Urteil
Beschaffung eines Kraftfahrzeugs - Zuschuss - Ermessen - Öffentliche Verkehrsmittel - Zumutbarkeit

Gericht:

VG Augsburg 3. Kammer


Aktenzeichen:

Au 3 K 11.480 | 3 K 11.480


Urteil vom:

25.10.2011


Grundlage:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der 41-jährige Kläger begehrt eine finanzielle Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges.

1. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60 wegen einer spastischen Halbseitenschwäche nach frühkindlicher Hirnerkrankung. Sein Schwerbehindertenausweis trägt das Merkzeichen "G".

Der Kläger ist Beamter der Deutschen ... und als Paketzusteller tätig, der Großkunden beliefert. Die einfache Entfernung zwischen seiner Wohnung und seiner Arbeitsstätte beträgt auf der Straße 22,4 km. Der Kläger erklärte, er könne seinen um 5.15 Uhr beginnenden Dienst nur mittels Benutzung eines Kraftfahrzeuges antreten.

Eine Bahn- und Busverbindung zwischen dem Wohnort des Klägers und seinem Arbeitsort existiert zwar. Unstreitig fährt morgens der erste Zug erst um 5.19 Uhr ab, so dass der Kläger seinen Dienst bei Nutzung dieser Verbindung bei weitem nicht rechtzeitig antreten könnte.

Der Kläger erhielt mehrmals finanzielle Zuwendungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges. Am 28. Januar 2009 beantragte er beim Zentrum Bayern Familie und Soziales - Region ... - (Integrationsamt) erneut eine Zuwendung zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges im Rahmen der Hilfen zum Erreichen des Arbeitsplatzes.

Mit Bescheid vom 17. Februar 2009 lehnte das Integrationsamt den Antrag ab. Der Kläger könne den Weg von seiner Wohnung zum Bahnhof und von der Bushaltestelle zum Arbeitsplatz problemlos zu Fuß zurücklegen. Unberücksichtigt müsse bleiben, ob es wegen ungünstiger Verkehrszeiten zumutbar sei, den Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen, da dies keine behinderungsbedingte Problematik sei. Auch der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen. Die gegen den Bescheid erhobene Klage war insoweit erfolgreich, als das Gericht den Beklagten mit Urteil vom 13. April 2010 (Au 3 K 10.70) dazu verpflichtete, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden und dabei insbesondere eine ärztliche Stellungnahme zugrunde zu legen, die auf einer körperlichen Untersuchung des Klägers beruht.

Mit Bescheid vom 22. September 2010 und Widerspruchsbescheid vom 8. März 2011 wurde der Antrag des Klägers erneut abgelehnt.

2. Mit seiner Klage begehrt der Kläger,

den Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Region ... - vom 22. September 2010 und den Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses vom 8. März 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kosten zur Ersatzbeschaffung eines Kraftfahrzeugs als Zuschuss in maximaler Höhe zu erstatten.

Zur Begründung wird unter Verweis auf ein ärztliches Attest vorgetragen, regelmäßiger Arbeitsbeginn des Klägers sei um 5.15 Uhr. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihm nicht zumutbar. Er sei nicht nur im Winter, sondern generell unsicher beim Gehen, da sehr schnell eine Ermüdung der Muskulatur auftrete. Weite Wege könne er nicht zurücklegen. Hinzu komme, dass der Fußweg zum Bahnhof im Winter teilweise vereist und verschneit sei. Er benötige Gehhilfen; bei der Arbeit könne er die Rollcontainer als solche nutzen. Werde er auf öffentliche Verkehrsmittel zur Erreichung seines Arbeitsplatzes verwiesen, sei der Arbeitsplatz nicht zu halten. Der Kläger müsse zweimal umsteigen. In ... müsse er zudem den Bahnsteig wechseln. Es existierten zwar Aufzüge, die jedoch nicht immer funktionsfähig und zudem langsam seien. Der Kläger sei daher gezwungen, Treppen zu steigen. Die alten Wagen der Bahngesellschaft "Alex" hätten außerdem sehr schwierige Einstiege mit hohen Stufen, die schon für gesunde Fahrgäste beschwerlich seien, der Kläger wäre hier auf Hilfe angewiesen.

3. Das Integrationsamt beantragt für den Beklagten,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird auf die Gründe des Ausgangs- und Widerspruchsbescheids verwiesen.

4. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Dr. med. ... als sachverständigem Zeugen. Wegen seiner Aussage wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 2010 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Die als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne der §§ 113, 114 VwGO in seinen Rechten verletzt.

1. Nach § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 b) des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) kann das Integrationsamt im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen zum Erreichen des Arbeitsplatzes erbringen. Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) haben die Integrationsämter die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel u.a. für Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben zu verwenden. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 b) SchwbAV können Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben zum Erreichen des Arbeitsplatzes erbracht werden, wozu auf § 20 SchwbAV verwiesen wird. Danach können schwerbehinderte Menschen Leistungen zum Erreichen des Arbeitsplatzes nach Maßgabe der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) erhalten. Die Kraftfahrzeughilfe umfasst nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV auch Leistungen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges in Gestalt von Zuschüssen (§ 2 Abs. 2 KfzHV). Die Leistungen setzen u.a. gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV voraus, dass der behinderte Mensch infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen.

2. Wie sich aus dem Wort "kann" in § 102 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ergibt, enthält die Entscheidung über die Gewährung von Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges Elemente des behördlichen Ermessens (vgl. BSG vom 16.11.1993, 4 RA 22/93; vom 21.3.2006 B 5 RJ 9/04 R; jeweils zitiert nach juris; VG Augsburg vom 3.6.2008 Au 3 K 07.914). Ermessensentscheidungen sind nach § 114 VwGO nur begrenzt gerichtlich überprüfbar. Das Gericht prüft nach § 114 Satz 1 VwGO, ob die Ablehnung eines Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Hält sich die Behörde innerhalb des so gesetzten Rahmens, kann das Gericht nicht seine Einschätzung an die Stelle der Behörden setzen, sondern muss die Behördenentscheidung respektieren.

Begehrt der Rechtsuchende einen auf die Gewährung einer Leistung gerichteten begünstigenden Verwaltungsakt, dessen Erlass letztlich im Ermessen der Behörde steht, so kommt eine Verpflichtung zur Gewährung der Leistung nur in Betracht, wenn der Handlungsspielraum der Behörde so eingeschränkt ist, dass nur eine bestimmte positive Entscheidung sowohl nach dem Ob als auch dem Wie der Leistung rechtlich möglich ist. Hiervon ist vorliegend aber nicht auszugehen. Auch eine Aufhebung des Bescheids bei gleichzeitiger Verpflichtung der Behörde, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, kommt nicht mehr in Betracht.

3. Der Bescheid des Integrationsamtes vom 22. September 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 8. März 2011 sind ermessensgerecht und damit rechtmäßig. Insbesondere hat die Behörde nunmehr die Frage, ob es dem Kläger zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel in Gestalt der konkreten Verbindung zwischen Wohn- und Arbeitsort des Klägers und ihren Gegebenheiten zu nutzen, durch die durchgeführte ärztliche Begutachtung ausreichend ermittelt und die Entscheidung so auf eine tragfähige Tatsachengrundlage gestellt.

a) Die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe für Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen "G" setzt voraus, dass sie keine anderen tatsächlich nutzbaren Möglichkeiten als die Benutzung eines Kraftfahrzeuges haben, ihren Arbeitsplatz zu erreichen (vgl. BSG vom 26.8.1992 9b RAr 14/91). Ist dies der Fall, so wird die Notwendigkeit der Nutzung eines Kraftfahrzeuges wegen der Behinderung nicht dadurch verdrängt, dass auch Nichtbehinderte mit denselben Verkehrsbeziehungen gezwungen wären, mit dem Kraftfahrzeug zur Arbeit zu fahren. Nach der zitierten Entscheidung muss es sich aber um tatsächlich nutzbare und - wie sich aus dem Leitsatz ergibt - zumutbare Verkehrsverbindungen handeln. Existieren derartige Verbindungen nicht, so darf dies nicht zur Folge haben, dass Schwerbehinderte von der Kraftfahrzeughilfe ausgeschlossen sind.

In diesem Zusammenhang kommt es aber nicht darauf an, ob das an sich vorhandene und zumutbare Verkehrsmittel zu der Zeit, in der es zur Erreichung des Arbeitsplatzes benötigt würde, auch tatsächlich verkehrt. Denn insoweit stellt sich die Situation des Behinderten nicht anders dar als die von Nichtbehinderten.

Schließlich dient die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges weder dazu, dem Schwerbehinderten allgemein zu größerer Mobilität zu verhelfen noch dazu, generell seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Sie ist ausschließlich beschränkt auf die Hilfe zum Erreichen des Arbeitsplatzes.

b) Davon ausgehend kann hier die ablehnende Entscheidung des Beklagten nicht beanstandet werden. Das Integrationsamt hat nicht nur die für seine Ermessensentscheidung maßgeblichen Tatsachen nunmehr umfassend ermittelt, indem es ein Gutachten eines Vertrauensarztes über die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers und die sich daraus ggf. ergebenden Probleme bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel eingeholt hat. Es hat dieses Gutachten im Rahmen seiner Entscheidungen auch im Hinblick auf das vom Kläger eingereichte ärztliche Attest vom 25. Oktober 2010 gewürdigt. Dass es dabei zu dem Ergebnis kam, die Benutzung der Verbindung des öffentlichen Nahverkehrs sei dem Kläger zumutbar, ist gerichtlich nicht zu beanstanden.

Insbesondere hat auch die Einvernahme des Vertrauensarztes, der das Gutachten aufgrund einer ausführlichen Untersuchung des Klägers erstellt hat, ergeben, dass dem Kläger die Nutzung der Bahnverbindung zwischen Heimat- und Arbeitsort zumutbar ist.

Der sachverständige Zeuge hat ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass der rechte Arm des Klägers durch die spastische Parese gravierend betroffen, auch das rechte Bein hinsichtlich der Kraftentfaltung noch um etwa ein Fünftel gemindert und der Kläger zudem rechtsseitig von Koordinationsproblemen betroffen ist. Linksseitig ist die Kraftentfaltung des Klägers jedoch alters- und staturgemäß entwickelt. Aufgrund dessen könne er die Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln auch unter Berücksichtigung der konkreten Anforderungen der Verbindung nutzen.

c) Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass das Integrationsamt davon ausgeht, dass dem Kläger bei guter Witterung zugemutet werden könne, die ca. 400 m lange Fußwegstrecke zwischen Wohnung und Bahnhof alternativ auch mit dem Fahrrad zurückzulegen, das er in seiner Freizeit nutzt, oder bei sehr schlechter Witterung eine Gehhilfe zur Vermeidung von Stürzen oder Sturzängsten zu benutzen. Auch muss dem Beklagten zugestanden werden, dass die Tatsache, dass sich die für den Arbeitsweg zu veranschlagende Zeit durch Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs erheblich verlängert, nicht speziell ihre Ursache in der Behinderung des Klägers hat, sondern alle auf die Verbindung Angewiesenen gleichermaßen trifft. Insoweit kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger infolge seiner Behinderung auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, um seinen Arbeitsort zu erreichen.

4. Der Kläger trägt als unterliegende Partei die Kosten des gemäß § 188 VwGO gerichtskostenfreien Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R5459


Informationsstand: 08.04.2013