Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 64
ff. ArbGG, 512
ff. ZPO zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Das Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - hat in seinem Urteil vom 06.05.2009 zu Recht festgestellt, dass die ordentliche Kündigung vom 18.04.2008 das Beschäftigungsverhältnis nicht rechtswirksam beendet hat (A.) und die Beklagte darüber hinaus zur Weiterbeschäftigung der Klägerin zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Krankenpflegehelferin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits verurteilt (B.).
A. Die ordentliche Kündigung vom 18.04.2008 ist gemäß § 1 des vollumfänglich anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes rechtsunwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung nach
§ 1 Abs. 2 KSchG, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Im vorliegenden Fall liegen die personenbedingten Kündigungsgründe, auf welche sich die Beklagte beruft, nicht vor. Zwar können häufige Kurzerkrankungen eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen, jedoch müssen dann bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Dementsprechend ist zunächst in einer ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Die dementsprechend prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer derartigen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Liegt eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1
Abs. 2 Satz 1
KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigung vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss (
vgl. BAG, Urteil vom 23.04.2008;
2 AZR 1012/06 = BB 2008, 2409
ff.).
Die prognostizierten Fehlzeiten führen allerdings nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen, wenn die Kündigung wegen des Bestehens der Möglichkeit, die Kündigung durch mildere Mittel zu vermeiden, gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.
§ 84 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Dabei ist das dort vorgesehene betriebliche Eingliederungsmanagement zwar kein milderes Mittel, aber bei Durchführung dieses Eingliederungsmanagement können mildere Mittel, wie
z. B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Hat ein Arbeitnehmer in der Vergangenheit eine entsprechende Vertragsänderung abgelehnt, ist zu beachten, dass die seinerseitig ablehnende Haltung nicht vor dem Hintergrund einer ansonsten drohenden Beendigungskündigung gesehen werden kann, zumal eine solche nicht in Rede stand. Insoweit gelten die zur Frage der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz im Falle betriebsbedingter Kündigungen entwickelten Grundsätze auch bei krankheitsbedingten Kündigungen: Bietet der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung dem Arbeitnehmer an, den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen, und lehnt der Arbeitnehmer dies ab, so bleibt der Arbeitgeber regelmäßig dennoch verpflichtet, das abgelehnte Angebot durch Änderungskündigung anzubieten. Eine Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annehmen (
vgl. BAG,
a. a. O.).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze bestehen bereits erhebliche rechtliche Bedenken an der Rechtswirksamkeit der ordentlichen Kündigung, weil die Beklagte das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement (BEM) im Sinne von § 84
Abs. 2
SGB IX nicht durchgeführt hat. Sie kann sich nach Auffassung des Berufungsgerichtes in diesem Zusammenhang nicht auf die von der Klägerin am 26.09.2006 abgegebene formularmäßige Verzichtserklärung berufen. Soweit die Klägerin damals nämlich angekreuzt hatte, sie wolle nicht am betrieblichen Wiedereingliederungsmanagement
bzw. noch nicht teilnehmen und werde auf den Arbeitgeber zukommen, falls sie eine Mitwirkung wünsche, erfolgte diese Erklärung nicht im Zusammenhang mit einer anstehenden ordentlichen Kündigung. Wenn aber ein Arbeitgeber nach der oben dargelegten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verpflichtet ist, einen in der Vergangenheit vom Arbeitnehmer abgelehnten anderen Arbeitsplatz diesem kurz vor Ausspruch der Kündigung nochmals anzubieten oder eine Änderungskündigung zu erklären, so muss entsprechendes auch für die Durchführung des BEM gelten. Denn das BEM dient der Ermittlung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten und der Vermeidung des Arbeitsplatzverlustes. Dementsprechend muss es zeitnah vor Ausspruch einer Kündigung durchgeführt werden, ansonsten erfüllt es nicht seinen Zweck. Dementsprechend durfte die Beklagte nicht auf die Verzichtserklärung der Klägerin aus dem Jahr 2006 vertrauen und hätte zeitnah vor Ausspruch der Kündigung vom 18.04.2008 die Klägerin befragen müssen, ob diese auch angesichts einer ansonsten anstehenden Kündigung auf das BEM verzichtet.
Letztlich kann aber dahinstehen, ob das im Zusammenhang mit dem BEM von der Beklagten gezeigte Verhalten zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führt, zumal diese aus einem anderen Grund bereits rechtsunwirksam ist.
Zum Zeitpunkt der Kündigung gab es nämlich keine negative Gesundheitsprognose für die Klägerin; dies folgt aus dem gerichtlichen Sachverständigengutachten, das auf Veranlassung des Arbeitsgerichts durch Frau
Dr. med. Z am 11.02.2009 erstellt wurde. Die Gutachterin kommt nämlich in nachvollziehbarer Weise zu dem Schluss, dass bei den überwiegenden Kurzerkrankungen seit dem Jahr 2001 akute, jetzt als ausgeheilt zu betrachtende Erkrankungen gegeben gewesen seien. Die Langzeiterkrankungen seien von ihr gesondert betrachtet worden und bedeuteten nicht eine organische Erkrankung von Krankheitswert mit wiederkehrenden Charakter, so dass auch hier keine negative Gesundheitsprognose für sie anhand der Diagnosen gestellt werden könne. Aus arbeitsmedizinischer Sicht hätten am 18.04.2008, also zum Kündigungszeitpunkt wie auch am 15.12.2008, dem Untersuchungszeitpunkt keine gesundheitlichen Bedenken gegen den vollschichtigen Einsatz der Klägerin an ihrem bisherigen Arbeitsplatz als Krankenpflegehelferin in der Psychiatrie mit körperlich leichter Tätigkeit im Sitzen, Stehen und Gehen im Wechsel bestanden.
Soweit die Beklagte mit ihrer Berufung Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten erhoben hat, greifen diese nicht durch.
Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang ausführt, auch in einer psychiatrischen Station müsse vermehrt Grundpflege an immobilen Patienten geleistet werden, ist nicht nachvollziehbar, von welchen konkreten Belastungen zum Kündigungszeitpunkt aus Sicht der Beklagten ausgegangen werden soll. Insoweit hätte die darlegungspflichtige Beklagte den Umfang und Inhalt der Tätigkeit der Klägerin und die hiermit verbundenen Belastungen konkret benennen müssen. Erst dann hätte auch die Befragung der gerichtlich bestellten Gutachterin hinsichtlich der von ihr zugrunde gelegten Belastung einen Sinn gemacht.
Welchen körperlichen Belastungen die Klägerin zum Kündigungszeitpunkt ausgesetzt war, ergibt sich im Übrigen auch nicht aus der arbeitsmedizinischen Stellungnahme von
Dr. Y vom 02.05.2009. Auch den Ausführungen des Betriebsarztes in dieser Stellungnahme ist nicht zu entnehmen, welche Belastungen durch "vermehrt Pflegefälle
bzw. immobile Patienten" und "vermehrt Grundpflege" verbunden sein sollen.
Des Weiteren ist auch der sowohl von der Beklagten in der Berufungserwiderung als auch in der arbeitsmedizinischen Stellungnahme von
Dr. Y erhobene Einwand die gerichtliche Gutachterin habe den von der Klägerin behaupteten Zusammenhang von bei ihr aufgetretenen Anpassungsstörungen mit Erschöpfungssyndrom und arbeitsorganisatorischen Maßnahmen nicht hinterfragt, ungerechtfertigt. Denn auf Seite 5 des schriftlichen Sachverständigengutachtens führt die Gutachterin aus, die Klägerin habe die Arbeitsunfähigkeit vom 09.06.2004 bis 11.07.2004 wegen Neurasthenie als Reaktion auf arbeitsorganisatorische Maßnahmen geschildert. Demnach sei Personal der beiden Stationen in der Psychiatrie durcheinander gewürfelt worden; hierbei sei das Personal weder informiert noch gefragt worden. Die neue Leitung habe die zuvor bestehende flexiblere Arbeitsweise verändert. Die Beklagte hat diese arbeitsorganisatorischen Maßnahmen nicht bestritten, so dass deren Zugrundelegung in dem Sachverständigengutachten auch nicht als fehlerhaft einzuschätzen ist.
Unabhängig davon hat die Sachverständige auch ausgeführt, dass keine chronisch wiederkehrenden Erkrankungen festgestellt worden seien und dass es sich bei der wiederholt auftretenden Neurasthenie um eine psychische Störung handele, bei der eine feste Berufstätigkeit mit Aufgaben eher günstig sei für den Verlauf der Beschwerdesymptomatik. Mithin kann - selbst wenn die Ursache für die Erkrankung unberücksichtigt bleibt - eine negative Prognose insoweit nicht gestellt werden.
Soweit im Übrigen der Betriebsarzt der Beklagten Herr
Dr. Y in seiner arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 02.05.2009 rügt, die Gutachterin habe eine sachlich falsche Schilderung des Nachtdiensteinsatzes von der Klägerin übernommen, ist dies nicht nachvollziehbar. Unstreitig hat die Klägerin vor Ausspruch der Kündigung zuletzt zwei Nachtdienste im Monat abgeleistet. Dies hat die Gutachterin, wie sich aus Seite 8 des schriftlichen Gutachtens ergibt, auch entsprechend berücksichtigt. Darauf, ob die Klägerin darüber hinaus während einer Wiedereingliederungsmaßnahme im Jahr 2006 vom Nachtdienst befreit war, kommt es nicht entscheidend an, zumal die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Kündigung maßgeblich für die Gesundheitsprognose sind. Mithin bestand für die Berufungskammer weder ein Anlass noch eine Grundlage für eine mündliche Befragung der Sachverständigen
Dr. med. Z. Vielmehr war aufgrund des vorliegenden Akteninhalts ohne Weiteres davon auszugehen, dass zum Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose nicht gestellt werden konnte und allein daher schon die ordentliche Kündigung vom 18.04.2008 nicht rechtswirksam geworden ist.
B. Das Arbeitsgericht hat des Weiteren die Beklagte zu Recht verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Krankenpflegehelferin weiterzubeschäftigen.
Im Hinblick auf die wechselseitige Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien im Falle einer Kündigung vertritt das Bundesarbeitsgericht seit der Entscheidung des Großen Senates vom 27.02.1985 (= EzA § 611
BGB Beschäftigungspflicht
Nr. 9). in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der aus §§ 611, 613
BGB i. V. m. § 242
BGB abgeleitete Beschäftigungsanspruch, der für die Dauer des Arbeitsverhältnisses gegeben ist, grundsätzlich auch für die Dauer eines Kündigungsschutzprozesses bestehen muss, wenn die umstrittene Kündigung des Arbeitgebers unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis deshalb auch während des Kündigungsschutzprozesses fortbesteht. Die Ungewissheit über die Wirksamkeit der Kündigung und damit den Prozessausgang begründet aber zunächst ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers, den gekündigten Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses nicht zu beschäftigen. Die Interessenlage ändert sich aber, wenn im Kündigungsschutzprozess ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht, das die Unwirksamkeit der Kündigung und damit den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses feststellt, ohne damit an der objektiven Rechtslage etwas zu ändern, weil es sich nicht um ein Gestaltungsurteil handelt. Die Ungewissheit des endgültigen Prozessausgangs bildet in diesem Fall für sich allein kein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung mehr, es sei denn es lägen zusätzliche Umstände vor, die im Einzelfall trotzdem ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergeben würden.
Wendet man diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf den vorliegenden Fall an, so ist zunächst festzustellen, dass durch die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 18.04.2008 ein überwiegendes Interesse der Klägerin an einer Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits entstanden ist. Besondere Umstände, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstünden, sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97
Abs. 1
ZPO zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision fehlte es unter Beachtung von § 72
Abs. 2
ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.