Das Gericht konnte ohne weitere mündliche Verhandlung auf schriftlichem Wege entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 101
Abs. 2
VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihrem Recht auf ermessensfehlerhafte Entscheidung, soweit die Kosten der Gebärdensprachdolmetscherleistungen für die Wahrnehmung der Präsenzveranstaltungen für das von der Klägerin betriebene Fernstudium abgelehnt wurden. Der Bescheid war daher aufzuheben und der Beklagte zur erneuten Bescheidung des Antrages zu verpflichten (§ 113
Abs. 5
VwGO).
Anspruchsgrundlage für die Gewährung von Zuschüssen zu dem von der Klägerin betriebenen Fernstudium ist
§ 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 e) SGB IX i.V.m. § 24 SchwbAV. Nach § 102
Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 e)
SGB IX kann das Integrationsamt im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen erbringen, insbesondere zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten.
Die Gewährung von Leistungen nach § 102
Abs. 3
SGB IX steht damit im Ermessen des Beklagten. Nach § 114
VwGO in Verbindung mit § 39
Abs. 1
SGB I prüft das Gericht in diesen Fällen lediglich, ob die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.
Es war ermessensfehlerhaft, das von der Klägerin betriebene Fernstudium von vornherein als nicht förderungsfähig auszuschließen. Soweit § 24 Satz 1
SchwbAV "vor allem" auf die "besonderen Fortbildungs- und Anpassungsmaßnahmen, die nach Art, Umfang und Dauer den Bedürfnissen dieser schwerbehinderten Menschen entsprechen" verweist, handelt es sich nur um eine Heraushebung der "vor allem" förderungswürdigen, jedoch nicht um einen Ausschluss der sonstigen Maßnahmen. Dies folgt auch aus der Verordnungsbegründung zu § 24
SchwbAV, wonach durch die Vorschrift "vor allem" - aber eben nicht ausschließlich - den Fällen Rechnung getragen werden sollte, in denen Schwerbehinderte nicht in der Lage sind, allgemeine Fortbildungs- und Anpassungsmaßnahmen zu besuchen (
vgl. Bundesrats-Drs. 482/87,
S. 64 f.,
OVG Münster, Beschluss vom 8. Mai 2012 -
12 A 1602/11 - nach juris Rn. 19 f.)
Hinsichtlich der Eignung der zu fördernden Maßnahme der beruflichen Bildung gilt nach
§ 18 Abs. 2 Nr. 1 SchwbAV lediglich die allgemeine - nicht arbeitsplatzbezogene - Leistungsvoraussetzung, dass durch die Leistung die auf besondere Schwierigkeiten stoßende Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht, erleichtert oder gesichert werden kann (
OVG Münster a.a.O. Rn 21 f.
m.w.N.).
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil das Fernstudium geeignet ist, die Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin für ihre Tätigkeit bei der D... - insbesondere bei der Bearbeitung von Rentenanträgen wegen Erwerbsminderung - zu erweitern und damit auch ihre Chancen für einen beruflichen Aufstieg zu erhöhen. Der Arbeitgeber hat glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass er das Fernstudium der Klägerin für geeignet hält, ihre Aufstiegschancen zu erhöhen.
Bei einer generellen Versagung einer Förderung des Fernstudiums der Klägerin würde auch außer Acht gelassen, dass gerade auch die Qualifizierung von Schwerbehinderten über die jeweils
ggf. ausgeübte berufliche Tätigkeit hinaus und die damit verbundene Steigerung der Attraktivität dieser Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Maß geeignet ist, die sich aus der jeweiligen Behinderung ergebenden, sonst nicht ausgeglichenen oder überhaupt ausgleichbaren vielfältigen Nachteile dauerhaft zu reduzieren. Gerade deshalb eröffnet § 24 Satz 2
SchwbAV die Möglichkeit, ohne inhaltliche Beschränkungen Hilfen auch zum beruflichen Aufstieg zu erbringen (
OVG Münster a.a.O. Rn. 29).
Der Beklagte wäre auch im Übrigen für die Förderung und Leistungsgewährung zuständig, da eine rechtzeitige Weiterleitung des Antrags der Klägerin an einen
ggf. vorrangigen Rehabilitationsträger nicht erfolgt ist (
vgl. § 102
Abs. 6 Satz 1
i.V.m. § 14 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX) und es vorliegend um den Bereich Teilhabe am Arbeitsleben geht. Soweit der Beklagte von einem anderen Verständnis des § 102
Abs. 6
SGB IX ausgeht (die sinngemäße Anwendung des § 14
SGB IX beschränke sich auf die Weiterleitungsbefugnis
bzw. -pflicht, ohne die Rechtsfolge der Zuständigkeitsfiktion auszulösen) so überzeugt dies nicht. Abgesehen davon, dass der Wortlaut des § 102
Abs. 6 Satz 1
SGB IX für eine solche einschränkende Auslegung nichts hergibt, spricht auch der Sinn und Zweck des
§ 4 Abs. 1 SGB IX - Zuständigkeitsfragen und -streitigkeiten nicht auf dem Rücken des Hilfebedürftigen auszutragen - für eine uneingeschränkte entsprechende Anwendung. Der besondere Fall, dass das Integrationsamt einen von einem Rehabilitationsträger gemäß § 16
Abs. 2
SGB I empfangenen Antrag entgegen der Bindungswirkung des § 14
Abs. 2 Satz 2
SGB IX selbst noch einmal weiterleiten darf (§ 102
Abs. 6 Satz 2
SGB IX) ist ausdrücklich geregelt, bedeutet aber auch, dass bei fehlender Weiterleitung die Zuständigkeit des Integrationsamts gegenüber dem Hilfebedürftigen bestehen bleibt.
Bei der vorliegend zu treffenden Ermessensentscheidung hat der Beklagte in die Abwägung einstellen (bezüglich des "ob"), dass die Klägerin mit ihrem Studium bereits weit fortgeschritten und nach der eingereichten Übersicht über die erbrachten Leistungen ein erfolgreicher Abschluss zu erwarten ist, die Unterstützung durch Gebärdensprachdolmetscher gerade in der Schlussphase des Studiums jedoch besondere Bedeutung hat. Hinsichtlich der bis Sommer 2015 bereits aufgelaufenen Gebärdensprachdolmetscherkosten - Zweifel an der Angemessenheit der Höhe der abgerechneten Leistungen bestehen nach Aktenlage nicht - dürfte von Bedeutung sein, dass die Klägerin durch die Verauslagung der Kosten und die lange "gestundeten" Forderungen der Dienstleister mittlerweile in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Ferner, dass sie für die Zeit danach unter Inkaufnahme nicht unerheblicher Studienbenachteiligungen bis heute - notgedrungen - auf die weitere Inanspruchnahme von Kommunikationsassistenz "verzichtet" hat, so dass für den vergangenen Zeitraum von etwa 2 Jahren auch für den Beklagten eine finanzielle "Entlastung" stattgefunden hat. Es könnte deshalb eine Ermessenserwägung sein, bei der Frage, in welcher Höhe Leistungen für die Zeit bis Juni 2015 und in der anstehenden Studienschlussphase übernommen werden sollten, einen großzügigeren Maßstab zu Grunde zu legen als wenn Kommunikationsassistenzleistungen über die gesamte Studiendauer (
ggf. anteilig) zu übernehmen gewesen wären.
Ermessensfehlerhaft wäre es jedenfalls, die Förderung allein mit Blick darauf zu versagen, dass der Leistungsantrag der Klägerin erst nach Beginn des Studiums im April 2014 beim Beklagten eingegangen ist; ob der Widerspruchsbescheid hierauf abgestellt hat, wird allerdings aus der Formulierung nicht deutlich. Das Gesetz stellt einen solchen Zusammenhang nicht her; sach- und ermessensgerecht könnte es daher lediglich sein, Leistungen für im Zeitpunkt der Antragstellung bereits entstandene Aufwendungen abzulehnen (hier also
ggf. die von der Klägerin für April 2014 bereits in Anspruch genommenen Kommunikationsassistenz-Dienstleistungen), nicht jedoch für den künftigen Bedarf (hier ab Mai 2014) nach Antragstellung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154
Abs. 1
VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167
Abs. 1 und
Abs. 2
VwGO in Verbindung mit §§ 708
Nr. 11, 711
ZPO.