II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. Juli 2014 im Sinne von § 124
Abs. 2
Nr. 1
VwGO bestehen.
1. Die Klägerin besitzt auf der Grundlage der Anerkennung der erlittenen Schädigung durch den Bescheid vom 24. November 2011 nach § 1
Abs. 1 Satz 1 OEG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der erlittenen Gewalttat einen Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Nach § 25
Abs. 1,
Abs. 3
Nr. 1 in Verbindung mit § 26
Abs. 1 BVG erhält sie in entsprechender Anwendung der Vorschriften der
§§ 33 bis
38a SGB IX Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Als derartige Teilhabeleistungen hat die Beklagte der Klägerin bis einschließlich 28. Februar 2014 nach § 26
Abs. 4 Nrn. 1, 5 BVG Übergangsgeld sowie Reisekosten für das Bachelor-Studium der Bioprozesstechnik an der TU München geleistet. Zu den Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben bestimmt die auf der Grundlage von § 27f BVG erlassene Verordnung zur Kriegsopferfürsorge (KFürsV) in § 1
Abs. 1, dass diese Leistungen darauf auszurichten sind, durch Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung einer der Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit des Beschädigten entsprechenden beruflichen Tätigkeit die Folgen der Schädigung angemessen auszugleichen oder zu mildern. Nach
§ 1 Abs. 2 KFürsV setzt die Einleitung von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben voraus, dass das Leistungsvermögen des Beschädigten erwarten lässt, dass er das Ziel der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erreichen wird, dass die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seiner Eignung, Neigung und Fähigkeit entsprechen, dass der beabsichtigte Ausbildungsweg zweckmäßig ist und der Beruf oder die Tätigkeit voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage vermittelt.
§ 33
Abs. 1
SGB IX beschreibt als Ziel der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben die Erhaltung, Verbesserung, Herstellung oder Wiederherstellung der Leistungs-
bzw. Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen. Bei der Auswahl der hierzu erforderlichen Leistungen - darunter unter § 33
Abs. 3
Nr. 4
SGB IX die berufliche Ausbildung - sollen nach § 33
Abs. 4 Satz 1
SGB IX Eignung, Neigung, die bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen berücksichtigt werden. Um Letzteres feststellen zu können, kann der zuständige Rehabilitationsträger nach
§ 38 Satz 1 SGB IX eine gutachterliche Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit zu Notwendigkeit, Art und Umfang von Leistungen unter Berücksichtigung arbeitsmarktlicher Zweckmäßigkeit anfordern.
2. Gemessen an den vorstehenden gesetzlichen Anforderungen begegnet die Annahme des Beklagten wie auch des Verwaltungsgerichts, ein angemessener Ausgleich der Schädigungsfolgen der Klägerin liege bereits mit der Förderung des Bachelor-Studiums als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben vor, ernstlichen Zweifeln.
2.1 Nach § 1
Abs. 1 KFürsV muss das Ziel der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben der angemessene Ausgleich der Schädigungsfolgen sein. Dass dies bei der Hochschulausbildung der Klägerin, für die sie geeignet ist und die ihren Neigungen entspricht, lediglich das Bachelorstudium einschließt, ist zweifelhaft. Denn soweit der Staat außerhalb des sozialen Entschädigungsrechts eine Hochschulausbildung im Rahmen des Bundesgesetzes zur individuellen Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) fördert, umfasst nach § 7
Abs. 1a
BAföG der Leistungsanspruch auch die Förderung eines auf ein Bachelorstudium aufbauenden Masterstudiums. Dabei sieht der Gesetzgeber das Masterstudium nicht als weitere Ausbildung an, sondern dehnt vielmehr den Grundanspruch auf Förderung einer Erstausbildung auf den Masterstudiengang aus. Bachelor- und Masterstudium bilden ausbildungsförderungsrechtlich eine einheitlich zu betrachtende Erstausbildung (
vgl. Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 5. Aufl. 2014, § 7 Rn. 4).
Wird eine Hochschulausbildung, wie im vorliegenden Fall, nicht im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes sondern als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem Opferentschädigungsgesetz gefördert und soll mit dieser Förderung ein angemessener Ausgleich der Schädigungsfolgen erreicht werden, kann sich die Förderung ohne einen Wertungswiderspruch zu generieren nicht allein auf das Bachelorstudium beschränken, sondern umfasst, sofern die entsprechende Eignung der Anspruchsberechtigten besteht, auch das Masterstudium.
2.2 Hinzu kommt, dass es der Klägerin im vorliegenden Fall gerade aufgrund der Schädigungsfolgen nicht möglich war, ihr nach dem Abitur begonnenes Studium an der Universität ... zu beenden. Ohne die Schädigung, die Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz gerade angemessen ausgleichen sollen, hätte die Klägerin daher den akademischen Grad eines Magister oder bei anderen Studiengängen ein Diplom oder ein Staatsexamen erworben. Hinter diesen Abschlüssen bliebe indes der im Zuge des Bologna-Prozesses eingeführte akademische Grad eines Bachelor zurück. Mithin läge in der Beschränkung der Förderung allein eines Bachelorstudiums der Klägerin kein angemessener Ausgleich der Schadensfolgen.
2.3 Schließlich erweisen sich der Ablehnungsbescheid wie auch das verwaltungsgerichtliche Urteil auch deshalb als zweifelhaft, weil es die Angemessenheit der Förderung allein des Bachelorstudiums auf Annahmen zur Arbeitsmarktsituation unter Berücksichtigung des Lebensalters der Klägerin stützt, die keine tragfähige Grundlage besitzen. Die vom Beklagten nach § 38
SGB IX eingeholte gutachterliche Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit besteht lediglich aus zwei Sätzen und beschränkt sich auf die Feststellung, dass das Masterstudium der Klägerin die Chancen ihrer Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht wesentlich erhöhen würde. Ferner sei aufgrund des Alters der Klägerin eine Vermittlung als Berufseinsteigerin zum jetzigen Zeitpunkt bereits erschwert. Zwar besteht bei gutachterlichen Stellungnahmen auf Seiten der Bundesagentur für Arbeit ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum (
vgl. Knittel,
SGB IX, 8. Aufl. 2015, § 33 Rn. 114). Indes lässt sich aus den dürren "Hinweisen" der Bundesagentur weder eine fundierte Tatsachengrundlage des Arbeitsmarkts für Absolventen des Studiengangs Bioprozesstechnik entnehmen, noch nachvollziehbare Gründe, weshalb das Lebensalter gerade in diesem Arbeitsmarktsegment zu Erschwernissen bei der Integration in den Arbeitsmarkt führen soll. Überdies bestehen auch Zweifel, ob das Alterskriterium in der vorstehend geschilderten Art und Weise in die Bewertung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben überhaupt einfließen darf (
vgl. LSG Baden-Württemberg, U. v. 26.7.2007 -
L 10 R 5394/06 - NZS 2008, 319 Rn. 31).
Die angeführten Aspekte begründen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne von § 124
Abs. 2
Nr. 1
VwGO, so dass die Berufung hiergegen zuzulassen war. Auf das Vorliegen weiterer Zulassungsgründe kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an.
Nach derzeitigem Sach- und Erkenntnisstand ist daher eine Verpflichtung des Beklagten zur Verlängerung der Leistungen für das angestrebte Masterstudium überwiegend wahrscheinlich, so dass der Senat eine Abhilfeentscheidung des Beklagten anregt.
3. Das Verfahren wird künftig unter dem Aktenzeichen
12 B 15.2255 geführt.