Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens über die stufenweise Wiedereingliederung des schwerbehinderten Klägers.
Die Verfügungsbeklagte bietet Lösungen für Dach und Fassade und verarbeitet hierzu vorrangig Aluminium zu Mauerabdeckungen, Systemfassaden, Dachrandprofilen, Kiesauffangleisten
usw. und vertreibt diese Produkte. Der Verfügungskläger ist seit dem 01.09.1988 in Vollzeit bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt, zuletzt als Verkaufs- und Vertriebsleiter. Zu seinen Aufgaben gehört es u.a., die Produktion und Lieferung der für die Baustellen georderten Konstruktionen/Teile zu überwachen, die Bearbeitung von Reklamationen, das Führen von Reklamationsgesprächen sowie Preisverhandlungen, die Akquise von Neukunden, die Rechnungsstellung und die Anleitung der beauftragten Subunternehmer (Metallbauer, Dachdecker), d.h. sie in die Baustelle und die Tätigkeit einzuweisen. Diese Tätigkeit beinhaltet auch das Überwachen der Arbeiten und des Baufortschritts.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet mit Erreichen der Regelaltersgrenze des Verfügungsklägers, d.h. mit Ablauf des 31.10.2024, aufgrund der Ergänzungsvereinbarung vom 20.04.2007.
Der Verfügungskläger litt seit April 2023 an einem Hirntumor. Die Erkrankung des Klägers wurde bis Ende Januar 2024 erfolgreich therapiert.
Aufgrund der Krebserkrankung ist dem Verfügungskläger ein Grad der Behinderung von 90 anerkannt worden.
Die behandelnde Hausärztin E. befürwortete eine stufenweise Wiedereingliederung in die letzte Tätigkeit und stellte am 07.02.2024 einen ersten Wiedereingliederungsplan auf (Bl. 12 d.A.).
Der Verfügungskläger bat um Zustimmung zur Durchführung dieser Maßnahme. Die Verfügungsbeklagte lehnte die Maßnahme mit Schreiben vom 22.02.2024 (Bl. 13 d.A.) ab.
Daraufhin stellte die Hausärztin Frau E. einen neuen Wiedereingliederungsplan, beginnend ab dem 15.03.2024, aus (Bl. 14 d.A.), auf den Bezug genommen wird.
Der Verfügungskläger ist bis zum 10.04.2024 noch fahruntüchtig. Ab dem 08.06.2024 wird er nach seinen Angaben wieder voraussichtlich vollschichtig in seiner vertraglich vereinbarten Tätigkeit einsatzfähig sein.
Der Verfügungskläger ist der Ansicht, die Eilbedürftigkeit des Verfahrens ergebe sich daraus, dass sein Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung als schwerbehinderter Mensch nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu erlangen sei. Bei Abwarten des Hauptsacheverfahrens drohe der endgültige Rechtsverlust. Er habe ein überragendes Interesse daran, die Wiedereingliederung in das Berufsleben und die Rückkehr an seinen Arbeitsplatz möglichst zeitnah im Anschluss an den Abschluss seiner Therapie zu beginnen.
Der Verfügungskläger beantragt,
die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, im Rahmen einer Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben als Verkaufsleiter, in F., hilfsweise in B., entsprechend der Empfehlung der behandelnden Ärztin E.,
S., vom 04.03.2024 wie folgt zu beschäftigen:
in den Wochen vom 15.03.2024 bis 12.04.2024 arbeitstäglich je 2 Stunden;
in den Wochen vom 13.04.2024 bis 10.05.2024 arbeitstäglich je 4 Stunden;
in den Wochen vom 11.05.2024 bis 07.06.2024 arbeitstäglich je 6 Stunden.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die Verfügungsklage abzuweisen.
Sie behauptet, es gäbe keine sinnvollen Aufgaben, die der Verfügungskläger mit einer Beschäftigungsdauer von zwei oder vier Stunden täglich erledigen könnte. Die Stelle setze zudem voraus, dass der Verfügungskläger fahrtüchtig ist. Die geschuldete Tätigkeit lasse sich nicht ohne Fahrten mit dem Auto umsetzen. Der Verfügungskläger könne auch nicht wirtschaftlich und zumutbar eingesetzt werden, da er durch seine lange krankheitsbedingte Abwesenheit er in keiner Weise mehr in aktuelle Prozesse des Vertriebs eingebunden sei. Damit der Verfügungskläger in seiner Funktion als Vertriebsleiter wieder sinnvoll in laufende Prozesse eingebunden werden könne, sei ein deutlich größerer Beschäftigungsumfang notwendig.
Die Verfügungsbeklagte ist ferner der Ansicht, dem Verfahren fehle die Eilbedürftigkeit, da ein solcher Grund von dem Verfügungskläger nicht dargelegt worden sei. Aufgrund der wieder vollen Einsatzfähigkeit des Verfügungsklägers ab dem 08.06.2024 sei nicht ersichtlich, weshalb die Wiedereingliederung ab dem 15.03.2024 erfolgen müsse.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Die Verfügungsklage ist zulässig und begründet.
I. Nach § 62
Abs. 2
ArbGG i.V.m. §§ 935, 940
ZPO kann im arbeitsgerichtlichen Verfahren der Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt werden. Eine einstweilige Verfügung ist nach § 935
ZPO zu erlassen, wenn zu besorgen ist, dass durch die Veränderung eines bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 940
ZPO sind einstweilige Verfügungen auch zum Zweck der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen dringend erforderlich erscheint. Voraussetzung dafür ist auch im Rahmen des § 940
ZPO das Vorliegen einer zu sichernden Rechtsposition (Verfügungsanspruch) sowie eine besondere Eilbedürftigkeit (Verfügungsgrund), welche es erforderlich macht, zur Abwendung wesentlicher Nachteile bereits vor einer Klärung strittiger Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren nach summarischer Prüfung eine vorläufige Regelung zu treffen (
LAG Köln v. 10.6.2020 – 8 SaGa 1/20, BeckRS 2020, 20090 Rn. 16;
vgl. auch
LAG Berlin-Brandenburg v. 25.07.2017 – 11 SaGa 605/17, BeckRS 2017, 133186, Rn. 18). Es muss eine Abwägung der Folgen des Erlasses
bzw. Nichterlasses der einstweiligen Verfügung unter Beachtung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache erfolgen (
LAG Köln v. 10.6.2020 – 8 SaGa 1/20, BeckRS 2020, 20090 Rn. 16;
LAG Köln v. 07.04.2016 – 12 SaGa 9/16, BeckRS 2016, 69468,Rn. 27).
II. Es besteht ein Verfügungsanspruch.
Ein Anspruch des Verfügungsklägers auf Beschäftigung im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung ergibt sich aus
§ 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.
1. Nach der Rechtsprechung des
BAG besteht zwar grundsätzlich kein Anspruch auf Mitwirkung des Arbeitgebers an einer stufenweisen Wiedereingliederung des Arbeitnehmers in das Erwerbsleben, insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis. Vielmehr ist das Wiedereingliederungsverhältnis ein Vertragsverhältnis eigener Art (sui generis), zu dessen Begründung es einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedarf, wobei für beide Seiten das Prinzip der Freiwilligkeit gilt (
BAG v. 16.5.2019 –
8 AZR 530/17, NZA 2019, 1348, 1349 f., Rn. 21;
LAG Rheinland-Pfalz v. 30.05.2022 –
3 Sa 208/21, juris, Rn. 64).,
Etwas anderes gilt jedoch, wenn es um die stufenweise Wiedereingliederung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Beschäftigten in das Erwerbsleben geht. In einem solchen Fall kann der Arbeitgeber nach § 164
Abs. 4 Satz 1
SGB IX verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mitzuwirken und eine schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Person entsprechend den Angaben im ärztlichen Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen. Nach § 264
Abs. 4 Satz 1
SGB IX schließt die (krankheitsbedingte) Unfähigkeit zur (vollen) Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung einen Beschäftigungsanspruch nicht aus. Die Mitwirkungspflicht nach dieser Bestimmung besteht demnach innerhalb des arbeitsvertraglichen Schuldverhältnisses. Sie gehört zu den typischen Nebenpflichten des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis
i.S.v § 241Abs. 2
BGB (
BAG v. 16.05.2019 – 8 AZR 530/17, NZA 2019, 1348, 1350, Rn. 22;
LAG Rheinland-Pfalz v. 30.05.2022 – 3 Sa 208/21, juris, Rn. 65).
Der Anspruch auf Beschäftigung nach dieser Maßgabe im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung setzt allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorlegt, aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, Beschäftigungsbeschränkung, Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Dauer der Maßnahme ergeben. Die Bescheinigung muss eine Prognose enthalten, wann voraussichtlich die Wiederaufnahme der Tätigkeit erfolgt. Die ärztliche Bescheinigung muss ordnungsgemäß nach den Vorschriften des Sozialrechts erstellt sein und dem Arbeitgeber hinreichend deutlich machen, dass mit dem Wiedereingliederungsplan auch eine betrieblich nutzbare Tätigkeit wiedererlangt werden kann. Kein Anspruch besteht auf eine Mitwirkung an einer nur therapeutischen Erprobung, ohne dass in absehbarer Zeit das „ob“ und „wie“ einer möglichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ersichtlich wären. Sowohl die Feststellung von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als auch die Empfehlung zur Wiedereingliederung knüpfen an die vom Arbeitnehmer bisher ausgeübte Tätigkeit an. Davon ausgehend setzt die Empfehlung zur stufenweisen Wiedereingliederung zunächst die Beurteilung voraus, der Arbeitnehmer sei (weiterhin) arbeitsunfähig. Hinzukommen muss die Einschätzung, dass die arbeitsvertragliche Tätigkeit teilweise verrichtet werden könnte und schließlich muss der Arzt die Prognose treffen, dass eine stufenweise Heranführung des Arbeitnehmers an die berufliche Belastung seine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben fördert. Dabei muss sich die Prognose nicht zwingend auf das Ziel der Wiederherstellung der vollen Arbeitstätigkeit richten, auch wenn dies regelmäßig verfolgt wird. Auch die Befähigung zu einer nach Art, Dauer, zeitlicher und räumlicher Lage veränderten Arbeitstätigkeit kann stufenweise Eingliederung in das Erwerbsleben sein. Der Arzt hat seine Feststellung auf dem Vordruck der Sozialversicherungsträger zu bescheinigen. Dieses verlangt eine auf die Erkrankung und Behinderung des Arbeitnehmers in seine Tätigkeit abgestellte Empfehlung über die Art und Weise der Beschäftigung. Ebenso muss der Arzt seine Prognose zur Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers nach Durchführung der Maßnahme abgeben. Die Arbeitsstellenbescheinigung ist dem Arbeitgeber vorzulegen. Andernfalls kann er nicht beurteilen, ob er an der stufenweisen Wiedereingliederung mitwirken muss oder wegen der Art oder der voraussichtlichen Dauer der Maßnahme berechtigt ist, sie als unzumutbar abzulehnen (
BAG v. 16.05.2019 – 8 AZR 530/17, NZA 2019, 1348, 1350, Rn. 23
ff.;
LAG Rheinland-Pfalz v. 30.05.2022 – 3 Sa 208/21, juris, Rn. 66).
2. Demnach ist die Verfügungsbeklagte nach § 164
Abs. 4 Satz 1
SGB IX verpflichtet, an der stufenweisen Wiedereingliederung des schwerbehinderten Verfügungsklägers in das Erwerbsleben dergestalt mitzuwirken, dass sie diesen entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans vom 01.03.2024 beschäftigt.
Der Verfügungskläger hat der Verfügungsbeklagten eine auf dem vorgesehenen Formular ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Bescheinigung über die stufenweise Wiedereingliederung vorgelegt. Die Bescheinigung gibt die Beschäftigungsdauer in den jeweiligen Wochen an. Auch die Art der Beschäftigung, nämlich die des Vertriebsleiters, ist in der Bescheinigung angegeben. Zwar enthält die Bescheinigung nicht explizit die Angabe einer Prognose, ob der Verfügungskläger nach Abschluss der Wiedereingliederung wieder (vollständig) arbeitsfähig sein wird. Diese Prognose liegt aber – außer im Fall einschränkender Erklärungen auf dem Formular – konkludent in der Bescheinigung selbst, konkret der wochenweise gesteigerten täglichen Stundenzahl von zwei bis sechs Stunden. Die stufenweise Wiedereingliederung ist stets ein Versuch der Wiedererlangung der vollen Erwerbsfähigkeit. Daher ist mit ihrer Bescheinigung auch die Prognose verbunden, dass dieser Versuch hinreichend wahrscheinlich ist. Es steht daher zu erwarten, dass nach Abschluss der letzten Stufe der Verfügungskläger wieder zu acht Stunden täglich leistungsfähig ist und damit im Umfang seiner geschuldeten Arbeitszeit von 40 Wochenstunden. In der ordnungsgemäßen Ausstellung der Bescheinigung liegt ferner die Erklärung, dass mit der Beschäftigung nach dem Wiedereingliederungsplan auch eine betrieblich nutzbare Tätigkeit wiedererlangt werden kann. Es bedarf keiner expliziten Erklärung auf dem Formular – hierfür sind auf dem Vordruck auch gar keine Felder vorgesehen. Nach Ansicht der Kammer folgt daher – ähnlich wie bei einer ordnungsgemäßen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (
vgl. BAG v. 13.12.2023 – 5 AZR 137/23, BeckRS 2023, 37809, Rn. 12) – aus einer ordnungsgemäßen Bescheinigung nach
§ 74 Satz 1 SGB V die grundsätzliche Vermutung, dass die Voraussetzungen für eine stufenweise Wiedereingliederung auf Seiten des Arbeitnehmers vorliegen. Diese Vermutung kann der Arbeitgeber durch substantiierten Vortrag gleichwohl erschüttern. Derartige – durchgreifende – Gründe hat die Verfügungsbeklagte jedoch nicht vorgetragen.
Der Beschäftigung im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung steht insbesondere nicht entgegen, dass der Verfügungskläger bis zum 10.04.2024 nicht fahrtüchtig ist. Zwar mag die Stelle des Verfügungsklägers mit Fahrtätigkeiten zu Baustellen verbunden sein. Zu beachten ist jedoch, dass die Fahruntüchtigkeit sich nur auf den Zeitraum bezieht, in dem der Verfügungsklägers auch nur zwei Stunden täglich einsatzfähig ist. Die Verfügungsbeklagte hat nicht hinreichend vorgetragen, dass an Tagen mit einer derart geringen Beschäftigungsdauer, nicht auch Arbeiten im Büro anfallen, die der Verfügungskläger sinnvollerweise erledigen könnte. Zu seinen Aufgaben gehören schließlich auch u.a. die Rechnungstellung und die Reklamation. Daher ist es für die Kammer auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Verfügungskläger erst wieder umfassend eingearbeitet werden müsste, wie die Verfügungsbeklagte behauptet. Nach über 30 Jahren Tätigkeit vermag es nicht zu überzeugen, dass der Verfügungskläger nach einer Erkrankung von lediglich etwas weniger als einem Jahr gar keine verwertbare Arbeitsleistung mehr erbringen könnte. Hinzu kommt, dass die Verfügungsbeklagte gerade gegenüber dem schwerbehinderten Verfügungskläger eine gesteigerte Pflicht hat, ihm Tätigkeiten unter Berücksichtigung seiner Schwerbehinderung zuzuweisen (§ 164
Abs. 4
S. 1
SGB IX). Dies ist in den ersten Wochen nach der Erkrankung ohne weiteres zumutbar.
III. Es besteht auch ein Verfügungsgrund.
1. Nach den Bestimmungen der §§ 935
ff. ZPO kommt der Erlass einer einstweiligen Verfügung nur in Betracht, wenn es sich um eine dringliche Angelegenheit handelt und die Entscheidung im Eilverfahren erforderlich ist.
Eine Regelungsverfügung gemäß § 940
ZPO setzt insbesondere voraus, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. An den Verfügungsgrund sind dann besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn die begehrte Eilentscheidung Ansprüche nicht nur sichern, sondern (teilweise) befriedigen soll, wenn also durch die einstweilige Verfügung die Hauptsache ganz oder zumindest teilweise vorweg genommen wird und insoweit endgültige Verhältnisse geschaffen werden (
LAG Hamm v. 13.2.2015 – 18 SaGa 1/15, NZA-RR 2015, 460, 461;
LAG Nürnberg v. 12.09.2007 – 4 Sa 586/07, BeckRS 2008, 50037; Schleusener, in: Germelmann/Matthes/Prütting, 10. Aufl. 2022, § 62
ArbGG Rn. 97).
Der Verfügungskläger muss auf die Erfüllung seines Anspruchs dringend angewiesen sein, die geschuldete Handlung ist so kurzfristig zu erbringen, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist und der dem Verfügungskläger aus der Nichterfüllung drohende Schaden muss außer Verhältnis zu dem Schaden stehen, der dem Antragsgegner aus der sofortigen vorläufigen Erfüllung droht(
LAG Hamburg v. 24.07.2013 – 5 SaGa 1/13, juris, Rn. 38;
LAG Berlin-Brandenburg v. 12.01.2011 – 3 Ta 7/11, juris, Rn. 45; Schleusener, in: Germelmann/Matthes/Prütting, 10. Aufl. 2022, § 62
ArbGG Rn. 98). Es muss die Gefahr irreparabler Entwicklungen bestehen, die die Durchsetzung des Anspruchs erheblich erschweren oder unmöglich machen. (Hessisches
LAG v. 20.05.2019 - 16 SaGa 433/19, BeckRS 2019, 16598, Rn. 11; Sächsisches
LAG v. 19.02.2001 – 2 Sa 624/00, NZA-RR 2002, 439, 440; Schleusener, in: Germelmann/Matthes/Prütting, 10. Aufl. 2022, § 62 ArbGGRn. 98).
Eine solche Leistungs- oder Befriedigungsverfügung erstrebt der Verfügungskläger, da die begehrte tatsächliche Beschäftigung im Wege der stufenweisen Wiedereingliederung nicht wieder rückabgewickelt werden kann.
Es ist anerkannt, dass der Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung auch im Wege einer Leistungsverfügung nach § 940
ZPO durchgesetzt werden kann (
vgl. nur Schleusener, in: Germelmann/Matthes/Prütting, 10. Aufl. 2022, § 62
ArbGG Rn. 105). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass ein besonderes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers besteht, das den Erlass einer Leistungsverfügung rechtfertigt(
LAG Rheinland-Pfalz v. 24.06.2015 – 4 SaGa 2/15, BeckRS 2015, 72364, Rn. 4;
LAG Hamm v. 13.02.2015 – 18 SaGa 1/15, NZA-RR 2015, 460;
LAG Hamburg v. 24.07.2013 – 5 SaGa 1/13, BeckRS 2013, 73628; Schleusener, in: Germelmann/Matthes/Prütting, 10. Aufl. 2022, § 62
ArbGG Rn. 105).
2. Nach den vorgenannten Grundsätzen besteht ein Verfügungsgrund.
Nach Ansicht der Kammer besteht grundsätzlich ein besonderes Beschäftigungsinteresse eines schwerbehinderten Arbeitnehmers im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung. Dies ergibt sich aus § 164
Abs. 4 Satz 1
SGB IX, welcher Ausfluss der europäischen Richtlinie zur Verwirklichung der Gleichbehandlung schwerbehinderter Menschen in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/
EG des Rates vom 27.11.2000) ist (Greiner, in: Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Westphal/Krohne, 15. Aufl. 2024,§ 164
SGB IX, Rn. 1). Die stufenweise Wiedereingliederung im Rahmen von§ 164
Abs. 4 Satz 1
SGB IX wird regelmäßig nur im Wege des Eilrechtsschutzes zu erlangen sein. Eine Ausnahme dürfte nur dort bestehen, wo die stufenweise Wiedereingliederung zwingende Voraussetzung für die Wiedererlangung der (vollen) Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers ist.
Der Verfügungskläger ist zur Durchsetzung seines besonderen Beschäftigungsanspruchs als schwerbehinderter Arbeitnehmer aus § 164
Abs. 4 Satz 1
SGB IX zwingend darauf angewiesen, dass diese zeitnah erfolgt. Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens würde sein Recht unmöglich machen oder jedenfalls erheblich erschweren. Die Wiedereingliederung in das Berufsleben kann typischerweise nur in dem Zeitfenster am Ende des Genesungsprozesses erfolgen, in dem der erkrankte Arbeitnehmer zwar noch nicht wieder voll einsatzfähig ist, aber eine Beschäftigung schon teilweise wieder möglich ist. Daher spricht die voraussichtlich vollständige Einsatzfähigkeit des Verfügungsklägers ab Juni 2024 nicht – wie die Verfügungsbeklagte meint – gegen die Eilbedürftigkeit. Im Gegenteil: Die Prognose, ob die volle Einsatzfähigkeit tatsächlich wieder ab diesem Zeitpunkt besteht, kann nur durch die Erprobung in der stufenweisen Wiedereingliederung vor diesem Zeitpunkt erfolgen. Bis zu diesem Zeitpunkt wäre ein Hauptsacheverfahren aber noch nicht abgeschlossen. Auch der voraussichtliche Renteneintritt und das damit einhergehende Ende des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Ergänzungsvereinbarung zwischen den Parteien spricht nach Ansicht der Kammer für eine Eilbedürftigkeit. Ein Hauptsacheverfahren wäre voraussichtlich erst nach Oktober 2024 abgeschlossen, sodass dem Kläger sein Anspruch auf Teilhabe am Erwerbsleben aus § 164
Abs. 4 Satz 1
SGB IX genommen würde. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Beschäftigung nur auf eine vergleichsweise kurze Dauer erstrecken wird – das Recht des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf Teilhabe am Erwerbsleben wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass es zeitlich nur kurz (jedenfalls bei diesem Arbeitgeber) noch verwirklicht werden kann.
Demgegenüber sind auf Seiten der Verfügungsbeklagten keine Schäden aus der sofortigen vorläufigen Erfüllung ersichtlich, die außer Verhältnis zu dem Schaden des Verfügungsklägers stehen, wenn sein Anspruch auf Beschäftigung im Wege des stufenweise Widereingliederung nicht bereits jetzt erfüllt würde. Auf Seiten des Arbeitgebers ist zu berücksichtigen, dass – anders als das Arbeitsverhältnis – das Wiedereingliederungsverhältnis nicht durch den Austausch von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet ist, sondern durch den Rehabilitationszweck. Die Tätigkeit des Arbeitnehmers ist auf die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und nicht auf die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gerichtet. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind, weil die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers andauert, während des Wiedereingliederungsverhältnisses weiterhin von den Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses
gem. §§ 275
Abs. 1, 326
Abs. 1 Satz 1
BGB befreit (
BAG v. 16.5.2019 – 8 AZR 530/17, NZA 2019, 1348, 1350, Rn. 21). Es bedarf daher nach Ansicht der Kammer der substantiierten Darlegung und
ggf. Glaubhaftmachung von Gründen, die der Beschäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers entgegenstehen. Dabei genügt nicht der (pauschale) Vortrag – wie hier – die Beschäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers sei nicht wirtschaftlich. Dies muss und kann sie auch nicht sein. Der Arbeitgeber schuldet keine Vergütung für die Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung.
III. Die Die Kostenentscheidung folgt aus § 62
Abs. 2
S. 1
ArbGG i.V.m.§ 91
Abs. 1 Satz 1
ZPO.
Die gemäß § 61
ArbGG erforderliche Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 3
ZPO. Die Kammer hat ein Bruttomonatsgehalt in Ansatz gebracht. Der Kläger erwähnte in der mündlichen Verhandlung einen Bruttojahresverdienst von 120.000
EUR.
Die Berufung war nicht nach § 64
Abs. 3
ArbGG besonders zuzulassen, da über die ohnehin gegebene gesetzliche Zulässigkeit der Berufung hinaus kein besonderer Zulassungsgrund gegeben ist.