Urteil
Antrag auf einen höheren Zuschuss zu außergewöhnlichen Belastungen - Leistungen im Rahmen der Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben - Bemessung eines Minderleistungsausgleichs

Gericht:

VG Stuttgart 11. Kammer


Aktenzeichen:

11 K 1312/13 | 11 K 1312.13


Urteil vom:

14.10.2013


Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf einen höheren Zuschuss zu den außergewöhnlichen Belastungen aus der Beschäftigung des Herr Patrick K. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Bescheide des Beklagten vom 23.11.2012 und vom 18.02.2013 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand:

Der Kläger, eine gemeinnützige Einrichtung im Diakonieverbund, begehrt weitergehende Leistungen im Rahmen der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe für die Beschäftigung des schwerbehinderten P. K.

Der Kläger beschäftigt den 24-jährigen P. K.. Herr K. ist aufgrund des Bescheids des Versorgungsamtes des Landratsamtes Rems-Murr-Kreis vom 31.07.2007 wegen der Amputation des linken Armes mit einem Grad der Behinderung von 80 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er wird seit dem 05.07.2011 je zur Hälfte in der Buchhandlung und im Bereich Facility Management beschäftigt. Das Vollzeitarbeitsverhältnis war bis zum 25.07.2013 befristet und der schwerbehinderte Mensch erzielte damit ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 2.427,50 EUR.

Am 05.07.2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung eines Zuschusses aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 2 e) SGB IX für außergewöhnliche Belastungen, die wegen Minderleistung mit der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen im Sinne des § 72 Abs. 1 Nr. 1 a-d SGB IX verbunden sind. Im Rahmen des Antragsverfahrens holte der Beklagte die Stellungnahme des Technischen Beratungsdienstes vom 21.11.2012 ein, wonach eine behinderungsbedingte Minderleistung von 40% vorliege, in diesem Umfange entstünden dem Arbeitgeber Mehraufwendungen.

Mit Bescheid vom 23.11.2012 bewilligte der Beklagte einen Zuschuss in Höhe von monatlich 280,00 EUR für die Dauer vom 05.07.2011 bis 04.07.2013, insgesamt 6.720,00 EUR. (~280/M).

Hiergegen legte der Kläger am 20.12.2012 Widerspruch ein mit der Begründung, dass die Höhe des Zuschusses zu niedrig bemessen sei. Der bewilligte Betrag betrage lediglich 9,7 % der Gesamtbruttovergütung des schwerbehinderten Menschen. Die Leistungseinschränkungen hätten - gemessen an einem nichtbehinderten Mitarbeiter - anfangs etwa 60 %, danach etwa 40 % betragen. Die bewilligte Förderung stehe in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zu den Personalkosten für den Herrn K. Unter diesen Voraussetzungen sei dem Kläger die Beschäftigung des sbM über den 04.07.2013 hinaus nicht zuzumuten.

Mit Bescheid vom 18.02.2013, als Einschreiben am 13.03.2013 zur Post gegeben, wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führt im Wesentlichen zur Begründung aus: Ein Rechtsanspruch auf diese Leistungen bestehe nicht. Es handele sich um eine Ermessensleistung. Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 102 SGB IX, 27 SchwbAV seien zwar gegeben. Die Höhe sei aber dem pflichtgemäßen Ermessen des Integrationsamtes unterstellt. Hierbei komme dem Integrationsamt vor dem Hintergrund begrenzter Mittel ein relativ weites Ermessen zu. Dieses Ermessen des Integrationsamtes sei durch die "Grundsätze des Integrationsamtes Baden-Württemberg zur Gewährung von Leistungen an Arbeitgeber zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen nach § 27 SchwbAV vom 01.10.2010" gebunden. Danach sei zu berücksichtigen, dass die Mittel aus der Ausgleichsabgabe begrenzt seien und für eine Vielzahl von Hilfen zur Verfügung stehen müssten. Nach den vorgenannten Grundsätzen sei für die Höhe des Zuschusses maßgeblich, in welchen der drei Bedarfsstufen die Minderleitung einzuordnen sei und in welchen der weiteren sechs Bedarfsstufen der personelle Unterstützungsbedarf einzustufen sei. Danach komme man maximal auf einen monatlichen Betrag in Höhe von 280,00 EUR. Die Leistungen nach § 102 Abs. 3 Nr. 2e SGB IX in Verbindung mit § 27 SchwbAV müssten nicht in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen des Klägers gewährt werden.

Am 18.04.2013 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Er führt weiter aus: Der Kläger habe einen Anspruch auf erneute Bescheidung seines Antrags. Es stünden nicht nur die Mittel aus der Ausgleichsabgabe "zur Verfügung". Es sei unstreitig, dass der Kläger dem Grunde nach einen Zahlungsanspruch zur Abgeltung der außergewöhnlichen Belastungen habe. Bei pflichtgemäßer Ermessensausübung hätte der Zuschuss höher ausfallen müssen. Obwohl die Leistungseinschränkungen des sbM 50% ausmachten, umfasse der bewilligte Zuschuss lediglich 11% der Gesamtbruttokosten. Selbst der Beklagte gehe von Leistungseinschränkungen von etwa 40% aus. Nach dem Zweck der Vorschriften müssten Zuschüsse vor allem dann gezahlt werden, wenn ohne sie das Beschäftigungsverhältnis gefährdet sei. Aufgrund der großen Differenz zwischen Zuschuss und Kosten sei dies gerade nicht der Fall. Zudem erhalte der Kläger für den sbM keine anderweitigen Leistungen. Weiter übererfülle der Kläger seine Beschäftigungspflicht nach § 71 SGB IX mit 9,29%. Soweit der Beklagte sich schließlich an die "Grundsätze" gebunden fühle, widerspreche dies dem "freien Ermessen" und binde als interne Verwaltungsvorschriften Außenstehende nicht. Die Stufeneinteilung sei nicht nachvollziehbar. Eine nach Ziff. 5.3 gebotene Gesamtbetrachtung fehle. Die bewilligte Leistung sei weit von einer Überschreitung der Höhe von 40% entfernt, die Minderleistung jedoch weit höher als 40%.

Der Kläger beantragt,

dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen höheren Zuschuss zu den außergewöhnlichen Belastungen aus der Beschäftigung des Herrn K. zu gewähren und die Bescheide des Beklagten vom 23.11.2012 und vom 18.02.2013 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt ergänzend zur Begründung der angefochtenen Bescheide aus: Nach § 102 Abs. 3 SGB IX könne das Integrationsamt begleitende Hilfen im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch als Geldleistungen erbringen. Schon der Gesetzeswortlaut gehe von einer begrenzten Verfügbarkeit aus. Wie im Widerspruchsbescheid ausgeführt, könne dem Arbeitgeber kein Zuschuss in Höhe der Minderleistung gewährt werden. Zur Überprüfbarkeit der Begrenztheit der Mittel werde auf den Geschäftsbericht 2012/2013 auf S. 17 ff. verwiesen. nach einer Geschäftsanweisung werde die Höhe des Zuschusses errechnet. Aus der Minderleistung von 40%, dem Bruttolohn und der Pflichtquote habe sich ein monatlicher Zuschuss von 280,- EUR ergeben. Damit sei diesen Umständen einschließlich der Pflichtquote Rechnung getragen. Die interne Geschäftsanweisung diene der Gewährleistung der Gleichbehandlung der Leistungsempfänger.

Dem Gericht lagen die Behördenakten vor. Hierauf, auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die Gerichtsakten wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

Entscheidungsgründe:

Mit dem Einverständnis der Beteiligten konnte der Berichterstatter anstelle der Kammer entscheiden (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht verfristet. Denn der Widerspruchsbescheid ist dem Kläger erst am 20.03.2013 zugegangen. Der in den Akten des Beklagten angebrachte Vermerk, wonach der Widerspruchsbescheid bereits am 13.03.2013 als Einschreiben zur Post gegeben wurde, ist nach dem Eingeständnis der Vertreterin der Beklagten falsch, tatsächlich wurde das Einschreiben erst am 19.03.2013 zur Post gegeben. Somit ist die Klage am 18.04.2013 jedenfalls rechtzeitig erhoben worden, wobei es nicht mehr darauf ankommt, ob eine wirksame Zustellung im Sinne von § 73 Abs. 3 VwGO überhaupt vorlag (§ 73 Abs. 3 S. 2 VwGO in Verbindung mit § 8 VwZG).

Die Klage ist als Neubescheidungsklage auch unter Erhalt der bereits im Ermessenswege erlangten Zuschüsse statthaft. Es handelt sich insoweit um teilbare Leistungen und das Bestreben des Klägers, einen darüber hinaus gehenden Zuschuss zu erlangen, berührt nicht mehr das den bereits zugesprochenen Leistungen zugrunde gelegte Entschließungsermessen. Streitig ist vielmehr zwischen den Beteiligten, ob der Beklagte sein Auswahlermessen im Hinblick auf die Höhe der begehrten Leistung pflichtgemäß ausgeübt hat.

Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind in diesem Sinne (teilweise) rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinem Anspruch auf eine (weitergehende) pflichtgemäße Ausschöpfung seines Ermessens (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass das Ermessen eröffnet ist. Rechtsgrundlage dafür sind die §§ 102 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1 Nr. 2b SGB IX in Verbindung mit § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. e und § 27 SchwbAV, deren Voraussetzungen auch nach der zutreffenden Auffassung der Beteiligten vorliegen.

Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, so unterliegt die Verwaltungsentscheidung nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemäß § 114 S. 1 VwGO. Danach prüft das Gericht nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 VwGO), insbesondere ob die Behörde in ihre Ermessenserwägungen alle wesentlichen, den Streit zwischen den Beteiligten kennzeichnenden Gesichtspunkten eingestellt hat und ob sie dabei von einem richtigen und vollständigen Sachverhalt ausgegangen ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.05.1994 - 7 S 2294/92 -, Juris). Die Ermessensentscheidung ist danach fehlerhaft, wenn die Behörde Umstände außer Betracht lässt, die zu berücksichtigen wären (vgl. hierzu und im weiteren auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.03.1998 - 9 S 1637/97).

Bei der Ausübung seines Ermessens ist der Beklagte nicht gehindert, sein Ermessen für bestimmte Fallgruppen gleichmäßig nach generellen Gesichtspunkten auszuüben und sich insoweit durch Richtlinien oder eine bestimmte Verwaltungspraxis zu binden, sich also an die "Grundsätze des Integrationsamtes Baden-Württemberg zur Gewährung von Leistungen an Arbeitgeber zur Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen nach § 27 SchwbAV vom 01.01.2010" zu halten. Wie das Bundesverwaltungsgericht durch Einhaltung einer bestimmten Verwaltungspraxis, sofern die ihr zugrunde liegenden Erwägungen der Zielsetzung der vom Gesetz eingeräumten Ermächtigung entsprechen, nicht nur sinnvoll, sondern zur Wahrung des Gleichheitssatzes sogar geboten; denn vielfach kann nur so erreicht werden, dass gleichliegende Fälle gleich behandelt werden (vgl. hierzu auch Urteile vom 21.02.1963, BVerwG - VI C 80.61 -, juris und vom 09.04.1963, - VI C 138.61 -, Juris). Wenn sich die Behörde für ihre Ermessenshandhabung in dieser Art zulässigerweise bindet, kann ein Ermessensfehler in aller Regel nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Antragsteller dartut, dass die Behörde in seinem Fall von der Verwaltungspraxis abgewichen sei (BVerwG, Urteil vom 12.12.1962, - VC C 138.62 -, Juris).

Es ist auch nicht erkennbar, dass sich die "Grundsätze" selbst nicht innerhalb der Ermessensermächtigung halten. Nach der programmatischen Ausrichtung des Schwerbehindertenrechts in § 1 SGB IX ist an die Stelle der früher verfolgten Fürsorge die Förderung der selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben getreten; deshalb hat das Integrationsamt zu prüfen, ob der Arbeitgeber im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren dem Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf eine seinen Fähigkeiten gerecht werdenden Beschäftigung Rechnung trägt (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19.07.2004, - 8 K 3370/03, - unter Bezugnahme auf Düwell, LPK - SGB IX, 1. A., Anm. 7 und 9 zu § 89, nunmehr 2. A., Anm. 14. f. zum Schwerbehinderten-Kündigungsschutz). Schon nach dem bisherigen (Schwerbehinderten-)Recht war anerkannt, dass durch die Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (nur) die Nachteile des Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeglichen werden sollen.

Für begleitende Hilfe im Arbeitsleben konkretisiert § 102 Abs. 2 S. 2 SGB IX diese Zielsetzung. Sie soll dahin wirken, dass die schwerbehinderten Menschen in ihrer sozialen Stellung nicht absinken, auf Arbeitsplätzen beschäftigt werden, auf denen sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse voll verwerten und weiterentwickeln können sowie durch Leistungen der Rehabilitationsträger und Maßnahmen der Arbeitgeber befähigt werden, sich am Arbeitsplatz und im Wettbewerb mit nichtbehinderten Menschen zu behaupten. Dafür ermöglicht es die Regelung u.a. Arbeitgebern für außergewöhnliche Belastungen, die mit der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen verbunden sind, Geldleistungen zu erbringen, vor allem, wenn ohne diese Leistungen das Beschäftigungsverhältnis gefährdet würde.

Diesem gesetzlichen Ermessenszweck tragen die "Grundsätze" prinzipiell Rechnung. Sie sind danach ausgerichtet, die Arbeitgeber bei außergewöhnlichen Belastungen, die schwerbehinderte Menschen mit erheblichen behinderungsbedingten Leistungsminderungen verursachen, durch Zuschüsse zu entlasten, soweit diese Belastungen unzumutbar sind. Sie legen dabei einen Kriterienkatalog zugrunde, der sich im Rahmen der schwerbehindertenrechtlichen Vorgaben hält, indem er den Umfang der Leistungsminderung, das Bruttoeinkommen des schwerbehinderten Menschen sowie die Frage zugrunde legt, in welchem Umfange der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen Rechnung trägt. Bei der Ermessensbetätigung ist weiterhin auch von Bedeutung, ob Mittel dafür zur Verfügung stehen, wobei der Gesetzgeber die "zur Verfügung stehenden Mittel" im Rahmen des § 102 Abs. 3 SGB IX anders als ausdrücklich in den Absätzen 3a und 4 nicht auf solche aus der Ausgleichsabgabe beschränkt hat. Es kommt also darauf an, welche Mittel durch die zu dieser Entscheidung berufenen Organe des Beklagten rechtlich verbindlich überhaupt zur Verfügung gestellt worden sind, nicht darauf, ob diese (alleine) aus der Ausgleichsabgabe finanziert werden könnten. - Für die in aller Regel vorkommenden, also typischen, Fälle von außergewöhnlichen Belastungen in diesem Sinne dürften diese Ermessenskriterien der gesetzgeberischen Zielsetzung entsprechen und eine auf die "Grundsätze" gestützte Ermessensentscheidung somit auch - im Rahmen des § 114 S. 1 VwGO - nicht zu beanstanden sein.

Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens brauchte das Gericht der Frage nicht weiter nachgehen, ob der Sachverhalt für die Ermessensentscheidung zutreffend aufgeklärt worden war. Im Hinblick auf die tatsächliche Minderleistung des Herrn K. gehen die Meinungen der Beteiligten auseinander. Jedoch kann sich der Beklagte auf die insoweit sachverständige Einschätzung seines Technischen Beratungsdienstes vom 21.11.2012 beziehen, der eine behinderungsbedingte Minderleistung des Herrn K. von 40% festgestellt hatte, zumal der Beklagte eingeräumt hat, dass die Minderleistung des Herrn K. je nach Einsatzgebiet durchaus schwankte. Jedenfalls ist auch bei einem Ausfall von 40% der normalen Leistungsfähigkeit von einer erheblichen Minderleistung des schwerbehinderten Menschen auszugehen (vgl. Ziffer 4.1 a) und 4.3 Abs. 2 a) der Grundsätze).

Das Gericht brauchte auch der Frage nicht weiter nachzugehen, ob die nach § 102 Abs. 3 SGB IX "zur Verfügung stehenden Mittel" für einen höheren Zuschuss in dem Beschäftigungs- bzw. Zuschussbewilligungszeitraum ausreichten, nachdem die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hierzu keinerlei Angaben machen konnte oder wollte. Denn die Darlegung derartiger Umstände dürfte dem Beklagten obliegen, in dessen Sphäre sie liegen.

Dennoch ist die angegriffene Ermessensentscheidung des Beklagten nach den angeführten Grundsätzen rechtswidrig, weil der Beklagte das Ermessen auch in Anwendung seiner "Grundsätze" nicht ausgeschöpft hat.

Zwar hat der Beklagte die Höhe des Minderleistungsausgleichs nach den Kriterien der "Grundsätze" in Ziff. 3 bis 5 und der Tabelle zutreffend berechnet. Jedoch hat er nicht von der Ermächtigung nach Ziff. 5.3 Gebrauch gemacht. Diese ermessensbindende und -leitende Regelung verpflichtet den Beklagten zu einer "abschließenden Gesamtbetrachtung", die es ermöglicht, den Zuschuss sogar weit über die in der Tabelle angegebenen Beträge, nämlich bis zur sogenannten Leistungsobergrenze von max. 40% des Bruttoeinkommens des schwerbehinderten Menschen, anzuheben. Für die Anwendung dieser Ermessenserwägung sind in den "Grundsätzen" keine besonderen Voraussetzungen benannt. Es dürfte sich aber um eine Art Ausnahmevorschrift handeln, wie sie nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im Rahmen von ermessensbindenden Verwaltungsvorschriften geboten oder jedenfalls eröffnet sind, um dem Anspruch auf eine "echte Ermessensentscheidung" unter Berücksichtigung der Umstände des Falles (BVerwG, Urteil vom 17.01.2958, - VII C 23.57 -, Juris; BVerwG, Urteil vom 13.07.1964, - VI C 209.61 -, Juris) Rechnung zu tragen. Dies gilt insbesondere für Einzelfälle, die von den typischerweise von der ermessensbindenden Richtlinie erfassten Fällen abweichen, so dass "in der Regel" Ausnahmen zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber jedenfalls nur unter besonderen Umständen möglich sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 26.01.1966, - VI C 165.62 -, Juris; Urteil vom 07.12.1966, - VI C 47.64 -, Juris; Urteil vom 18.09.1984, - 1 A 4/83 -, Juris).

Vorliegend hat der Kläger solche Besonderheiten geltend gemacht, denen die bloße Anwendung der Tabelle nicht wirklich gerecht wird und die zumindest eine Ausübung des nach Ziff. 5.3 der Grundsätze eingeräumten Erhöhungsermessens geboten hätten und gebieten, von deren Anwendung der Kläger nach Ziff. 8 der Grundsätze auch nicht ausgenommen ist. Diese liegen zum einen in dem Umstand, dass der Kläger die Pflichtquote von beschäftigten schwerbehinderten Menschen nicht nur einhält, sondern ganz erheblich überschreitet (vgl. dazu Ziff. 4.6.1 der Grundsätze im Hinblick auf die Frage der Un-/Zumutbarkeit). Die Tabelle sieht ab 3% Erfüllung der Pflichtquote nur einprozentige Erhöhungsstufen, bei einer Überschreitung der Quote von 5% aber keinerlei Differenzierung mehr vor, so dass die Tabelle einem Arbeitgeber wie dem Kläger mit einer Beschäftigungsquote von 9,29% nicht wirklich gerecht wird und keinen Anreiz dafür schafft, mehr als die Pflichtquote überhaupt zu erfüllen. Entsprechendes gilt für die unterschiedlichen Gehaltsstufen in der Tabelle, die nur die Unterscheidungen zwischen "unter 1.500 EUR", von "1.500 bis 2.000 EUR" sowie "über 2.000 EUR" enthält. Da K. (unter Einbeziehung von Weihnachtsgeld) ein monatliches Bruttoeinkommen von (2.427,50 x 12,8 = 31.072,-/12 =) 2589,33 EUR bezog, überstieg dieses Einkommen die Tabellenstufe auf der höchsten Ebene mit mehr als 500 EUR ebenfalls um mehr als die darunter liegenden Unterscheidungsstufen.

Dazu haben sich die angefochtenen Bescheide, insbesondere auch der Widerspruchsbescheid, nicht ausgelassen. Eine Ermessensbetätigung nach Ziff. 5.3 der Grundsätze ist nicht erkennbar.

Ebenso ist in den angefochtenen Bescheiden nicht ersichtliche, ob sich der Beklagte mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob ein auf ca. 9% des Bruttoeinkommens des schwerbehinderten Menschen beschränkter Zuschuss im Sinne eines Minderleistungsausgleichs - neben dem Kriterium der Un-/Zumutbarkeit im Sinne der Ziff. 4.6 der Grundsätze - auch objektiv geeignet ist, das ohne diese Leistung gefährdete Beschäftigungsverhältnis zu erhalten. Es geht insoweit um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das hierunter fallende Merkmal der objektiven Geeignetheit bezieht sich auf die bereits dargelegte Zielsetzung der Zuschussregelung, wie sie nach § 27 Abs. 1 S. 1 SchwbAV zur Konkretisierung des Teilhabeanspruchs des schwerbehinderten Menschen nach § 1 SGB IX zum Ausdruck gebracht wird. Ausgehend von einer Minderleistung des K. von 40% erscheint die Geeignetheit bei Gewährung eines Zuschusses in Höhe des absoluten Betrages von 280 EUR im Monat eher fraglich. Ein Indiz hierfür dürfte der Umstand geben, dass der Kläger den von ihm bereits umgeschulten und ausgebildeten, schwerbehinderten K., wie in der mündlichen Verhandlung dargelegt, nach Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses nicht mehr weiter beschäftigt hat, weil er die finanziellen Lasten - gemessen an der Höhe des Zuschusses - für viel zu hoch angesehen und die sofortige Wiedereinstellung des K. nur im Falle eines deutlich höheren Zuschusses in Aussicht gestellt hat.

Da die Vertreterin des Beklagten dem gerichtlichen Hinweis auf die Möglichkeit, fehlende Ermessenserwägungen nach § 114 S. 2 VwGO nachzuschieben, nicht nachgekommen ist, war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 S. 2 VwGO gerichtskostenfrei.

Referenznummer:

R/RBIH6804


Informationsstand: 29.07.2015