Das Verfahren wird eingestellt, soweit es übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt wurde.
Im Übrigen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 4. November 2015 geändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22. November 2011 und des Änderungsbescheides vom 30. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2012 verpflichtet, dem Kläger Leistungen für eine Arbeitsassistenz für das Jahr 2012 in Höhe von 5.414,82 Euro zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der 1981 geborene Kläger ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 100 vom Hundert anerkannt. Er verfügt über die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), H (Hilflosigkeit) und B (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson). Er ist von Geburt an Spastiker und behinderungsbedingt sowohl in seiner Mobilität und Feinmotorik wie auch in der sprachlichen Kommunikation eingeschränkt.
Er absolvierte eine Ausbildung zum Informatikkaufmann und betreibt seit 2005 als Inhaber die D... mit Sitz in P.... Gegenstand des Unternehmens ist die Entwicklung und Betreuung von Internetauftritten und Internetforen sowie Programmierleistungen und Personalschulungen im Bereich elektronischer Medien.
Auf entsprechende Anträge wurden ihm vom Integrationsamt des Beklagten erstmals ab 2006 und zuletzt für das Jahr 2011 monatliche Leistungen für die Kosten einer Arbeitsassistenz in Höhe von zuletzt 713,15 Euro bewilligt. Die Weiterbewilligung machte der Beklagte von dem Nachweis abhängig, dass eine nachvollziehbare, stete Steigerung des Gewinns zu verzeichnen sei, so dass der Kläger nicht mehr auf staatliche Sozialleistungen zum Lebensunterhalt angewiesen sei. Der Kläger müsse für den Zeitraum 1. März bis 30. September 2011 nachweisen, dass er einen zum Lebensunterhalt verbleibenden Gewinn von durchschnittlich mindestens 800 Euro im Monat erwirtschafte. Die daraufhin vorgelegten Nachweise hielt der Beklagte für unzureichend, weil der Kläger danach nicht den geforderten Gewinn erwirtschaftet habe. Den Antrag auf Bewilligung der Mittel für eine notwendigen Arbeitsassistenz in Höhe von insgesamt 8.557,77 Euro für das Jahr 2012 (entspricht 713,15 Euro monatlich) lehnte er deshalb mit Bescheid vom 22. November 2011, geändert durch Bescheid vom 30. November 2011 ab. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2012, zugestellt am 21. August 2012).
Die am 20. September 2012 hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Potsdam mit Urteil vom 4. November 2015 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs sei
§ 102 Abs. 4 SGB IX. Ergänzt werde dieser durch die Vorschriften für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben der
§§ 17 bis
25 SchwbAV. Danach setze die Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz voraus, dass die angestrebte oder bereits ausgeübte selbstständige Berufstätigkeit erwarten lasse, dass der Schwerbehinderte seinen Lebensunterhalt durch die Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer im Wesentlichen sicherstellen könne. Das ergebe sich aus
§ 21 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV und dem in der amtlichen Überschrift der Norm verwendeten Begriff der beruflichen "Existenz", der darauf schließen lasse, dass mit der Tätigkeit ein "Auskommen" im Sinne einer ausreichenden wirtschaftlichen Lebensgrundlage sichergestellt sein müsse. Das Integrationsamt habe insoweit unter Berücksichtigung der Marktsituation und auf der Grundlage eines vom Schwerbehinderten vorgelegten Betriebskonzeptes sowie einer detaillierten Beschreibung der (künftigen) Arbeitsanforderungen der selbstständigen Tätigkeit eine prognostische Einschätzung der künftigen Erwerbschancen zu treffen, wobei ihm insoweit ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen sei, der nur eingeschränkt gerichtlich darauf überprüft werden könne, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zu Grunde liege und ob allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt worden seien. Insoweit seien Beurteilungsfehler nicht ersichtlich, da der Kläger auch nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung kein Einkommen erziele, das zur Deckung seines Lebensunterhalts ausreiche. Danach hätten sich die Einnahmen seiner selbstständigen Tätigkeit auf einen Betrag zwischen 400 und 500 Euro im Monat belaufen. Weiter habe sich aufgrund der aktuellen Meniskusverletzung des Klägers dessen Einnahmesituation nochmals verschlechtert, so dass eine prognostische Einschätzung der künftigen Erwerbschancen jedenfalls auch keine höheren Einnahmen erwarten lasse. Der Kläger werde hierdurch nicht gleichheitswidrig benachteiligt, da insoweit ein sachlicher Differenzierungsgrund im Sinne des Artikels 3
GG vorliege, denn die begehrten Leistungen dienten der beruflichen Integration behinderter Menschen.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung führt er aus: Er habe einen dem Grunde nach unstreitigen Anspruch auf eine Arbeitsassistenz als Selbstständiger für das Kalenderjahr 2012 gemäß § 102
Abs. 4
SGB IX, der ihm unbedingt zustehe. Insbesondere gelte das vom Verwaltungsgericht und von der Behörde herangezogene Erfordernis einer Sicherung des Lebensunterhalts nach § 21
Abs. 1
Nr. 2
SchwbAV nicht für Leistungen zur Arbeitsassistenz, sondern nur für Darlehen oder Zinszuschüsse zur Existenzgründung oder -erhaltung, die er nicht begehre. Er werde diskriminiert, weil seine selbstständige Tätigkeit von Voraussetzungen abhängig gemacht werde, die für abhängig beschäftigte Schwerbehinderte nicht gelten würden. Auch mit der Ausübung von Ermessen könne der Beklagte seine Entscheidung nicht rechtfertigen, da ihm dieses Ermessen nicht zustehe. Der Kläger trägt weiter vor, er habe im Jahr 2012 insgesamt 5.414,82 Euro (das entspricht monatlich 451,24 Euro) für die Arbeitsassistenz aufwenden müssen.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 04.11.2015 zum Aktenzeichen
VG 7 K 2081/12 wird abgeändert.
2. Der Bescheid des Beklagten vom 22.11.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides am 30.11.2011, dieser wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2012 wird aufgehoben.
3. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Leistungen für eine Arbeitsassistenz für das Jahr 2012 in Höhe von 5.414,82
EUR zu gewähren.
Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Soweit der Kläger ursprünglich einen Zahlbetrag von 8.557,77 Euro begehrte, den er im Berufungsverfahren auf den Betrag von 5.414,82 Euro reduziert hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
I. Das Verfahren war in entsprechender Anwendung des § 92
Abs. 3
VwGO einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit wirkungslos (§ 173 Satz 1
VwGO in Verbindung mit § 269
Abs. 3 Satz 1
ZPO analog).
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Der Kläger hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Anspruch auf Leistungen für eine Arbeitsassistenz für das Jahr 2012. Die Ablehnung seines hierauf gerichteten Begehrens durch die angefochtenen Bescheide ist rechtswidrig und verletzt ihn daher in seinen Rechten (§ 113
Abs. 5 Satz 1
VwGO).
1. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage und damit die Frage, ob der geltend gemachte Anspruch besteht, ist der Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides, nicht derjenige der letzten tatrichterlichen Entscheidung. Dies ist für die Fälle der Leistungsgewährung von Sozialhilfe und für Leistungen im Bereich der Jugendhilfe grundsätzlich allgemein anerkannt, weil diese Leistungen in der Regel zeitabschnittsweise gewährt werden und einer ständigen Überprüfung und Neuregelung zugänglich sind (
BVerwG, Urteil vom 30. November 1966 - V C 29.66 -, BVerwGE 25, 307; Urteil vom 26. November 1981 - 5 C 56.80 -, BVerwGE 64, 224). Gleiches galt für finanzielle Leistungen nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz in der Fassung vom 26. August 1986, BGBl. I Seite 1421), auch die darin erfassten Leistungen wurden nur zeitabschnittsweise gewährt (VGH Mannheim, Urteil vom 4. Mai 2004 -
9 S 14/03 -, Behindertenrecht 2004,
S. 177, 178). Vor diesem Hintergrund ist auch im Rahmen der Ansprüche Schwerbehinderter nach dem 2. Teil des
SGB IX der Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides als maßgeblich zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen.
Das bedeutet im vorliegenden Verfahren, dass es - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - auf die Auswirkungen der Meniskusverletzung des Klägers für die anzustellende Prognose der Notwendigkeit einer Arbeitsassistenz nicht ankommt. Als der Widerspruchsbescheid im Juni 2012 erging und im August 2012 zugestellt und damit wirksam wurde, lag diese Verletzung nicht vor. Der Kläger hat sie nach eigenen Angaben erst im November 2014 erlitten.
2. Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist
§ 102 Abs. 4 SGB IX. Nach dieser Vorschrift haben schwerbehinderte Menschen im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Diese Voraussetzungen liegen dem Grunde nach vor.
Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig und aus Sicht des Senats nicht zweifelhaft, dass der Kläger eine Arbeitsassistenz benötigt, um seine selbstständige Tätigkeit auszuüben. Er hat dargelegt, Unterstützung bei der Kommunikation und Korrespondenz mit Kunden, bei der Büroorganisation, bei der Aktenführung und bei der vorbereitenden Buchhaltung zu benötigen sowie Unterstützung und Begleitung bei Kundenterminen, Messen und Geschäftspräsentationen ebenso wie bei der Anpassung und Nutzung seiner Hilfsmittel. Das erscheint im Hinblick auf die Beeinträchtigung in Mobilität, Feinmotorik und sprachlichen Kommunikation ohne weiteres nachvollziehbar.
3. Entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts und des Beklagten stehen die bisher vom Kläger durch seine selbstständige Tätigkeit erzielten Einkünfte einer Weiterbewilligung der Kosten für die notwendige Arbeitsassistenz nicht entgegen.
a) Insbesondere ist für die Prüfung des Anspruchs selbstständig tätiger Schwerbehinderter auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz nach § 102
Abs. 4
SGB IX die Regelung in
§ 21 Abs. 1 Nr. 2 SchwbAV weder direkt noch analog anzuwenden.
aa) Die Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabenverordnung vom 28. März 1988 (BGBl. I
S. 484) ist aufgrund der § 11
Abs. 3 Satz 3, § 12
Abs. 2 und § 33
Abs. 2 Satz 5 des mit Inkrafttreten des
SGB IX am 1. Juli 2001 außer Kraft getretenen Schwerbehindertengesetzes vom 26. August 1986 (BGBl. I
S. 1421) -
SchwbG - erlassen worden. Sie regelt in § 21 "Hilfen zur Gründung und Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz". Nach Absatz 1 dieser Vorschrift können schwerbehinderte Menschen Darlehen oder Zinszuschüsse zur Gründung und Erhaltung einer selbstständigen beruflichen Existenz erhalten, wenn sie die erforderlichen persönlichen und fachlichen Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit erfüllen (
Nr. 1), sie ihren Lebensunterhalt durch die Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer im Wesentlichen sicherstellen können (
Nr. 2 ) und die Tätigkeit unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig ist (
Nr. 3). Gemäß § 21
Abs. 4
SchwbAV sind die
§§ 17 bis
20 zu Gunsten von schwerbehinderten Menschen, die eine selbstständige Tätigkeit ausüben oder aufzunehmen beabsichtigen, entsprechend anzuwenden. Nach § 17
Abs. 1a
SchwbAV haben schwerbehinderte Menschen im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz.
Das Verwaltungsgericht meint, das Erfordernis des § 21
Abs. 1
Nr. 2
SchwbAV, wonach durch die Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer der Lebensunterhalt im Wesentlichen sichergestellt werden können muss, gelte über deren Wortlaut hinaus nicht nur für Ansprüche auf Darlehen oder Zinszuschüsse zur Gründung und zur Erhaltung einer selbstständigen beruflichen Existenz, sondern auch für Ansprüche auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Diese Auffassung ist abzulehnen.
Schon im rechtlichen Ausgangspunkt ist nicht anzunehmen, dass die Bestimmungen der
SchwbAV anspruchseinschränkend bei der Anwendung des § 102
Abs. 4
SGB IX herangezogen werden können. Der Gesetzgeber hat in § 102
Abs. 4
SGB IX die Anspruchsvoraussetzungen für die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz dem Grunde nach abschließend geregelt. Der Wortlaut der Vorschrift selbst enthält bis auf den Vorbehalt der aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mittel sowie des Erfordernisses der Notwendigkeit keine Einschränkungen (Senatsurteil vom 18. Mai 2011 -
6 B 1.09 -, OVGE BE 32, 90 ff, Rn. 14 bei juris). Von der Verordnungsermächtigung des
§ 108 SGB IX wurde bislang kein Gebrauch gemacht. Nach dieser Vorschrift wird die Bundesregierung ermächtigt, durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Voraussetzungen des Anspruchs nach § 102
Abs. 4
SGB IX sowie über die Höhe, Dauer und Ausführung der Leistungen zu regeln. Nach der Gesetzesbegründung zum
SGB IX steht dieser Umstand dem Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz nicht entgegen. Dort heißt es ausdrücklich: "Die Geltendmachung dieses Anspruchs ist unabhängig vom Erlass der Verordnung" (BT-Drucks. 14/3372,
S. 21). Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht angängig, Regelungen einer
Rechtsverordnung heranzuziehen, um einen zeitlich später geschaffenen gesetzlichen Anspruch einzuschränken.
Hinzu kommt, dass die vom Verwaltungsgericht herangezogene Regelung in § 21
Abs. 1
Nr. 2
SchwbAV weder ihrem Wortlaut noch ihrer Systematik nach auf den Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz anwendbar ist. § 21
Abs. 1
SchwbAV sieht Darlehen oder Zinszuschüsse zur Gründung und zur Einhaltung einer selbstständigen beruflichen Existenz vor. Von der Kostenübernahme für eine notwendige Arbeitsassistenz ist darin nicht die Rede. Diese ist - rechtssystematisch klar getrennt - in § 21
Abs. 4
SchwbAV geregelt, in dem auf die §§ 17 bis 20 der Verordnung verwiesen wird. Dementsprechend hat der VGH Mannheim entschieden, dass der Wortlaut des § 21
Abs. 4 die Annahme einer selbstständigen, von den Voraussetzungen des § 21
Abs. 1
SchwbAV unabhängigen Rechtsgrundlage belege (Urteil vom 4. Mai 2004 -
9 S 14/03 -, Behindertenrecht 2004,
S. 177, 178). Dass § 21
SchwbAV seiner amtlichen Überschrift nach "Hilfen zur Gründung und Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz" regelt, rechtfertigt entgegen der anders lautenden Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht die Annahme, die in Absatz 1 genannten Begrenzungen des Anspruchs auf Darlehen und Zuschüsse gälten auch für die in Absatz 4 geregelten Vergünstigungen.
Ebenso wenig kommt eine analoge Anwendung der Anforderungen des § 21
Abs. 1
Nr. 2
SchwbAV auf die Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz in Betracht. Die Vorschrift ist nicht in dieser Weise analogiefähig. Sie gewährt in Absatz 1 eine Vergünstigung, indem sie vorsieht, dass schwerbehinderte Menschen neben den übrigen gesetzlich vorgesehenen Leistungen auch Darlehen oder Zinszuschüsse erhalten können, soweit sie die Gründung und Erhaltung einer selbstständigen beruflichen Existenz beabsichtigen. Die Voraussetzungen, unter denen diese Vergünstigung zu gewähren ist, nunmehr analog auf andere Ansprüche anzuwenden, allerdings nicht um eine Gewährung zu ermöglichen, sondern um diese einzuschränken, kommt nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht in Betracht.
bb) Damit ist indessen nicht gesagt, dass die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz für eine selbstständige berufliche Tätigkeit ohne jede Einschränkung zu übernehmen wären. Aus § 102
Abs. 4
SGB IX ergibt sich vielmehr, dass es sich um eine Tätigkeit im Rahmen des "Arbeitslebens" handeln muss. Ihrem Zweck nach soll die begleitende Hilfe im Arbeitsleben nach § 102
Abs. 2
SGB IX dahin wirken, dass der behinderte Mensch eine berufliche Erwerbstätigkeit wahrnehmen, sich im Wettbewerb mit nichtbehinderten Menschen behaupten kann und nicht in seiner sozialen Stellung absinkt. Dies setzt voraus, dass mit der beruflichen Erwerbstätigkeit auch Erwerb verbunden ist. Bei einer nicht selbstständigen Tätigkeit gilt dies unbedingt, bei der selbstständigen Tätigkeit müssen diese Voraussetzungen jedenfalls nach einer Einarbeitungsphase vorliegen (
VG Ansbach, Urteil vom 2. Juli 2009 -
AN 14 K 08.01859 -, Rn. 29 bei juris).
Ob über dieses Erfordernis hinaus vom Gesetzgeber Anforderungen vorgesehen sind, die ein selbstständig tätiger Schwerbehinderter zu erfüllen hat, um die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz verlangen zu können, kann vorliegend auf sich beruhen. Diese Frage ist nicht entscheidungserheblich.
Sofern keine weiteren Erfordernisse zu verlangen sind, steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach ohne weiteres zu. Sofern man weitere anspruchsbegründende Einschränkungen annehmen wollte, würde dies im vorliegenden Fall zu keinem abweichenden Ergebnis führen. Denn auch dann wäre der vorliegend geltend gemachte Anspruch zu bejahen.
(1) Eine Orientierung für anspruchseinschränkende Erfordernisse bietet die auf abhängig beschäftigte Schwerbehinderte abstellende Regelung in § 102
Abs. 2 Satz 3
SGB IX. Danach gelten als förderungsfähige Arbeitsplätze Stellen, auf denen Beschäftigte befristet oder als Teilzeitbeschäftigte in einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich beschäftigt werden. Zu denken ist vorliegend an eine sinngemäße Anwendung dieser Bestimmung auf selbstständig tätige Schwerbehinderte. Weitergehende Anspruchseinschränkungen dürften im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3
Abs. 1
GG und die vom Gesetz bezweckte Integration Schwerbehinderter in das Erwerbsleben auch von selbstständig tätigen Schwerbehinderten nicht ohne sachliche Rechtfertigung verlangt werden. Keine ausreichende sachliche Rechtfertigung stellen insoweit die Erwägungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2012 dar, wonach die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sei, weil der bei abhängig Beschäftigten geltende Mindestbeschäftigungsumfang von 15 Wochenstunden bei Selbstständigen mangels Arbeitsvertrags nicht nachprüfbar sei.
(2) § 102
Abs. 2 Satz 3
SGB IX lassen sich Anspruchseinschränkungen für § 102
Abs. 4
SGB IX in dreierlei Hinsicht entnehmen.
Augenfällig ist zunächst die zeitliche Komponente eines Beschäftigungsmindestumfangs von 15 Stunden wöchentlich. Hieraus lässt sich zudem ein Mindestumfang des vom Gesetzgeber geforderten Erwerbs herleiten. Bei Hilfstätigkeiten, für die eine Ausbildung oder eine besondere Qualifikation nicht erforderlich ist, erscheint ein Stundenlohn in Höhe des seinerzeit - im Jahr 2012 - gewerkschaftlich geforderten und später gesetzlich festgelegten Mindestlohns von 8,50 Euro sachangemessen (Senatsurteil vom 18. Mai 2011, a.a.O., Rn. 17 bei juris zur sachangemessenen Entlohnung der keine Ausbildung erfordernden Hilfstätigkeiten einer notwendigen Arbeitsassistenz). Ein abhängig Beschäftigter würde in diesem Fall monatlich etwa 500 Euro erwirtschaften. Etwa in diesem Umfang müsste demnach auch ein Selbstständiger Einkommen erzielen, um dem Mindesterwerbsgebot des § 102
Abs. 2 Satz 3
SGB IX Rechnung zu tragen. Schließlich lässt sich der Vorschrift das Erfordernis einer gewissen Verstetigung des Erwerbs entnehmen, denn sie verlangt immerhin zumindest eine befristete Beschäftigung. Mangels konkreter Quantifizierung wird man insoweit das Erfordernis einer mindestens achtwöchigen Dauer entsprechend
§ 73 Abs. 3 SGB IX annehmen können (Ritz/Welsch, in: Cramer / Fuchs / Hirsch / Ritz,
SGB IX, 6. Auflage 2011, § 102 Rn. 21). Nach dieser Vorschrift gelten u.a. Stellen, die nach den zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen nur auf die Dauer von höchstens acht Wochen besetzt sind, nicht als Arbeitsplätze.
(3) Diese Anforderungen hat der Kläger mit seiner selbstständigen Tätigkeit bei der gebotenen prognostischen Betrachtung im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides 14. Juni 2012 erfüllt.
Der Kläger arbeitete seinerzeit unstreitig mehr als 15 Stunden pro Woche. Nach eigenen Angaben betrieb er sein Unternehmen als Vollzeitbeschäftigung. Diese Tätigkeit, der er bereits mehrere Jahre nachging, war auch hinreichend verstetigt. Weiter erwirtschaftete er ein Einkommen, das den dargelegten Anforderungen im Wesentlichen entsprach. Für die Prognoseentscheidung können insoweit insbesondere die zuvor erzielten Erlöse zugrunde gelegt werden. Im Jahr 2011 hatte der Kläger ausweislich des Einkommensteuerbescheides vom 1. August 2012 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 5.727 Euro erzielt. Das entspricht monatlichen Einkünften von 477,25 Euro. Der von abhängig Beschäftigten geforderte Mindesterwerb von rund 500 Euro wäre insoweit nahezu erreicht.
Auch das Jobcenter, von dem der Kläger seinerzeit ergänzende Grundsicherungsleistungen erhielt, ging zum damaligen Zeitpunkt von Einkünften in dieser Größenordnung aus. Dabei ist es vom Grundsicherungsbedarf des Klägers ausgegangen, auf den es die insoweit erwarteten Einnahmen angerechnet und in Höhe der Differenz Grundsicherungsleistungen bewilligt hat.
Dabei richtete sich der Bedarf des Klägers nach den grundsicherungsrechtlichen Regelsätzen zuzüglich seiner Unterkunftskosten. Der Kläger hat ausweislich seiner Angaben Mietkosten in Höhe von 271,46 Euro monatlich, der Regelsatz der Leistungen nach dem
SGB II belief sich im Jahr 2012 auf 374 Euro monatlich. Das ergibt einen Unterhaltsbedarf von 645,46 Euro pro Monat. Soweit der Beklagte bei seiner anhand der vom Kläger vorgelegten Unterlagen zu seinen Lebenshaltungskosten erstellten eigenen Berechnung von einem Bedarf von rund 970 Euro monatlich ausgegangen ist, ist dies verfehlt. Insbesondere kam es auf die weiteren von dem Kläger angegebenen Ausgaben für Strom, Lebensversicherungen, Telefon, Kontoführung, Mitgliedsbeiträge und Kosten in monatlich teilweise deutlich unterschiedlicher Höhe für Bücher u.a. nicht an. Diese werden vom Regelsatz bereits abgedeckt und sind daher nicht gesondert zu berücksichtigen.
Ausgehend von diesem Bedarf hat das Jobcenter im Bescheid vom 9. Mai 2012, mit dem es dem Kläger im Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September 2012 vorläufige ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 149,64 Euro bewilligt hat, monatliche Einnahmen des Klägers in Höhe von 495,82 Euro zu Grunde gelegt, die ebenfalls die dargelegte Größenordnung erreichen.
Diesen Betrag hat es zwar für den genannten Zeitraum mit Änderungsbescheid vom 18. Juli 2012 auf 574,96 Euro erhöht. Das rechtfertigt aber keine andere Einschätzung. Denn zum einen ist dieser Bescheid erst nach dem hier maßgeblichen Widerspruchsbescheid am 14. Juni 2012 ergangen, zum anderen ist zu bedenken, dass bei diesem Bedarf die Betriebsausgaben des Klägers, zu denen auch seine Aufwendungen für die Arbeitsassistenz in Höhe 451,26 Euro je Monat zählen, zu berücksichtigen waren. Addiert man diesen Betrag zu den vom Jobcenter zugrunde gelegten Einnahmen von 70,50 Euro hinzu, ergäbe dies im Jahr 2012 monatliche Einkünfte von 521,76 Euro.
Eine weitere Bestätigung erfährt dieser Befund im Übrigen in der Rückschau, wenn man die Angaben des im damaligen Zeitpunkt noch nicht vorliegenden Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2012 zu Grunde legt. Danach hat der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 3.464 Euro erwirtschaftet. Das entspricht monatlichen Einkünften von 288,67 Euro. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die Einkünfte des Klägers um die betriebsbedingten Aufwendungen für die Arbeitsassistenz vermindert haben. Addiert man diese zu seinen Einkünften hinzu, kommt man auf ein Monatseinkommen von 739,93 Euro.
Insoweit sei angemerkt, dass dem Kläger der mit der Klage verfolgte Anspruch dem Grunde nach selbst nach dem von dem Beklagten angewandten Maßstab einer "Sicherstellung des Lebensunterhalts im Wesentlichen" zu bejahen gewesen wäre.
4. Der damit dem Kläger dem Grunde nach zustehende Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz für das Jahr 2012 summiert sich zu dem in der Berufungsinstanz geltend gemachten Betrag. Der Kläger hat durch entsprechende Unterlagen hinreichend belegt, im Jahr 2012 insgesamt 5.414,82 Euro für seine Arbeitsassistenz aufgewendet zu haben.
Dieser Betrag setzt sich zusammen aus Lohnzahlungen im Zeitraum Januar bis September 2012 in Höhe von monatlich 400 Euro. Hinzu kommen die an die Knappschaft abgeführten Beiträge im selben Zeitraum von 193,52 Euro monatlich. Weiter hat er für diese drei Quartale im Jahr 2012 pro Quartal einen Betrag von 139,23 Euro an eine externe Lohn- und Gehaltsabrechnungsfirma sowie insgesamt 50,45 Euro als Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung aufgewendet. Ab Oktober 2012 hat der Kläger seine Arbeitsassistenz nur noch auf Honorarbasis beschäftigt und ihr auf dieser Grundlage im letzten Quartal 2012 Honorare in Höhe von insgesamt 235 Euro gezahlt.
5. Der Beklagte ist damit verpflichtet, den mit der Klage noch begehrten Betrag zu bewilligen. Dieser Anspruch unterliegt keinen Einschränkungen.
a) Zwar steht die allein aus Mitteln der Ausgleichsabgabe finanzierte Kostenübernahme nach § 102
Abs. 4
SGB IX naturgemäß unter dem Vorbehalt, dass diese Mittel zur Verfügung stehen und nicht erschöpft sind. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat indessen ausdrücklich bestätigt, dass die insoweit ausgewiesenen Mittel im maßgeblichen Bewilligungszeitraum 2011/2012 nicht erschöpft waren. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm ist davon auszugehen, dass eine Beschränkung der Kostenübernahme der Höhe nach jenseits einer Mittelerschöpfung grundsätzlich allein über den Begriff der "Notwendigkeit" erfolgen kann.
b) Insbesondere eröffnet die Norm für den darin geregelten Anspruch weder dem Grund noch der Höhe nach Ermessen. Die gegenteilige Auffassung des Beklagten steht mit dem geltenden Recht nicht in Einklang. Sie lässt sich weder mit dem Wortlaut noch der Systematik des § 102
Abs. 4
SGB IX vereinbaren.
Ihrem Wortlaut nach gewährt die Vorschrift einen Kostenübernahmeanspruch, dessen Begrenzung der Höhe nach sich allenfalls hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit ergeben kann. Das entspricht dem erklärten gesetzgeberischen Willen. Mit § 102
SGB IX sind die zuvor in § 31
SchwbG enthaltenen Regelungen im Wesentlichen übernommen worden. In der Begründung des Gesetzentwurfs hierzu heißt es, die "Regelung überträgt im Wesentlichen inhaltsgleich den bisherigen § 31 des Schwerbehindertengesetzes." Der Gesetzgeber des
SGB IX knüpft damit an die Motive der Vorläuferregelung in § 31
SchwbG an. Dessen Absatz 3a gewährte einen im Wesentlichen inhaltsgleichen Anspruch wie der jetzige § 102
Abs. 4
SGB IX. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird insoweit ausgeführt: "Es bleibt grundsätzlich bei der Erbringung der begleitenden Hilfen im Arbeits- und Berufsleben durch die Hauptfürsorgestellen als Ermessensleistungen. Einen Rechtsanspruch der Behinderten auf die vielfältigen Leistungen der begleitenden Hilfen zu begründen, stieße auf beachtliche rechtliche und praktische Bedenken. Eine Ausnahme gilt für die Arbeitsassistenz. [...] Durch die Einfügung eines neuen Absatzes 3a wird ein Anspruch auf die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz [...] vorgesehen. Die Einzelheiten sollen in einer
Rechtsverordnung [...] geregelt werden. Die Geltendmachung dieses Anspruchs ist unabhängig vom Erlass der Verordnung." Daraus lässt sich der Wille des Gesetzgebers folgern, hinsichtlich der notwendigen Arbeitsassistenz einen nicht im Ermessen des Integrationsamtes stehenden Anspruch zu gewähren.
Für diese Sicht spricht weiter die Systematik der Norm, wie schon der Vergleich mit § 102
Abs. 3
SGB IX verdeutlicht. Nach dieser Vorschrift "kann" das Integrationsamt begleitende Hilfen im Arbeitsleben an schwerbehinderte Menschen gewähren. Der Behörde ist insoweit hinsichtlich des "Ob" und des "Wie" der Leistung, einschließlich deren Höhe Ermessen eingeräumt. Im Umkehrschluss ist hieraus aber zu folgern, dass der in Absatz 4 formulierte Anspruch auch als solcher zu verstehen ist, zumal der Gesetzgeber der Verwaltung Ermessen problemlos insgesamt oder in Teilbereichen hätte einräumen können. Anhaltspunkte, die Vorschrift einschränkend auszulegen, bestehen jedoch nicht.
Dass die Kostenübernahme aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe bestritten wird, besagt zunächst nur, aus welchem "Topf" die Mittel hierfür stammen. Eine höhenmäßige Begrenzung ergibt sich daraus allerdings naturgemäß dann, wenn die genannten Mittel erschöpft sind. Solange das nicht der Fall ist, gewährt die Norm einen Anspruch auf Übernahme der gesamten zur Finanzierung der Arbeitsassistenz notwendigen Kosten. Billigt man der Behörde für den Fall der Mittelerschöpfung ein Ermessen zu, erschließt sich nicht, weshalb dieses Ermessen schon dann vorliegen soll, wenn - wie hier - noch Mittel aus der Ausgleichsabgabe vorhanden sind.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Verordnungsermächtigung in
§ 108 SGB IX. Darin wird die Bundesregierung ermächtigt, durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über die Voraussetzungen des Anspruchs nach § 102
Abs. 4
SGB IX sowie über die Höhe, Dauer und Ausführung der Leistungen zu regeln. Hieraus lässt sich nicht ableiten, dass der Gesetzgeber die Anspruchsgewährung des § 102
Abs. 4
SGB IX der Höhe nach begrenzen wollte. Das folgt schon aus dem Umstand, dass nach dem zuvor zitierten, ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers der Anspruch aus § 102
Abs. 4
SGB IX unabhängig vom Erlass der Verordnung gelten soll. Das ergibt nur dann Sinn, wenn man die Verordnungsermächtigung so versteht, dass sie eine Einschränkung des von § 102
Abs. 4
SGB IX gewährten Anspruchs nicht ermöglicht.
Selbst wenn der Gesetzgeber den Verordnungsgeber dazu ermächtigt haben sollte, Ansprüche nach § 102
Abs. 4
SGB IX zu "deckeln", würde eine solche Einschränkung nicht anzunehmen sein, weil es an einer entsprechenden Verordnung fehlt. Nicht angängig erscheint der Schluss, den hieraus andere Verwaltungsgerichte gezogen haben, in Ermangelung einer Verordnung stehe den Integrationsämtern ein Ermessen hinsichtlich der Höhe des Anspruchs zu (so aber
OVG Bremen, Beschluss vom 15. Oktober 2003 - 2 B 304/03 -, Behindertenrecht 2004,
S. 84 f. = FEVS 55,
S. 334
ff.,
VG Minden, Beschluss vom 22. Juli 2004 -
7 K 7681/03 -, Behindertenrecht 2006,
S. 175 f., Rn. 4 bei juris;
VG Hamburg, Urteil vom 9. Juli 2002 -
5 VG 3700/2001 -, Behindertenrecht 2002,
S. 218
ff., Rn. 25 bei juris; offen gelassen von
BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 2010 -
5 B 66/09 -, Rn. 6 bei juris und von
OVG Schleswig, Urteil vom 18. Februar 2016 -
3 LB 17/15 -, Rn. 26 bei juris). Diese Ansicht überträgt den Spielraum, den der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber übertragen hat, auf die Behörde. Sie setzt damit praktisch die Behörde an die Stelle des Verordnungsgebers. Das erscheint unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten in mehrfacher Hinsicht nicht haltbar. Zum einen werden so die gesetzlich vorgesehenen Zuständigkeitsregeln umgangen. Gesetzlich vorgesehener Verordnungsgeber ist die Bundesregierung, die zudem der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Der Gesetzgeber trägt damit den Besonderheiten der bundesstaatlichen Ordnung Rechnung. Zudem verfügt die Bundesregierung über besondere demokratische Legitimation, die den Integrationsämtern als einfache Landesbehörden nicht in gleichem Maße eigen ist. Die Delegation der in § 108
SGB IX enthaltenen Regelungsbefugnisse an die Exekutive hat der Gesetzgeber daher an bestimmte enge Voraussetzungen geknüpft. Diese würden umgangen, wenn nunmehr in Ermangelung einer Verordnung die Integrationsämter als eine Art Ersatzverordnungsgeber fungierten. Darüber hinaus wird der Wille des Gesetzgebers ignoriert, die Einzelheiten der Anspruchsgewährung durch
Rechtsverordnung und damit durch abstrakt-generelle Regelungen, die in einem grundgesetzlich vorgesehenen förmlichen Verfahren (
vgl. Artikel 80
GG) erlassen werden, zu regeln. Mit diesem Willen ist es nicht vereinbar, den Integrationsämtern ein Ermessen zuzubilligen, das im Einzelfall ausgeübt und an Kriterien ausgerichtet wird, deren Zustandekommen sich der Kontrolle des Gesetz- wie des Verordnungsgebers entzieht.
Schließlich ist die Zubilligung eines Ermessens der Verwaltung auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil sich § 102
Abs. 4
SGB IX auch ohne dies umsetzen lässt. Die Vorschrift ist ohne weiteres praktikabel und bedarf zu ihrer sinnvollen Anwendung nicht der Regelung näherer Einzelheiten, wie sie in der Verordnungsermächtigung vorgesehen sind.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161
Abs. 2
VwGO, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Danach hat das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Billigem Ermessen entsprach es, die Kosten insoweit dem Beklagten aufzuerlegen, weil die Differenz zwischen dem ursprünglich vom Kläger geltend gemachten und dem in der Berufungsinstanz verfolgten Anspruch allein durch Zeitablauf entstanden ist. Hätte der Beklagte dem Kläger die Leistungen rechtzeitig gewährt, hätten diese voraussichtlich den ursprünglich geltend gemachten Umfang haben müssen.
Soweit der Senat streitig entschieden hat, folgt die Kostenentscheidung aus § 154
Abs. 1
VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167
VwGO in Verbindung mit § 708
Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132
Abs. 2
VwGO genannten Gründe vorliegt.