Urteil
Zuständigkeitsklärung der Leistungsträger für die Kostenübernahme der personellen Arbeitsassistenz

Gericht:

VG Münster 8. Kammer


Aktenzeichen:

6 K 611/11 | 6 K 611.11


Urteil vom:

26.11.2013


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Leistungen, die er dem Schwerbehinderten V. I. (im Folgenden: Leistungsberechtigten) für die diesem entstehenden Kosten für eine Arbeitsassistenz bewilligt hat.

Der im August 1960 geborene V. I. erlitt im November 1973 während des Schulsports einen Unfall, bei dem er sich schwere Verletzungen im Bereich des rechten Armes zuzog. Im Jahre 1987 wurde ihm deshalb seitens des Rechtsvorgängers der Beklagten, des Gemeinde-Unfallversicherungsverbandes, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. zuerkannt. Trotz seiner Unfallverletzungen absolvierte der Leistungsberechtigte nach seinem Schulabschluss erfolgreich eine Ausbildung als Gärtner und Landschaftsbauer und legte im Juli 1988 in diesem Beruf die Meisterprüfung ab. Seit dem 1. März 1989 ist er als selbständiger Landschaftsgärtnermeister tätig. Im streitgegenständlichen Zeitraum beschäftigte er in seinem Betrieb seine Ehefrau sowie als Auszubildenden seinen Sohn aus erster Ehe.

Im Lauf der Jahre verschlimmerten sich die als Folge seines Sportunfalls aufgetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Im Jahre 1999 wurde bei ihm das Vorliegen der Berufsunfähigkeit anerkannt. Durch Bescheid des Kreises Steinfurt vom 6. Januar 2006 wurde festgestellt, dass er schwerbehindert ist mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50. Diese Feststellung wurde durch weiteren Bescheid vom 21. Dezember 2009 bestätigt.

Aufgrund seiner Beschwerden traten bei dem Leistungsberechtigten erhebliche Schwierigkeiten bei der Ausübung seines Berufes auf; er war auf personelle Unterstützung angewiesen, um seine selbständige Tätigkeit aufrecht erhalten zu können. Im Januar 2010 suchte er das Integrationsamt bei dem Kläger auf, um sich nach Hilfemöglichkeiten zu erkundigen, dabei wurde er auf die Möglichkeit einer Arbeitsassistenz hingewiesen.

Am 21. Januar 2010 stellte der Leistungsberechtigte bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz ab Januar 2010. Mit Schreiben vom 28. Februar 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie als zuständiger Rehabilitationsträger ihre Zuständigkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben anerkenne und generell bereit sei, im Rahmen des § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX) die Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz zu übernehmen. Der Kläger wurde gebeten, die Notwendigkeit und den Umfang der individuellen Arbeitsassistenz abzuklären, den Leistungsberechtigten zu beraten und ihn gegebenenfalls bei der Organisation der Arbeitsassistenz zu unterstützen.

Mit Schreiben vom 25. Mai 2010 wandte sich das Integrationsamt bei dem Kläger an die Beklagte und führte aus, dass es sich seiner Ansicht nach um einen Fall des § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX handele, für den die Zuständigkeit allein im Hause der Beklagten liege. Da es sich um einen anerkannten Unfall als Ursache für den Bedarf des Leistungsberechtigten handele, der bereits seit langem vom Beklagten betreut werde, und sich die Notwendigkeit einer Arbeitsassistenz unmittelbar aus den Unfallfolgen ergebe, liege sowohl die Prüfung der Voraussetzungen als auch die Kostenübernahme in der Zuständigkeit der Beklagten. Mit weiterem Schreiben vom 1. Juli 2010 an die Beklagte bekräftigte das Integrationsamt des Klägers diese Auffassung und führte weiter aus, dass Leistungen des Integrationsamtes des Landschaftsverbandes zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben gegenüber denen des Rehabilitationsträgers gemäß § 102 Abs. 5 SGB IX nachrangig seien. Zudem sei der mit Schreiben des Leistungsberechtigten vom 21. Januar 2010 an die Beklagte gerichtete Antrag nicht entsprechend der Vorschrift des § 14 SGB IX innerhalb von 14 Tagen an das Integrationsamt weitergeleitet worden, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt die Beklagte verpflichtet sei, über den Antrag des Leistungsberechtigten in eigener Zuständigkeit zu entscheiden.

Mit Schreiben gleichen Datums wandte sich die Beklagte an den Kläger und führte aus, eine erneute Überprüfung in ihrem Hause habe ergeben, dass die Beklagte im Rahmen des § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 SGB IX die Kosten für einen notwendige Arbeitsassistenz als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nur dann übernehmen könne, wenn die Arbeitsassistenz als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes notwendig werde. In den Fällen, in denen die Arbeitsassistenz als Hilfe zur Erhaltung eines bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses, also als begleitende Hilfe, notwendig werde, sei ausschließlich die Zuständigkeit des Klägers gegeben. Die Beklagte ziehe daher ihre Kostenzusage vom 18. Februar 2010 zurück.

Durch Bescheid vom 15. Juli 2010 bewilligte der Kläger dem Leistungsberechtigten, gestützt auf § 102 Abs. 6 Satz 3 SGB IX, Leistungen für eine Arbeitsassistenz in Höhe von 430 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010. Auf den Widerspruch des Leistungsberechtigten gegen die - zu geringe - Höhe der Leistungen bewilligte der Kläger nach weiterer Sachverhaltsaufklärung durch Abhilfebescheid vom 8. Oktober 2010 vorläufig monatliche Leistungen in Höhe von insgesamt 980 Euro für den gleichen Zeitraum.

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2010 machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch wegen der dem Leistungsberechtigten bewilligten Leistungen für die Arbeitsassistenz in Höhe von monatlich 980 Euro für 12 Monate, insgesamt also 11.760 Euro, geltend. Zur Begründung nahm er Bezug auf den bisherigen Schriftverkehr zwischen den Beteiligten und führte aus, seitens des Klägers werde weiterhin die Auffassung vertreten, dass die Zuständigkeit für die bewilligte Arbeitsassistenz nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX bei der Beklagten liege. Mit Schreiben vom 28. Januar 2011 verwies die Beklagte auf ihre bereits dargelegte Auffassung, wonach sie in den Fällen, in denen die Arbeitsassistenz als Hilfe zur Erhaltung eines bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses, also als begleitende Hilfe, notwendig werde, ausschließlich die Zuständigkeit des Klägers für gegeben halte.

Daraufhin hat der Kläger am 22. Februar 2011 die vorliegende Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass sich der Anspruch des Leistungsberechtigten für die von ihm begehrte Leistung aus § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX ergebe. Danach umfassten die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben u. a. auch Hilfen zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes. Von dieser Leistung sei auch die begehrte Arbeitsassistenz erfasst. Denn der Begriff der Leistungen sei vom Gesetzgeber nicht auf bestimmte Leistungsarten beschränkt, sondern umfasse alle Leistungsarten, die der Erfüllung der in Abs. 1 der Vorschrift genannten Zielsetzungen dienten. Dabei sei besonders zur berücksichtigen, dass die gesetzliche Unfallversicherung im Vergleich zu den übrigen Sozialversicherungsträgern den weitesten Rehabilitationsauftrag habe und den umfassendsten Leistungskatalog vorsehe. Aus den tragenden Prinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung, die auch auf den Bereich der Rehabilitation ausstrahlten, nämlich dem sozialen Schutzprinzip und dem Prinzip der Haftungsersetzung, ergebe sich, dass es Aufgabe der Beklagten sei, nach Eintritt von Arbeitsunfällen die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit des Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wieder herzustellen (§ 1 Nr. 2 SGB VII). Als Maßnahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben kämen alle Leistungen in Betracht, die notwendig seien, um eine dauerhafte berufliche Eingliederung zu erreichen und den bisherigen Arbeitsplatz zu erhalten.

Der Zuständigkeit der Beklagten stehe auch nicht § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX entgegen. Zwar diene die Arbeitsassistenz hier unstreitig nicht der Erlangung, sondern der Erhaltung der Beschäftigungsmöglichkeit für den Leistungsberechtigten. In diesen Fälle ergebe sich die Zuständigkeit der Beklagten aus § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX. Die Zuständigkeit der Beklagten im Verhältnis zum Kläger für die Erbringung der Leistung ergebe sich aus § 7 Satz 2 SGB IX. Unstreitig sei, dass die erforderliche Arbeitsassistenz hier im Zusammenhang mit einem von der Beklagten anerkannten Unfall stehe. Die Beklagte sei deshalb im Verhältnis zum Kläger vorrangig zuständig.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 11.760 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, dass der Anspruch auf Arbeitsassistenz als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben sich allein aus § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 SGB IX und nicht in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX ableite. Nach der Gesetzesbegründung zu § 33 Abs. 8 SGB IX verallgemeinere diese Regelung den bisherigen § 114 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch. Darüber hinaus ermögliche Nr. 3, zur Erlangung eines Arbeitsplatzes in geeigneten Fällen Arbeitsassistenz einzusetzen. Dies trage dem Umstand Rechnung, dass bei besonders betroffenen Schwerbehinderten das Ziel der dauerhaften Teilhabe am Arbeitsleben nur erreichbar sei, wenn ausbildungs- oder berufsbegleitende persönliche Hilfen zur Verfügung stünden.

Diese Gesetzesbegründung, der Gesetzeswortlaut, der Gesetzeswortlaut des § 108 SGB IX und die Gesetzesbegründung hierzu, die Gesetzeshistorie sowie die Auffassung im Schrifttum sprächen dafür, dass der Anspruch auf Arbeitsassistenz als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben sich allein aus § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 SGB IX und nicht in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX ableite. Die Vorschrift des § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. SGB IX habe einen neuen Anspruch auf Arbeitsassistenz, den das Unfallversicherungsrecht bislang nichts eigens vorsah, normiert. Die Arbeitsassistenz habe zunächst vor allem bei den Integrationsämtern als begleitende Hilfe im Arbeitsleben eine Rolle gespielt. § 31 Abs. 3 a Satz 1 des Schwerbehindertengesetzes habe den Schwerbehinderten einen Anspruch auf Übernahme der notwendigen Kosten eingeräumt. Seit dem 1. Juli 2001 sei die entsprechende Vorschrift § 102 Abs. 4 SGB IX. Insofern sei es verfehlt anzunehmen, dass eine Arbeitsassistenz auch nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX erbracht werden könne, denn dann hätte es der Regelung in Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 nicht bedurft. Das hätte auch zur Folge, dass die in Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 enthaltenen engeren Voraussetzungen letztlich nicht entscheidend wären.

In diesem Zusammenhang komme auch der Dauer der Leistungsgewährung Bedeutung zu. Die Arbeitsassistenz sei in zeitlicher Hinsicht nach § 33 Abs. 8 Satz 2 SGB IX auf drei Jahre begrenzt. Das entspreche dem Charakter als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes. Sei eine Arbeitsassistenz über diesen Zeitraum hinaus notwendig, falle dies in die Leistungspflicht des Integrationsamtes, denn § 33 Abs. 8 Satz 4 SGB IX hebe ausdrücklich hervor, dass der Anspruch nach § 102 Abs. 4 SGB IX unberührt bleibe. Die Arbeitsassistenz nach § 102 Abs. 4 SGB IX könne dabei insbesondere auch zur Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz erbracht werden (§ 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 c SGB IX). Der Anspruch des Leistungsberechtigten beruhe im Übrigen auch nicht auf § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX, weil es nicht um einen Arbeitsplatz im Sinne dieser Regelung gehe. Der Begriff des Arbeitsplatzes sei für den zweiten Teil in § 73 SGB IX legal definiert. So heiße es in § 73 Abs. 1 SGB IX, dass Arbeitsplätze im Sinne des Teils 2 alle Stellen seien, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zur ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt würden. Der Begriff des Arbeitsplatzes kläre sich dabei vom Begriff des Arbeitsverhältnisses her. Er beziehe sich nur auf die Beschäftigung, das Leisten von abhängiger Arbeit im weitesten Sinne; die selbständige Tätigkeit z. B. als Firmeninhaber sei davon nicht erfasst. Im Rahmen des § 33 SGB IX sei kein von § 73 Abs. 1 SGB IX abweichender Arbeitsplatzbegriff vertreten; es falle nicht im ersten Teil des SGB IX auch eine selbständige Tätigkeit unter dem Begriff des Arbeitsplatzes. Der Begriff des Arbeitsplatzes in § 33 SGB IX sei vielmehr trotz der Verortung dieser Vorschrift im ersten Teil des SGB IX in einem vergleichbaren Sinne wie in § 73 Abs. 1 SGB IX aufzufassen.

Demgegenüber könne das Integrationsamt gemäß § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 c SGB IX im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen insbesondere zur Gründung und Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz erbringen. Dazu gehöre auch die notwendige Arbeitsassistenz (§ 102 Abs. 4 SGB IX). Vor diesem Hintergrund sei die Zuständigkeit des Klägers gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Klägers (Beiakte Heft 1) und der beklagten (Beiakte Heft 2) Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Die als allgemeine Leistungsklage statthafte Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Als Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt (nur) § 102 Abs. 6 Satz 4 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX) in Betracht. Nach dieser Vorschrift hat das Integrationsamt einen Ersatzanspruch, wenn von ihm vorläufig eine Leistung erbracht worden ist, für die ein anderer Träger zuständig ist. Der Kläger begehrt die Kostenerstattung für diejenigen Leistungen, die er zu Gunsten des Leistungsempfängers als vorläufige Leistung gemäß § 102 Abs. 6 Satz 3 SGB IX erbracht hat. Bei dem geltend gemachten Begehren handelt es sich demgemäß um den auf Erstattung einer vorläufig erbrachten Leistung im Sinne auch des § 102 Abs. 1 SGB X gerichteten Anspruch, für den nach § 114 SGB X derselbe Rechtsweg wie gegen den vorleistenden Leistungsträger gegeben ist. Dies ist vorliegend der Anspruch auf vorläufige Leistung gegen das Integrationsamt nach § 102 Abs. 6 Satz 3 SGB IX, für den der allgemeine Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet ist.

Vgl. VG Koblenz, Urteil vom 23. Februar 2011 - 5 K 1319/10.KO - unter Berufung auf Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 12. September 1991 - 5 C 52.88 - ; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. Oktober 2011 - 7 A 10405/11 -, zitiert nach Juris.

Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Erstattung der von ihm für den Leistungsberechtigten V. I. erbrachten Leistungen für eine Arbeitsassistenz. Denn vorliegend ist nicht die Beklagte als anderer Rehabilitationsträger im Sinne des § 102 Abs. 6 Satz 4 SGB IX für die fragliche Leistung zuständig; die Leistung war vielmehr von dem Kläger in eigener Zuständigkeit zu erbringen.

Dabei ist für die Klärung der Zuständigkeit allerdings nicht auf die Regelungen des § 14 SGB IX abzustellen; es kann vielmehr offen bleiben, ob das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 102 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 14 SGB IX eingehalten worden ist. Denn die Regelungen in § 14 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX beziehen sich allein auf das Außenverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und der leistungsverpflichtenden Behörde und treffen keine Aussage zum internen Ausgleichsverhältnis zwischen dem Integrationsamt und dem zuständigen Rehabilitationsträger.

Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. Oktober 2011 - 7 A 10405/11 -, zitiert nach Juris.

Die Vorschrift des § 14 SGB IX soll dem Bedürfnis Rechnung tragen, im Interesse behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen durch rasche Klärung von Zuständigkeiten Nachteile des gegliederten Systems des Rechts der Teilhabe behinderter Menschen entgegen zu wirken. Streitigkeiten über die Zuständigkeit einschließlich der Pflicht zur Erbringung vorläufiger Leistungen bei ungeklärter Zuständigkeit oder bei Eilbedürftigkeit der Maßnahme sollen nicht zu Lasten der behinderten Menschen bzw. der Schnelligkeit und der Qualität der Leistungen gehen, durch eine rasche Klärung soll das Verwaltungsverfahren deutlich vereinfacht werden, damit die Berechtigten die erforderlichen Leistungen schnellstmöglich erhalten. Die Vorschrift nimmt es danach gerade in Kauf, dass eine endgültige Klärung der Zuständigkeit erst nach der Leistungsbewilligung durch vorläufig zuständige Rehabilitationsträger erfolgt.

So im Ergebnis auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 13. Mai 2013 - 13 B 400/13 -, zitiert nach Juris.

Die Zuständigkeit des Klägers für die bewilligten Leistungen folgt aus der anspruchsbegründenden Norm für den Leistungsberechtigten. Der Anspruch des Leistungsberechtigten auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz ergibt sich vorliegend aus § 102 Abs. 4 SGB IX, der ausdrücklich das Integrationsamt als Leistungsträger nennt, und nicht, wie der Kläger meint, aus § 33 Abs. 3 Nr. 1 und 6 SGB IX allein oder in Verbindung mit § 33 Abs. 8 SGB IX, wonach entsprechend den Vorschriften der §§ 5 Nr. 3 i. V. m. 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX die Beklagte als zuständiger Rehabilitationsträger die Leistung an den Leistungsberechtigten zu erbringen hat.

Nach § 33 Abs. 1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wieder herzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern; die Leistungen nach dieser Vorschrift umfassen gemäß § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX insbesondere Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Beratung und Vermittlung, Trainingsmaßnahmen und Mobilitätshilfen, sowie gemäß § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Nach § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX umfassen die Leistungen nach Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 6 dieser Vorschrift die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz für schwerbehinderte Menschen als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes.

Der Anspruch des Leistungsberechtigten auf Übernahme der Kosten für die für ihn notwendige Arbeitsassistenz beruht nicht auf § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorliegen. Denn es handelt sich bei der Leistung für den Leistungsberechtigten V.I. nicht um eine Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes im Sinne des § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX.

Dabei ist zunächst darauf abzustellen, dass ein Arbeitsplatz im Sinne dieser Vorschrift eine abhängige Beschäftigung und nicht, wie im Fall des Leistungsberechtigten V. I., eine selbständige Tätigkeit ist. Die Leistung nach § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX setzt danach voraus, dass der schwerbehinderte Mensch in einem Beschäftigungsverhältnis auf einem Arbeitsplatz im Sinne von § 73 Abs. 1 bzw. § 102 Abs. 2 Satz 3 SGB IX beschäftigt ist. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 8 SGB IX selbst, der ausdrücklich den Begriff des "Arbeitsplatzes" verwendet, wogegen beispielsweise in § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX von einer "Beschäftigung" die Rede ist und auch die selbständige Tätigkeit ausdrücklich erwähnt wird. Es ist auch nichts dafür erkennbar, dass dieser Begriff in § 33 Abs. 8 SGB IX etwa - ungeachtet der Stellung der jeweiligen Vorschriften im ersten bzw. im zweiten Teil des SGB IX - eine andere, umfassendere Bedeutung haben sollte als in § 73 SGB IX, der die Legaldefinition des Arbeitsplatzes im oben aufgeführten Sinn enthält.

Vgl. auch Luik in Juris Praxis-Kommentar SGB IX, 1. Auflage 2010, Stand 2013, § 33 Rdnr. 163.

Hätte der Gesetzgeber im Rahmen des § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX eine Arbeitsassistenz auch für Selbständige regeln wollen, hätte es nahe gelegen, wie in § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX die Begriffe der Beschäftigung bzw. der selbständigen Tätigkeit ausdrücklich aufzuführen; die getroffene Wortwahl spricht dafür, dass in dieser Vorschrift die Einrichtung einer Arbeitsassistenz gerade auf die Fälle abhängig Beschäftigter beschränkt werden sollte.

Das steht in Einklang damit, dass die Leistungen für eine notwendige Arbeitsassistenz nach § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX auch nur für die Erlangung - und nicht den Erhalt - eines Arbeitsplatzes bewilligt werden. Ausgehend von dem Ziel des § 33 Abs. 1 SGB IX, die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit dauerhaft zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen, macht es Sinn, eine Arbeitsassistenz einzurichten, um dem Betreffenden eine Möglichkeit zu geben, im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung am Arbeitsleben teilzuhaben, weil davon auszugehen ist, dass die Chancen für eine dauerhafte Erwerbstätigkeit dann als deutlich besser anzusehen sein dürften als bei einer selbständigen Tätigkeit.

Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX sind danach im Fall des Leistungsempfängers V. I. auch insoweit nicht erfüllt, als es bei ihm auch nicht um die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes geht.

Allerdings regelt § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX auch Hilfen zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes; diese Regelung wird aber in Abs. 8 dahingehend eingeschränkt, dass die Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz nur in den Fällen in Betracht kommt, in denen diese für die Erlangung eines Arbeitsplatzes notwendig ist, nicht aber, wenn es um deren Erhalt geht.

Auch insoweit geht die Kammer zunächst von dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift aus. Diese Wertung wird bestätigt durch die Systematik der Vorschrift. Denn danach sollen die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz gemäß § 33 Abs. 8 Satz 2 nur für die Dauer von bis zu 3 Jahren übernommen werden; das bestätigt, dass es nur um eine Hilfe gehen kann, die erforderlich ist, bis der betreffende Leistungsberechtigte ein festes Arbeitsverhältnis angebahnt und über einen gewissen Zeitraum aufrecht erhalten hat. Ist eine Arbeitsassistenz darüber hinaus für einen weiteren Zeitraum, ggfs. dauerhaft, notwendig, also zur (ggfs. dauerhaften) Erhaltung eines Arbeitsplatzes bzw. einer Beschäftigung, ist hierfür das Integrationsamt zuständig. Das ergibt sich aus § 33 Abs. 8 Satz 4, wonach der Anspruch nach § 102 Abs. 4 SGB IX unberührt bleibt. Dies ist aber gerade der Anspruch gegen das Integrationsamt auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz als begleitende Hilfe im Arbeitsleben.

Dieser Konstruktion trägt § 33 Abs. 8 Satz 2 SGB IX auch dadurch Rechnung, dass die Leistung nach Satz 1 Nr. 3 bereits in Abstimmung mit dem Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 durch das Integrationsamt nach § 102 Abs. 4 ausgeführt wird und diesem lediglich die Kosten erstattet werden. Hierdurch soll ein Wechsel des Trägers und im Idealfalle auch des Arbeitsassistenten vermieden werden.

Vgl. Luik in Juris, Praxis-Kommentar SGB IX, 1. Auflage, Stand: August 2013, Rndnr. 160; Wiegand, Hand-Kommentar zum SGB IX, § 33, Rndnr. 173.

Der Anspruch des Leistungsberechtigten ergibt sich vorliegend auch nicht etwa unmittelbar aus der Vorschrift des § 33 Abs. 3 Nr. 1 und 6 SGB IX. Zwar heißt es in § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB IX, dass die Leistungen nach dieser Vorschrift "insbesondere" den dann folgenden Leistungskatalog umfassen, was den Schluss zulässt, dass dieser nicht abschließend ist, sondern darüber hinaus weitere Leistungen nach § 33 Abs. 3 SGB IX bewilligt werden können. Hierzu gehört aber nicht die Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz, denn diese ist gerade in § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX, und zwar wie oben aufgeführt, für einen eingeschränkten Anwendungsbereich, ausdrücklich geregelt. Diese Regelung kann nur so verstanden werden, dass der Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz in anderen Fällen als dem ausdrücklich geregelten Fall der Notwendigkeit der Erlangung eines Arbeitsplatzes (im Rahmen eines abhängig beschäftigten Arbeitsverhältnisses) nach dieser Vorschrift nicht in Betracht kommt. Hierzu besteht auch keine Notwendigkeit, weil - wie bereits dargelegt - gemäß § 33 Abs. 8 Satz 4 SGB IX der Anspruch nach § 102 Abs. 4 SGB IX gegen das Integrationsamt auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben unberührt bleibt, die Leistungsberechtigten mithin die für sie notwendigen Hilfen erhalten können.

Ausgehend von dem Vorstehenden hatte der Leistungsberechtigte V. I. keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz zur Aufrechterhaltung seiner Tätigkeit als Selbständiger in seinem eigenen Betrieb gegen die Beklagte als Rehabilitationsträger; sein Anspruch beruht vielmehr auf § 102 Abs. 4 SGB IX, für diesen Anspruch ist das Integrationsamt des Klägers zuständiger Leistungsträger.

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass das Gesetz in § 102 Abs. 5 einen Vorrang der Rehabilitationsleistung anderer Rehabilitationsträger vor der begleitenden Hilfe durch das Integrationsamt anordnet mit der Folge, dass dem nachrangig verpflichteten Integrationsamt ein Erstattungsanspruch gegen den eigentlich zuständigen Rehabilitationsträger zusteht, wenn es die Leistung - vorläufig - erbracht hat.

Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, a. a. O.

Denn dieser Nachrang setzt voraus, dass ein anderer Rehabilitationsträger - hier die Beklagte - überhaupt vorrangig verpflichtet gewesen ist. Dies ist nach dem oben Ausgeführten vorliegend aber gerade nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. mit den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Zulassung der Berufung beruht auf § 124 Abs. 2 Nr. 3, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Referenznummer:

R/R6697


Informationsstand: 13.05.2016