Urteil
Arbeitsassistenz im Dienstleistungsmodell statt Arbeitgebermodell

Gericht:

VG Dresden 1. Kammer


Aktenzeichen:

1 L 178/17 | 1 L 178.17


Urteil vom:

17.02.2017


Grundlage:

Leitsatz:

Die Kosten einer Arbeitsassistenz im Dienstleistungsmodell können trotz Mehrkosten gegenüber dem Arbeitgebermodell notwendig und angemessen sein, wenn das Arbeitgebermodell dem Behinderten nicht zuzumuten ist (hier bejahrt). (Rn. 20)

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

Tenor:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für den Antragsteller ab Zustellung der gerichtlichen Entscheidung über die gewährten Leistungen hinaus die Kosten einer persönlichen Arbeitsassistenz im Umfang von 20 Arbeitsstunden pro Woche zu einem Bruttostundensatz von 18,75 EUR pro Stunde zu tragen.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Antragsgegner zu 4/5 und der Antragsteller zu 1/5.

Der Gegenstandswert wird auf 2.880,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner einstweilen die Gewährung weiterer Gelder für eine persönliche Arbeitsassistenz.

Der 1990 geborene Antragsteller ist schwerbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G, aG, H und B. Er leidet von Geburt an an einer Muskeldystrophie, Typ Duchenne, welche sich durch einen Mangel an dem für die Stabilität der Membran der Muskelfaser verantwortlichen Protein Dystropin auszeichnet. Er ist seit Mai 2013 der Pflegestufe 3, seit dem 1. Januar dem Pflegegraf 5 zugeordnet, wobei der Gesamtpflegeaufwand pro Kalendertag mit 497 Minuten beschrieben wird. Er sitzt im Rollstuhl, kann seine Arme und Hände nicht eigenständig bewegen und muss teilweise über eine Beatmungsmaske beatmet werden.

Der Antragsteller steht in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit dem Freistaat Sachsen beim S. S. für K.. Sein Nettoverdienst beträgt 873,04 EUR (Brutto 1.145,84 EUR). Darüber hinaus erhält er monatlich eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 200,47 EUR netto sowie Pflegeleistungen in Höhe von 901,00 EUR.

Zu seinen Tätigkeiten gehören im wesentlichen EDV-Arbeiten in Form von Datenauswertung und Datenverarbeitung. Für diese Beschäftigung ist ausweislich des Schreibens seines Arbeitgebers vom 5. April 2016 eine Arbeitsassistenz unverzichtbar, die bislang vom Antragsgegner und dem dort eingegliederten Integrationsamt gewährt und vom L. Dresden e.V. durchgeführt wird. Diese legt im Falle des Arbeitens am PC die Hand des Antragstellers auf die Maus und führt sonstige Tätigkeiten aus, die eine motorische Bewegung erfordern.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 informierte der Antragsteller den Antragsgegner darüber, dass er wegen einer Ausweitung seiner Krankheit künftig statt 30 Stunden nur noch 20 Stunden pro Woche arbeiten könne und die L. Dresden ihren Stundensatz zukünftig auf 20,00 EUR pro Stunde angehoben habe.

Daraufhin erließ der Antragsgegner für den Zeitraum 2016 einen Änderungs- und nach erfolgtem Widerspruch am 24. Juni 2016 einen Widerspruchsbescheid, in welchem er eine monatliche Teilzahlung für die Arbeitsassistenz für 20 Stunden pro Woche in Höhe von 1.200,00 EUR gewährte. Dieser bestand aus folgenden Positionen:

Assistenzzuschuss - Stundensatz 19.97 EUR x 3,25 Std. x 21 Arbeitstage - 953,45 EUR
Regiekosten - 30,00 EUR
Umsatzsteuer - 186,86 EUR
Zwischensumme: 1.170,31 EUR
Auszahlbetrag (aufgerundet): 1.200,00 EUR

Zur Begründung führt der Antragsgegner unter Bezugnahme auf ein erstelltes Gutachten vom 6. Juni 2016 aus, dass die Assistenzleistungen im Wesentlichen aus leichten Hilfstätigkeiten, insbesondere der Unterstützung bei erforderlichen Ortsveränderungen, beim Verrutschen der Hand, sowie dem Ermöglichen von Telefonaten durch Halten des Hörers und dem Organisieren, Bereitlegen und Blättern benötigter Akten bzw. Vorlagen, bestünden. Für derartige Hilfstätigkeiten sei ein Stundenlohn in Höhe der beantragten 20,00 EUR brutto unverhältnismäßig. Vielmehr erscheine ein Stundenlohn in Höhe von 13,97 EUR brutto als bedarfsgerecht. Darüber hinaus beinhalte die Betreuung während der täglich vierstündigen Arbeitszeit zahlreiche Pflegeleistungen, wie etwa die Unterstützung beim Trinken oder Toilettengängen, die im Rahmen von 45 Minuten täglich nicht übernahmefähig seien. Das bedeute, dass der notwendige Bedarf an übernahmefähigen Assistenzleistungen täglich mit 3 Stunden und 15 Minuten anzusetzen sei. Zwar habe der Antragsteller für die gesamte vierstündige Tagesarbeitszeit die Notwendigkeit der Arbeitsassistenz anerkannt erhalten, jedoch seien Pflegeleistungen, die der Antragsteller von anderen Trägern erhalte, anzurechnen. Das diesbezügliche Hauptsachverfahren wird beim Verwaltungsgericht Dresden unter dem Aktenzeichen 1 K 1403/16 geführt.

Am 23. November 2016 beantragte der Antragsteller die Fortführung der Arbeitsassistenz ab dem Jahr 2017 unter Berücksichtigung des angekündigten Bruttostundensatzes in Höhe von 20,00 EUR. Mit dem Bescheid vom 20. Dezember 2016 gewährte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2018 erneut lediglich einen monatlichen Betrag von 1.200,00EUR. Dagegen legte der Antragsteller am 18. Januar 2017 Widerspruch ein mit der Bitte um die Gewährung des beantragten Satzes, mithin monatlich insgesamt 1.680,00 EUR. Mit Schreiben vom 25. Januar 2017 teilte der bisherige Anbieter, der l. Dresden e. V., dem Antragsteller mit, dass er die Assistenzleistungen zum 20. Februar 2017 einstellen werde, wenn bis dahin keine Zusage über die Kostenübernahme für einen Stundensatz in Höhe von 20,00 EUR brutto eingehe.

Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2017, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers daraufhin die Übernahme der beantragten Leistungen ab dem 1. Januar im nunmehr gegenständlichen Eilverfahren geltend gemacht.

Der Antragsteller ist der Meinung, dass die Leistungskürzungen aufgrund der degenerativen Erkrankung und der steigenden Preise für Arbeitsassistenzen lebensfremd sei. Er behauptet, dass für die gewährten Beträge kein Leistungserbringer bereit sei, die erforderlichen Assistenzarbeiten anzubieten. Das Angebot des L. Dresden e.V. befinde sich trotz der Preissteigerung immer noch im unteren Rahmen vergleichbarer Anbieter und sei regional sogar das günstigste Angebot. Eine eigene Assistenz könne er aufgrund der Krankheit nicht einstellen. Er ist der Meinung, dass eine Verweisung auf ein solches Arbeitgebermodell auch deshalb nicht zumutbar sei, weil bei jedem Ausfall des angestellten Assistenten, etwa wegen Schwangerschaft oder Krankheit, die Arbeitsleistung durch den Antragsteller unmöglich werde. Schließlich sei die seitens des Antragsgegners geforderte Differenzierung zwischen Arbeits- und Pflegeassistenz rein tatsächlich unmöglich und durch den Gesetzgeber auch nicht vorgesehen. Er behauptet schließlich, dass die Einnahme von Getränken und Speisen oder Toilettengänge im geringen Umfang unter die Arbeitszeit und insoweit auch unter die Assistenz fielen. Es sei auch zu bedenke, dass die Kosten für eine entsprechende Pflegekraft um einiges höher als jene für eine Arbeitsassistenz seien. Die angekündigte Einstellung der Leistungen durch den bisherigen Anbieter gebiete die vorläufige Geltendmachung im Eilverfahren, weil der Antragsteller sonst seine Anstellung verliere.


Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, für den Antragsteller ab Zustellung der gerichtlichen Entscheidung die Kosten einer persönlichen Arbeitsassistenz im Umfang vom 20 Arbeitsstunden pro Wochen zu einem Bruttostundensatz von 20,00 EUR pro Stunde längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsachverfahrens zu tragen.


Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er bezieht sich insoweit im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2016. Ergänzend ist er der Meinung, dass nach den zu beachtenden Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen der zu übernehmende Kostenbetrag auch nicht außerhalb jeden Verhältnisses im Vergleich zum erlangten Lohn des Antragstellers stehen dürfe. Dies sei bei einer Gewährung von 20,00 EUR brutto je Stunde aber der Fall. Darüber hinaus sei zu prüfen, ob es nicht sachgerechter wäre, das Arbeitgebermodell zu wählen. Soweit es um die Bestimmungen des anteiligen Pflegebedarfs gehe, sei dieser nach den Vorgaben der Empfehlung bzw. unter Berücksichtigung des zeitlichen Pflegeumfangs auszurechnen. Er ist schließlich der Meinung, dass die Durchführung des Arbeitgebermodells nicht allein wegen etwaiger Ausfälle unmöglich sei, weil die Kosten entsprechender Ersatzkräfte im vollen Umfang übernommen würden. In derartigen Fällen sei eine kurzfristige Realisierung durch den l. Dresden e. V. denkbar und von diesem auch zugesagt.

Das Gericht hat die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2017 angehört. Wegen des weiteren Sach- und Streitgegenstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Gerichtsakten der Verfahren 1 L 178/17 und 1 K 1403/16 sowie auf die vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.


II.
Der zulässige Antrag hat nur im tenorierten Umfang Erfolg.

Er ist begründet, soweit Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 ZPO ergeht eine einstweilige Anordnung, wenn das Bestehen eines zu sichernden Anspruchs, des sogenannten Anordnungsanspruchs, und die Dringlichkeit einer vorläufigen Entscheidung, der sogenannte Anordnungsgrund, überwiegend wahrscheinlich sind.

Ein solcher gegen den Antragsgegner gerichteter Anspruch auf die Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz ergibt sich dem Grunde nach aus § 102 Abs. 4 SGB IX. Danach haben schwerbehinderte Menschen im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Die Bereitstellung bzw. die Übernahme der Arbeitsassistenz fällt als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben unter § 5 Nr. 2 SGB IX i. V. m. § 33 SGB IX und wird durch den Antragsgegner und dem dortig eingegliederten Integrationsamt übernommen. Der Antragsteller kann sich nicht eigenständig bewegen und benötigt für seine Tätigkeit am PC aber auch für den innerbetrieblichen Kontakt Unterstützung. So ist bei jedem Verrutschen der Hand sowie dem Ermöglichen von Telefonaten durch Halten des Hörers und dem Organisieren, Bereitlegen und Blättern benötigter Akten eine Assistenz erforderlich. Insoweit ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die ihm vertraglich auferlegten Aufgaben nur mit Hilfe einer Arbeitsassistenz in einem wettbewerbsfähigen Rahmen erledigen kann. Dass der Antragsteller dem Grunde nach einen Anspruch auf eine Arbeitsassistenz hat, steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit.

Strittig ist allein der Umfang der zu gewährenden Leistungen. Während der Antragsgegner die Leistungen an den Antragsteller auf den Betrag beschränken will, den er aufwenden muss, wenn er eine Hilfskraft selbst beschäftigt (sog. Arbeitgebermodell) und diese mit 1.200,00 EUR beziffert, ist der Antragsteller der Auffassung, dass er auch die darüber hinausgehenden Aufwendungen begehren kann, die sich ergeben, wenn er die Leistungen durch den L. Dresden e. V. bezieht (sog. Dienstleistungsmodell). Darüber hinaus streiten die Beteiligten um Anrechnung von Leistungen der Pflegekasse.

Der L. Dresden e. V. ist von den Anbietern, die in Dresden eine Arbeitsassistenz übernehmen, derjenige, der mit einem Bruttostundenlohn in Höhe von 20,00 EUR die geringsten Kosten verursacht. Allerdings dürfen die Arbeitgeberkosten einer zum Mindestlohn (vgl. hierzu OVG Berlin- Brandenburg, Urt. v. 18. Mau 2011 - 6 B 1.09 - juris Rn. 15 ff.) vom Antragsteller beschäftigten Hilfskraft deutlich darunter liegen.

Im Ergebnis besteht der glaubhaft gemachte Anspruch nur in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe.

Entgegen der Vorstellung des Antragsgegners muss sich der Antragsteller im vorliegenden Sonderfall nicht auf das Arbeitgebermodell verweisen lassen. Vielmehr steht es ihm grundsätzlich frei, ob er die erforderliche Arbeitsassistenz im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses selbst anstellt oder ob er sich hierfür eines Dritten bedient. Dieses Wunsch- und Wahlrecht durfte der Antragsteller dahingehend ausüben, das Dienstleistungsmodell zu wählen.

Die Entscheidungen über die Höhe des Anspruchs steht nicht im Ermessen des Antragsgegners (OVG Bremen, Beschluss vom 15. Oktober 2003 - 2 B 304/03 - juris [Ls.]; a. A. VG Bremen, Urteil vom 9. Mai 2003 - 7 K 2496/01 - juris [Ls.]). Es handelt sich um einen gesetzlich geregelten Anspruch. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wird bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe berechtigten Wünsche der Leistungsberechtigten entsprochen. Dabei wird nach Satz 2 auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen. Eine Einschränkung erfährt das Wahlrecht aber dadurch, dass § 102 Abs. 4 SGB IX die Leistungen auf die Kosten der "notwendigen" Arbeitsassistenz beschränkt und nach § 33 Satz 1 SGB I, auf welchen § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB IX verweist, Wünsche des Berechtigten (nur) entsprochen werden soll, soweit sie angemessen sind. Der Leistungsberechtigte muss sich deshalb unter Beachtung des Gebotes der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit grundsätzlich auf wirtschaftliche Alternativen verweisen lassen, wenn sie ihm tatsächlich zur Verfügung stehen und zumutbar sind. Allerdings ist ein Wunsch nicht bereits deshalb nicht mehr notwendig oder angemessen, weil höhere Kosten entstehen. Unverhältnismäßig ist die Wahl nur dann, wenn die hieraus folgende Mehrbelastung des Integrationsamts zum Gewicht der vom Assistenzbedürftigen angeführten Gründe für die von ihm getroffene Wahl der Hilfemaßnahmen nicht mehr im rechten Verhältnis steht, sodass die Frage nach der Angemessenheit wunschbedingter Mehrkosten sich nicht in einem rein rechnerischen Kostenverhältnis erschöpft, sondern eine wertende Betrachtungsweise verlangt (vgl. zu sozialhilferechtlichen "Mehrkostenvorbehalt" BVerwG, Beschl. 18. August 2003 - 5 B 14/03 -, jursi Rn. 3). Bei dieser sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und die widerstreitenden Interessen abzuwägen.

Im vorliegenden Fall ist ein Verweis auf das Arbeitgebermodell unter Beachtung dieser Vorgaben keine tragbare Alternative für den Antragsteller. Zwar führt der bloße Hinweis auf etwaige Ausfallzeiten der Assistenzkraft nicht zum Ausschluss dieses Modells, weil derartige Ausfallzeiten durch den L. Dresden e. V. abgesicherten werden können. Dieser erklärte, auch kurzfristig über ausreichend Personal zu verfügen, um etwaige Ausfälle einer angestellten Assistenz zu kompensieren. Jedoch sind dem Antragsteller eine eigenständige Anstellung und die damit verbundene Tätigkeit als Arbeitgeber aufgrund seiner fortschreitenden Krankheit nicht zuzumuten. Der Antragsteller sitzt im Rollstuhl und ist beinahe vollständig gelähmt. Er kann seine Arme und Hände nicht eigenständig bewegen und ist bei beinahe jeder Tätigkeit, die eine Ortsveränderung oder motorische Fähigkeiten voraussetzt, auf Hilfe angewiesen. Der teilerwerbsgeminderte Antragsteller hat aufgrund seiner Erkrankung die bisherige Arbeitszeit von 30 Stunden auf 20 Stunden pro Woche reduziert. Zusätzliche Arbeitgebertätigkeiten sind ihm nicht zuzumuten. Insbesondere bei der Auswahl und Anstellung der Assistenzkraft fallen Tätigkeiten von nennenswertem Zeitumfang an. Anschließend lassen sich zwar die laufenden Tätigkeiten, wie etwa die Lohnbuchhaltung, auf Dritte, etwa Steuerbüros, übertragen. Dies entbindet den Antragsteller aber nicht von den hierfür erforderlichen Zuarbeiten. Auch eingeschaltete Dritte müssen umfassend unterrichtet und informiert werden, sodass eine vollumfängliche Abgabe nicht erfolgen kann. Auch hierfür wäre wiederum eine Arbeitsassistenz erforderlich. Auch unter Berücksichtigung aller widerstreitenden Interessen, insbesondere jenem der Wahrung der Wirtschaftlichkeit, ist dem geäußerten Wunsch des Antragstellers der Vorrang einzuräumen.

Soweit der Antragsgegner vorträgt, dass die beantragten Kosten (1.680,00 EUR) im Missverhältnis zu dem gezahlten Lohn (brutto 1.148,84 EUR) stünden, ist dem nicht zu folgen. Soweit Nr. 5.3 der Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen vorschlagen, dass Assistenzleistungen 50% des Lohns nicht überschreiten sollen, folgt dem die Kammer nicht. Denn bei der Frage nach der Angemessenheit ist auf den gesetzgeberischen Willen und die damit verfolgten Ziele zu achten. Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Zum Ausgleich bestehender Behinderungen sieht § 102 Abs. 4 SGB IX Ansprüche zur Übernahme von Kosten einer Arbeitsassistenz vor. Dabei berücksichtigt die Vorschrift, dass die Teilnahme am Arbeitsleben - neben der Erzielung von Erwerbseinkommen - auch Selbstverwirklichung und der Teilhabe am normalen Leben dient. Deshalb ist eine Arbeitsassistenz auch dann, wenn ihre Kosten den Lohn überschreiten, noch nicht notwendig unangemessen.

Dass die dem Beklagten aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mittel erschöpft wären, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Jedoch trägt der Antragsgegner zu Recht vor, dass sich der Antragsteller Leistungen, die er von der Pflegekasse für seine Pflege erhält, auf die Assistenzleistungen anrechnen lassen muss. Nach § 102 Abs. 5 Satz 1 SGB IX werden Verpflichtungen anderer durch Assistenzleistungen nicht berührt. Daraus folgt, dass für etwaige anfallende pflegerische Tätigkeiten kein entsprechender Anspruch besteht. Die Arbeitsassistenz soll zur Eingliederung in das Arbeitsleben lediglich jene Hürden überwinden, welche die Schwerbehinderung der Arbeitstätigkeit bereitet. Die Assistenz soll damit lediglich in Bezug auf die Arbeitstätigkeit die Benachteiligung der Behinderung kompensieren. Ein allgemeiner Pflegeaufwand soll davon aber nicht abgedeckt werden. Dieser wird vielmehr durch die Leistungen der Pflegeversicherung abgedeckt, die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 SGB XI u. a. für den Bedarf an körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuung gewährt werden. Um solche handelt es sich z. B. beim An- und Auskleiden, bei der Betreuung von Toilettengängen (Darm- und Blasenentleerung), beim mundgerechten Zubereiten von Nahrung und Hilfen beim Essen und Trinken und der Gabe von Sauerstoff. Diese Tätigkeiten - die sich auch Leistungsinhalten von Leistungskomplexen der Pflegeversicherung zuordnen lassen - dienen vorwiegend nicht dem Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile bei der Erbringung der Arbeitsleistung, sondern der Körperpflege und der pflegerischen Betreuung. Das dem Antragsteller gemäß § 37 Abs. 1 SGB XI gewährte Pflegegeld soll es ermöglichen, dass der Antragsteller die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und die pflegerische Betreuung sicherstellt. Dies gilt auch für pflegerische Maßnahmen während der Arbeitszeit, die die Arbeitsassistenz ausführt. Da dieser Pflegebedarf bereits gedeckt ist, ist der Antragsgegner auch nicht als erstangegangener Leistungsträger, der den Antrag nicht an die Pflegekasse weitergeleitet hat, gemäß § 102 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 14 Abs. 1, 2 SGB IX im Außenverhältnis zum Antragsteller leistungsverpflichtet. Vielmehr ist er in Bezug auf die Pflegeleistungen zweitangegangener Leistungsträger. Soweit der Bedarf des Antragstellers durch die von der Pflegekasse bereits gewährten Pflegeleistungen gedeckt ist, besteht kein Bedarf mehr für Mittel für die Arbeitsassistenz.

Hinsichtlich des Umfangs der Pflegeleistungen hält das Gericht eine pauschale Berechnung für sachgerecht, zumal auch der Bestimmung des Pflegegrades und des Pflegegeldbetrages je Pflegestufe eine pauschale Betrachtung zugrunde liegt. Dabei wird vereinfachend davon ausgegangen, dass das dem Antragsteller gewährte Pflegegeld seinen Bedarf für 30 Tage und 24 Stunden gleichmäßig deckt. Zwar fallen die Pflegeleistungen, wie sie beispielhaft in den Leistungskomplexen der Pflegeversicherung beschrieben werden, überwiegend während der Zeit des Wachseins und nicht während der Zeit des Schlafens an. Jedoch trägt der Antragsteller vor, dass auch zur Nachtzeit Pflegetätigkeiten anfallen, die sodann von seinen Eltern übernommen werden. Unter Anrechnung der bereits durch Dritte gewährten Pflegegelder ergibt sich ein Assistenzbedarf in Höhe des tenorierten Betrages von stündlich 18,75 EUR. Die bereits gewährten Pflegezuwendungen betragen seit dem 1. Januar 2017 Geldleistungen in Höhe von 901,00 EUR pro Monat. Dies entspricht einem täglichen Anteil in Höhe von 30,03 EUR und unter Zugrundelegung des Anteils für 24 Stunden einem Betrag in Höhe von 1,25 EUR pro Stunde. Diesen Betrag muss sich der Antragsteller anteilig auf den beantragten Bruttostundensatz in Höhe von 20,00 EUR anrechnen lassen, weil er diesen Betrag auch für Pflegeleistungen aufwenden soll, die ihm während der Arbeitszeit zugute kommen.

Unter Beachtung dieses Anordnungsanspruchs kann der Antragsteller ferner einen Anordnungsgrund glaubhaft machen, weil ihm ohne die vorläufige Anordnung erhebliche Nachteile drohen. Diese sind in der angekündigten Einstellung der Leistungen durch den L. D. e. V. zum 20. Februar 2017 zu sehen. Ohne deren Assistenzleistungen ist es dem Antragsteller nicht möglich, seine vertraglich geschuldeten Leistungen zu erbringen. in der Folge besteht seitens des Antragstellers zumindest die begründete Gefahr arbeitsrechtlicher Konsequenzen, im schlimmsten Falle sogar des Verlustes seines Arbeitsplatzes. Der Antragsteller ist auch nicht finanziell in der Lage, die Differenz zwischen geforderten Betrag von 20,00 EUR und bisher geleistetem Betrag von 13,97 EUR bis zur Entscheidung in der Hauptsache aus eigenen Mitteln zu tragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO, weil der Antragsteller nur zum Teil obsiegt. Die Differenz zum beantragten Stundensatz im Vergleich zu dem bereits gewährten Stundensatz beträgt ca. 20%. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt auf Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG, § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Ihr liegt die Jahressumme der Differenzbeträge zum beantragten Stundensatz in Höhe von 480,00 EUR aus der Hauptsache zugrunde. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war eine Halbierung der Jahressumme angezeigt (vgl. Nr. 1.5, des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, abgedruckt z.B. in SächsVBl. 2014, Heft 1 Sonderbeilage).

Referenznummer:

R/R7204


Informationsstand: 07.11.2017