-Ohr-Hörgerät wäre eher hinderlich. Die Klägerin benötige die Versorgung mit einer Sehbrille und müsse zusätzlich ein Headset zum Telefonieren tragen. Das HDO-Gerät vermindere insoweit den Tragekomfort und den Halt des Headsets. Wegen Erhalt des Pinna-Effekts (Erhalt der Ohrmuschelfunktion) bestehe ein besseres Orientierungshören mit besserer Lokalisation der Gesprächspartner außerhalb des eingeschränkten Sehbereichs. Die Speech-Master-Funktion bringe eine bessere Hörbarkeit von Sprache und weniger Höranstrengung bei Team-Besprechungen mit sich. Durch farblich groß eingefärbte IDO-Schalen werde bei visueller Einschränkung die Erkennung und die Haptik vereinfacht.
Am 03.03.2017 ging bei der Beigeladenen der Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für eine Hörgeräteversorgung ein (Anlagen: Kostenvoranschlag vom 10.01.2017, Verordnung vom 06.09.2016, Anpass- und Abschlussbericht nebst Audiogrammen vom 17.01.2017, Anmerkungen vom 03.03.2017).
Am 06.03.2017 bewilligte die Beigeladene der Klägerin gemäß den jeweils mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheiden für das linke Ohr einen Betrag von 680,51
EUR und für das rechte Ohr einen Betrag von 833,51
EUR. Als Grund dafür, dass die Kosten nicht vollständig übernommen würden, gab die Beigeladene (neben der Zuzahlung von jeweils 10,00
EUR) an, die Klägerin habe einen beruflichen Mehrbedarf angemeldet, diesbezüglich werde der Antrag hinsichtlich beruflicher Mehrkosten geteilt und insoweit an die Beklagte weitergeleitet.
Am 04.04.2017 legte die Klägerin gegen diese Bescheide Widerspruch ein, über den weiteren Fortgang des Vorverfahrens ist nichts bekannt. Mit Schreiben vom 06.03.2017 leitete die Beigeladene den Antrag an die Beklagte weiter und teilte mit, sie habe Kosten in Höhe von 1.514,02
EUR übernommen.
Mit Schreiben vom 15.03.2017 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass sie entsprechend einem eigenanteilsfreien Gerät versorgt worden sei. Die Beigeladene habe jedoch die Pflicht, den unmittelbaren Behinderungsausgleich herzustellen. Wenn dies mit eigenanteilsfreien Hörgeräten nicht gelinge, müsse die Krankenkasse ein teureres Gerät übernehmen. Das ungestörte Hören im Störlärm sei keine spezifisch berufsbedingte Höranforderung, so dass ein berufsbedingter Mehrbedarf nicht bestehe. Die Klägerin möge sich erneut an die Beigeladene wenden. Der Beigeladenen teilte die Beklagte mit gesondertem Schreiben selben Datums mit, dass vorliegend kein berufsbedingter Mehrbedarf ersichtlich sei, denn das ungestörte Hören im Störlärm sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleich zu gewährleisten. Das Verwaltungsverfahren sei von der Beilgeladenen fortzusetzen.
Die Beigeladene erläuterte daraufhin ihre Rechtsauffassung zu
§ 14 Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX), wonach bei Weiterleitung die Beklagte als zweitangegangener Träger vollumfänglich über den Antrag zu entscheiden habe. Es liefe dem Schutzzweck von § 14
SGB IX zuwider, wenn die Klägerin auf den aus Sicht der Beklagten eigentlich zuständigen Leistungsträger verwiesen werde. Die Beklagte hielt an ihrer Position fest, ein zwischenzeitlich legitimierter Bevollmächtigter hielt hingegen die Beklagte für zur Entscheidung verpflichtet.
Mit Bescheid vom 27.07.2017 lehnte die Beklagte sodann den Antrag der Klägerin ab, da eine Tätigkeit als Mitarbeiterin im Telefonservice eines Call-Centers keine berufsspezifischen Anforderungen an das Gehör stelle und deshalb ein berufsspezifischer Mehrbedarf nicht bestehe. Persönliche oder telefonische Kommunikation im Zwei- oder Mehrpersonen-
bzw. Gruppengespräch stelle auch bei ungünstigen akustischen Bedingungen wie Umgebungsgeräuschen am Arbeitsplatz eine Anforderung an das Hörvermögen dar, die beinahe bei jeder Berufsausübung bestehe und daher keine spezifische berufsbedingte Bedarfslage begründen könne. Die beantragten Hörhilfen dienten dem unmittelbaren Behinderungsausgleich mit dem Ziel der Angleichung an das Hörvermögen gesunder Menschen. Möglicherweise habe die Klägerin einen Anspruch gegenüber ihrer Krankenkasse, es werde geraten, sich noch einmal an diese zu wenden.
Hiergegen legte die Klägerin mit Fax vom 02.08.2017 Widerspruch ein. Es treffe zu, dass eine Leistungsgewährung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht in Betracht komme. Gleichwohl sei die Klägerin wegen § 14
SGB IX zur vollumfänglichen Prüfung, auch nach dem
SGB V, verpflichtet. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und vertiefte die Ausführungen des Ausgangsbescheids. Die Versorgung mit Hilfsmitteln gehöre grundsätzlich nicht zu den Leistungen der Deutschen Rentenversicherung im Sinne von
§ 33 Abs. 8 Nr. 4 SGB IX. Es liege im Versorgungsauftrag der Beigeladenen, für einen Ausgleich der Funktionsstörungen durch adäquate Hörhilfen zu sorgen. Eine Leistungsgewährung durch die Beklagte komme nur dann in Betracht, wenn die Hilfe selbst oder gegebenenfalls eine besondere Ausstattung als spezifisch berufsbedingte Versorgung im Rahmen des Versorgungsauftrags der Krankenkasse nicht enthalten sei. Auch nach Prüfung des weiteren Rehabilitationsbedarfs im Sinne von § 14
SGB IX "werde die begehrte Leistung abgelehnt". Eine Leistung oberhalb des Vertragspreises könne nicht erbracht werden, weil diese "nach der Prüfung der Krankenkasse" nicht erforderlich sei. Ob die Versorgung durch die zuständige Krankenkasse ausreichend sei, könne die Beklagte "nicht beurteilen".
Hiergegen hat die Klägerin am 30.11.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben. Die Klägerin hat sinngemäß vortragen lassen, dass sie die Rechtsauffassung der Beklagten insoweit teile, als vorliegend die Krankenversicherung nach dem Recht des
SGB V materiell leistungsverpflichtet sei. Gleichwohl müsse die Beklagte wegen § 14
SGB IX unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten über den Antrag entscheiden. Da die Beklagte die Möglichkeit eines Amtshilfeersuchens bei der Beigeladenen nicht wahrgenommen habe, liege eine unvollständige Sachverhaltsaufklärung vor. Diese Verhaltensweise der Beklagten sei aus diversen anderen vergleichbaren Verfahren bekannt. Es werde angeregt zu prüfen, ob die Beklagte nicht gemäß § 131
Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zu weiteren Ermittlungen zu verurteilen sei. Das Gericht hat die Krankenkasse der Klägerin zum Verfahren beigeladen und den Hörgeräteakustiker schriftlich als Zeugen befragt. Dieser hat Angaben zur Abgabe einer Versorgungsanzeige, zur Übergabe der HNO-Verordnung und zur Möglichkeit einer Versorgung mit einem Gerät zum Vertragspreis gemacht. Die Klägerin hätte nach seiner Auffassung mit einem zuzahlungsfreien Hörgerät bei annähernd gleicher Versorgungsqualität ausgestattet werden können. Sie habe diesbezüglich eine Mehrkostenerklärung unterzeichnet. Bei einem Diskriminationsunterschied von 5 % im Störlärm sei die aufzahlungsfreie Versorgung mit der zuzahlungspflichtigen Versorgung gleichzusetzen. Ausschließlich berufliche Vorteile seien bei der gewählten Versorgung nicht zu erkennen. Die Klägerin hat am 14.02.2018 das ihr bereits zuvor zur Nutzung überlassene Hörgerät Insio zu einem Gesamtpreis von 3.996,07
EUR angeschafft, wobei sie unter Abzug eines Zuschusses der Krankenversicherung i.H.v. 1.534,02
EUR und eines Eigenanteils von 20,00
EUR insgesamt 2.482,05
EUR bezahlte. Die Klägerin ist der Auffassung, das Hörgerät Insio sei zur Herstellung des unmittelbaren Behinderungsausgleichs nach dem Recht des
SGB V notwendig, da die Versorgung mit dem Gerät zum Vertragspreis nicht ausreichend sei. Entsprechend habe die Beklagte unter Berücksichtigung von § 14
SGB IX den Antrag der Klägerin zu Unrecht abgelehnt. Von der Gesamtrechnung von 2.482,05
EUR seien die Kosten für ein Reinigungsspray (5,25
EUR), die "DryStar UV" (99,00
EUR) und die Eigenbeteiligung von 20,00
EUR in Abzug zu bringen, woraus sich ein Erstattungsbetrag von 2.357,80
EUR ergebe. Mit einer Entscheidung des SG Hamburg (Urteil vom 17.05.2016, Az.
S 8 KR 1568/15) sei davon auszugehen, dass die Qualität der Versorgung nicht allein anhand der Ergebnisse des Freiburger Sprachtests erfolgen könne. Stets seien die subjektiven Höreindrücke zu berücksichtigen. Die Mehrkostenerklärung habe die Klägerin erst Mitte Februar 2018 unterzeichnet. Die Unterschrift sei auf ausdrücklichen Wunsch des Akustikers erfolgt, ohne das Formular hätte dieser nach eigener Angabe bei der Beigeladenen nicht einmal den Vertragspreis abrechnen können.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 27.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2017 aufzuheben und die Beklagte als zweitangegangenen Leistungsträger zu verurteilen, die den von der Beigeladenen bereits bewilligten Vertragspreis übersteigenden Mehrkosten für die Versorgung mit den Hörgeräten Insio 3 PX in Höhe von 2.357,80
EUR zu erstatten, hilfsweise die Beigeladene unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 06.03.2017 entsprechend zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertieft die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ein beruflicher Mehrbedarf sei nicht ersichtlich, ob die Beigeladene den unmittelbaren Behinderungsausgleich gewährleistet habe, könne nicht beurteilt werden. Die Krankenkasse sei erstangegangener Leistungsträger, schließlich habe sie den Vertragspreis gewährt. Die Beklagte sei "unzuständig", weshalb die Beigeladene zu verurteilen und die streitigen Bescheide aufzuheben seien. Der Anpass- und Abschlussbericht datiere auf den 17.01.2017, die Weiterleitung sei erst am 06.03.2017 erfolgt. Nach "höchstrichterlicher Rechtsprechung" sei der erste Kontakt des hörbehinderten Menschen beim Hörgeräteakustiker antragsauslösend. Entsprechend stelle sich die Frage der rechtzeitigen Weiterleitung. Der Antrag auf ergänzende Kostenübernahme bei der Beklagten stelle rein technisch einen Widerspruch gegen die Teilentscheidung der Beigeladenen dar. Die Krankenkassen hätte durch ihre interne Vertragsgestaltung die Antragsbearbeitung und Prüfung ausgelagert.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Klägerin habe am 03.03.2017 bei ihr einen Antrag auf Versorgung mit einer Hörhilfe beantragt. Der Klägerin sei das Hörgerät Inizia zum Vertragspreis angeboten worden. Das gewählte Hörsystem Insio habe lediglich einen Hörgewinn von fünf Prozent im Störschall erreicht. Diese Verbesserung liege im Bereich der Tagesschwankungen und stelle keine signifikante Verbesserung dar. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte nebst beigezogener Verwaltungsakten verwiesen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhobene kombinierte Anfechtungs- (hierzu unter I.) und Leistungsklage (hierzu unter II.) im Sinne von § 54
Abs. 1, 4
SGG ist zulässig und hinsichtlich des Aufhebungshauptantrags auch begründet. Die Leistungsklage ist hingegen weder im Hauptantrag, noch im Hilfsantrag begründet.
I.) Die Anfechtungsklage des Hauptantrags hat in vollem Umfang Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 27.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Bescheid ist bereits deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte über den Antrag des Klägers entschieden hat, obwohl sie hierfür nach dem Regime der
§§ 14ff SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (a.F.) nicht zuständig war. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu (§ 14
Abs. 1
S. 1 und 2
SGB IX a.F.).
Wird der Antrag hingegen nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest (§ 14
Abs. 2
S. 1
SGB IX a.F.) - und zwar anhand aller Rechtsgrundlagen, die in der konkreten Bedarfssituation für irgendeinen Rehabilitations-träger in Betracht kommen. Die umfassende Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers nach § 14
Abs. 2
S. 1
SGB IX a.F. hat zur Folge, dass alle anderen Träger ihre Zuständigkeit verlieren. Ein anderer Rehabilitationsträger darf also nicht mehr in der Sache über den Reha-Antrag entscheiden. Tut er es dennoch, ist sein Bescheid mangels Zuständigkeit rechtswidrig und aufzuheben (
BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 -
B 3 KR 5/12 R -, BSGE 113, 40-60, SozR 4-3250 § 14
Nr. 19, juris Rn. 26). Maßgeblich ist somit, bei welchem Rehabilitationsträger der Versicherte zuerst einen Antrag gestellt hat. Antrag ist jede an den Rehabilitationsträger gerichtete Willenserklärung, aus der sich das Begehren einer bestimmten Leistung durch den Versicherten ergibt. Der Antrag ist formlos möglich, auch durch konkludentes Handeln (
BSG, Urteil vom 30.10.2014,
B 5 R 8/14 R, juris Rn. 32).
Im Zweifel will der Versicherte nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung dabei die für ihn günstigste Leistung beantragen (
BSG, a.a.O., Rn. 30 und 32). Dabei geht es nach der Auslegungsregel des § 2
Abs. 2
SGB I um eine umfassende, nach Maßgabe des Leistungsrechts (hier: des Leistungsrechts der
GKV nach dem
SGB V sowie des Leistungsrechts der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem
SGB VI) bestmögliche Versorgung mit einem neuen Hörgerät. Eine solche Auslegung des Leistungsbegehrens schließt die Aufspaltung des klägerischen Begehrens in zwei separate Leistungsanträge, nämlich in einen Antrag auf Bewilligung des Festbetrages (Gerät zum Vertragspreis) als "Normalversorgung" (
§ 12 Abs. 2 SGB V) und einen weiteren Antrag auf Bewilligung einer über den Festbetrag (Gerät zum Vertragspreis) hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren und teureren Versorgung ("Premiumversorgung"), von vornherein aus. Es ist also von einem einheitlichen Leistungsantrag auszugehen (
BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R -, juris Rn. 21).
Die maßgebliche Erstantragstellung kann im Rahmen der Hörgeräteversorgung rechtlich gleichwertig bereits in der Übergabe einer vertragsärztlichen Hörgeräteverordnung an den Hörgeräteakustiker oder erst in dessen Versorgungsanzeige bei der Krankenkasse
bzw. in der Antragstellung bei einem Sozialleistungsträger liegen. Sind die tatsächlichen Voraussetzungen aller drei Möglichkeiten erfüllt, sind sie nach Maßgabe ihrer zeitlichen Priorität gegeneinander abzugrenzen (
BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 R 8/14 R -, juris Rn. 36; Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24. Oktober 2018 - L 7 R 215/15 -, juris).
Dies zu Grunde gelegt wurde der Antrag nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme am 02.03.2017 dadurch gestellt, dass die Klägerin die ärztliche Verordnung einer Hörhilfe vom 06.09.2016 an den Hörgeräteakustiker übergeben hat, was als Antrag gegenüber der Beigeladenen zu werten ist. Auf den erst am 03.03.2017 bei der Beigeladenen eingegangenen Antrag kommt es insoweit nicht an.
Eine vor dem 02.03.2017 erfolgte Versorgungsanzeige ist nach den Verwaltungsakten der Beigeladenen und der klarstellenden Erklärung des Hörgeräteakustikers nicht erfolgt, so dass der Zeitpunkt nicht weiter nach vorne verlagert werden kann.
Auch wenn der Kammer nicht nachvollziehbar erscheint, dass die Verordnung vom 06.09.2016 nicht bereits beim erstmaligen Kontakt mit dem Akustiker, der spätestens im November 2016 erfolgt ist, vorgelegt wurde, lässt sich eine frühere Vorlage nicht mit der für einen Vollbeweis notwendigen Sicherheit feststellen. Unabhängig davon hat die Beigeladene den Antrag jedoch nicht innerhalb von zwei Wochen in wirksamer Weise an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet, auch wenn sie bereits am 06.03.2017 den über den Vertragspreis hinausgehenden Antrag an die Beklagte abgegeben hat. Wie bereits ausgeführt, darf ein Antrag auf Versorgung mit Hörgeräten nach der von der Kammer geteilten Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts, die sich auf den vorliegend nach allgemeinen Grundsätzen anzuwendenden § 14
SGB IX a.F. bezieht, weil ein vor dem 31.12.2017 abgeschlossener Lebenssachverhalt vorliegt, nicht in einen Antrag auf Bewilligung des Festbetrags (i.v.F. Gerät zum Vertragspreis) einerseits und einen zweiten Antrag auf Bewilligung einer darüberhinausgehenden, technisch anspruchsvolleren Versorgung andererseits aufgespalten werden. Vor diesem Hintergrund darf der erstangegangene Rehabilitationsträger den Antrag nur vollständig oder eben gar nicht weiterleiten.
Demgegenüber hat die Beigeladene dem Kläger mit Bescheiden vom 06.03.2017 für die beantragte Versorgung den Vertragspreis bewilligt und im Übrigen, also hinsichtlich der weitergehenden Kosten, den Antrag mit Schreiben vom gleichen Tag unter Hinweis auf § 14
SGB IX an die Beklagte weitergeleitet, was der gesetzlichen Konzeption der §§ 14
SGB IX a.F. widerspricht. Die Weiterleitung ist deshalb ungeeignet, die Zuständigkeit von der erstangegangenen Beigeladenen auf die Beklagte zu verlagern (so bereits zutreffend SG Karlsruhe, Urteil vom 26. September 2016 -
S 5 R 771/16 -, juris). Unerheblich ist insoweit, dass die "Empfehlung der DRV und des
GKV-SV zum Verfahren bei Beteiligung verschiedener Leistungsträger im Rahmen der Hörhilfeverordnung", wie sie in einem Rundschreiben der Beklagten wiedergegeben sind, etwas Anderes bestimmen mag. Eine solche - allenfalls als Verwaltungsvorschrift zu wertende - gemeinsame Empfehlung ist nicht geeignet, die vorstehende Auslegung zu entkräften.
Einen förmlichen Antrag bei der Beklagten hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt gestellt, frühestens im Widerspruchsschreiben vom 02.08.2017 mag ein Antrag gegenüber der Beklagten zu sehen sein, wobei hier die maßgebliche Zweiwochenfrist längst verstrichen war. Seit Ablauf der Zweiwochenfrist ist daher ausschließlich die Beigeladene zuständig. Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte über den Antrag der Klägerin auf Versorgung mit Hörgeräten nicht mehr in der Sache entscheiden. Da sie es dennoch tat, ist der Bescheid vom 27.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2017 aufzuheben.
II.) Die Klägerin hat jedoch keinen Kostenerstattungsanspruch gegenüber der Beklagten oder der Beigeladenen.
Für die Beklagte folgt dies bereits daraus, dass gegen diese nach der Rechtsauffassung der Kammer eine Klage nicht wirksam gerichtet werden kann, denn sie ist wegen § 14
SGB IX nicht der materiell-rechtlich verpflichtete Leistungsträger (s.o.). Aber auch gegenüber der Beigeladenen besteht kein Anspruch auf Kostenerstattung.
1.) Ein Anspruch gegen die Beigeladene kommt allenfalls nach dem Recht der Beigeladenen Krankenkasse selbst, nicht aber nach dem Recht der Beklagten Rentenversicherung in Betracht, weil ein den unmittelbaren Behinderungsausgleich übersteigender beruflicher Mehrbedarf bei der von der Klägerin beschriebenen Tätigkeit in abgetrennten Drei-Personen-Büros mit Hauptaufgabe des Telefonierens nicht ersichtlich ist. Zutreffend hat die Beklagte bereits im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen, dass das Telefonieren in lärmender Umgebung in allen Bereichen des täglichen Lebens (Straßenbahn, Gaststätte, Fußballstadion, KFZ über Freisprecheinrichtung
etc.) erforderlich ist, so dass bei Herstellung des unmittelbaren Behinderungsausgleichs kein berufsbedingter Mehrbedarf mehr in Betracht kommen kann, weil die Tätigkeit keine besonderen Anforderungen an das Gehör stellt (zur Systemabgrenzung
vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R -, juris Rn. 50).
2.) Als Anspruchsgrundlage kommt insoweit allein
§ 13 Abs. 3 S. 1 Fall 2 SGB V a.F. in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, § 13
Abs. 3
S. 1
SGB V a.F. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem
SGB IX werden nach
§ 15 SGB IX erstattet, § 13
Abs. 3
S. 2
SGB V a.F. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist des § 14
Abs. 2
SGB IX a.F. eine erforderliche Leistung selbst, ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, § 15
Abs. 1
S. 3
SGB IX a.F. Die Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, § 15
Abs. 1
S. 4
SGB IX a.F. 3.) Der Anspruch scheitert zur Überzeugung der Kammer jedoch bereits entweder daran, dass die Bescheide der Beigeladenen vom 06.03.2019 nach § 77
SGG bestandskräftig geworden sind. Eine unmittelbare Verurteilung einer Beigeladenen nach § 75
Abs. 5
SGG setzt voraus, dass der Ablehnungsentscheidung im Verhältnis zwischen Kläger und der Beigeladenen keine Bindungswirkung zukommt, andernfalls ist eine Verurteilung ausgeschlossen (
BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R -, Leitsatz nach Juris). Sollte die Beigeladene also, was sie in der mündlichen Verhandlung weder bestätigen noch verneinen konnte, über den Widerspruch der Klägerin mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid abschlägig beschieden haben, scheidet eine Verurteilung der Beigeladenen bereits aus diesem Grunde aus.
3.) Im Ergebnis kann die Kammer dahinstehen lassen, ob die Beigeladene den Anspruch bestandskräftig abgelehnt hat. Sofern die Beigeladene den Antrag nicht bestandskräftig abgelehnt haben sollte, besteht nämlich gleichwohl kein Anspruch, weil die Klägerin die Voraussetzungen von § 13
Abs. 3
SGB V bzw. § 15
Abs. 1
S. 3 und 4
SGB IX nicht erfüllt. Nach beiden Vorschriften kommt ein Kostenerstattungsanspruch nur in Betracht, wenn die selbst beschaffte Leistung "notwendig" war
bzw. die "Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit" beachtet. Beides ist nicht der Fall, wenn die Klägerin ohne relevanten Nachteil mit einem vom Hörgeräteakustiker tatsächlich angepassten zuzahlungsfreien Hörgerät hätte versorgt werden können. Dies ist vorliegend zur Überzeugung der Kammer anzunehmen, wie der Freiburger Sprachtest belegt, denn die Klägerin hat lediglich einen um 5 % besseren Wert im Störschall erzielt, was nach Einschätzung der Kammer jedenfalls im vorliegenden Einzelfall eine als geringfügig zu vernachlässigende Verbesserung darstellt (so ausdrücklich Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. November 2014 -
L 9 KR 323/14 B ER -, juris Rn. 6;
vgl. auch die gutachterlichen Einschätzungen nach den Tatbeständen des Urteils vom 24. November 2015 Hessisches Landessozialgericht, Az.
L 2 R 293/12, juris Rn. 32 - und des Urteils vom 23. Oktober 2013 Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, AZ.
L 6 R 425/11, juris Rn. 12 -), weil die Tätigkeit keine besonders hohen Anforderungen an das Gehör stellt. Anders als die Klägerin und die von ihr in Bezug genommene Entscheidung des SG Hamburg meinen, ist die erkennende Kammer der Überzeugung, dass die Notwendigkeit einer über den Vertragspreis hinausgehenden Versorgung nicht allein mit den subjektiven Angaben des behinderten Menschen selbst begründet werden kann. Nachdem der Freiburger Sprachtest geeignet ist, die Versorgungsindikation zu objektivieren, sind keine Gründe ersichtlich, den Test für die Beurteilung der Versorgungsqualität außer Acht zu lassen. Dabei berücksichtigt die Kammer insbesondere auch, dass Gründe der Bequemlichkeit keine höherwertige Versorgung rechtfertigen können. Der unmittelbare Behinderungsausgleich soll das Verstehen ermöglichen, ohne dass es auf den objektiv nicht überprüfbaren Klang des Gehörten (
z.B. subjektiv als unangenehm empfundener Klang) ankäme. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Hörgeräteakustiker bestätigt, dass eine annähernd gleichwertige Versorgung mit einem zuzahlungsfreien Hörgerät möglich gewesen wäre.
Die abweichende Behauptung der Klägerin, mit dem aufwendigeren Gerät besser zu hören und weniger Rückkopplungen ausgesetzt zu sein, kann vor diesem Hintergrund nicht anhand objektiver Anknüpfungspunkte nachvollzogen werden. Dass das angeschaffte Gerät über objektiv zwingend erforderliche Funktionen verfügen würde, welche das zuzahlungsfreie Gerät nicht aufweist, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch auf konkrete Nachfrage nicht behauptet, im Übrigen ist es auch sonst nicht ersichtlich. Die zwingende Erforderlichkeit einer IDO-Versorgung besteht zur Überzeugung der Kammer nicht, vielmehr sind hier allein Bequemlichkeitsaspekte festzustellen, wie die Angaben im Schreiben vom 03.03.2017 ("verminderter Tragekomfort
bzw. Halt des Headsets") belegen. Der Kammer ist bekannt, dass am Markt diverse Headsets gehandelt werden, welche die gesamte Ohrmuschel einschließlich Hörgerät bedecken, so dass eine HDO-Versorgung letztlich ausreichend wäre.
III.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
Abs. 1
S. 1
i.V.m. § 194
S. 2
SGG. Dabei hält es die Kammer aus Veranlassungsgesichtspunkten für angezeigt, dass die Beklagte und die Beigeladene der Klägerin als Gesamtschuldner die Hälfte der außergerichtlichen Kosten erstatten, wobei sie im Innenverhältnis zu gleichen Teilen die Kosten zu tragen haben (jeweils ¼), § 426
Abs. 1
BGB. Die Beklagte hat ohne hierfür nach § 14
SGB X zuständig zu sein - Verwaltungsakte erlassen und die Klägerin hierdurch in ihren Rechten verletzt. Allein hierdurch hat sie Anlass zur Klageerhebung gegeben.
Darüber hinaus hätte die Beklagte, ihre eigene Zuständigkeit einmal als gegeben unterstellt, das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem
SGB V keinesfalls offenlassen dürfen, sondern vielmehr nach § 20
SGB X grundsätzlich weitere Ermittlungen anstellen müssen. Die Behauptung, hierzu nicht in der Lage zu sein, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Die Beigeladene hätte wiederum (unabhängig von der Unzulässigkeit der von ihr veranlassten Teilweiterleitung) bereits mangels berufsbedingtem Mehrbedarf offenkundig keine Weiterleitung an die Beklagte vornehmen dürfen. Durch die gleichwohl erfolgte Weiterleitung hat sie einen kausalen Beitrag zur Klage gegen die Bescheide der Beklagten gegeben, der zur Überzeugung der Kammer in etwa gleich zu gewichten ist wie der Verursachungsbeitrag der Beklagten.
Die Klägerin hat wiederum, weil sie mit ihrem Begehren auf Kostenerstattung nicht durchgedrungen ist, nach Erfolgsgesichtspunkten die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.