Die zulässige Klage ist überwiegend erfolgreich.
Der Kläger hat zusätzlich zu dem im Bescheid des Beklagten vom .... Dezember 2009 bewilligten Förderumfang von 2
Std. Anspruch auf Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz für zwei weitere Stunden. Soweit mit der Klage darüber hinaus noch eine weitere Stunde Arbeitsassistenz begehrt wurde, hat sie keinen Erfolg. Dementsprechend war der Beklagte für den streitgegenständlichen Förderzeitraum vom .... Juli 2008 bis .... Juni 2010 zu einer weitergehenden Leistung zu verpflichten, § 113
Abs. 5
VwGO.
Zuletzt nicht mehr strittig war zwischen den Parteien die vom Beklagten zugesagte Abrechnung des Betreuungsaufwandes nach den tatsächlich anfallenden Kosten sowie die Anerkennung einer Aufwandspauschale von 30,--
EUR für die Erstellung der Abrechnung, wenn insoweit nachweislich Kosten entstünden.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer weitergehenden Arbeitsassistenz ergibt sich aus
§ 102 Abs. 4 SGB IX i.V.m. § 17 Schwerbehindertenabgabeverordnung (SchwbAV). Danach haben schwerbehinderte Menschen im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Die Vorschrift gestaltet die Arbeitsassistenz im Unterschied zu allen anderen Formen begleitender Hilfen im Arbeitsleben als Anspruchsleistung aus (
vgl. Lachwitz, Schellhorn, Welti, Handkommentar zum
SGB IX, 3. erweiterte und aktualisierte Aufl. 2010 § 102 RdNr. 20 u. Neumann/Pahlen,
SGB IX, 12. Aufl. 2010 § 102 RdNr. 33; a.A.
VG Halle v. 28.8.2008 4 A 49/07), die allerdings unter dem Vorbehalt steht, dass Mittel aus der Ausgleichsabgabe hierfür zur Verfügung stehen. Dies sehen auch die vom Beklagten im Widerspruchsbescheid vom .... April 2010 in Bezug genommenen Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen
gem. § 102
Abs. 4
SGB IX vor (
vgl. dort: Punkt 2. Rechtsgrundlagen). Strittig ist allerdings der Umfang, in dem für den Kläger pro Arbeitstag eine Arbeitsassistenz notwendig ist
bzw. in welchem Umfang der Beklagte als Integrationsamt für die Gewährung dieser Arbeitsassistenz zuständig ist.
Das Gesetz enthält keine näheren Angaben darüber, wann eine Arbeitsassistenz "notwendig" im Sinne des § 102
Abs. 4
SGB IX ist. Ebenso hat der Gesetzgeber es bisher unterlassen, von der Ermächtigung in
§ 108 SGB IX Gebrauch zu machen und die dort vorgesehene Verordnung zur Regelung der Voraussetzungen sowie der Höhe, Dauer und Ausführung der Arbeitsassistenz zu regeln. Es erscheint daher sachgerecht, für den Begriff der Notwendigkeit die Begriffsbestimmung in Ziff. 1.5. der vorgenannten Empfehlungen (BIH) zugrunde zu legen. Danach ist eine Arbeitsassistenz "notwendig" im Sinne des § 102
Abs. 4
SGB IX, wenn dem schwerbehinderten Menschen erst durch eine Arbeitsassistenz eine den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprechende Erbringung der jeweils arbeitsvertraglich
bzw. dienstrechtlich geschuldeten Tätigkeit ermöglicht wird. Indem hierbei auf die individuelle vertraglich geschuldete Tätigkeit abgestellt wird, kommt zum Ausdruck, dass die im konkreten Einzelfall erheblichen Merkmale der Arbeitsleistung für die Bestimmung des "notwendigen" Umfangs der Arbeitsassistenz maßgeblich sind. Diese Auslegung entspricht auch § 33 Satz 2
SGB I, der für alle Bereiche des Sozialgesetzbuches gilt. Weiter sind nach § 33 Satz 1
SGB I bei der Ausgestaltung von Rechten, die nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt sind, die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Entgegenstehende Rechtsvorschriften - insbesondere des
SGB IX - sind hier nicht ersichtlich, da der Verordnungsgeber von der Ermächtigung des § 108
SGB IX bisher noch keinen Gebrauch gemacht hat (
vgl. VG Mainz U. v. 23.3.2006 Az.
1 K 269/05.MZ, recherchiert in juris, dort RdNr. 17
ff.).
Zum Verhältnis mehrerer in Betracht kommender Leistungsträger bestimmt § 102
Abs. 5 Satz 1
SGB IX, dass deren Verpflichtungen grundsätzlich nebeneinander bestehen, wobei auch Ermessensleistungen in Betracht kommender Rehabilitationsträger nach
§ 6 Abs. 1 Nr. 1 - 5 SGB IX nicht unter Hinweis auf die Leistungszuständigkeit des Integrationsamtes versagt werden dürfen.
Die individuelle vertraglich geschuldete Tätigkeit des Klägers stellt sich wie folgt dar:
Der Kläger ist bei der
Fa. ... als System Entwickler im Fachbereich "..." bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40
Std. angestellt (
vgl. Bl. 7
ff. der Akten). Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung arbeitet er in einem Großraumbüro. Mit seinem Rollstuhl, der einen elektrischen Hilfsmotor hat, kann er sich nur in Innenräumen und dort nur über kurze Strecken selbständig bewegen. Der Kernbereich seiner Arbeit, die Entwicklung von Webseiten für Kunden und deren Betreuung, kann der Kläger an seinem Computerarbeitsplatz weitgehend selbständig erledigen. Er braucht allerdings gelegentlich Hilfe, wenn ein Buch geholt oder ein Kabel angesteckt werden muss
bzw. sonstige Handgriffe anfallen, die eine gewisse Muskelkraft voraussetzen. Darüber hinaus benötigt er eine Hilfskraft, um sich jederzeit im Büro fortbewegen zu können. Er muss sich gelegentlich auch innerhalb des Großraumbüros über weitere Strecken bewegen können, zum Beispiel, um andere Kollegen zu erreichen. Er muss an Meetings teilnehmen, die wöchentlich
ca. 5 - 6 mal überwiegend in einem anderen Gebäude stattfinden und die teilweise auch spontan angesetzt werden. Er benötigt auch während der Arbeitszeit Hilfe beim Aufsuchen der Toilette, beim An- und Ausziehen und beim Essen und Trinken.
Dieser nachvollziehbare Hilfebedarf des Klägers ist im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Arbeitsassistenz wie folgt zu bewerten:
Für den Kernbereich der Tätigkeit des Klägers an seinem Computerarbeitsplatz ist eine Arbeitsassistenz nicht nötig. Soweit hin und wieder Tätigkeiten anfallen, die der Kläger nicht selbst ausführen kann (ein Buch holen, ein Kabel am
PC anstecken o.ä.), handelt es sich um gelegentliche Handreichungen, die mit Hilfe der Kollegen abgewickelt und organisiert werden können, ohne diese übermäßig zu beanspruchen. Derartige Hilfsdienste vermögen nicht die Notwendigkeit einer Arbeitsassistenz zu begründen (
vgl. Ziff. 1.1 BIH, die die Arbeitsassistenz als eine über gelegentliche Handreichungen hinausgehende, zeitlich wie tätigkeitsbezogen regelmäßig wiederkehrende Unterstützung von schwerbehinderten Menschen bei der Arbeitsausführung in Form einer von ihnen beauftragten Assistenzkraft im Rahmen der Erlangung oder Erhaltung eines Arbeitsplatzes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt definiert).
Im Übrigen benötigt der Kläger, was in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden ist, für seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit Mobilitätshilfe sowie Hilfe für seine Grundversorgung.
Die benötigte Hilfeleistung ist hierbei nur insoweit von vornherein festgelegt und damit zeitlich kalkulierbar, als es um die Teilnahme des Klägers an im Voraus angesetzte Meetings geht. Alle übrigen Hilfeleistungen fallen spontan an und sind daher zeitlich nicht kalkulierbar und daher auch nicht durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen in der Weise aufzufangen, dass sich der Betreuungsbedarf des Klägers auf bestimmte Zeiten seiner Arbeitszeit eingrenzen ließe. Dabei wird nicht verkannt, dass die Summe der auf den Arbeitstag verteilten tatsächlich anfallenden Hilfeleistungen bezogen auf die regelmäßige Arbeitszeit von 8
Std. nur einen Teil dessen ausmacht (den der Beklagte für den streitgegenständlichen Zeitraum mit
ca. 2
Std. ermittelt hat). Allerdings sind diese Hilfeleistungen - wie ausgeführt - in zeitlicher Hinsicht nicht kalkulierbar
bzw. planbar und sie übersteigen ganz eindeutig das Maß dessen, was mit Hilfe von Kollegen am Arbeitsplatz in zumutbarer Weise zu bewältigen ist. Der Kläger hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass er deren Hilfebereitschaft nicht überbeanspruchen
bzw. sich diesbezüglich in Abhängigkeiten begeben möchte.
Nach Auffassung der Kammer besteht daher im Fall des Klägers während der hier ausschließlich zu betrachtenden Arbeitszeit in vollem Umfang ein (Bereitschafts-)Assistenzbedarf, wobei die entsprechenden Anteile im Zusammenhang mit den Arbeitstätigkeiten
bzw. im Zusammenhang mit der Grundversorgung des Klägers täglich in beiden Bereichen jeweils unterschiedlich und damit im Ergebnis zufällig sind. Es erscheint daher allein sachgerecht, eine Zuordnung des angesprochenen Assistenzbedarfs in der Weise zu treffen, dass der Gesamtbedarf hälftig als Arbeitsassistenz (im Rahmen derer nach Ziff. 4.1 der o.a. Empfehlungen ausdrücklich auch Bereitschaftszeiten zu berücksichtigen sind) und hälftig als Assistenz für die Grundversorgung des Klägers abgedeckt wird.
Der Klage war daher im tenorierten Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155
Abs. 1 Satz 1 2. Alt.
VwGO i.V.m. § 154
Abs. 3
VwGO, wobei zu berücksichtigen war, dass nur die Beigeladene zu 1) durch Stellung eines eigenen Sachantrages ein Kostenrisiko eingegangen ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt stützt sich auf § 167
Abs. 1
VwGO i.V.m. §§ 708
ff. ZPO.
Die Berufung war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 124 a)
Abs. 1
VwGO i.V.m. § 124
Abs. 2 Nrn. 3 oder 4
VwGO nicht zuzulassen.