Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz für eine nebenberufliche selbständige Tätigkeit.
Die 1965 geborene Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (
GdB) von 100, im Schwerbehindertenausweis sind die Merkzeichen "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) und "Gl" (gehörlos) eingetragen. Sie ist bei einem Hersteller für Autowaschanlagen als technische Zeichnerin beschäftigt. Ab März 2011 verringerte sie ihre wöchentliche Arbeitszeit von 35 auf 25 Stunden, um eine selbständige Tätigkeit als Gebärdensprachdozentin auszuüben. In der Vergangenheit wurden mehrfach Zuwendungen zur Deckung der Kosten für den Einsatz eines Gebärdendolmetschers, insbesondere zur Teilnahme der Klägerin an betrieblichen Schulungen
bzw. Fortbildungen und Betriebsversammlungen, bewilligt.
1. Mit Schreiben vom 30. November 2010 beantragte die Klägerin beim Zentrum Bayern Familie und Soziales - Region ..., Integrationsamt, Hilfen zur Gründung und Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz in Form eines zinslosen Darlehens oder Zinszuschusses sowie einer Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz
bzw. für technische Arbeitshilfen, da sie ab März 2011 in Teilzeit mit etwa 17 Stunden wöchentlich freiberuflich als Gebärdensprachlehrerin arbeite.
Mit Bescheid vom 1. Februar 2011 lehnte das Integrationsamt diesen Antrag ab. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Hilfen zur Gründung und Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz seien nicht erfüllt. Der schwerbehinderte Mensch müsse arbeitslos oder das gegenwärtige Arbeitsverhältnis gefährdet sein, zudem müsse die selbständige Tätigkeit als Haupterwerbsquelle den Lebensunterhalt des Existenzgründers auf Dauer sichern; dies sei nicht der Fall. Die Klägerin stehe in einem festen Arbeitsverhältnis und habe die Arbeitszeit freiwillig reduziert, die geplante selbständige Tätigkeit werde nach eigenen Angaben lediglich als Nebenerwerbsquelle, also als zweites Standbein aufgebaut. Den hiergegen eingelegten Widerspruch, der auf die Ablehnung der Arbeitsassistenz beschränkt war, wies der Widerspruchsausschuss beim Zentrum Bayern Familie und Soziales, ..., mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2011 zurück.
2. Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Integrationsamtes vom 1. Februar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Widerspruchsausschusses vom 19. Juli 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Leistungen der Arbeitsassistenz in Höhe von maximal 5.400,--
EUR jährlich ab März 2011 für ihre selbständige Tätigkeit zu bewilligen, hilfsweise über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Klägerin habe einen Anspruch auf die Gewährung von Arbeitsassistenzleistungen als begleitende Hilfe im Arbeitsleben. Förderfähig sei nicht nur die Erhaltung, sondern auch die Gründung einer selbständigen Existenz. Sie gebe Kurse in deutscher Gebärdensprache und besitze die staatliche Anerkennung als Gebärdensprachkursleiterin. Die Klägerin benötige Arbeitsassistenz in Form eines Gebärdensprachdolmetschers bei Gesprächen mit Kunden und Auftraggebern, Telefonassistenz, sowie beim Abhören des Anrufbeantworters und der Korrektur von Schriftstücken auf sprachliche Mängel wegen behinderungsbedingter Schwächen in der Schriftsprache. Voraussetzung für die Förderung sei nicht, dass der Lebensunterhalt durch die selbständige Tätigkeit komplett gesichert werde, dies beziehe sich lediglich auf die Gewährung von Darlehen und Zinszuschüssen, nicht auf die Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz, auf die ein Anspruch bestehe. Auch viele nichtbehinderte Menschen würden eine nebenberufliche selbständige Tätigkeit ausüben, die als Existenzgründung auch förderfähig sei (Kreditanstalt für Wiederaufbau) und oftmals zunächst lediglich nebenberuflich begonnen werde; insofern stelle die Ablehnung eine Benachteiligung und eine Ungleichbehandlung der Klägerin dar, welche auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verbiete. Die Tätigkeit überschreite auch die festgelegte Grenze von 15 Wochenstunden. Auf die Sicherheit späterer Gewinnerwartungen könne nicht abgestellt werden; die Klägerin sei für die Tätigkeit geeignet und betreibe die Existenzgründung ernsthaft, wie die vorgelegten Unterlagen zeigen würden, so dass es sich nicht lediglich um ein Hobby handle. Für das erste Halbjahr 2012 habe die Klägerin bereits Aufträge im Wert von 8.480
EUR erhalten und ein Auftrag mit 2.600
EUR werde voraussichtlich erteilt werden; im Jahr 2011 habe sie einen Betrag von 2.022,38
EUR für notwendige Arbeitsassistenzleistungen aufgewendet, um diesen Betrag habe sich der Gewinn gemindert. Auch werde Arbeitsassistenz für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer geleistet. Es sei nicht definiert, was unter der Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt zu verstehen sei; schwerbehinderte Menschen sollten jedoch ihre Fähigkeiten und Kenntnisse im Berufsleben voll verwerten und weiterentwickeln können. Den gesetzlichen Regelungen lasse sich kein Anhaltspunkt entnehmen, dass schwerbehinderte Menschen lediglich eine einzige Berufstätigkeit in Teilzeit ausüben dürften und für die zweite Tätigkeit keine Arbeitsassistenz erhielten; dies schränke die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit ein, sofern Arbeitsassistenz erforderlich sei. Die begehrte Leistung solle behinderungsbedingte Einschränkungen ausgleichen, stelle also keinen Wettbewerbsvorteil dar.
3. Das Integrationsamt beantragt für den Beklagten,
die Klage abzuweisen.
Eine Förderung von Arbeitsassistenzleistungen komme bereits aufgrund des Zwecks, schwerbehinderten Menschen, die Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen und diese von staatlichen Unterstützungsleistungen unabhängig zu machen, nicht in Betracht. Die Klägerin stehe bereits seit dem Jahr 1985 in einem Angestelltenverhältnis mit zunächst 35 Wochenstunden und habe freiwillig ihre Arbeitszeit reduziert, wobei keine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses vorgelegen habe, so dass eine Teilnahme am Arbeitsmarkt möglich sei. Eine zusätzliche Hilfe würde eine Bevorzugung gegenüber nichtbehinderten Konkurrenten darstellen. Zudem müsse die selbständige Tätigkeit den Lebensunterhalt voraussichtlich auf Dauer im Wesentlichen sicherstellen, was bei der Klägerin nicht der Fall sei. Unabhängig davon, sei erforderlich, dass mit der geförderten Tätigkeit im Arbeitsleben Erwerbseinkünfte erzielt würden. Die begleitende Hilfe dürfe nicht dazu dienen, einer nicht wettbewerbsfähigen beruflichen Betätigung mit Hilfe der Arbeitsassistenz einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen; es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber eine Besserstellung der schwerbehinderten Menschen gegenüber Nichtbehinderten beabsichtigt habe. Nachdem die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorlägen, liege in der Versagung der Leistung auch keine Benachteiligung wegen der Behinderung vor.
4. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Die zulässige Klage ist sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz für ihre nebenberufliche selbständige Tätigkeit. Der Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Region ..., Integrationsamt, vom 1. Februar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Widerspruchsausschusses beim Zentrum Bayern Familie und Soziales, Integrationsamt, ..., vom 19. Juli 2011 erweist sich daher als rechtmäßig (§ 113
Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO).
Bei der Beurteilung der Begründetheit der Verpflichtungsklage ist darauf abzustellen, ob im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ein Rechtsanspruch auf Erlass des beantragten Verwaltungsaktes
bzw. auf Bescheidung besteht (
vgl. Kopp/Schenke,
VwGO, 17. Auflage 2011, RdNr. 217 zu § 113).
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die geltend gemachte Arbeitsassistenz; ein solcher scheidet bereits deshalb aus, weil die in Teilzeit ausgeübte selbständige Tätigkeit der Klägerin nach Ziel und Zweck der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben nicht förderfähig ist. Zudem ist die auf dieser Zielsetzung beruhende Leistungsvoraussetzung, die Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen
bzw. zu sichern, nicht gegeben.
a) Anspruchsgrundlage der begehrten Leistung ist § 102
Abs. 4 und
Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 Buchst. c des Sozialgesetzbuches IX. Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX)
i.V.m. §§ 21 Abs. 4 und
17 Abs. 1a der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV). Nach dem Wortlaut des
§ 102 Abs. 4 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Dieser ist, bei betragsgenauer Abrechnung, auf die Höhe der tatsächlich entstandenen
bzw. entstehenden Kosten begrenzt, denn nur bei diesen Kosten kann sich die Frage der Notwendigkeit sinnvoll stellen (
vgl. BVerwG vom 28.6.2010 Az.
5 B 66/09 (juris)). Die Vorschrift gestaltet die Arbeitsassistenz - im Unterschied zu allen anderen Formen begleitender Hilfe im Arbeitsleben nach § 102
Abs. 3
SGB IX - als Anspruchsleistung aus (
vgl. Brünner in Neumann, Handbuch
SGB IX, 2. Aufl. 2004,
S. 425), die allerdings unter dem Vorbehalt steht, dass Mittel aus der Ausgleichsabgabe hierfür zur Verfügung stehen (
vgl. VG München vom 28.7.2010 Az. M 18 K 10.2468; Adlhoch/Schneider, Behindertenrecht 2001, 51
ff.). Die Frage ob hierdurch die Entscheidung über die Höhe der zu übernehmenden Kosten in das pflichtgemäße Ermessen des Integrationsamtes gestellt ist (offen gelassen in
BVerwG vom 28.6.2010 a.a.O.), kann vorliegend mangels Förderfähigkeit der geltend gemachten Kosten dahinstehen.
Die begleitende Hilfe verfolgt die Ziele, dass die schwerbehinderten Menschen in ihrer sozialen Stellung nicht absinken, auf Arbeitsplätzen beschäftigt werden, auf denen sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse voll verwerten und weiterentwickeln können sowie durch Leistungen der Rehabilitationsträger und Maßnahmen der Arbeitgeber befähigt werden, sich am Arbeitsplatz und im Wettbewerb mit nichtbehinderten Menschen zu behaupten (
vgl. § 102
Abs. 2 Satz 2
SGB IX). Die begleitende Hilfe im Arbeitsleben umfasst entsprechend dem Zweck des
SGB IX, die Sicherung und Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (
vgl. Ritz/Welsch in Cramer/Fuchs,
SGB IX, 6. Aufl. 2011, RdNr. 17 zu § 102).
Der Anspruch auf Arbeitsassistenz wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom 29. September 2000 geschaffen, ausweislich der Gesetzesbegründung soll hierdurch die Chancengleichheit schwerbehinderter Menschen im Arbeits- und Berufsleben verbessert und die Arbeitslosigkeit nachhaltig abgebaut werden (
vgl. BT-Drs. 298/00
S. 28). Zugleich wurden mit diesem Gesetz - abweichend von der Definition des Arbeitsplatzes in
§ 73 Abs. 1 und 3 SGB IX - auch Teilzeitarbeitsverhältnisse im Umfang von mindestens 15 Wochenstunden durch § 102
Abs. 2 Satz 3
SGB IX in den Anwendungsbereich der begleitenden Hilfe einbezogen, damit schwerbehinderte Menschen, denen es aufgrund ihrer Behinderung nicht möglich ist, eine über diesen zeitlichen Umfang hinausgehende Tätigkeit auszuüben, ebenfalls finanzielle Leistungen erhalten können (
vgl. Hauck/Noftz,
SGB IX, Stand: April 2011, RdNr. 34 zu § 102).
Bei den Mitteln für diese finanziellen Leistungen handelt es sich um Zahlungen aus der Ausgleichsabgabe gemäß
§ 77 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Diese darf nur für besondere Leistungen zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben einschließlich begleitender Hilfe im Arbeitsleben verwendet werden, soweit Mittel für denselben Zweck nicht von anderer Seite geleistet werden oder zu leisten sind (
vgl. §§ 77
Abs. 5 Satz 1
SGB IX). Arbeitsassistenz als Leistung des Integrationsamtes ist gemäß § 102
Abs. 5
SGB IX und
§ 18 Abs. 1 Satz 1 SchwbAV nachrangig gegenüber entsprechenden Leistungen Dritter. Die Begründung zum Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom 29. September 2009 führt hierzu aus, die gesetzliche Bindung der Verwendung der Mittel der Ausgleichsabgabe für Zwecke der beruflichen Eingliederung Schwerbehinderter soll künftig stärker arbeitsmarktorientiert ausgerichtet werden; die Förderung der Eingliederung Schwerbehinderter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt soll verstärkt werden (
vgl. BT-Drs. 298/00
S. 31). Das Integrationsamt ist kein Rehabilitationsträger im Sinne des § 6
SGB IX, der neben der Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 4
Abs. 1
Nr. 4
SGB IX auch die persönliche Entwicklung ganzheitlich fördern und Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erbringen sowie eine möglichst selbstbestimmte und selbständige Lebensführung ermöglichen soll (
vgl. VG München vom 30.7.2010 Az. M 15 K 10.2373 (juris);
VG Augsburg vom 3.6.2008 Az. Au 3 K 07.914 (juris)).
In Ergänzung zu § 102
Abs. 2 bis 7
SGB IX gelten für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben die Vorschriften der §§ 17 bis 25
SchwbAV; wobei § 18
SchwbAV die Leistungsvoraussetzungen beinhaltet, die für alle in den §§ 19 bis 29
SchwbAV näher geregelten Leistungen gelten. Voraussetzung nach § 18
Abs. 2
Nr. 1
SchwbAV ist u.a., dass die Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung auf besondere Schwierigkeiten stößt und durch die Leistung der begleitenden Hilfe ermöglicht, erleichtert oder gesichert werden kann. Leistungen zur begleitenden Hilfe kommen demnach in allen Fällen in Betracht, in denen es um die Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geht (
vgl. BR-Drs. 482/87
S. 61).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ging das Integrationsamt zutreffend davon aus, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die geltend gemachten Kosten für eine Arbeitsassistenz im Rahmen der selbständigen Tätigkeit gemäß § 102
Abs. 4
SGB IX i.V.m. §§ 21 Abs. 4, 17
Abs. 1a und 18
Abs. 2
Nr. 1
SchwbAV besitzt. Sinn und Zweck dieser Regelungen stehen bereits der Kostenübernahme entgegen. Eine Eingliederung der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist
bzw. war bereits seit Jahren gegeben, ihre Teilhabe am Arbeitsleben also gesichert, da sie seit dem Jahr 1985 in einem Angestelltenverhältnis mit (zuletzt) 35 Wochenstunden tätig gewesen ist. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigte, erfolgte die Reduzierung der Arbeitszeit seitens der Klägerin freiwillig, nicht angesichts einer schlechten Auftragslage des Arbeitgebers. Das gegenwärtige Arbeitsverhältnis der Klägerin war demnach nicht gefährdet, diese also nicht von Arbeitslosigkeit bedroht. Auch war aufgrund der Tätigkeit als Arbeitnehmerin und des hierbei erzielten Einkommens der Lebensunterhalt auf Dauer sichergestellt.
Zudem liegen die Leistungsvoraussetzungen für die Kostenübernahme nach § 18
Abs. 2
Nr. 1
SchwbAV, der - gemäß § 21
Abs. 4
SchwbAV auch für selbständig tätige Schwerbehinderte - ergänzend zu § 102
Abs. 4
SGB IX heranzuziehen ist (
vgl. BayVGH vom 21.9.2011 Az. 12
ZB 11.1334 (juris)), nicht vor. Die Erbringung einer Leistung zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben setzt danach, u.a. voraus, dass die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht, erleichtert oder gesichert werden kann. Dies ist durch die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Gebärdensprachdozentin in Teilzeit nicht der Fall. Die Klägerin ist, wie dargelegt, aufgrund ihrer Tätigkeit als technische Zeichnerin seit Jahren ins Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert. Sie bedarf demnach keiner Hilfe hierfür. Die zusätzlich aufgenommene selbständige Tätigkeit erleichtert oder sichert ihr auch nicht diese bereits gegebene Teilhabe.
Das Integrationsamt begründete die Ablehnung der begehrten Leistung darüber hinaus damit, dass die Fördervoraussetzungen nach § 21
Abs. 1
SchwbAV nicht vorlägen. Die Klägerin vertritt demgegenüber die Ansicht, Voraussetzung für eine Förderung könne nicht sein, dass der Lebensunterhalt durch die selbständige Tätigkeit gesichert werde, diese Einschränkung beziehe sich nur auf die Gewährung von Darlehen und Zinszuschüssen. Andernfalls läge eine Benachteiligung und Ungleichbehandlung der Klägerin vor, nichtbehinderte Menschen würden ebenfalls nebenberufliche selbständige Tätigkeiten ausüben, die als Existenzgründung förderfähig seien. Einerseits ist weder dargelegt, noch ersichtlich, dass die Klägerin nicht ebenfalls eine Förderung zur Existenzgründung erhalten kann. Andererseits ist nach dem Wortlaut des § 21
Abs. 4
SchwbAV davon auszugehen, dass alle Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben, die wie ausgeführt grundsätzlich subsidiär sind, nicht nur dann erbracht werden können, wenn es um die Teilhabe am Arbeitsleben in abhängiger Beschäftigung geht, sondern auch dann, wenn der schwerbehinderte Mensch selbständig tätig ist oder sein will (
vgl. Ritz/Welsch in Cramer/Fuchs,
SGB IX, 6. Aufl. 2011, RdNr. 77 zu § 102). Auch hier muss jedenfalls ein angemessenes Verhältnis zwischen Leistungen des Integrationsamts und erzieltem Einkommen des Assistenznehmers gewährleistet sein (s. auch
Nr. 1.10 der Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen - BIH - für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen gemäß § 102
Abs. 4
SGB IX). Die Frage, ob Leistungen für eine notwendige Arbeitsassistenz für selbständig tätige Schwerbehinderte zusätzlich das Vorliegen der Fördervoraussetzungen nach § 21
Abs. 1
SchwbAV erfordern, ist aber vorliegend nicht entscheidungserheblich, da unabhängig davon die geltend gemachten Kosten nicht förderfähig sind.
Die Tatsache, dass die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz als Anspruchsleistung ausgestaltet ist, führt zu keinem anderen Ergebnis, da die Anwendung des § 102
Abs. 4
SGB IX nicht losgelöst vom Normzweck und den generellen Leistungsvoraussetzungen erfolgen kann. Zudem stellt diese Regelung im Rahmen der begleitenden Hilfen eine Ausnahmevorschrift dar, die grundsätzlich eng auszulegen ist.
c) Die Klägerin kann die begehrte Förderung auch nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten verlangen, insbesondere kann das Grundrecht der freien Berufs-
bzw. Ausbildungsstättenwahl (
vgl. Art. 12
Abs. 1 Grundgesetz -
GG) hierfür nicht in Anspruch genommen werden, denn dieses Grundrecht schützt die Berufsfreiheit grundsätzlich nur gegenüber staatlichen Eingriffen und begründet allein keine Leistungsansprüche (
vgl. BSG vom 3.7.1991 BSGE 69,128 unter Bezugnahme auf
BVerfG vom 12.6.1990 BVerfGE 82, 209). Aus
Art. 12
GG folgt aber, dass der Zugang zu einem gewählten Beruf nicht durch das öffentliche Leistungsrecht erschwert oder unmöglich gemacht werden darf und deshalb die gesetzlichen Vorschriften im öffentlichen Leistungsrecht im Zweifel zu Gunsten der Berufsfreiheit auszulegen sind (
vgl. BSG vom 3.7.1991 a.a.O). Die vorgenannten Vorschriften zur Regelung der Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz erschweren nicht den Zugang zu einem gewählten Beruf dahingehend, dass bestimmte Berufe von der Förderung generell ausgenommen sind, demnach kommt ihnen keine berufsregelnde Tendenz zu (
BVerfG vom 12.10.1977 BVerfGE 46,120-160), vielmehr wird eine selbständige
bzw. arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit gefördert. Das Grundrecht der freien Berufswahl begründet also kein Recht der Klägerin und keine Verpflichtung des Integrationsamts, aus Mitteln der Ausgleichsabgabe jegliche berufliche Tätigkeit zu fördern (
vgl. BSG vom 23.06.1982, SozR 4100 § 36
Nr. 21 zur Förderpflicht der Bundesagentur vormals Bundesanstalt für Arbeit).
Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass sie durch die Regelungen hinsichtlich der notwendigen Arbeitsassistenz gleichheitswidrig benachteiligt wird. Denn es liegt insoweit ein sachlicher Differenzierungsgrund im Sinne des
Art. 3
GG vor, als die Leistungen der beruflichen Integration behinderter Menschen dienen. Die sich hieraus ergebende Abgrenzung eines begünstigten Personenkreises ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn vertretbare Gründe dafür sprechen und willkürliche Privilegierungen und Diskriminierungen vermieden werden (
vgl. BVerfG vom 10.10.1979 BVerfGE 49, 208 ff). Dies ist, wie dargelegt, der Fall; insbesondere kann eine Willkür in diesem Sinne ebenso wie eine Diskriminierung aufgrund von Behinderung nicht festgestellt werden, wenn man auf die vorgenannte Zielsetzung sieht. Auch eine Verletzung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 (sog.
Behindertenrechtskonvention) ist demnach nicht gegeben.
2. Auch ein Anspruch der Klägerin auf hilfsweise Neuverbescheidung ihres Antrags durch die Beklagte ist nicht gegeben, denn das Integrationsamt hat die begehrte Kostenübernahme ohne Rechtsfehler abgelehnt.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154
Abs. 1
VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2
VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167
VwGO i.V.m. §§ 708
Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (
ZPO).
4. Die Berufung ist nach § 124 a
Abs. 1 Satz 1, § 124
Abs. 2
Nr. 3
VwGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Der Frage der Auslegung von § 102
Abs. 4
SGB IX i.V.m. § 21
Abs. 4
SchwbAV kommt über den vorliegenden Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung zu (s. hierzu Kopp/Schenke,
VwGO, 16. Aufl. 2009, RdNr. 10 zu § 124).
Beschluss
Der Gegenstandswert wird auf 5.400,--
EUR festgesetzt (§ 33
Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG, § 52
Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz - GKG).