Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf den Erhalt der tenorierten Leistungen.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens schließlich ab mit der Begründung, die Gewährung eines Gründungszuschusses sei zu versagen, weil aufgrund der gesundheitlichen Verfassung der Klägerin - sie leidet an einer Aufmerksamkeits - Defizit - Hyperaktivitäts - Störung (ADHS) - prognostisch nicht mit einem dauerhaft erfolgreichen Bestreiten einer selbstständigen beruflichen Existenz gerechnet werden könne (Bescheid vom 5.9.2017, Widerspruchsbescheid vom 17.7.2019).
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe schon ihr Begehren verkannt. Sie habe keinen Gründungszuschuss beantragt, sondern die Finanzierung einer Vorgründungsberatung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Nur eine selbstständige Tätigkeit ermögliche ihr, unter Wahrnehmung ihrer Stärken und Schwächen selbstgesteuert produktiv am Erwerbsleben teilnehmen zu können.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheids vom 5.9.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.7.2019 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Gestalt der Finanzierung einer Vorgründungsberatung inklusive Übergangsgeld für den Aufbau eines Online-Sanitätsshops für psychisch erkrankte Menschen zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Einlassungen aus dem Vorverfahren entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die jeweils Gegenstände der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die Klage hat Erfolg. Sie ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrten Leistungen.
Die Voraussetzungen, unter denen nicht nur ein Gründungszuschuss, sondern auch der von der Klägerin begehrte Aufwand einer Vorgründungsberatung erbracht werden können, sind der Klägerin in den angegriffenen Bescheiden zutreffend dargelegt worden; unter Hinweis auf die inzwischen vorgenommenen Änderungen des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben finden sich jetzt in
§ 49 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - verweist die Kammer im Übrigen inhaltlich auf das in den Bescheiden Ausgeführte.
Die Kammer ist ebenso wie die Beklagte der Überzeugung, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Beruf Drehbuchautoren erheblich gefährdet beziehungsweise gemindert ist und daher dem Grunde nach ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben besteht.
Die Kammer ist ferner der Überzeugung, dass die von der Klägerin begehrte Förderung einer Vorgründungsberatung als Aktivierungsleistung nach § 49
Abs. 3
Nr. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch durchaus geeignet ist, die Klägerin dauerhaft beruflich einzugliedern. Die Kammer sieht hier eine günstige individuelle Prognose. Diese Überzeugung schöpft die Kammer aus dem Inbegriff des von der Klägerin nach intensiver Erörterung und Befragung von diesem gewonnenen unmittelbaren Eindruck in der mündlichen Verhandlung.
Demnach verfügt die Klägerin über ein ausreichendes Maß an Kompetenz, ihre eigenen leidensbedingten Inkompetenzen zu identifizieren und ihnen nach Kräften erfolgreich entgegenzuwirken. Die Klägerin war in der für sie durchaus anstrengenden Verhandlungsatmosphäre jederzeit in der Lage, sachgerecht und konstruktiv an der Verhandlung teilzunehmen, für ihre Interessen einzutreten und auch deutlichen Stress auszuhalten; sie hat erkennbar Situationen, in denen ihr eine leidensbedingte Aufmerksamkeitseinbuße oder eine Reizüberflutung drohte, frühzeitig präventiv identifiziert und durch geeignete Maßnahmen der Selbstkontrolle und Selbststeuerung ausreichend eingehegt. Auch ihre aktenkundigen sportlichen Erfolge im Karate bestätigen diesen Befund, weil diese Sportart ein Höchstmaß an Realitätssinn und Impulskontrolle verlangt.
Die Klägerin hat zur Überzeugung der Kammer vollends nachvollziehbar dargelegt, dass die von ihr in der mündlichen Verhandlung gezeigte Selbststeuerung auf der Notwendigkeit basiere, ein Gefühl von freiem Umgang mit der Situation und der Zeit zu haben, so dass bei einer Einbindung in einen fremdgesteuerten Betriebsablauf mit Geltung des Direktionsrechts des Arbeitgebers und Sollvorgaben an die erwartete Arbeitsmenge in vorgegebener Arbeitszeit, also der klassischen nichtselbstständigen Erwerbstätigkeit, diese von der Klägerin erarbeitete Autonomie dem Leiden gegenüber nicht dauerhaft würde bestehen können. Die Kammer ist in Anbetracht ihrer Wahrnehmung von der individuellen Situation der Klägerin zu der Überzeugung gelangt, dass eine berufliche Wiedereingliederung der Klägerin durchaus mit einer Priorität auf selbstständiger Tätigkeit erfolgen sollte.
Nicht zu folgen vermag die Kammer insoweit den Einlassungen des im Verwaltungsverfahren sachverständig gehörten
Dr. S. Hier vermisst die Kammer eine hinreichend tiefe und substantiierte Exploration und Auseinandersetzung mit der konkreten Verfasstheit der Klägerin und ihren schon in der mündlichen Verhandlung erkennbar gewordenen situativen Kompetenzen. Die Kammer sieht den Schwerpunkt der Einlassungen des
Dr. S. in der Wiedergabe abstrakt gefasster Lehrmeinung; dies kann jedoch nicht die konkrete Würdigung des Einzelfalls ersetzen.
Die Erörterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen etwaiger Lehrgangskosten in der mündlichen Verhandlung ergab keine Anhaltspunkte einer unwirtschaftlichen Mittelverwendung zu Lasten der Beklagten, so dass die Kammer abschließend keinen Grund sieht, warum hier nicht über die Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts der Klägerin aus
§ 8 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch ein etwaig verbleibendes (Rest-) Auswahlermessen der Beklagten, die keinen konkreten Gegenvorschlag einer Maßnahme unterbreitet hat, vergleiche Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.12.2018 -
L 8 R 4195/18 ER-B, das ein Auswahlermessen nur annimmt, wenn gegenüber dem geeigneten Wunsch des Versicherten ein abweichender, ebenfalls geeigneter konkreter Gegenvorschlag des Trägers der Rehabilitationsleistung unterbreitet worden ist, nicht vollends auf null reduziert werden sollte, was die Kammer schlussendlich für vorliegend sachgerecht hält.
Der Ausspruch zum Übergangsgeld folgt aus
§ 64 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183,193 Sozialgerichtsgesetz.