Urteil
Zuschuss zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen in Form der Kosten für eine Assistenzkraft - maximale Leistungshöhe

Gericht:

VG München


Aktenzeichen:

15 K 12.5409


Urteil vom:

05.09.2013


Grundlage:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe von Leistungen zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen bei der Beschäftigung eines schwerbehinderten Menschen.

Der Kläger, ein ambulanter Pflegedienst, beschäftigt seit 15. Mai 2011 die schwerbehinderte Mitarbeiterin ... L. als Diplom-Sozialarbeiterin. Mit Bescheid des Versorgungsamts München II vom 21. März 1978 wurde deren Grad der Behinderung (GdB) aufgrund einer bestehenden cerebralen spastischen infantilen Lähmung auf 100 festgesetzt. Der Verdienst von Frau L. beträgt monatlich 3.200,00 Euro brutto. Der Kläger beschäftigt eine weitere Mitarbeiterin zur Unterstützung von Frau L. Für die Unterstützung bezahlt der Kläger der Assistenzkraft 1.600,00 Euro brutto im Monat.

Am 15. April 2011 beantragte der Kläger Leistungen zur Abgeltung seiner außergewöhnlichen Belastungen, die ihm als Arbeitgeber durch die Beschäftigung einer Assistenzkraft für seine schwerbehinderte Arbeitnehmerin entstünden.

Am 23. November 2011 machte sich der technische Berater des Beklagten, Herr. H., vor Ort ein Bild von der Situation. In seiner Stellungnahme vom 24. November 2011 stellte dieser fest, dass pro Tag von einem Assistenzbedarf von sechs Stunden auszugehen sei. Hinzu kämen täglich zwei weitere Stunden an Wartezeit.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2011 gewährte der Beklagte einen Zuschuss zu den Kosten der außergewöhnlichen Belastung in Höhe von 700,00 Euro pro Monat.

Hiergegen legte der Kläger am 15. Dezember 2011 Widerspruch ein.

Mit Änderungsbescheid vom 16. Februar 2012 bewilligte der Beklagte unter Aufhebung des Zuwendungsbescheids vom 6. Dezember 2011 einen Zuschuss zu den Kosten der außergewöhnlichen Belastung in Höhe von 1.100,00 Euro pro Monat.

Gegen diesen legte der Kläger am 13. März 2012 Widerspruch ein. Die tatsächlichen Kosten für die Arbeitsassistenz für Frau L. lägen erheblich über dem bewilligten Betrag von 1.100,00 Euro pro Monat. Mit dem gewährten Betrag könne er die Assistenzkraft nicht finanzieren. Die volle Übernahme der Kosten sei in einem Gespräch mit dem technischen Berater des Integrationsamts vereinbart worden.

Mit Schreiben vom 16. März 2012 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er Leistungen an Arbeitgeber und an Arbeitnehmer bzw. Selbstständige gewähre, um behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen. Dabei seien auch Zuschüsse an Arbeitgeber zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen möglich, wobei Arbeitgeber aber nicht völlig aus der Fürsorgepflicht gegenüber dem schwerbehinderten Mitarbeiter entlassen werden könnten. Im vorliegenden Falle sei ein außerordentlich hoher Zuschuss gewährt worden. Die Feststellungen des technischen Beraters bezögen sich nur auf den Umfang und den zeitlichen Bedarf an Assistenzleistungen. Über die Gewährung von Leistungen dagegen entscheide allein der zuständige Sachbearbeiter des Beklagten.

Am 10. April 2012 bat der Kläger um eine nochmalige Prüfung des Sachverhalts. Er wiederholte diese Bitte am 25. Mai 2012 und bat um Offenlegung der Berechnungsgrundlagen für die Entscheidung.

Mit Schreiben vom 6. Juni 2012 ergänzte der Beklagte, dass eine volle Kostenübernahme für eine Assistenzkraft im Rahmen der Vorschrift des § 27 SchwbAV nicht vorgesehen sei. Man habe sich hier aufgrund der Schwere der Behinderung bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 27 SchwbAV an § 17 SchwbAV angelehnt. § 17 SchwbAV betreffe eine direkte Förderung an den schwerbehinderten Menschen, wobei die maximale Regelförderung nach den geltenden Empfehlungen 1.100,00 Euro betrage - diese Förderung übersteige die Fördersätze für Leistungen an den Arbeitgeber erheblich.

Am 22. Juni 2012 nahm der Kläger erneut Stellung und wies darauf hin, dass § 27 SchwbAV keine Begrenzung der Zuschusshöhe vorsehe, vielmehr sei gem. §§ 27 Abs. 3 i. V. m. 26 Abs. 2 SchwbAV auf den Einzelfall abzustellen. Da die ermessensleitenden Empfehlungen, welche der Entscheidung zugrunde lägen, nicht mitgeteilt worden seien, habe der Beklagte gegen die Begründungspflicht des § 35 SGB X verstoßen.

Mit Schreiben vom 30. Juli 2012 teilte der Beklagte nochmals mit, dass eine volle Kostenübernahme nicht möglich sei. Die Ermessensentscheidung erfolge in der Regel anhand interner Empfehlungen, um Ungleichbehandlungen zu vermeiden. Von den Empfehlungen werde im Einzelfall abgewichen, wenn es erforderlich sei. Dies sei hier geschehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Leistungen an Arbeitgeber zur Abgeltung von außergewöhnlichen Belastungen, die infolge personeller Unterstützung schwerbehinderter Mitarbeiter entstehen, hätten ihre Rechtsgrundlage in § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e SGB IX i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e, § 27 Abs. 1 SchwbAV. Um der Ermessensentscheidung im Sinne des Art. 3 GG gerecht zu werden, seien landesweit einheitliche ermessensleitende Empfehlungen erarbeitet worden. Der Bescheid vom 16. Februar 2012 sei unter Berücksichtigung dieser Empfehlungen erlassen worden. Der vorliegende Fall sei wegen des hohen Unterstützungsbedarfs und der schweren Behinderung von Frau L. als besonders gelagerter Einzelfall behandelt worden. Es sei daher eine Anlehnung an die "Empfehlungen zu § 17 SchwbAV" erfolgt. Die durch den Beklagten herangezogene Richtlinie sehe eine maximale Förderung des Arbeitnehmers in Höhe von 1.100,00 Euro pro Monat vor. Dieser Regelfördersatz überschreite die Regelförderung, die im Rahmen des § 27 SchwbAV an den Arbeitgeber geleistet werden könne. Bei einem Bruttogehalt der Unterstützungskraft von 1.600,00 Euro pro Monat werde der Arbeitgeber hier durch den Zuschuss erheblich entlastet. Wegen der Unkenntnis des Klägers von den ermessensleitenden Empfehlungen sei der Bescheid vom 16. Februar 2012 nicht aufzuheben.

Am 31. Oktober 2012 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Klage erheben. Er wiederholte im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Trotz ausdrücklicher Bitte seien ihm die ermessensleitenden Richtlinien und Empfehlungen nicht mitgeteilt worden, so dass die Begründungspflicht des § 35 SGB X verletzt sei. Er bezweifle, dass der aktuelle Höchstsatz von 1.100,00 Euro pro Monat den aktuellen Gegebenheiten gerecht werde. Bei der Bemessung der Höhe des Zuschusses sei gem. § 27 Abs. 3 i. V. m. § 26 Abs. 2 SchwbAV auf den Einzelfall abzustellen - eine Begrenzung der Höhe nach sei nicht ersichtlich. Der Beklagte habe die einschlägige Rechtsgrundlage - § 102 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. e SGB IX i. V. m. § 27 SchwbAV - verkannt, insbesondere da er mit dem Normzweck von § 102 Abs. 4 SGB IX argumentiere. Die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerhaft, da dieser verkannt habe, dass er auch die vollen Kosten für die Assistenzkraft erstatten könne. Auch lägen der Ermessensausübung sachfremde Erwägungen zugrunde, insbesondere weil der Beklagte fehlerhaft davon ausgegangen sei, an einen Höchstbetrag gebunden zu sein.

Er beantragte in der mündlichen Verhandlung,

den Bescheid des Beklagten vom 16. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Sache zu entscheiden.

Der Beklagte legte die "Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen gem. § 102 Abs. 4 SGB IX" mit Rechtsstand 29. Juni 2011 sowie die im Bundesland Bayern verwendeten "Empfehlungen zu § 27 SchwbAV" vom 1. Juli 2006 vor und beantragte,

die Klage abzuweisen.

Eine Verletzung der Begründungspflicht des § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X liege nicht vor, denn der Beklagte habe die Gründe für seine Entscheidung ausführlich dargelegt. Auch sei der streitgegenständliche Bescheid nicht ermessensfehlerhaft. Die Leistungen des Beklagten stammten aus der Ausgleichsabgabe und damit aus einem begrenzten Sondervermögen. Die Höhe der bewilligten Leistung stehe daher im freien Ermessen der Behörde. Es finde eine regelmäßige Evaluierung der Leistungen statt, bei der auch der allgemeine Rückgang der Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe berücksichtigt werde. Im vorliegenden Fall sei unter Ausschöpfung des Ermessensspielraums und unter Beachtung aller Besonderheiten des Einzelfalls eine maximale Förderung in Höhe von 1.100,00 Euro gewährt worden. § 27 SchwbAV sei als Zuschussleistung konzipiert. Eine völlige Entlastung des Arbeitgebers sei nicht vorgesehen.

Auf Nachfrage des Gerichts ergänzte der Beklagte mit Schriftsatz vom 19. August 2013, dass er der Entscheidung die übersandten und von ihm erarbeiteten "Empfehlungen zu § 27 SchwbAV" mit Rechtsstand 30. Juni 2006 zugrunde gelegt habe. Zu den in Rede stehenden Zuschüssen an den Arbeitgeber würden zwar auch "Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)" vom 30. November 2006 existieren. Diese hätten in Bayern jedoch keine Gültigkeit. In Ziffer 5.3 der in Bayern geltenden "Empfehlungen zu § 27 SchwbAV" sei ein monatlicher Höchstbetrag von 465,00 Euro für Arbeitgeber vorgesehen, die ihre Beschäftigungspflicht erfüllen. In besonders gelagerten Fällen könne eine Förderung bis maximal 50% des Bruttoeinkommens der schwerbehinderten Person erfolgen. Eine Förderung in Höhe von 50% des Bruttoeinkommens der schwebehinderten Arbeitnehmerin entspreche hier genau dem Bruttoeinkommen der Assistenzkraft. Der Kläger erfülle aber seine Beschäftigungspflicht als Arbeitgeber nicht. Dies stelle einen wesentlichen ermessensleitenden Gesichtspunkt dar, so dass der Spielraum bis zu 50% des Bruttolohns nicht voll ausgeschöpft worden sei. Da ein besonders gelagerter Einzelfall vorliege, habe man den Zuschuss in Anlehnung an die Empfehlungen zu § 17 SchwbAV bemessen. Die hierfür geltende BIH-Richtlinie sehe bei einem täglichen Assistenzbedarf von mehr als drei Stunden eine Maximalförderung von 1.100,00 Euro monatlich vor.

In der mündlichen Verhandlung vom 5. September 2013 wiederholte der Beklagte im Wesentlichen die genannten Ausführungen zu seiner Ermessensbetätigung. Er ergänzte, dass eine Anlehnung an die "Empfehlungen zu § 27 SchwbAV" bei der Bemessung des Zuschusses an den Arbeitgeber in besonders schweren Fällen die regelmäßige Verwaltungspraxis sei, wenn dieser seine Beschäftigungspflicht nicht erfülle.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 5. September 2013 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 16. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte verpflichtet wird, unter Aufhebung der Bescheide und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag des Klägers zu entscheiden (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 2 VwGO), denn der Beklagte hat sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.

1. Der Kläger hat keinen Rechtsanspruch auf den Erhalt von Leistungen gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e SGB IX i. V. m. § 17 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e, § 27 Abs. 1 Schwerbehinderten-Ausgleichsverordnung (SchwbAV) zur Abgeltung von außergewöhnlichen Belastungen, die ihm durch die personelle Unterstützung eines schwerbehinderten Mitarbeiters entstehen, sondern die genannten Rechtsvorschriften stellen diese Leistungen vielmehr in das pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten (VG München, U.v. 28.7. 2010 - M 18 K 09.5079 - juris).

Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem Wortlaut der Vorschriften. Das Integrationsamt leistet für die Teilhabe schwerbehinderter Menschen gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IX begleitende Hilfe im Arbeitsleben. Dabei kann das Integrationsamt gem. § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e SGB IX aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln Geldleistungen an den Arbeitgeber für außergewöhnliche Belastungen erbringen, die mit der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verbunden sind. Durch die §§ 17-28 SchwbAV hat die Bundesregierung die begleitenden Hilfen im Arbeitsleben konkretisiert. Auch in diesen Vorschriften wird dem Integrationsamt für Leistungen an den Arbeitgeber, ein Ermessen eingeräumt. So können Arbeitgeber gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 SchwbAV Zuschüsse zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen im Sinne von § 27 Abs. 2 SchwbAV erhalten.

Dass es sich bei der Gewährung von Zuschüssen zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen um eine Ermessensentscheidung handelt, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass diese Zuschüsse an den Arbeitgeber nur aus den begrenzten Mitteln geleistet werden, die dem Beklagten aus der gem. § 77 Abs. 1 SGB IX zu leistenden Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehen. Geldleistungen im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben werden nämlich gem. § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e SGB IX im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel erbracht. Gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV haben die Integrationsämter die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel der Ausgleichsabgabe einschließlich der Zinsen, der Tilgungsbeträge aus Darlehen, der zurückgezahlten Zuschüsse sowie der unverbrauchten Mittel des Vorjahres u. a. für Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben zu verwenden. Die Ausgleichsabgabe erhebt das Integrationsamt gem. § 102 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX i. V. m. § 77 Abs. 1 SGB IX von Arbeitgebern, die die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen. Die Mittel aus der Ausgleichsabgabe sind begrenzt, so dass dem Beklagten bei der Verteilung dieser begrenzten Mittel ein Ermessen zukommt (zu den ebenfalls aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe zu leistenden begleitenden Hilfen im Arbeitsleben gem. § 102 Abs. 4 SGB IX: OVG Bremen, B.v. 15.10.2003 - 2 B 304/03 - juris).

Aus diesem Grund hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf eine rechtsfehlerfreie Ausübung des Ermessens (dazu: BVerwG, U. v. 7.1.1972 - IV C 49.68 - BVerwGE 39, 235). Die Ermessensentscheidung des Integrationsamtes unterliegt nur einem beschränkten Kontrollrecht des Gerichts. Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht nur, ob der Verwaltungsakt die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltung kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen (§ 114 Satz 2 VwGO).

Mit der Festsetzung des monatlichen Zuschusses an den Kläger zur Abgeltung der Kosten für die Unterstützungskraft von Frau L. auf monatlich 1.100,00 Euro hat der Beklagte weder die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten, noch von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Die Ermessenserwägungen des Beklagten in dem Bescheid vom 16. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2012 halten einer Überprüfung des Gerichts am Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO stand und sind daher rechtlich nicht zu beanstanden.

Bereits bei Erlass des Bescheids vom 16. Februar 2012 und des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2012 hat der Beklagte in seiner Ermessensausübung darauf abgestellt, dass Frau L. unter einer sehr schweren Behinderung leide, die eine personelle Unterstützung während der gesamten Arbeitszeit erforderlich mache. Daher sei die Zuschusshöhe in Anlehnung an die "Empfehlungen zu § 17 SchwbAV" -"Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen zu § 102 Abs. 4 SGB IX" - bemessen worden. Diese BIH-Richtlinie sehe bei einem täglichen Arbeitsassistenzbedarf von mindestens 3 Stunden eine Förderung für den schwerbehinderten Arbeitnehmer in Höhe von bis zu 1.100,00 EUR vor. Dieser Fördersatz für Leistungen an den schwerbehinderten Menschen selbst überschreite die nach den "Empfehlungen zu § 27 SchwbAV" zu leistenden Fördersätze. Da aber der Kläger eine Mitarbeiterin ausschließlich zur Unterstützung von Frau L. beschäftige, sei im Rahmen des Ermessens der Zuschuss an den Arbeitgeber an die Regelförderung angepasst worden, welche an einen schwerbehinderten Arbeitnehmer bezahlt wird. Damit erfahre der Kläger eine deutliche Entlastung. Ein vollumfänglicher Ausgleich der außergewöhnlichen Belastung des Arbeitgebers sei aber nicht Ziel der Förderung nach § 27 SchwbAV.

Diese Ermessenspraxis hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 19. August 2013 und in der mündlichen Verhandlung ergänzt (§ 114 Satz 2 VwGO) und vorgetragen, dass bei der Zuschusshöhe berücksichtigt worden sei, dass der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht erfülle. Die Ermessensentscheidung orientiere sich in ständiger Praxis an den für die Verwaltungspraxis in Bayern geltenden ermessensleitenden "Empfehlungen zu § 27 SchwbAV".

Nach Ziff. 5.3 dieser Empfehlungen "beträgt der Zuschuss zum Arbeitsentgelt grundsätzlich

- bei Arbeitgebern, die ihre Beschäftigungspflicht erfüllen oder ohne Beschäftigungspflicht schwerbehinderte Menschen beschäftigen bei Vorliegen von Minderleistung und/oder personeller Unterstützung maximal 465,00 Euro im Monat pro Monat und

- bei Arbeitgebern, die beispielsweise einen Menschen mit überwiegend psychischer Behinderung beschäftigen, für Minderleistung und personelle Unterstützung maximal 770,00 Euro pro Monat.

- in besonders gelagerten Ausnahmefällen kann eine Förderung bis maximal 50% des Bruttoeinkommens des schwerbehinderten Menschen erfolgen.

- die Werte der als Anlage beigefügten Tabelle finden als Obergrenzen entsprechende Anwendung. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind die Faktoren nach Ziff. 3.2.5 dieser Empfehlungen zu berücksichtigen."

Bei diesen Empfehlungen handelt es sich nicht um Rechtsnormen, die Rechte und Pflichten von Bürgern begründen können. Als Verwaltungsrichtlinien leiten sie vielmehr das Ermessen der letztlich für die Verteilung bestimmten Stellen, indem sie Maßstäbe für die Verteilung der Fördermittel setzen. Deshalb unterliegen sie nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U. v. 17.01.1996 - 11 C 5/95 - NJW 1996, 1766 ff; DVBl 1996, 814; BVerwG, U. v. 1.10.2008 - 11 A 7719/06 - juris, m. w. N.) auch nicht wie Rechtsnormen einer eigenständigen richterlichen Auslegung. Das gilt auch und besonders für Fälle, in denen der Wortlaut einer Verwaltungsvorschrift unklar ist. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist ausschließlich, wie die Verwaltungsrichtlinie (hier: Empfehlungen zu § 27 SchwbAV) in ständiger Behördenpraxis gehandhabt wird (BVerwG, U. v. 25.4.2012 - 8 C 18/11 - juris), wobei es nicht entscheidend auf den Wortlaut der Richtlinie ankommt (BVerwG, U. v. 13.7.1973 - VII C 6.72 - BVerwGE 44, 1 ff.; BVerwG, U. v. 26.4.1976 - BVerwGE 58, 45 ff.). Allerdings muss die Behörde bei der Anwendung ihrer Verwaltungsvorschriften stets beachten, dass die Selbstbindung nicht so weit geht, dass die Ausübung eines die besonderen Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Ermessens beseitigt wird (BVerwG, B. v. 1.6.1979 - 6 B 33/79 - Buchholz 11 Art 3 GG Nr. 240, DÖV 1979, 793 ff.). Dies kommt hier insbesondere auch in § 27 Abs. 3 i. V. m. § 26 Abs. 2 SchwbAV zum Ausdruck, wonach sich die Höhe des Zuschusses nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt.

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte vor dem Hintergrund, dass der Kläger die Beschäftigungspflicht nicht erfüllt, dem Kläger keinen höheren Zuschuss oder gar einen Zuschuss in Höhe von 50% des Bruttoeinkommens von Frau L. bewilligt hat.

Der Beklagte ist zunächst rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass bei der schwerbehinderten Mitarbeiterin Susanne L. ein besonders schwerwiegender Fall vorliegt. In solchen Fällen wird nach Auskunft des Beklagten in ständiger Praxis der in Ziff. 5.3 der Empfehlungen zu § 27 SchwbAV genannte Betrag von 465,00 Euro pro Monat überschritten bis hin zu einem Maximalbetrag von 50% des Bruttolohns des schwerbehinderten Menschen, wie es in Ziff. 5.3 der Empfehlungen zu § 27 SchwbAV vorgesehen sei. Wie der Beklagte weiter ausgeführt hat, wird geprüft, ob ein Betrag in Höhe von 50% des Bruttoarbeitslohnes des schwerbehinderten Menschen nicht höher ist als das Bruttoeinkommen der Unterstützungskraft. Falls dies nicht der Fall ist, wird weiter geprüft, ob der Arbeitgeber seine Beschäftigungsquote erfüllt. Diese Praxis steht in Übereinstimmung mit dem letzten Spiegelstrich von Nr. 5.3 der "Empfehlungen zu § 27 SchwbAV", der auf Nr. 3.5.2 verweist. Dort ist u. a. auch die Erfüllung der Beschäftigungspflicht als Kriterium für die Höhe des Zuschusses genannt. Die Erfüllung der Beschäftigungspflicht als ermessenslenkendes Kriterium stellt keine sachfremde Erwägung dar. Dies zeigt § 26 Abs. 2 SchwbAV, der gem. § 27 Abs. 3 SchwbAV entsprechend anwendbar ist. Nach dieser Vorschrift ist die Erfüllung der Beschäftigungspflicht ein für die Höhe der Leistung im Einzelfall mitbestimmendes Kriterium.

Es ist auch nicht ermessensfehlerhaft, dass der Beklagte bei der Bemessung der Zuschusshöhe auf den regelmäßigen Höchstsatz einer anderen ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift, nämlich der "Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen zu § 102 Abs. 4 SGB IX" zurückgreift.

Diese Empfehlungen betreffen zwar Leistungen an den Arbeitnehmer wegen dessen Beauftragung und Inanspruchnahme einer Assistenzkraft (sog. Dienstleistungsmodell, vgl. Seidel in Hauck/Noftz, SGB IX, Band 2, Stand Mai 2010, § 102 Rn. 70). Wenn der Beklagte sich aber in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Arbeitgeber seine Beschäftigungsquote nicht erfüllt, in ständiger Praxis an diesem Betrag anlehnungsweise orientiert, um einen angemessenen Zuschuss für den Arbeitgeber abweichend vom Regelbetrag von 465,00 Euro festzusetzen, liegt darin kein Ermessensfehler. Auch dass der Beklagte bei dem Betrag von 465,00 Euro teilweise von einem Höchstbetrag gesprochen hat, ist unschädlich, denn er erhöht diesen Betrag in besonderen Fällen regelmäßig beträchtlich. Darin zeigt sich, dass es sich, wenn der Beklagte von einem Höchstbetrag von 465,- EUR spricht, allenfalls um eine falsche Bezeichnung handelt. Dem Beklagten war - wie die mündliche Verhandlung deutlich gezeigt hat - bewusst, dass es im vorliegenden Fall um einen Zuschuss an den Arbeitgeber geht und nicht um das sog. Dienstleistungsmodell. Es sind daher keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich der Beklagte zu Unrecht an den Höchstbetrag der hier nicht einschlägigen Richtlinie zu § 102 Abs. 4 SGB IX gebunden gefühlt hätte. Ein Ermessensfehler in der Gestalt eines Ermessensausfalls liegt daher nicht vor.

Der Beklagte hat weiter nicht verkannt, dass das Vorliegen ermessensleitender Richtlinien nicht von einer Einzelfallprüfung entbindet. Er hat vielmehr den schweren Grad der Behinderung von Frau Susanne L. und ihren außerordentlich hohen Assistenzbedarf als besonders gelagerten Einzelfall erkannt und entsprechend gewürdigt. Die gebotene Berücksichtigung der Besonderheiten dieses Einzelfalls zeigt sich insbesondere darin, dass der Beklagte den in der Verwaltungspraxis gewährten Regelbetrag von 465,00 Euro für Arbeitgeber, die ihre Beschäftigungspflicht erfüllen, deutlich überschritten hat, um der Besonderheit des hohen Assistenzbedarfs von Frau Susanne L. gerecht zu werden.

Die Ermessenserwägungen, wie sie im Fall des Klägers angestellt worden sind, entsprechen nach Auskunft des Beklagten in der mündlichen Verhandlung seiner ständigen Verwaltungspraxis. Eine abweichende Praxis ist für das Gericht weder ersichtlich noch durch den Kläger vorgetragen worden. Der Beklagte hat somit im Falle des Klägers nicht gegen das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) verstoßen.

Die mit Schriftsatz vom 19. August 2013 und in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Erwägungen des Beklagten konnte das Gericht auch bei seiner Prüfung gem. § 114 Satz 2 VwGO berücksichtigen, da der Beklagte seine Ermessenserwägungen lediglich ergänzt und nicht sein Ermessen erstmalig ausgeübt hat (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 12.8.2013 - 22 CE 13.970 - juris). Die in der Rechtsprechung anerkannten Grenzen der Ergänzung von Ermessenserwägungen (vgl. BVerwG, U. v. 27.01.1982 - 8 C 12/81 - BVerwGE 64, 356/358; BVerwG, U. v. 5.5.1998 - 1 C 17/97 - BVerwGE 106, 351/363) sind hier nicht überschritten. Durch das Ergänzen der Ermessenserwägungen wurde der angegriffene Bescheid insbesondere nicht in seinem Wesen verändert. Die nachträglich vom Beklagten vorgebrachten Gründe lagen außerdem auch schon bei Erlass des Bescheids vor. So findet sich schon in dem Prüfvermerk vom 16. Februar 2012, der dem streitgegenständlichen Bescheid vom 16. Februar 2012 zugrunde liegt, ein Hinweis darauf, dass der Kläger seine Beschäftigungsquote als Arbeitgeber nicht erfüllt. Außerdem hatte der Kläger die Gelegenheit, zu den ergänzten Ermessenserwägungen Stellung zu nehmen oder etwa durch eine Erledigungserklärung oder eine Fortsetzungsfeststellungsklage angemessen zu reagieren, so dass von einer unzulässigen Rechtsbeeinträchtigung des Klägers nicht ausgegangen werden kann (BayVGH, U.v. 26.6.2012 - 10 BV 11.1936 - juris).

Nach alledem hat der Beklagte sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.

Auf den durch den Kläger vorgebrachten Einwand, die Höchstsätze der Zuschüsse entsprächen in Anbetracht der allgemeinen Preissteigerungen nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten, kommt es hier nicht an. Dem Gericht ist eine Kontrolle der Ermessensausübung der Behörde lediglich am Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO möglich. Es kann dagegen nicht eigenmächtig für die aus begrenzten Mitteln zu leistenden Zuschüsse ihm zweckmäßig erscheinende, neue Höchstsätze festlegen. Ebenso wenig kommt es auf die durch den Kläger aufgeworfene Frage an, ob der Beklagte ebenfalls rechtsfehlerfrei einen Zuschuss in Höhe von 100% des Bruttoarbeitslohns des schwerbehinderten Menschen hätte gewähren können.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers leidet der streitgegenständliche Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids auch nicht an einem zu seiner Aufhebung führenden Begründungsmangel.

Abgesehen davon, dass ein Verstoß gegen die Begründungspflicht für den Erfolg einer Verpflichtungsklage grundsätzlich unerheblich ist, da es allein auf das Bestehen eines klägerischen Anspruchs ankommt und nicht auf formelle Gesichtspunkte der Versagung (vgl. etwa Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage, § 113 Rn. 186), liegt hier auch kein Begründungsmangel vor, obwohl der Beklagte dem Kläger im Verwaltungsverfahren die einschlägigen Richtlinien nicht übersandt hat und auch die Begründung für die Zuschusshöhe im Verwaltungsverfahren nicht in der wünschenswerten Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen ist.

Nach § 35 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, die die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe enthält, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Diese Gründe hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2012 ausgeführt. Auf die Frage, ob die im Bescheid dargelegten Gründe objektiv zutreffend und für den Adressaten nachvollziehbar waren, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (BayVGH, U. v. 25.7.2013 - 4 B 13.727 m. w. N. - juris). Denn die Tragfähigkeit der Begründung ist keine Frage des verfahrensrechtlichen Begründungserfordernisses, sondern allein eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts (BayVGH a. a. O.).

Im Übrigen wäre ein solcher Begründungsmangel auch nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X geheilt, da der Beklagte spätestens in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, welche Gründe ihn zu seiner Entscheidung bewogen haben.

3. Nach alledem ist die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gem. § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Referenznummer:

R/R7104


Informationsstand: 10.01.2017