I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege für eine 24-Stunden-Assistenz in Form eines persönlichen Budgets.
Die im Jahr 19.. geborene Antragstellerin lebt allein in einer Wohnung in … . Sie erlitt im Jahr 2019 ein thorakales Aortenaneurysma Typ A mit Intramuralem Hämatom und Perikarderguss der Aorta-ascendens mit Aortenbogenersatz. Weiterhin leidet sie an den Folgen von zwei Schlaganfällen mit intracerebraler Einblutung und Ventrikeleinbruch vom 26. Januar 2023 und ist seitdem halbseitig gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Sie kann nicht selbständig sitzen, stehen und laufen. Aufgrund der Halbseitenlähmung kann sie den Rollstuhl nicht selbständig bedienen.
Für die Antragstellerin ist aktuell der Pflegegrad 5 und ein Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen B, G, aG und H festgestellt. Die Pflegekasse zahlt für den Zeitraum ab Dezember 2023 Pflegegeld in Höhe von 901 € und Entlastungsleistungen in Höhe von 125 €. Zuvor war der Pflegegrad 4 festgestellt worden.
Die Antragstellerin wohnte zunächst in … und zog im Mai 2023 nach … um. Die Antragstellerin verfügt über Einkünfte aus einer Altersrente von monatlich 1.207,50 €. Für eine Hausratversicherung zahlt sie monatlich 6,57 €. Die Stadt … bewilligt Wohngeld.
Nach einer viermonatigen Phase der stationären Frührehabilitation beantragte die Antragstellerin am 10. August 2023 beim Sozialamt der Stadt … ein Persönliches Budget zur Absicherung einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung im eigenen Haushalt durch eigene Assistenzkräfte. Die Assistenzkräfte sollten sowohl pflegerische Hilfen durchführen und die Antragstellerin zu Ärzten, Therapeuten, zum Einkaufen und sonstigen Aktivitäten begleiten. Die Antragstellerin reichte eine Kostenkalkulation zur Akte. Danach sollte diese Betreuung monatlich 16.195,05 € kosten. Die Kostenkalkulation ist mit einem Stundensatz von 13,90 € für 365,25 Tage/12 Monate zuzüglich diverser Pauschalen, Sozialversicherungsbeiträgen, Zuschlägen sowie Kosten für die Budgetassistenz, Pauschalen für Verwaltungskosten, Lohnabrechnungskosten und zusätzlichen Kosten für Assistenzpersonen zur Teilhabe an Aktivitäten berechnet worden.
Aktuell stellt die Antragstellerin ihre Pflege mit ehrenamtlich tätigen Helfern sicher. Einen Pflegedienst setzt die Antragstellerin aktuell nicht ein.
Das Sozialamt informierte mit Schreiben vom 17. Oktober 2023, dass für die begehrte Leistung der Träger örtlich zuständig sei, der vor dem Eintritt in diese Wohnform zuständig war oder gewesen wäre. Dies sei hier … .
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2023 bewilligte die Stadt … im Namen des Antragsgegners Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der Kosten einer häuslichen Pflegehilfe nach § 64b
SGB XII für die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft unter Anrechnung der von der Pflegekasse gewährten Leistungen und ergänzendes Pflegegeld nach § 64a
SGB XII in Höhe von 78,28 € für den Zeitraum 22. bis 31. August 2023, monatlich 242,67 € für den Zeitraum 1. September bis 31. Dezember 2023 und in Höhe von monatlich 255 € ab 1. Januar 2024. Dagegen richtete sich der am 15. Dezember 2023 erhobene Widerspruch der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin: Der Antrag habe sich auf die Bewilligung eines Persönlichen Budgets gerichtet. Im Bewilligungsbescheid werde eine andere Leistung bewilligt. Sie beschäftige keinen Pflegedienst, sondern aushelfende Assistenzkräfte. Die finanziellen Mittel reichten nicht aus, um die Assistenzkräfte zu bezahlen. Das MDK-Gutachten gebe nicht den konkreten Bedarf wieder. Es werde auch im Hinblick auf die dauerhafte Unterstützung eine zumindest vorläufige Lösung im Einvernehmen mit dem Sozialamt angestrebt.
Im Januar 2024 lag das Pflegegutachten vom 10. Januar 2024 vor und es fand ein Vor-Ort-Termin statt. Die Pflegekasse stellte ab Dezember 2023 den Pflegegrad 5 fest.
Mit einem an die Antragstellerin gerichteten Bescheid vom 30. Januar 2024 lehnte die Stadt … im Namen des Antragsgegners den Antrag auf Bewilligung von Leistungen für ein Persönliches Budget ab: Die Antragstellerin sei aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage, Arbeitgeberfunktionen wahrzunehmen. Sie sei nicht in der Lage, Vorstellungen zur eigenen Lebensgestaltung zu entwickeln und in der Folge ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie sei in erheblichem Maß auf das Einwirken von außen angewiesen. Durch den Umzug während der Krankheit sei ihr die Möglichkeit genommen worden, in ihrer gewohnten Umgebung mit den Einschränkungen leben zu lernen. Bindungen zum gegenwärtigen Lebensumfeld hätten sich nicht entwickeln können. Soziale Kontakte beschränkten sich auf den Sohn und die Assistenzkräfte. Die Antragstellerin erfülle weder die persönlichen, noch die familiären und sozialen Voraussetzungen für den Vorrang der begehrten Leistung des Arbeitgeber-Assistenz-Modells.
Die Leistung sei auch nicht angemessen. Eine stationäre Versorgung sei aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und des erforderlichen Betreuungsbedarfs geeignet. Die ambulante Versorgung sei mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden. Die Kosten für das Arbeitgeber-Assistenz-Modell betragen
ca. 10.582,06 € gegenüber Kosten von
ca. 4.600 € für eine stationäre Versorgung. Dies seien erhebliche Mehrkosten für eine nicht geeignete Hilfeform. Dagegen richtet sich der am 5. Februar 2024 durch die Prozessbevollmächtigte erhobene Widerspruch: Die Tragweite des gesetzlichen Wunsch- und Wahlrechts (§ 9
Abs. 2
SGB XII, § 1
SGB IX) und auch der gesetzliche Grundsatz ambulant vor stationär (§ 13
SGB XII) werde verkannt. Der Mehrkostenvorbehalt sei erst dann zu prüfen, wenn festgestellt werden könne, dass die Verweisung auf eine stationäre Einrichtung zumutbar sei. Im Übrigen sei nur eine Einrichtung geeignet, die auf die Versorgung von Schlaganfallpatientinnen eingerichtet sei. Es sei das Ziel, dass sie Fähigkeiten durch intensives Üben wiedererlange. Dies sei nur bei der ambulanten Versorgung möglich. Sie habe bereits vor Jahren entschieden, dass sie bei einem Unterstützungsbedarf das Assistenzmodell wählen werde. Sie habe dabei auf ihre Erfahrungen im Rahmen ihrer eigenen Erwerbstätigkeit in diesem Bereich zurückgreifen können. Das Wunsch- und Wahlrecht sei ausgeübt worden und werde durch
Art. 9 der
UN-
BRK gestärkt. Danach hätten behinderte Menschen die gleichberechtigte Möglichkeit, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen und seien nicht verpflichtet, in einer besonderen Wohnform zu leben. Es sei unzumutbar, sie durch die Verweigerung der finanziellen Mittel in eine stationäre Wohnform zu zwingen. Aktuell habe sie einen Stamm von helfenden Assistenzkräften. Die Zahl der Assistenzkräfte reduziere sich, wenn sie diese gegen ein leistungsgerechtes Entgelt beschäftigen könne. Die Antragstellerin habe ihre Wohnung mit erheblicher Unterstützung eingerichtet und zu ihrem Zuhause gemacht. Es handele sich um ihre gewohnte Umgebung, die an ihre individuellen Bedürfnisse angepasst sei. Andere Personen, die unterstützen könnten, stünden nicht zur Verfügung. Die sozialen Beziehungen zu Freunden und Angehörigen könnten nur in einer individuellen Wohnform wie der eigenen Wohnung und mit der in hohem Maße selbstbestimmten Lebensführung in der Intensität fortgesetzt werden, wie dies bisher der Fall war. Die Beeinträchtigungen in der Selbständigkeit seien nicht altersbedingt, sondern aufgrund der verbliebenen Behinderung gegeben. Bis zu dem Schlaganfall im Jahr 2023 habe sie noch im Alter von 70 Jahren in Vollzeit als persönliche Assistentin gearbeitet. Dieser Tätigkeit möchte sie stundenweise wieder nachgehen, wenn sie sich gesundheitlich erholt habe. Sie sei darüber hinaus früher Vorstandsmitglied und aktives Mitglied im Verein … . Sobald es ihr besser gehe, möchte sie auch ihr Vorstandsamt wieder ausüben. Sie treffe ihre Entscheidungen selbst, auch wenn sie für die Umsetzung Unterstützung benötige. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie sich bei der Wahrnehmung der Arbeitgeberaufgaben unterstützen lasse, so wie dies auch nicht beeinträchtigte Menschen tun würden. Budgetassistenz sei gesondert beantragt worden. Sie sei in der Lage, die Anstellung von Assistenzkräften intellektuell zu erfassen und ihre Wünsche und Entscheidungen mitzuteilen.
Die Antragstellerin verfolgt ihr Anliegen mit dem am 5. Februar 2024 vor dem Sozialgericht … eingegangenen Eilantrag weiter: Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Antrag erst im Dezember beschieden worden sei. Es sei weder ein Gutachten zur Bedarfsfeststellung eingeholt, noch sei die erbetene Budgetkonferenz durchgeführt worden und schließlich sei auch keine Zielvereinbarung abgeschlossen worden.
Die im MDK-Gutachten festgestellten Leistungskomplexe reichten nicht aus, um den Hilfebedarf der Antragstellerin abzudecken. Sie sei nicht mehr in der Lage, allein einen Haushalt zu führen. Es sei ihr auch wichtig, jederzeit auf die Toilette gehen zu können und nicht nur dann, wenn eine Pflegeperson anwesend sei. Die Situation sei von Tag zu Tag sehr unterschiedlich, so dass der zeitliche Aufwand nicht planbar sei. Die Lagerung des linken Beins sei wichtig, da dort dekubitusbedingte Schmerzen bestünden. Für das Wohlbefinden sei es wichtig, dass sie auch spontan an die frische Luft kommen könne und Ruhe bekomme, wenn dies nötig sei. Aus Sicht der Antragstellerin verweigere der Antragsgegner den Abschluss einer Zielvereinbarung. Das Arbeitgeber-Assistenz-Modell sei eine geeignete und angemessene Hilfeform. Sie sei in der Lage, Vorstellungen zu ihrer eigenen Lebensgestaltung zu entwickeln und sei nicht nur auf Vorstellungen und Ideen anderer Personen angewiesen.
Die Pflege habe über Ostern nicht vollständig abgesichert werden können. Die Versorgung in der Kurzzeitpflege mit nicht ausreichender Versorgung mit Flüssigkeit habe einen weiteren Krankenhausaufenthalt ab 1. April 2024 nach sich gezogen. Die Befürchtung der Antragstellerin, in einer stationären Einrichtung nicht ausreichend versorgt zu werden, habe sich bestätigt. Vier Assistenzkräfte seien weggefallen, da sie in eine Festanstellung wechseln konnten. Es sei dringend erforderlich, dass die Antragstellerin zumindest vorläufig in die Lage versetzt werde, ihre Assistenzkräfte angemessen zu bezahlen, damit diese weiter für sie tätig sein können. Der geistige Zustand der Antragstellerin sei nicht derart eingeschränkt, dass sie nicht mit Unterstützung als Arbeitgeberin auftreten könne. Dies müsse im Hauptsacheverfahren sachverständig geklärt werden. Sie habe in … keine Freunde und Bekannten gehabt und habe bereits vor dem Schlaganfall nach … ziehen wollen. Seit vielen Jahren sei sie ehrenamtlich engagiert gewesen, sei als … und für Menschen mit Behinderung in … tätig gewesen. Der Lebensmittelpunkt sei schon vor dem Schlaganfall in … gewesen. In … hätte sie auch keine Unterstützung bei der Pflege gehabt.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig ab sofort Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege für eine 24-Stunden-Assistenz in der eigenen Häuslichkeit in Form des persönlichen Budgets zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner trägt vor: Es sei weder ein Anordnungsanspruch, noch ein Anordnungsgrund gegeben. Sie habe zwar dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege. Der im MDK-Gutachten festgestellte Hilfebedarf könne jedoch durch die Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen und des Entlastungsbetrages vollständig gedeckt werden. Physio- und Ergotherapie werde zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erbracht, ebenso wie medizinische Behandlungspflege. Es habe noch nicht abschließend geprüft werden können, ob neben den bereits bewilligten Leistungen der Hilfe zur Pflege ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe bestehe. Nach der Rechtsprechung des
LSG Sachsen-Anhalt könne ein Persönliches Budget erst nach Abschluss einer Zielvereinbarung bewilligt werden. Diese sei hier nicht abgeschlossen worden. Ein Mensch, der behinderungsbedingt kaum in der Lage sei, Vorstellungen zu seiner Lebensgestaltung zu entwickeln, sei vollständig auf die Hilfe der Betreuer abgewiesen. Ein selbstbestimmtes Leben sei in solchen Fällen unwahrscheinlich. Dies könne durch persönliches Assistenz in der eigenen Häuslichkeit auch nicht beeinflusst werden. Mit den derzeit vorhandenen bereiten Mitteln sei es der Antragstellerin möglich, ihren Hilfebedarf mit einem Pflegedienst ihrer Wahl und vorrangig einzusetzenden Leistungen der Pflegeversicherung und der Krankenkasse zu decken. Das Hauptsacheverfahren könne abgewartet werden.
Nach Durchführung eines Gesamtplanverfahrens nach
§§ 117f. SGB IX lehnte die Stadt … im Namen des Antragsgegners die Bewilligung von Leistungen der Eigliederungshilfe in Form eines Arbeitgeber-Modells ab: Es bestehe keine Aussicht darauf, dass die Aufgaben der Eingliederungshilfe im Sinne einer Befähigung zu einer eigenständigen Lebensführung erfüllt werden können.
Im Antragsverfahren teilte der Antragsgegner weiter mit: Sie habe ihren Lebensmittelpunkt zunächst in … gehabt. Dort lebten der Sohn sowie Freunde und Bekannte, die in die Pflege hätten eingebunden werden können. Dies sei nach dem Umzug nach … nicht mehr möglich. Ein soziales Umfeld habe in … auch aufgrund der zahlreichen Krankenhausaufenthalte noch nicht aufgebaut werden können. Leistungen des Pflegedienstes würden offensichtlich abgelehnt. Der Sohn könne aufgrund einer eigenen Erkrankung nicht mehr helfen. Die begehrte Leistung sei mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sei eine Leistung von monatlich 16.195,05 €/Monat beantragt worden. Nach aktuellen Recherchen und unter Berücksichtigung des Pflegegrades 5 fielen für stationäre Einrichtungen Kosten von 4.047,38 €
bzw. 5.031,16 € an. Nach Abzug der Leistung der Pflegekasse verblieben Kosten von 2.831,16 € zuzüglich der von der Rechtsprechung noch angemessenen 30% von
ca. 850 € und damit insgesamt
ca. 3.700 € als Vergleichskosten. Die Antragstellerin begehre mehr als das Vierfache der angemessenen Kosten, so dass der Antrag nach § 9
SGB XII und § 13
Abs. 1 Satz 3
SGB XII abzulehnen sei. Allenfalls bestünde die Möglichkeit, die Pflegekosten in Höhe der Vergleichskosten zu deckeln. Der Antragsgegner übersandte Nachweise zu möglichen Plätzen in Doppelzimmern und den Kosten für verschiedene Pflegeheime in … .
Das Gericht hat am 13. März 2024 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Insoweit wird auf das Protokoll verwiesen. Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte … und des Antragsgegners haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Streitgegenstand ist die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege
bzw. Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zur Absicherung einer 24-Stunden-Betreuung in der eigenen Häuslichkeit.
Nach § 86 b
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine Regelungsanordnung kann das Gericht erlassen, wenn die Antragsteller glaubhaft machen, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht und er ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde. Ein solcher Antrag kann gemäß § 86 b
Abs. 3
SGG auch vor Klageerhebung in der Hauptsache gestellt werden. Da im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr zu gewähren ist, als in einem Hauptsacheverfahren durchgesetzt werden kann, erfordert die Regelungsanordnung einen der Durchsetzung zugänglichen materiell-rechtlichen Anspruch (Anordnungsanspruch) und eine besondere Dringlichkeit (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind nach § 86 b
Abs. 2 Satz 4
SGG in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung (
ZPO) glaubhaft zu machen.
Die Kammer hat den Antrag der Antragstellerin nach § 123
SGG so ausgelegt, dass ein Feststellungsbegehren vom Antrag umfasst ist. Der so verstandene Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist er unbegründet und war abzuweisen.
Der Antragsgegner ist sachlich und örtlich für die begehrten Leistungen zuständig (§ 3
AG SGB XII LSA und
§ 2 Abs. 1 AG SGB IX LSA, § 98
Abs. 1 Satz 1
SGB XII und
§ 98 SGB IX). Die Antragstellerin lebt in … (Saale) in der eigenen Häuslichkeit.
Die Antragstellerin hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach
§§ 99,
102,
103 Abs. 2, Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin Leistungen der Hilfe zur Pflege
bzw. Eingliederungshilfe für behinderte Menschen für eine 24-Stunden-Assistenz in Anspruch nehmen kann.
Es wird festgestellt, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, die Antragstellerin bei der Umsetzung der 24-Stunden-Assistenz zu unterstützen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin trägt der Antragsgegner.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege für eine 24-Stunden-Assistenz in Form eines persönlichen Budgets.
Die im Jahr 19.. geborene Antragstellerin lebt allein in einer Wohnung in … . Sie erlitt im Jahr 2019 ein thorakales Aortenaneurysma Typ A mit Intramuralem Hämatom und Perikarderguss der Aorta-ascendens mit Aortenbogenersatz. Weiterhin leidet sie an den Folgen von zwei Schlaganfällen mit intracerebraler Einblutung und Ventrikeleinbruch vom 26. Januar 2023 und ist seitdem halbseitig gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Sie kann nicht selbständig sitzen, stehen und laufen. Aufgrund der Halbseitenlähmung kann sie den Rollstuhl nicht selbständig bedienen.
Für die Antragstellerin ist aktuell der Pflegegrad 5 und ein Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen B, G, aG und H festgestellt. Die Pflegekasse zahlt für den Zeitraum ab Dezember 2023 Pflegegeld in Höhe von 901 € und Entlastungsleistungen in Höhe von 125 €. Zuvor war der Pflegegrad 4 festgestellt worden.
Die Antragstellerin wohnte zunächst in … und zog im Mai 2023 nach … um. Die Antragstellerin verfügt über Einkünfte aus einer Altersrente von monatlich 1.207,50 €. Für eine Hausratversicherung zahlt sie monatlich 6,57 €. Die Stadt … bewilligt Wohngeld.
Nach einer viermonatigen Phase der stationären Frührehabilitation beantragte die Antragstellerin am 10. August 2023 beim Sozialamt der Stadt … ein Persönliches Budget zur Absicherung einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung im eigenen Haushalt durch eigene Assistenzkräfte. Die Assistenzkräfte sollten sowohl pflegerische Hilfen durchführen und die Antragstellerin zu Ärzten, Therapeuten, zum Einkaufen und sonstigen Aktivitäten begleiten. Die Antragstellerin reichte eine Kostenkalkulation zur Akte. Danach sollte diese Betreuung monatlich 16.195,05 € kosten. Die Kostenkalkulation ist mit einem Stundensatz von 13,90 € für 365,25 Tage/12 Monate zuzüglich diverser Pauschalen, Sozialversicherungsbeiträgen, Zuschlägen sowie Kosten für die Budgetassistenz, Pauschalen für Verwaltungskosten, Lohnabrechnungskosten und zusätzlichen Kosten für Assistenzpersonen zur Teilhabe an Aktivitäten berechnet worden.
Aktuell stellt die Antragstellerin ihre Pflege mit ehrenamtlich tätigen Helfern sicher. Einen Pflegedienst setzt die Antragstellerin aktuell nicht ein.
Das Sozialamt informierte mit Schreiben vom 17. Oktober 2023, dass für die begehrte Leistung der Träger örtlich zuständig sei, der vor dem Eintritt in diese Wohnform zuständig war oder gewesen wäre. Dies sei hier … .
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2023 bewilligte die Stadt … im Namen des Antragsgegners Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der Kosten einer häuslichen Pflegehilfe nach § 64b
SGB XII für die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft unter Anrechnung der von der Pflegekasse gewährten Leistungen und ergänzendes Pflegegeld nach § 64a
SGB XII in Höhe von 78,28 € für den Zeitraum 22. bis 31. August 2023, monatlich 242,67 € für den Zeitraum 1. September bis 31. Dezember 2023 und in Höhe von monatlich 255 € ab 1. Januar 2024. Dagegen richtete sich der am 15. Dezember 2023 erhobene Widerspruch der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin: Der Antrag habe sich auf die Bewilligung eines Persönlichen Budgets gerichtet. Im Bewilligungsbescheid werde eine andere Leistung bewilligt. Sie beschäftige keinen Pflegedienst, sondern aushelfende Assistenzkräfte. Die finanziellen Mittel reichten nicht aus, um die Assistenzkräfte zu bezahlen. Das MDK-Gutachten gebe nicht den konkreten Bedarf wieder. Es werde auch im Hinblick auf die dauerhafte Unterstützung eine zumindest vorläufige Lösung im Einvernehmen mit dem Sozialamt angestrebt.
Im Januar 2024 lag das Pflegegutachten vom 10. Januar 2024 vor und es fand ein Vor-Ort-Termin statt. Die Pflegekasse stellte ab Dezember 2023 den Pflegegrad 5 fest.
Mit einem an die Antragstellerin gerichteten Bescheid vom 30. Januar 2024 lehnte die Stadt … im Namen des Antragsgegners den Antrag auf Bewilligung von Leistungen für ein Persönliches Budget ab: Die Antragstellerin sei aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage, Arbeitgeberfunktionen wahrzunehmen. Sie sei nicht in der Lage, Vorstellungen zur eigenen Lebensgestaltung zu entwickeln und in der Folge ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie sei in erheblichem Maß auf das Einwirken von außen angewiesen. Durch den Umzug während der Krankheit sei ihr die Möglichkeit genommen worden, in ihrer gewohnten Umgebung mit den Einschränkungen leben zu lernen. Bindungen zum gegenwärtigen Lebensumfeld hätten sich nicht entwickeln können. Soziale Kontakte beschränkten sich auf den Sohn und die Assistenzkräfte. Die Antragstellerin erfülle weder die persönlichen, noch die familiären und sozialen Voraussetzungen für den Vorrang der begehrten Leistung des Arbeitgeber-Assistenz-Modells.
Die Leistung sei auch nicht angemessen. Eine stationäre Versorgung sei aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und des erforderlichen Betreuungsbedarfs geeignet. Die ambulante Versorgung sei mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden. Die Kosten für das Arbeitgeber-Assistenz-Modell betragen
ca. 10.582,06 € gegenüber Kosten von
ca. 4.600 € für eine stationäre Versorgung. Dies seien erhebliche Mehrkosten für eine nicht geeignete Hilfeform. Dagegen richtet sich der am 5. Februar 2024 durch die Prozessbevollmächtigte erhobene Widerspruch: Die Tragweite des gesetzlichen Wunsch- und Wahlrechts (§ 9
Abs. 2
SGB XII, § 1
SGB IX) und auch der gesetzliche Grundsatz ambulant vor stationär (§ 13
SGB XII) werde verkannt. Der Mehrkostenvorbehalt sei erst dann zu prüfen, wenn festgestellt werden könne, dass die Verweisung auf eine stationäre Einrichtung zumutbar sei. Im Übrigen sei nur eine Einrichtung geeignet, die auf die Versorgung von Schlaganfallpatientinnen eingerichtet sei. Es sei das Ziel, dass sie Fähigkeiten durch intensives Üben wiedererlange. Dies sei nur bei der ambulanten Versorgung möglich. Sie habe bereits vor Jahren entschieden, dass sie bei einem Unterstützungsbedarf das Assistenzmodell wählen werde. Sie habe dabei auf ihre Erfahrungen im Rahmen ihrer eigenen Erwerbstätigkeit in diesem Bereich zurückgreifen können. Das Wunsch- und Wahlrecht sei ausgeübt worden und werde durch
Art. 9 der
UN-
BRK gestärkt. Danach hätten behinderte Menschen die gleichberechtigte Möglichkeit, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen und seien nicht verpflichtet, in einer besonderen Wohnform zu leben. Es sei unzumutbar, sie durch die Verweigerung der finanziellen Mittel in eine stationäre Wohnform zu zwingen. Aktuell habe sie einen Stamm von helfenden Assistenzkräften. Die Zahl der Assistenzkräfte reduziere sich, wenn sie diese gegen ein leistungsgerechtes Entgelt beschäftigen könne. Die Antragstellerin habe ihre Wohnung mit erheblicher Unterstützung eingerichtet und zu ihrem Zuhause gemacht. Es handele sich um ihre gewohnte Umgebung, die an ihre individuellen Bedürfnisse angepasst sei. Andere Personen, die unterstützen könnten, stünden nicht zur Verfügung. Die sozialen Beziehungen zu Freunden und Angehörigen könnten nur in einer individuellen Wohnform wie der eigenen Wohnung und mit der in hohem Maße selbstbestimmten Lebensführung in der Intensität fortgesetzt werden, wie dies bisher der Fall war. Die Beeinträchtigungen in der Selbständigkeit seien nicht altersbedingt, sondern aufgrund der verbliebenen Behinderung gegeben. Bis zu dem Schlaganfall im Jahr 2023 habe sie noch im Alter von 70 Jahren in Vollzeit als persönliche Assistentin gearbeitet. Dieser Tätigkeit möchte sie stundenweise wieder nachgehen, wenn sie sich gesundheitlich erholt habe. Sie sei darüber hinaus früher Vorstandsmitglied und aktives Mitglied im Verein … . Sobald es ihr besser gehe, möchte sie auch ihr Vorstandsamt wieder ausüben. Sie treffe ihre Entscheidungen selbst, auch wenn sie für die Umsetzung Unterstützung benötige. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sie sich bei der Wahrnehmung der Arbeitgeberaufgaben unterstützen lasse, so wie dies auch nicht beeinträchtigte Menschen tun würden. Budgetassistenz sei gesondert beantragt worden. Sie sei in der Lage, die Anstellung von Assistenzkräften intellektuell zu erfassen und ihre Wünsche und Entscheidungen mitzuteilen.
Die Antragstellerin verfolgt ihr Anliegen mit dem am 5. Februar 2024 vor dem Sozialgericht … eingegangenen Eilantrag weiter: Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Antrag erst im Dezember beschieden worden sei. Es sei weder ein Gutachten zur Bedarfsfeststellung eingeholt, noch sei die erbetene Budgetkonferenz durchgeführt worden und schließlich sei auch keine Zielvereinbarung abgeschlossen worden.
Die im MDK-Gutachten festgestellten Leistungskomplexe reichten nicht aus, um den Hilfebedarf der Antragstellerin abzudecken. Sie sei nicht mehr in der Lage, allein einen Haushalt zu führen. Es sei ihr auch wichtig, jederzeit auf die Toilette gehen zu können und nicht nur dann, wenn eine Pflegeperson anwesend sei. Die Situation sei von Tag zu Tag sehr unterschiedlich, so dass der zeitliche Aufwand nicht planbar sei. Die Lagerung des linken Beins sei wichtig, da dort dekubitusbedingte Schmerzen bestünden. Für das Wohlbefinden sei es wichtig, dass sie auch spontan an die frische Luft kommen könne und Ruhe bekomme, wenn dies nötig sei. Aus Sicht der Antragstellerin verweigere der Antragsgegner den Abschluss einer Zielvereinbarung. Das Arbeitgeber-Assistenz-Modell sei eine geeignete und angemessene Hilfeform. Sie sei in der Lage, Vorstellungen zu ihrer eigenen Lebensgestaltung zu entwickeln und sei nicht nur auf Vorstellungen und Ideen anderer Personen angewiesen.
Die Pflege habe über Ostern nicht vollständig abgesichert werden können. Die Versorgung in der Kurzzeitpflege mit nicht ausreichender Versorgung mit Flüssigkeit habe einen weiteren Krankenhausaufenthalt ab 1. April 2024 nach sich gezogen. Die Befürchtung der Antragstellerin, in einer stationären Einrichtung nicht ausreichend versorgt zu werden, habe sich bestätigt. Vier Assistenzkräfte seien weggefallen, da sie in eine Festanstellung wechseln konnten. Es sei dringend erforderlich, dass die Antragstellerin zumindest vorläufig in die Lage versetzt werde, ihre Assistenzkräfte angemessen zu bezahlen, damit diese weiter für sie tätig sein können. Der geistige Zustand der Antragstellerin sei nicht derart eingeschränkt, dass sie nicht mit Unterstützung als Arbeitgeberin auftreten könne. Dies müsse im Hauptsacheverfahren sachverständig geklärt werden. Sie habe in … keine Freunde und Bekannten gehabt und habe bereits vor dem Schlaganfall nach … ziehen wollen. Seit vielen Jahren sei sie ehrenamtlich engagiert gewesen, sei als … und für Menschen mit Behinderung in … tätig gewesen. Der Lebensmittelpunkt sei schon vor dem Schlaganfall in … gewesen. In … hätte sie auch keine Unterstützung bei der Pflege gehabt.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig ab sofort Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege für eine 24-Stunden-Assistenz in der eigenen Häuslichkeit in Form des persönlichen Budgets zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner trägt vor: Es sei weder ein Anordnungsanspruch, noch ein Anordnungsgrund gegeben. Sie habe zwar dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege. Der im MDK-Gutachten festgestellte Hilfebedarf könne jedoch durch die Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen und des Entlastungsbetrages vollständig gedeckt werden. Physio- und Ergotherapie werde zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erbracht, ebenso wie medizinische Behandlungspflege. Es habe noch nicht abschließend geprüft werden können, ob neben den bereits bewilligten Leistungen der Hilfe zur Pflege ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe bestehe. Nach der Rechtsprechung des
LSG Sachsen-Anhalt könne ein Persönliches Budget erst nach Abschluss einer Zielvereinbarung bewilligt werden. Diese sei hier nicht abgeschlossen worden. Ein Mensch, der behinderungsbedingt kaum in der Lage sei, Vorstellungen zu seiner Lebensgestaltung zu entwickeln, sei vollständig auf die Hilfe der Betreuer abgewiesen. Ein selbstbestimmtes Leben sei in solchen Fällen unwahrscheinlich. Dies könne durch persönliches Assistenz in der eigenen Häuslichkeit auch nicht beeinflusst werden. Mit den derzeit vorhandenen bereiten Mitteln sei es der Antragstellerin möglich, ihren Hilfebedarf mit einem Pflegedienst ihrer Wahl und vorrangig einzusetzenden Leistungen der Pflegeversicherung und der Krankenkasse zu decken. Das Hauptsacheverfahren könne abgewartet werden.
Nach Durchführung eines Gesamtplanverfahrens nach |<|§§ 117f. SGB IX%%%PAR%%%SGB IX § 117|>| lehnte die Stadt … im Namen des Antragsgegners die Bewilligung von Leistungen der Eigliederungshilfe in Form eines Arbeitgeber-Modells ab: Es bestehe keine Aussicht darauf, dass die Aufgaben der Eingliederungshilfe im Sinne einer Befähigung zu einer eigenständigen Lebensführung erfüllt werden können.
Im Antragsverfahren teilte der Antragsgegner weiter mit: Sie habe ihren Lebensmittelpunkt zunächst in … gehabt. Dort lebten der Sohn sowie Freunde und Bekannte, die in die Pflege hätten eingebunden werden können. Dies sei nach dem Umzug nach … nicht mehr möglich. Ein soziales Umfeld habe in … auch aufgrund der zahlreichen Krankenhausaufenthalte noch nicht aufgebaut werden können. Leistungen des Pflegedienstes würden offensichtlich abgelehnt. Der Sohn könne aufgrund einer eigenen Erkrankung nicht mehr helfen. Die begehrte Leistung sei mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sei eine Leistung von monatlich 16.195,05 €/Monat beantragt worden. Nach aktuellen Recherchen und unter Berücksichtigung des Pflegegrades 5 fielen für stationäre Einrichtungen Kosten von 4.047,38 €
bzw. 5.031,16 € an. Nach Abzug der Leistung der Pflegekasse verblieben Kosten von 2.831,16 € zuzüglich der von der Rechtsprechung noch angemessenen 30% von
ca. 850 € und damit insgesamt
ca. 3.700 € als Vergleichskosten. Die Antragstellerin begehre mehr als das Vierfache der angemessenen Kosten, so dass der Antrag nach § 9
SGB XII und § 13
Abs. 1 Satz 3
SGB XII abzulehnen sei. Allenfalls bestünde die Möglichkeit, die Pflegekosten in Höhe der Vergleichskosten zu deckeln. Der Antragsgegner übersandte Nachweise zu möglichen Plätzen in Doppelzimmern und den Kosten für verschiedene Pflegeheime in … .
Das Gericht hat am 13. März 2024 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Insoweit wird auf das Protokoll verwiesen. Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte … und des Antragsgegners haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Streitgegenstand ist die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege
bzw. Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zur Absicherung einer 24-Stunden-Betreuung in der eigenen Häuslichkeit.
Nach § 86 b
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine Regelungsanordnung kann das Gericht erlassen, wenn die Antragsteller glaubhaft machen, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht und er ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde. Ein solcher Antrag kann gemäß § 86 b
Abs. 3
SGG auch vor Klageerhebung in der Hauptsache gestellt werden. Da im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr zu gewähren ist, als in einem Hauptsacheverfahren durchgesetzt werden kann, erfordert die Regelungsanordnung einen der Durchsetzung zugänglichen materiell-rechtlichen Anspruch (Anordnungsanspruch) und eine besondere Dringlichkeit (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind nach § 86 b
Abs. 2 Satz 4
SGG in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung (
ZPO) glaubhaft zu machen.
Die Kammer hat den Antrag der Antragstellerin nach § 123
SGG so ausgelegt, dass ein Feststellungsbegehren vom Antrag umfasst ist. Der so verstandene Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist er unbegründet und war abzuweisen.
Der Antragsgegner ist sachlich und örtlich für die begehrten Leistungen zuständig (§ 3
AG SGB XII LSA und |<|§ 2
Abs. 1
AG SGB IX%%%PAR%%%SGB IX § 2|>| LSA, § 98
Abs. 1 Satz 1
SGB XII und |<|§ 98 SGB IX%%%PAR%%%SGB IX § 98|>|). Die Antragstellerin lebt in … (Saale) in der eigenen Häuslichkeit.
Die Antragstellerin hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach |<|§§ 99%%%PAR%%%SGB IX § 99|>|, |<|102%%%PAR%%%SGB IX § 102|>|, |<|103
Abs. 2, %%%PAR%%%SGB IX § 103|>|<||§ 113 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch%%%PAR%%%SGB IX § 113|>| – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX) sowie einen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § §§ 64f Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (
SGB XII) in Form eines Persönlichen Budgets nach |<|§ 29 SGB IX%%%PAR%%%SGB IX § 29|>| und § 63
Abs. 3
SGB XII glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin ist krankheits- und behinderungsbedingt nicht mehr in der Lage, ohne Unterstützung in ihrer Wohnung zu wohnen und benötigt umfangreiche Unterstützung sowohl im pflegerischen Bereich, als auch im Bereich der sozialen Teilhabe. Dies dürfte zwischen den Beteiligten unstreitig sein.
Die aktuell bewilligte Geldleistung der Pflegekasse (Pflegegeld und Entlastungsbetrag) reicht nicht aus, um den Unterstützungsbedarf zu finanzieren. Der Antragsgegner hat mit dem Bewilligungsbescheid vom 7. Dezember 2023 dem Grunde nach anerkannt, dass die Antragstellerin einen pflegerischen Hilfebedarf hat. Die Bewilligung einer Pflegesachleistung wie im Bescheid vom 7. Dezember 2023 ist nur dann sinnvoll, wenn die Betroffene diese Leistung in Anspruch nehmen will. Hier ist relativ deutlich mitgeteilt worden, dass die Antragstellerin keinen Pflegedienst in Anspruch nehmen möchte, sondern eine 24-Stunden-Betreuung organisieren will. Es steht ihr nach dem Gesetz frei, keinen Pflegedienst in Anspruch zu nehmen. Die Folge dieser Entscheidung ist dann, dass durch die Pflegekasse lediglich das Pflegegeld und der Entlastungsbetrag ausgezahlt wird. Diese gegenüber den Leistungen der Hilfe zur Pflege und auch der Eingliederungshilfe nachrangigen Leistungen müssen dann bei der Berechnung der erforderlichen Leistung angerechnet werden (§ 63b
SGB XII und |<|§ 91 SGB IX%%%PAR%%%SGB IX § 91|>|).
Der Gesetzgeber erlaubt pflegebedürftigen Personen zu entscheiden, dass sie ihre Pflege im Rahmen eines Arbeitgeber-Assistenz-Modells nach § 64f
SGB XII sicherstellen und, wenn die gedeckelten Leistungen der Gesetzlichen Pflegekasse nicht ausreichen, dann dafür von der dafür zuständigen Behörde unterstützt werden, indem die angemessenen Kosten übernommen werden (§ 64f
Abs. 3
SGB XII). Gleiches gilt für die gesetzgeberische Entscheidung, Menschen mit einem Teilhabebedarf Assistenzleistungen zu ermöglichen (§ 113
Abs. 2
Nr. 2
SGB IX). Die gesetzliche Regelung zum Persönlichen Budget, die für beide Bereiche anzuwenden ist, bedeutet auch, dass anspruchsberechtigte Personen selbst in die Lage versetzt werden sollen, ihre Unterstützung sicherzustellen und dafür gerade nicht eine Sachleistung in Anspruch nehmen müssen. Diese gesetzgeberischen Entscheidungen zum Umfang von Sozialleistungen muss durch die dies finanzierende Behörde beachtet werden (
Art. 20
Abs. 3 Grundgesetz).
Es ist nach Auffassung der Kammer nicht zulässig, diese gesetzgeberischen Entscheidungen einschränkend auszulegen, indem Betroffene dazu angehalten werden, andere Möglichkeiten der Unterstützung, die sicher weniger Geld kosten, zu wählen. Konkret ist es der Antragstellerin gesetzlich erlaubt, keinen Pflegedienst zu beauftragen und sie muss auch nicht in einer stationären Betreuungseinrichtung leben, wenn sie das nicht will. Entscheidet sich jemand dazu, keine Sachleistung in Anspruch zu nehmen, dann muss das durch die zuständige Behörde hingenommen werden. Es ist hier nicht zu entscheiden, ob es in bestimmten Fällen, in denen keine eigenen Entscheidungen zur Lebensgestaltung getroffen werden können, auf den Willen der betreuenden Angehörigen ankommt. Jegliche Einschränkung bei der Wahrnehmung gesetzlicher Ansprüche wegen geistiger
bzw. kognitiver Einschränkungen muss vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass die gesetzlichen Regelungen gerade auch diesen Personenkreis erfassen. Es erscheint unzulässig zu sein, Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen für ein gesetzliches Recht erfüllen, von diesen gesetzlichen Ansprüchen auszuschließen, weil sie dieses krankheits- oder behinderungsbedingt nicht vollständig selbst ausüben können. Die gesetzgeberischen Entscheidungen zur Beratung und Unterstützung (§ 64f
Abs. 2
SGB XII und § 113
Abs. 1 Satz 2
SGB IX sowie § 29
Abs. 2 Satz 6
SGB IX) deuten darauf hin, dass dem Gesetzgeber bewusst war, dass die anspruchsberechtigten Personen nicht immer selbst in der Lage sind, die eigenen Rechte vollständig selbst ausreichend wahrzunehmen. Es ist hier nach Aktenlage glaubhaft gemacht worden, dass die Antragstellerin die Entscheidung über ihre Betreuung selbst getroffen hat.
Der Kammer ist keine gesetzliche Regelung bekannt, nach der Personen ab einem bestimmten Lebensalter von Leistungen der Eingliederungshilfe ausgeschlossen werden und lediglich Pflegeleistungen
bzw. Leistungen der Hilfe zur Pflege in Anspruch nehmen können. Im konkreten Fall kann die Antragstellerin sowohl Leistungen der Hilfe zur Pflege als auch der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen. Es geht bei beiden Sozialleistungen um unterschiedliche Zeile, die sich zwar überschneiden, jedoch nicht deckungsgleich sind. Auch Menschen im Rentenalter können einen Bedarf für Leistungen der sozialen Teilhabe haben. Es kommt darauf an, ob sie einen Bedarf für soziale Teilhabe geltend machen. Hier hat die Antragstellerin einen entsprechenden Bedarf glaubhaft gemacht.
Die Regelung in § 13
Abs. 1 Satz 3
SGB XII führt hier nicht zu einer anderen Bewertung. Zum einen handelt es sich um eine Regelung aus dem
SGB XII, die nach der Überführung des Rechts der Eingliederungshilfe in das
SGB IX nur noch für die hier auch beanspruchte Leistung der Hilfe zur Pflege gelten kann. Der Anspruch auf soziale Teilhabe durch Assistenzleistungen nach § 113
SGB IX wird durch diese Norm nicht eingeschränkt. Es erscheint möglich, dass diese Norm bei Leistungen, die neben der Hilfe zur Pflege auch Eingliederungshilfeleistungen umfassen, von vornherein nicht mehr anwendbar ist. Das aktuell geltende Recht der Eingliederungshilfe ist davon geprägt, den Wünschen der Leistungsberechtigten einen höheren Stellenwert einzuräumen, als dies gesetzlich zuvor der Fall gewesen war. So ist angemessenen Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen (§ 104
Abs. 2 Satz 1
SGB IX). Wünsche sind nur dann nicht angemessen, wenn und soweit die Höhe der Kosten der gewünschten Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichbare Leistung von Leistungserbringern, mit denen Vereinbarungen bestehen, unverhältnismäßig übersteigt und wenn der Bedarf durch eine vergleichbare Leistung gedeckt werden kann (§ 104
Abs. 2 Satz 2
SGB IX). Bei der Entscheidung nach § 104
Abs. 2
SGB IX ist zunächst die Zumutbarkeit der von den Wünschen des Leistungsberechtigten abweichenden Leistung zu prüfen (§ 104
Abs. 3 Satz 1
SGB IX). Kommt danach ein Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen in Betracht, ist dieser Wohnform der Vorzug zu geben, wenn dies von der leistungsberechtigten Person gewünscht wird (§ 104
Abs. 3 Satz 3
SGB IX). Bei Unzumutbarkeit einer abweichenden Leistungsgestaltung ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen (§ 104
Abs. 3 Satz 5
SGB IX). Nach diesen Regelungen zur Eingliederungshilfe sind ohnehin nur die Kosten für vergleichbare Leistungen zu prüfen. Die bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung und dem Wohnen in der eigenen Häuslichkeit mit Unterstützung erforderlichen Leistungen sind zur Überzeugung der Kammer nicht vergleichbar (ebenso SG München, Beschluss vom 15. Mai 2023 – S 48 SO 131/23 ER). Dies zeigt auch die Regelung in § 104
Abs. 3 Satz 3
SGB IX. Es handelt sich vielmehr um verschiedene Leistungen, so dass es fraglich ist, ob es auf eine Zumutbarkeitsprüfung nach § 104
Abs. 3 Satz 1
SGB IX ankommt. Der Kostenvergleich nach § 104
Abs. 2
SGB IX kann sich nur auf Leistungen der gleichen Art beziehen. Werden Assistenzleistungen zu einem Kostensatz beantragt, der unverhältnismäßig von den Kostensätzen für Assistenzleistungen bei vereinbarungsgebundenen Leistungserbringern abweicht, dann könnte diese Regelung angewendet werden. Dieser Fall ist hier nicht gegeben. Vielmehr vergleicht der Antragsgegner hier verschiedene Leistungen. Es erscheint unvermeidlich, dass die individuelle Betreuung rund um die Uhr in der eigenen Wohnung höhere Kosten verursacht, als eine stationäre Unterbringung. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, darüber zu befinden, ob sich ein Sozialsystem, das behinderten Menschen ohne Rücksicht auf die Kosten im Einzelfall ein so hohes Maß an Selbstbestimmung garantiert, auf Dauer finanzierbar ist. Dies zu beurteilen und die notwendigen Folgerungen daraus zu ziehen, ist Sache des Gesetzgebers. Das geltende Recht kennt jedenfalls keinen allgemeinen Kostenvorbehalt (so bereits SG München, Beschluss vom 15. Mai 2023 – S 48 SO 131/23 ER).
Der Gesetzgeber verpflichtet den Antragsgegner als zuständige Behörde für Leistungen der Eingliederungshilfeleistungen, die Antragstellerin zu beraten und sie zu unterstützen (§ 106
SGB IX). Es erscheint hier sachgerecht, diese Verpflichtung nochmals festzustellen.
Im Übrigen sind die Voraussetzungen für die beantragten Leistungen hier noch nicht glaubhaft gemacht. Es sind noch keine Arbeitsverträge abgeschlossen worden, um die Pflege im Arbeitgeber-Assistenz-Modell sicherzustellen. Auch die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für eine Teilhabeleistung als Persönliches Budget liegen noch nicht alle vor, da noch keine Assistenten zu den begehrten Bedingungen beschäftigt werden. Auch wenn es sich bei der nach § 29
Abs. 4 Satz 1
SGB IX abzuschließenden Zielvereinbarung nach der Rechtsprechung des
BSG allenfalls um eine formelle Voraussetzung für die Bewilligung eines Persönlichen Budgets handelt (
BSG, Urteil vom 11. August 2022 – B 8 SO 3/21 R), hat die Zielvereinbarung ebenso wie das Teilhabeplanverfahren nach § 19
SGB IX und das Gesamtplanverfahren nach § 117
SGB IX den Sinn, den Bedarf und die zur Deckung des Bedarfs erforderlichen Leistungen im Einvernehmen zu bestimmen und die Einzelheiten zu regeln. Zur Überzeugung der Kammer lässt sich eine 24-Stunden-Assistenz nicht allein durch eine gerichtliche Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz regeln, sondern es bedarf dabei der Kooperation der Beteiligten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich um Sozialleistungen in erheblichem Umfang handelt, die nach der Vorstellung des Gesetzgebers im Vorhinein berechnet und ausgezahlt werden, bei unverändertem Teilhabebedarf nicht befristet werden dürfen und die Möglichkeit der Rückforderung – wenn die Leistungen nicht vollständig benötigt worden sind – begrenzt ist (
vgl. BSG, Urteile vom 28. Januar 2021 – B 8 SO 9/19 R und vom 11. August 2022 – B 8 SO 3/21 R). Schließlich ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in einem angemessenen zeitlichen Rahmen zu klären, ob die Höhe der beantragten Leistung insgesamt erforderlich ist. Im weiteren Verlauf kann
z. B. berücksichtigt werden, dass
ggf. für Zeiträume, in denen Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37
Abs. 2
SGB V erbracht werden, je nach erforderlichem zeitlichen Umfang
ggf. weniger Betreuungszeit durch Assistenten erforderlich ist. Die Ausgestaltung der Leistung selbst muss den Beteiligten in den dafür vorgesehenen Verfahren vorbehalten bleiben.
Die Sache ist eilbedürftig. Der Ausgang der Widerspruchsverfahren kann nicht abgewartet werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG.