Der Beklagte wird unter teilweiser Abänderung des Bescheides vom 5. November 2013 und des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 2014 verpflichtet, bei der Festsetzung der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz zur wiederkehrenden Unterstützung durch einen Gebärdendolmetscher einen Zuschuss von 75,00
EUR pro voller Einsatzstunde zu gewähren.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Die Klägerin begehrt im Rahmen der ihr gewährten Arbeitsassistenz die Übernahme der Kosten eines Gebärdendolmetschers unter Berücksichtigung eines erhöhten Stundensatzes von 75,00
EUR für den Einsatz des Gebärdendolmetschers.
Bei der 1974 geborenen Klägerin besteht seit Geburt eine Hörschädigung mit Sprachstörung. Bei ihr liegt ein
GdB von 100 vor. Die Klägerin ist seit Dezember 2009 als Arbeitserzieherin in der Diakonie in M. beschäftigt. Durch den technischen Beratungsdienst des Beklagten wurde im Jahre 2009 festgestellt, dass die Klägerin ein Aufgabengebiet wahrnimmt, das den Einsatz eines Gebärdendolmetschers erforderlich macht.
Der Klägerin wurde daher mit Bescheid vom 30. November 2009 ein Budget - u.a. - für den Einsatz eines Gebärdendolmetschers bewilligt. Hierbei wurde ein jährlicher Bedarf von 120 Einsatzstunden als angemessen angesehen und eine Vergütung von 55,00
EUR je Stunde zugrunde gelegt. Für die Folgejahre wurde das Budget unter Zugrundelegung dieser Daten jeweils auf insgesamt 9.900,00
EUR jährlich festgesetzt.
Mit Bescheid vom 5. November 2013 bewilligte der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum Dezember 2013 bis November 2014 unter dem Vorbehalt einer endgültigen Entscheidung ein persönliches Budget für die Arbeitsassistenz i.H.v. 9.900,00
EUR, wobei ein jährlicher Bedarf von 120 Einsatzstunden zu 55,00
EUR berücksichtigt wurde. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass sich die Entscheidung an den in Rheinland-Pfalz geltenden Richtlinien, den bisherigen Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) zur Finanzierung der Einsätze von freiberuflichen Gebärdendolmetschern, orientiere.
Die Klägerin legte hiergegen am 18. November 2013 Widerspruch ein mit der Begründung, der Fachdienst für Hörgeschädigte habe ihr mit Schreiben vom 7. November 2013 mitgeteilt, dass ab 2014 die Stundensätze für Gebärdendolmetscher auf 75,00
EUR/Stunde angehoben würden. Maßgeblich hierfür sei die Neufassung des § 9 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG), wonach das Stundenhonorar für die Tätigkeit von Gebärdendolmetschern bei Gerichten auf 75,00
EUR angehoben werde.
Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2014, der Klägerin zugestellt am 16. Juni 2014, zurückgewiesen mit der Begründung, dass für die Klägerin kein behinderungsbedingter Bedarf bestehe. Bis zur Klärung der Übernahme des erhöhten Stundensatzes für Gebärdendolmetscher werde der Stundensatz auf 55,00
EUR festgesetzt. Über die Erhöhung des Stundensatzes werde nach Abschluss der Verhandlungen des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Gebärdendolmetscher Rheinland-Pfalz entschieden.
Die Klägerin hat am 15. Juli 2014 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass sie aktuell keine Möglichkeit habe, die Dienste eines Gebärdendolmetschers für 55,00
EUR je Stunde in Anspruch zu nehmen. Im Rahmen der Leistungsgewährung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach
§ 33 SGB IX habe der Beklagte die tatsächlich entstehenden Kosten zu übernehmen. Mittlerweile bewillige der Beklagte 60,00
EUR pro Stunde. Nach § 17
Abs. 2
SGB I habe der behinderte Mensch das Recht, bei der Ausführung von Sozialleistungen auch Gebärdendolmetscher in Anspruch nehmen zu dürfen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Abänderung des Bescheids vom 5. November 2013 und des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2014 zu verpflichten, bei der Festsetzung der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz zur wiederkehrenden Unterstützung durch einen Gebärdendolmetscher einen Zuschuss von 75,00
EUR pro voller Einsatzstunde zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte gibt an, dass die Verhandlungen mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Gebärdendolmetscher ergebnislos beendet worden seien. Deshalb sei am 25. August 2014 eine neue Förderrichtlinie mit Wirkung ab 1. Oktober 2014 erlassen worden, die erhöhte Fördersätze enthalte. Für den streitgegenständlichen Zeitraum habe diese Richtlinie jedoch keine Auswirkung, so dass es bei einem Satz von 55,00
EUR je Stunde verbleibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie zwei Bände Verwaltungsakten des Beklagten, die Vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Die zulässige Klage hat Erfolg. Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten gemäß
§ 33 Abs. 8 SGB IX i.V.m. § 17
Abs. 2
SGB I, § 19
Abs. 4
SGB X und § 9 JVEG ein Anspruch darauf zu, dass der Beklagte im Rahmen der Bewilligung seines Budgets für eine Arbeitsassistenz Kosten von 75,00
EUR je Stunde für den Einsatz eines Gebärdendolmetschers zugrunde legt.
Nach § 33
Abs. 1
SGB IX haben behinderte Menschen einen Anspruch auf die zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Leistungen. Diese Leistungen umfassen gemäß § 33
Abs. 3
Nr. 6
SGB IX auch sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben. Hierbei umfassen ausweislich des § 33
Abs. 8 Satz 1
Nr. 3
SGB IX die sonstigen Hilfen des § 33
Abs. 3
Nr. 6
SGB IX ausdrücklich die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin gemäß § 33
Abs. 8 Satz 1
Nr. 3
SGB IX einen Anspruch auf Gewährung einer Arbeitsassistenz durch Übernahme der Kosten eines Gebärdendolmetschers hat. Die Parteien streiten ausschließlich darum, ob die Kosten des Gebärdendolmetschers entsprechend den aktuellen Vergütungssätzen des § 9 JVEG zu übernehmen sind. Diese Frage ist zu bejahen. Die Unterstützung durch einen Gebärdendolmetscher als Arbeitsassistenz ist gemäß § 10
i.V.m. § 29
Abs. 1
Nr. 2 c)
SGB I eine Sozialleistung zur Rehabilitation und Teilnahme behinderter Menschen nach dem 9. Teil des Sozialgesetzbuchs. Nach § 17
Abs. 2 Satz 1
SGB I haben hörbehinderte Menschen das Recht, bei der Ausführung von Sozialleistungen Gebärdensprache zu verwenden. Die für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger sind nach § 17
Abs. 1 Satz 2
SGB I verpflichtet, die durch Verwendung der Gebärdensprache entstehenden Kosten zu tragen, wobei § 19
Abs. 2 Satz 4
SGB X entsprechende Anwendung findet. Danach erhält der Dolmetscher auf Antrag eine Vergütung in entsprechender Anwendung des § 9 JVEG.
Vorliegend handelt es sich bei dem Einsatz eines Gebärdendolmetschers und dessen Vergütung um die "Ausführung" von Sozialleistungen
i.S.d. § 17
Abs. 2 Satz 1
SGB I. Die der Klägerin zustehende Sozialleistung besteht in der möglichst dauerhaften Sicherung ihrer Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33
Abs. 1
SGB IX). Hierzu ist nach den unbestrittenen Feststellungen des Beklagten eine notwendige Arbeitsassistenz
i.S.d. § 33
Abs. 8
Nr. 3
SGB IX in Gestalt eines Gebärdendolmetschers erforderlich, so dass sich die der Klägerin zustehende Sozialleistung in der Zurverfügungstellung des Gebärdendolmetschers verwirklicht und hierdurch zur Ausführung gelangt. Erst durch den tatsächlichen Einsatz des erforderlichen Gebärdendolmetschers hat der Beklagte die der Klägerin zustehende Sozialleistung erbracht.
Die Anwendbarkeit des § 17
Abs. 2
SGB I ist vorliegend auch nicht durch § 37 Satz 1
SGB I ausgeschlossen, da dieser Vorbehalt gemäß § 37 Satz 2
SGB I nicht für § 17
SGB I gilt.
Im Übrigen ist die Kammer der Auffassung, dass § 17
Abs. 1
SGB I den allgemeinen Gedanken enthält, dass die Dolmetscherleistung und die Sozialleistung inhaltlich nicht zu trennen sind (
vgl. SG Nürnberg, Beschluss vom 11. Dezember 2013, Az.: S 20 SO 199/13 ER - juris -). Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks.
S. 16/6540,
S. 26) dient die Neufassung des § 17
Abs. 2
SGB I der Klarstellung, dass hörgeschädigte Menschen bei der Ausführung von Sozialleistungen ebenso gestellt werden, wie in Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren. Diesem Gesetzeszweck würde es jedoch zuwider laufen, eine begriffliche Trennung zwischen der Sozialleistung "Teilhabe am Arbeitsleben" und der "bloßen" Dolmetschertätigkeit anzunehmen. Vielmehr entspricht es im Falle eines hörgeschädigten Menschen gerade dem Wesen der Sozialleistung "Teilhabe am Arbeitsleben"
bzw. "notwendige Arbeitsassistenz", dass diese sich in der Inanspruchnahme eines Gebärdendolmetschers konkretisiert.
Damit die Inanspruchnahme eines Gebärdendolmetschers in Ausführung einer Sozialleistung
i.S.d. § 17
Abs. 2 Satz 1
SGB I erfolgt, sind die hierfür entstehenden Kosten nach der zwingenden Vorschrift des § 17
Abs. 2 Satz 2
SGB I in analoger Anwendung des § 19
Abs. 2 Satz 4
SGB X nach den aktuellen Sätzen des § 9 JVEG von dem Beklagten zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154
Abs. 1
VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 1
VwGO nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167
VwGO i.V.m. § 708
Nr. 11
ZPO.
Die Berufung wird gemäß § 124 a Satz 1
i.V.m. § 124
Abs. 2
Nr. 3
VwGO zugelassen, da der Frage Höhe der der Vergütung der Dienste eines Gebärdendolmetschers, der als Sozialleistung in Anspruch genommen wird, grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Beschluss der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 7. Mai 2015
Der Streitwert wird auf 2.400,00
EUR festgesetzt (§ 52
Abs. 1 GKG).