Urteil
Kein Anspruch auf höhere Kraftfahrzeughilfe

Gericht:

LSG Niedersachsen-Bremen


Aktenzeichen:

L 7 AL 322/03 ER


Urteil vom:

02.09.2003


Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

I.

Die Antragstellerin beansprucht im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eine höhere Kraftfahrzeughilfe.

Bei der am 18. April 1980 geborenen Antragstellerin besteht eine Lähmung unterhalb des 12. Brustwirbels bei offenem Rückenkanal und neurogener Harnblasen- und Mastdarmlähmung. Sie ist dauerhaft auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen. Trotz wiederholter operativer Maßnahmen entstehen immer wieder Druckgeschwüre im Gesäßbereich.

Ab 1. September 1998 nahm die Antragstellerin an einer Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation, später Bürokauffrau in der Malteser-Werke GmbH in F. teil. Die Ausbildung musste sie krankheitsbedingt am 31. August 2001 abbrechen. Am 18. März 2002 setzt die Antragstellerin ihre Ausbildung im Berufsbildungswerk Bremen GmbH fort, die sie voraussichtlich im Juli 2004 abschließen wird. Die Antragsgegnerin fördert die Teilnahme mit der Gewährung von Übergangsgeld in Höhe von 761,10 EUR. Die Antragstellerin erhält zusätzlich Wohngeld. Sie verfügt über einen Führerschein, nicht jedoch einen PKW.

Auf einen ersten Antrag auf Kraftfahrzeughilfe bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Bescheid vom 19. November 1998/Widerspruchsbescheid vom 26. April 1999 einen Zuschuss für die Beschaffung eines Kraftfahrzeuges bis zu einem Betrag in Höhe von 18.000,00 DM sowie die behinderungsbedingte Zusatzausstattung (insgesamt 42.071,82 DM). Auch auf den zweiten Antrag vom 20. Februar 2001 bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 8. Mai 2001 einen Zuschuss in Höhe von 48.293,37 DM, der für die Beschaffung eines behindertengerechten Fahrzeuges höchstens einen Betrag von 18.000,00 DM beinhaltete. Hiergegen legte die Antragstellerin erneut Widerspruch mit der Begründung ein, es müsse eine vollständige Förderung des Basisfahrzeuges, nach dem Kostenvoranschlag vom 25. Februar 2001 in Höhe von 31.192,11 DM für einen Golf IV 1. 9 TDI, 66 kW, Diesel, übernommen werden. Der Widerspruch blieb erfolglos ( Widerspruchsbescheid vom 22. August 2001). Die Stadt F. lehnte mit Bescheid vom 12. Februar 2002 die Übernahme des Eigenanteils bei Anschaffung des PKW ab.

Am 10. September 2002 beantragte die Antragstellerin, ihr zur Finanzierung eines behindertengerechten Fahrzeuges eine einmalige Beihilfe zu gewähren und den Ablehnungsbescheid nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zu überprüfen. Mit Bescheid vom 2. Dezember 2002 lehnte die Antragsgegnerin die Rücknahme des Bescheides vom 8. Mai 2001 ab, weil für die Beschaffung eines behindertengerechten Kraftfahrzeuges höchstens ein Zuschuss von jetzt 9.500,00 EUR in Betracht komme und der Förderungszweck mit einem Kraftfahrzeug bis zur unteren Mittelklasse (Golf-Klasse) in der Limousinenausführung erreicht werden könne. Ergänzend zu dem Bescheid vom 8. Mai 2001 nahm sie die Auflage auf, dass der Bescheid mit Ablauf des 30. April 2003 seine Gültigkeit verliere. Mit weiterem Bescheid vom 2. Dezember 2002 lehnte sie für die Dauer der Ausbildungsmaßnahme vom 18. März 2002 bis voraussichtlich 31. Juli 2004 die Beschaffung eines Kraftfahrzeuges ab und bewilligte statt dessen Kostenerstattung für die Familienheimfahrten für einen Beförderungsdienst (Taxe) in voller Höhe, da dies im Vergleich zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges wirtschaftlicher sei. Gegen beide Bescheide legte die Antragstellerin Widerspruch ein und fügte eine Bestätigung der G., vom 13. Dezember 2002 bei, dass das preisgünstigste Fahrzeug, in dem die notwendige Umrüstung vorgenommen werden könne, bei 11.160,00 EUR für einen VW Polo liege, wenn jedoch Platz für einen zweiten Rollstuhl im Kofferraum benötigt werde, sei das sinnvollere Basisfahrzeug ein VW Golf IV Variant ( ca. 16.650,00 EUR). Die Antragsgegnerin holte eine Stellungnahme des Arztes für Innere Medizin H., Arbeitsamt F., vom 24. März 2003 ein und wies mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 2003 den Widerspruch gegen den Überprüfungsantrag mit der Begründung zurück, der Transport von zwei Rollstühlen sei behinderungsbedingt nicht erforderlich. Über den zweiten Widerspruch ist bisher, soweit ersichtlich, nicht entschieden.

Die Antragstellerin hat am 30. April 2003 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 2. April 2003 erhoben und gleichzeitig im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr zur Finanzierung eines behindertengerechten Kraftfahrzeuges eine einmalige Beihilfe zu bewilligen. Das SG hat den Eilantrag mit Beschluss vom 23. Mai 2003 mit der Begründung abgelehnt, dass ein Anordnungsgrund nicht erkennbar sei, da im Rahmen der Bildungsmaßnahme keine Notwendigkeit zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges bestehe; für Förderungsleistungen für den privaten Bereich sei die Antragsgegnerin nicht zuständig.

Gegen den am 27. Mai 2003 zugestellten Beschluss führt die Antragstellerin am 23. Juni 2003 Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat. Sie trägt vor, sie benötige die Beihilfe dringend, um sich eine selbständige Wohnform außerhalb des Internats aufzubauen. Es sei zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin für Eingliederungshilfebedarf der behinderten Menschen in Vorleistung treten müsse.

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

1. den Beschluss des SG Oldenburg vom 23. Mai 2003 - Aktenzeichen S 41 AL 227/03 ER - aufzuheben,

2. die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr zur Finanzierung eines behindertengerechten Kraftfahrzeuges eine einmalige Beihilfe zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den Beschluss für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakten Bezug genommen. Neben der Prozessakte haben die die Antragstellerin betreffenden Reha-Akten vorgelegen.

Rechtsweg:

SG Oldenburg, Urteil vom 23.05.2003 - S 41 AL 227/03 ER

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

II.

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes war gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG als Regelungsanordnung zulässig, das SG hat den Antrag jedoch zu Recht abgelehnt.

Die Antragstellerin hat zurzeit weder aus dem - zeitlich bis 30. April 2003 - befristeten Bewilligungsbescheid vom 8. Mai 2001 noch aus dem Ablehnungsbescheid vom 2. Dezember 2002 Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe dem Grunde nach. Ihrem Begehren kann daher allein mit der ausdrücklich nur beantragten einmaligen Beihilfe nicht entsprochen werden. Ihr Antrag ist dahin auszulegen, dass sie darüber hinaus entweder einen Zuschuss zur Beschaffung des PKW und die Kosten für die behinderungsbedingte Zusatzausstattung begehrt (1.) oder sich gegen die Befristung des Bewilligungsbescheides vom 8. Mai 2001/ 2. Dezember 2002 wendet (2.).

Nach § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie der Anordnungsgrund - die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 SGG, § 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Es fehlt bereits an der Glaubhaftmachung der Antragstellerin, dass ein Abwarten der Entscheidung der Hauptsache unzumutbar ist. Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bewilligung der Kraftfahrzeughilfe im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes würde eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten. Dies wäre aus Gründen effektiven Rechtsschutzes nur dann zulässig, wenn der Antragstellerin ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung unzumutbare Nachteile drohten, z.B. Rechtsschutz sonst nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre. Da die Anschaffung eines behindertengerechten PKW auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist, sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

Die Antragstellerin hat zudem nicht das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht.

1. Die von der Antragstellerin ausdrücklich begehrte Kraftfahrzeughilfe kommt nur im Rahmen der Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben nach § 97 ff., 103 Nr. 3, 109 Abs. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) und der Verordnung über die Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation (KfzHV) in Betracht. Nach § 3 KfzHV setzen diese Leistungen voraus, dass der behinderte Mensch infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist, um seinen Arbeits- oder Ausbildungsort oder den Ort einer sonstigen Leistung der beruflichen Bildung zu erreichen. Die Beurteilung richtet sich nach dem im konkreten Fall zurückzulegenden Weg, und es ist stets zu prüfen, ob das Fahrziel auf eine kostengünstigere und zumutbare Weise erreicht werden kann (Niesel, SGB III, 2. Auflage 2002 § 109 Rz 7). Da die Antragstellerin internatsmäßig untergebracht ist, benötigt sie zum Erreichen des Ausbildungsortes in Bremen kein Kraftfahrzeug. Ob Kfz-Hilfe für Familienheimfahrten gewährt werden könnte, kann dahinstehen. Jedenfalls kann die Antragsgegnerin nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KfzHV anstelle von Kfz-Hilfen die Übernahme der Beförderungskosten leisten, wenn dies wirtschaftlicher und für den behinderten Menschen zumutbar ist. Diese Voraussetzungen sind bei einer Beförderung durch Taxen gegeben. Das Bestreben der Antragstellerin, ihre Wohnung außerhalb des Internats regelmäßig aufsuchen zu können, ist verständlich. Ob damit eine Internatsunterbringung nicht mehr erforderlich ist, ist zweifelhaft, weil die Antragstellerin nach der Bescheinigung ihres Hausarztes Pausen in liegender Position und zur Unterhaltshygiene benötigt. Jedenfalls ist eine Internatsunterbringung nicht unzumutbar. Andere Gründe als die Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben rechtfertigen aber, wie ausgeführt, die Gewährung von Kfz-Hilfe nicht. Den Antrag auf Gewährung von Kfz-Hilfe dürfte die Antragsgegnerin damit mit Bescheid vom 2. Dezember 2002 zu Recht abgelehnt haben, so dass ihr erst Recht keine höhere Beihilfe gewährt werden kann.

2. Ob die Überprüfung der teilweisen Ablehnung des früheren Antrages vom 20. Februar 2001 mit Bescheid vom 8. Mai 2001 zu Recht von der Antragsgegnerin dahin vorgenommen wurde, die Bezuschussung des Basisfahrzeuges mit 9. 500,00 EUR zu fördern, wenn das Fahrzeug bis zum 30. April 2003 angeschafft würde (Bescheid vom 2. Dezember 2002) kann dahinstehen. Durch den Abbruch der Ausbildung zum 31. August 2001 hatte sich der Verwaltungsakt vom 8. Mai 2001 zunächst erledigt. Mit seinem Antrag auf Kfz-Hilfe wirkt der Versicherte hinsichtlich des zu befriedigenden Bedarfs insofern mit, als er die Zwecksetzung konkretisiert, der das Kfz zu dienen bestimmt ist, also mit dem der Arbeits- oder Ausbildungsort oder der Ort der sonstigen Maßnahme der beruflichen Bildung i.S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV zu erreichen ist (BSG, Urteil vom 29. April 1997 - Az 8 RKn 31/95 -). Hinsichtlich des am 20. Februar 2001 gestellten Antrags auf Kfz-Hilfe ergibt sich mithin, dass die Antragstellerin die Anschaffung eines Kfz zu bezuschussen beanspruchte, um ihren Ausbildungsort in Oldenburg zu erreichen ( vgl. Antragsformular vom 20. Februar 2001). Ein solcher Bedarf besteht seit Abbruch der Maßnahme nicht mehr. Zwar hat die Antragsgegnerin mit dem Bescheid vom 2. Dezember 2002 - erneut - eine Förderung zugesagt, diese jedoch nur befristet gewährt, was - da zu diesem Zeitpunkt eine Förderung überhaupt nicht mehr in Betracht kam - nicht zu beanstanden sein dürfte. Da auch die Befristung inzwischen abgelaufen ist, käme im Hauptsacheverfahren allenfalls eine Feststellungsklage in Betracht. Auf die Bewilligung höherer Leistungen besteht kein Anspruch.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Referenznummer:

R/R2526


Informationsstand: 11.09.2006