Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die am ...1953 geborene Klägerin absolvierte nach dem Abschluss der 8. Klasse vom 01.09.1969 bis 31.08.1972 eine Ausbildung zur Köchin und erwarb den Facharbeiterabschluss. Anschließend war sie bis 20.02.1978 im erlernten Beruf tätig. Aus persönlichen Gründen gab sie diesen auf und war vom 01.07.1979 bis 30.06.1992 als Gärtnergehilfin/Erntehelferin und vom 06.10.1993 bis 05.10.1994 als Landschaftsgestalterin im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) beschäftigt.
Die Klägerin ist weder im Besitz eines Führerscheins noch eines PKW.
Sie stürzte am 21.10.1996 im häuslichen Bereich und zog sich eine komplette Unterschenkelfraktur links zu. Noch am Unfalltag erfolgte die operative Versorgung mittels Verriegelungsnagelung. Seit dem Unfallgeschehen klagt sie über lumbale Ruhe- und Belastungsschmerzen, rezidivierende akute Schmerzattacken mit Missempfindungen und Ausstrahlung in das linke Bein einschließlich Taubheitsgefühl im Unterschenkel und Hitzegefühl im Knie. Abends seien der Unterschenkel links und der Fuß deutlich angeschwollen. Seit dem Unfall hätten sich Atralgien und Bewegungseinschränkungen der linken Hüfte, der Kniegelenke, des linken Sprunggelenks und der Füße mit Fehlstellungen und mit rezidivierenden Schwellungen verstärkt.
Der Klägerin wurde aufgrund der Funktionseinschränkungen des linken Beins mit Bescheid des Amtes für Familie und Soziales Leipzig vom 19.11.2002 ein
GdB von 50 anerkannt.
Den am 11.09.2001 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung begründete die Klägerin mit dem Beinbruch.
Im Verwaltungsverfahren lagen der Beklagten vor: - das für das Arbeitsamt Delitzsch am 21.10.1997 vom Arbeitsmediziner
Dr. L1 ... erstellte Gutachten, in dem bei Belastbarkeitsminderung des linken Beins (Fehlstellung nach Beinbruch), Bluthochdruck und Übergewicht ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen unter Meidung von Arbeiten unter erhöhter Verletzungsgefahr, häufigem Bücken, Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über 5
kg sowie Gerüst- und Leiterarbeiten bescheinigt wurde; - der Befundbericht des Orthopäden B1 ... vom 04.10.2001; - das von
Dr. S1 ... am 02.01.2002 nach Untersuchung am selben Tag erstellte Gutachten, in dem dieser bei beginnender Gonarthrose und Chondropathia patellae links nach distaler Unterschenkelfraktur links in leichter Fehlstellung verheilt ohne wesentliche Funktionsdefizite, Lymphrückflussstörung im linken Unterschenkel und Adipositas eine Leistungsfähigkeit für Gärtnerarbeiten von unter drei Stunden täglich und für leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten eine mindestens sechsstündige Leistungsfähigkeit bescheinigte. Als Köchin sei die Klägerin nicht mehr einsetzbar. Der Gang mit der Unterarm-Stütze links sei limitiert und sollte 500 bis 1000 m nicht überschreiten. Die Klägerin habe angegeben, die Gehleistung betrage
ca. 5 bis 10 Minuten am Stück, danach müsse sie eine Pause einlegen. Nach längerem Sitzen sei das Wieder-in-Gang-Kommen schmerzhaft und bedürfe einer gewissen Anlaufphase.
Die Beklagte lehnte unter Verweis auf ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen als Arbeiterin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Bescheid vom 09.01.2002 die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin vom 28.01.2002 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2002 zurück. Die nach ihrem beruflichen Werdegang der Berufsgruppe des angelernten Arbeiters im unteren Bereich zuzuordnende Klägerin könne mit den gesundheitlichen Einschränkungen zwar nicht mehr im bisherigen Beruf als Gärtnergehilfin tätig sein, werde jedoch für fähig erachtet, mindestens sechs Stunden täglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuführen.
Auf die am 13.06.2002 erhobene Klage, in der die Klägerin eine aufgehobene Wegefähigkeit wegen des komplizierten Bruchs des Unterschenkels bekundet, hat das Sozialgericht Leipzig (SG) Befundberichte des Allgemeinmediziners S2 ... vom 06.10.2002 (nachdem auf seinem Fachgebiet das Leistungsvermögen nicht wesentlich eingeschränkt sei, jedoch die Beschwerden aufgrund der Unterschenkelfraktur auf orthopädischem Fachgebiet zu beachten seien) und 16.10.2003, des Orthopäden B1 ... vom 08.10.2002 und 03.02.2003 sowie Arztbriefe des Städtischen Klinikums "S ..." L ... eingeholt sowie die Orthopädin
Dr. C1 ... mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Diese hat im Gutachten vom 13.05.2003 aufgrund der Untersuchung am 31.03.2003 bei der Klägerin folgende Diagnosen gestellt: knöchern konsolidierte komplette Unterschenkelfraktur und Zustand nach osteosynthetischer Versorgung am 21.10.1996, Osteosynthesematerialentfernung 1997, in Fehlstellung verheilte Tibia, posttraumatische Synostose zwischen Tibia und Fibula mit nachfolgend verminderter Beweglichkeit, Beckenschiefstand zu Ungunsten links von 1,5
cm mit deutlicher Skoliosierung der Wirbelsäule und Beckenverwringung, Gonarthrose links, Chondropathia patellae rechtes Kniegelenk, Metatarsalgie links bei deutlicher Osteopenie und beginnende Fersenspornbildung sowie Adipositas. Es sei noch eine Belastungsfähigkeit für vollschichtig leichte körperliche Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen unter Meidung von Laufen, insbesondere Laufen auf unebenem Gelände, Tätigkeiten im Freien, auf Leitern und Gerüsten, Heben und Tragen von schweren und mittelschweren Lasten und Längsstauchung der Wirbelsäule gegeben. Die Klägerin sei lediglich in der Lage, zweimal täglich
max. 500 m zurückzulegen. Die Benutzung eines PKW s oder öffentlichen Verkehrsmittels sei nicht beschränkt. Der Gesundheitszustand bestehe seit Oktober 1996. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21.08.2003 hat die Sachverständige ausgeführt, bei der Klägerin sei keine vollständige Streckung der Kniegelenke möglich. Zu der angeborenen Beinlängenverkürzung trete folglich eine zusätzliche Beinlängenverkürzung, die sich deutlich auf die Gehfähigkeit und nachteilig auf die Arthrosebildung in den Knie-, Hüft- und Sprunggelenken auswirke.
Dipl.-Med. B2 ..., Sozialmedizinischer Dienst der Beklagten, hat in seiner Stellungnahme vom 17.03.2003 die Auffassung von
Dr. C1 ..., die Klägerin sei zwar in der Lage 500 m zurückzulegen, mit einer viermaligen Streckenbewältigung jedoch überfordert, geteilt.
Am 09.03.2004 hat die Beklagte folgendes Vergleichsangebot unterbreitet: "1. Wir sind bereit, den Eintritt der vollen Erwerbsminderung am 31.03.2003 anzuerkennen und Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen vom 01.10.2003 bis 31.03.2004 zu gewähren. 2. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit in vollem Umfang für erledigt." Das Vergleichsangebot hat die Klägerin nicht angenommen. Mit Bescheid vom 08.03.2004 hat die Beklagte der Klägerin zugleich für den Fall der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses "Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach der Kraftfahrzeug-Hilfe-Verordnung -
KfzHV - (Zuschüsse zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges -
Kfz - oder zur Erlangung der Fahrerlaubnis, Übernahme der Kosten für eine behindertengerechte Zusatzausstattung)" gewährt. Im Einzelnen heißt es im Bescheid vom 08.03.2004 "Wir erklären uns bereit, Ihnen im Falle der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach der
KfzHV - (Zuschüsse zur Beschaffung eines
Kfz oder zur Erlangung einer Fahrerlaubnis, Übernahme der Kosten für eine behindertenbedingte Zusatzausstattung) unter Berücksichtigung gegebenenfalls bei einzelnen Leistungen zu beachtenden Einkommensgrenzen zu gewähren. Es kann auch ein Zuschuss für Ihre Beförderung, insbesondere durch Beförderungsdienste, geleistet werden, wenn Sie ein
Kfz nicht selbst führen können und auch nicht gewährleistet ist, dass ein Dritter das
Kfz für Sie führt, oder die Übernahme der Beförderungskosten anstelle von
Kfz-Hilfe wirtschaftlicher und für Sie zumutbar ist. Ein Zuschuss zu den Beförderungskosten wird auch gewährt, wenn Sie Wege, die Ihnen aufgrund der Behinderung nicht zumutbar sind, zur Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses (
z.B. Vorstellungsgespräch) zurücklegen müssen. Unter den gleichen Voraussetzungen werden wir Ihnen auch Leistungen nach der
KfzHV gewähren, wenn Sie mit einer beruflichen Qualifizierung,
z.B. in Form einer beruflichen Anpassung, Aus- oder Weiterbildung, beginnen. An die Stelle des Arbeitsortes tritt in diesem Fall der Ausbildungsort." Daher ende der Rentenanspruch mit dem 31.03.2004.
Das SG hat mit Urteil vom 17.03.2004, der Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 22.04.2004 zugestellt, den Bescheid der Beklagten vom 09.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ausgehend vom Leistungsfall 11.09.2001 ab dem 01.05.2002 bis 30.04.2005 zu gewähren. Aufgrund der im Gutachten von
Dr. C1 ...ausgewiesenen Wegeunfähigkeit sei die Klägerin voll erwerbsgemindert. Die Wegefähigkeit bestehe trotz Erlasses des Bescheides vom 08.03.2004 fort. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 21.01.2003, Az.:
L 5 RJ 190/01, verwiesen.
Mit ihrer am 10.05.2004 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) seien bezüglich der Wegefähigkeit grundsätzlich alle Möglichkeiten, einen Arbeitsplatz zu erreichen, in Betracht zu ziehen. Eine Möglichkeit der Wiederherstellung der Wegefähigkeit stelle auch die Gewährung von Leistungen nach der
KfzHV dar. Zum Leistungskatalog nach dieser Verordnung zählten neben den Leistungen zur Beschaffung eines
Kfz, für eine behindertengerechte Zusatzausstattung und zur Erlangung einer Fahrerlaubnis auch die Übernahme von Kosten für einen Beförderungsdienst. Allerdings könne das Bestehen eines berufsbedingten Bedarfs nicht beurteilt werden, wenn der behinderte Versicherte weder über einen Ausbildungs- noch einen Arbeitsplatz verfüge. In der Regel werde daher aus diesem Grund der Antrag abzulehnen sein. Sobald jedoch ein Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis angebahnt oder aufgenommen werde oder in Aussicht stehe, sei die ablehnende Entscheidung unter Umständen nicht mehr sachgerecht. Im vorliegenden Verfahren sei nun zu prüfen, ob eine Rentenzahlung durch die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe vermieden oder vermindert werden könne. Mit Bescheid vom 08.03.2004 habe die Beklagte daher ein Angebot zur Gewährung von Leistungen nach der
KfzHV in Form einer Zusicherung gewährt.
Der behandelnde Orthopäde B1 ... hat in seiner Stellungnahme vom 12.07.2004 die Einschätzung von
Dr. C1 ... bzgl. der Wegefähigkeit geteilt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 17.03.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen
und
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.03.2005 zu leisten ist.
Die Klägerin hat bezüglich der Festlegung des Rentenzeitraums Anschlussberufung eingelegt und die Festsetzung auf den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.03.2004 begehrt. Im Übrigen hält sie das angegriffene Urteil für zutreffend.
Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten (§ 151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 17.03.2004 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2002 und des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2002 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Allerdings war das Urteil des SG entsprechend von der Klägerin gestellten Antrages bezüglich des Zeitraums der Rentengewährung abzuändern.
Der Klägerin steht seit dem 01.04.2002 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43
Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (neue Fassung - n.F.) zu. Die Anwendung von § 43
SGB VI n.F. resultiert aus der Antragstellung am 11.09.2001. Die Anspruchsvoraussetzungen für die genannte Rentenleistung liegen seit Rentenantragstellung am 11.09.2001 vor. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt.
Die Klägerin ist auch seit Rentenantragstellung voll erwerbsgemindert. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43
Abs. 2 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist gemäß § 43
Abs. 3
SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Versicherte können dabei grundsätzlich pauschal auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, wenn sie noch in der Lage sind, körperlich leichte Tätigkeiten im genannten Stundenumfang auszuüben. Die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist bei ihnen angesichts der Vielzahl der auf dem Arbeitsmarkt vorhandenen angelernten und ungelernten Tätigkeiten körperlich leichter Art entbehrlich.
Die Klägerin war ausweislich des von
Dr. C1 ... am 13.05.2003 erstatteten Gutachtens ab Rentenantragstellung noch in der Lage, vollschichtig leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend sitzend unter Meidung von Laufen, insbesondere auf unebenem Gelände, von Tätigkeiten im Freien, auf Leitern und Gerüsten, sowie solchen, die mit Heben und Tragen schwerer oder mittelschwerer Lasten oder einer Längsstauchung der Wirbelsäule verbunden sind, auszuführen.
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung lag nicht vor. Eine solche ist gegeben, wenn es sich um eine auf eine spezielle Körperfunktion oder Erkrankung bezogene erhebliche Behinderung handelt, die sich entsprechend stark auf das Leistungsvermögen auswirkt (Spiolek, NZS 1997
S. 415). Eine solche Behinderung hat das
BSG u.a. bei Einarmigkeit (
BSG, Urteil vom 14.09.1995, Az.:
5 RJ 50/94) angenommen. Bezüglich einer Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit/Beweglichkeit der Beine hat das
BSG bisher lediglich entschieden, dass eine Amputation des linken Unterschenkels nicht ausreicht, um eine Benennungspflicht hervorzurufen (
BSG, Urteil vom 22.02.1989, Az.: 5/5b RJ 66/87, SozSich 1990
S. 96). Auch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeschränkungen war nicht gegeben (
vgl. BSG, Urteil vom 10.03.1982, Az.: 5b RJ 70/81).
Gleichwohl ist die Klägerin ab Rentenantragstellung voll erwerbsgemindert, weil ihr der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist. Der Arbeitsmarkt gilt als verschlossen, wenn der Weg zur Arbeitsstelle nicht zurückgelegt werden kann. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können (
BSG SozR 2200 § 1247
Nr. 47, 50; 53, 56). Volle Erwerbsminderung kann nach der Rechtsprechung des
BSG (SozR 2200 § 1247
Nr. 56) grundsätzlich angenommen werden, wenn 1. nur noch eine Gehfähigkeit vorhanden ist, die
max. 500 m Wegstrecke zulässt, oder der Versicherte nicht in der Lage ist, viermal täglich eine Wegstrecke von mehr als 500 m in jeweils weniger als 20 Minuten zurückzulegen; 2. der Versicherte keinen Arbeitsplatz inne hat und einen solchen auch nicht mit Hilfe eines
Kfz erreichen kann und 3. der Rentenversicherungsträger diesbezüglich keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (früher: Leistungen zur beruflichen Rehabilitation) anbietet (
BSG, Urteil vom 21.02.1989, Breithaupt 1990
S. 141; Niesel, in: KassKomm, Rn. 43 zu § 43
SGB VI).
Die Klägerin ist nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von
Dr. C1 ... nicht mehr in der Lage, die Wegstrecke von mehr als 500 m viermal täglich zurückzulegen. Nach dem genannten Gutachten ist sie aufgrund der bei ihr bestehenden Gesundheitseinschränkungen lediglich fähig, zweimal täglich diese Strecke zu bewältigen. Die Auffassung teilt auch die Beklagte.
Im Vordergrund der Gesundheitsstörungen stehen die knöchern konsolidierte komplette Unterschenkelfraktur, die in Fehlstellung verheilte Tibia, die posttraumatische Synostose zwischen Tibia und Fibula mit daraus resultierender eingeschränkter Beweglichkeit, der Beckenschiefstand, die Gonarthrose links und die Chondropathia rechts sowie die Metatarsalgie links bei deutlicher Osteopenie. Bei der Klägerin ist keine volle Strek-kung der Kniegelenke möglich. Zu der angeborenen Beinlängenverkürzung tritt eine unfallbedingte weitere Beinlängenverkürzung hinzu, die sich erheblich auf die Gehfähigkeit auswirkt.
Eine abweichende Beurteilung des Gehvermögens erfolgte auch nicht in den von
Dr. L1 ... und
Dr. S1 ... erstellten Gutachten. Während
Dr. L1 ... keine Aussage zur Wegefähigkeit traf, hat
Dr. S1 ... eingeschätzt, der Gang sei mit Unterarmstütze limitiert und betrage 500 bis 1000 m. Insoweit stimmt die Einschätzung mit der von
Dr. C1 ... überein.
Dr. S1 ... hat hingegen nicht zur Frage Stellung genommen, ob die Klägerin viermal täglich diesen Weg zurücklegen kann. Der behandelnde Orthopäde B1 ... hat sich in seiner Stellungnahme vom 16.07.2004 der Beurteilung von
Dr. C1 ... angeschlossen.
Die Klägerin hat auch keinen Arbeitsplatz inne. Sie kann einen solchen auch nicht mit Hilfe eines
Kfz s erreichen, weil sie weder im Besitz einer Fahrerlaubnis noch eines
Kfz s ist.
Vom Rentenversicherungsträger ist ihr auch keine den Rentenanspruch ausschließende Leistung zur Teilhabe angeboten worden. Die mit Bescheid vom 08.03.2004 erklärte Zusicherung der Beklagten wirkt nicht auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung (11.09.2001) zurück. Die Zusicherung entfaltet vor ihrer Bekanntgabe keine rechtlichen Wirkungen (§ 39
Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB X -).
Auch für den Zeitraum nach ihrer Bekanntgabe steht der Klägerin ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu, weil hierdurch eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse nicht eingetreten ist.
Die Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 08.03.2004 keine Leistung zur Teilhabe angeboten, die zum Wegfall des Rentenanspruchs führt. Insbesondere ist die Zusicherung nicht geeignet, die praktische Verschlossenheit des Arbeitsmarktes aufgrund der eingeschränkten Wegefähigkeit zu überwinden und die Klägerin bei Vorhandensein eines ihrem Leistungsvermögen angemessenen Arbeitsplatzes wieder ins Erwerbsleben einzugliedern (
vgl. Sächsisches Landessozialgericht - Sächs.
LSG -, Urteil vom 15.01.2003, Az.:
L 6 RJ 232/02).
Zwar ist nach der Rechtsprechung des
BSG anerkannt, dass eine derartige Änderung eintreten kann, wenn der Rentenversicherungsträger durch geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine ausreichende Mobilität des Versicherten herstellt (
vgl. BSG SozR 3-2600 § 44
Nr. 10). Offen geblieben ist jedoch, wann durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ein Mobilitätsdefizit behoben ist; das
BSG hat sich bisher lediglich geäußert, wann dies nicht der Fall ist. So hat der 5. Senat des
BSG im Urteil vom 19. November 1997 (SozR 3-2600 § 44
Nr. 10) entschieden, dass die Erklärung eines Rentenversicherungsträgers nicht ausreiche, "dass für den Fall der Aufnahme einer Beschäftigung oder des Angebots einer Beschäftigung finanzielle Hilfen zur Anschaffung eines Automatikgetriebeautos dem Grunde nach gewährt werden können, wenn die Arbeitsstätte außerhalb der ihm (d.h. dem Versicherten) zumutbaren Wegstrecke liegt". Denn damit werde zum einen dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" nicht Genüge getan, weil von Gesetzes wegen Rehabilitationsleistungen nicht zur Erhaltung, sondern auch zur Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich der Arbeitsaufnahme möglich seien. Zum anderen werde keine geeignete Rehabilitationsleistung konkret angeboten, weil diese nicht verbindlich bewilligt worden sei, sich der Rentenversicherungsträger vielmehr - wie sich aus der Formulierung "für den Fall ... dem Grunde nach gewährt werden können, wenn ..." ergebe - die endgültige Entscheidung noch vorbehalten habe. Nach dem Urteil des 13. Senats des
BSG vom 14.03.2002 (Az.:
B 13 RJ 25/01 R) vermag ein Bescheid eine ausreichende Mobilität nicht herzustellen, in dem sich ein Rentenversicherungsträger einem Versicherten gegenüber, dessen gesundheitliche Beeinträchtigungen nur noch Fußwege von weniger als 500 m zuließen, zur Gewährung von Leistungen nach der
KfzHV für den Fall bereit erklärte, dass die zu Fuß zurückzulegende Wegstrecke zwischen Wohnung, Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel und dem Arbeits-, Ausbildungs- oder Bewerbungsort länger als 500 m ist. Da ein derartiger Verwaltungsakt von vornherein nicht geeignet sei, das Mobilitätsdefizit zu beheben, könne offen bleiben, ob er auch ansonsten die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Leistungsangebot erfüllt (
vgl. auch Sächs.
LSG, Urteil vom 21.01.2003, Az.:
L 5 RJ 190/01).
Der Beklagten ist zwar darin Recht zu geben, dass ein Rentenversicherungsträger ein Angebot zur Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne der Rechtsprechung des
BSG unabhängig davon abgeben kann, ob der Versicherte zustimmt. Die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ist von der Zustimmung des Versicherten abhängig (
§ 9 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -;
vgl. auch § 115
Abs. 4
SGB VI), jedoch ist nach der o.g. Rechtsprechung des
BSG keine Bewilligung, sondern lediglich - ein von der Zustimmung des Versicherten unabhängiges - hinreichend konkretes Angebot einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich, um den Rentenanspruch zu verhindern.
Die Beklagte hat im Bescheid vom 08.03.2004 Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nach der
KfzHV zugesichert. Sie hat folglich über das "ob" dieser Maßnahme unter einer aufschiebenden Bedingung und unter dem Vorbehalt der "
ggf. bei einzelnen Leistungen zu beachtenden Einkommensgrenze " entschieden. Es kann dahinstehen, ob angesichts des Vorbehaltes ein hinreichend konkretes Angebot überhaupt vorliegen kann. Jedenfalls ist das in § 9
Abs. 2
SGB VI eingeräumte Auswahlermessen lediglich dahingehend ausgeübt worden, dass "Zuschüsse zur Beschaffung eines
Kfz oder zur Erlangung einer Fahrerlaubnis, Übernahme der Kosten für eine behindertenbedingte Zusatzausstattung" gewährt werden.
Dieses Angebot reicht bereits deshalb nicht aus, um die volle Erwerbsminderung zu verhindern, weil lediglich Zuschüsse zur Beschaffung eines PKW oder solche zur Erlangung einer Fahrerlaubnis und für eine behindertengerechte Zusatzausstattung bewilligt wurden. Erst durch die Erbringung von Leistungen zur Beschaffung eines PKW und zur Erlangung einer Fahrerlaubnis ist die Klägerin in der Lage, einen Arbeitsplatz zu erreichen.
Aufgrund der im Bescheid vom 08.04.2003 enthaltenen Erklärung ist die Klägerin ferner nicht in der Lage, zu einem Vorstellungstermin, zu dem sie Wege von abstrakt viermal mehr als 500 m zurücklegen muß, zu erscheinen. Nach der Erklärung im Bescheid "kann" der Klägerin auch ein Zuschuss für die Beförderung, insbesondere durch Beförderungsdienste, geleistet werden, wenn sie ein
Kfz nicht selbst führen kann und auch nicht gewährleistet ist, dass ein Dritter das
Kfz für sie führt, oder die Übernahme der Beförderungskosten anstelle von
Kfz-Hilfe wirtschaftlicher und für sie zumutbar ist. Diesbezüglich ist lediglich die Rechtslage wiedergegeben, ohne ein konkretes Angebot seitens der Beklagten zu unterbreiten.
Aber auch ungeachtet dieser beiden Besonderheiten des vorliegenden Falles stand der Beklagten aufgrund des Bescheides vom 08.03.2004 ein Auswahlermessen bezüglich der der Klägerin konkret zu gewährenden Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes zu. Ein ausreichendes Angebot über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, das einen Rentenanspruch verhindert, liegt erst dann vor, wenn die Beklagte dieses Auswahlermessen ausgeübt hat. Eine Ablehnung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben trotz Vorliegens der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen ist aufgrund von im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigender Gesichtspunkte und des oben erwähnten Vorbehalts nicht ausgeschlossen (
vgl. BSG, Urteil vom 14.12.1994, Az.:
4 RA 42/94, SozR 3-1200 § 39
Nr. 1). Erst durch die Ausübung des Auswahlermessens vermag die Beklagte die Rechtslage in einer Weise zu gestalten, dass von einer Herstellung ausreichender Mobilität die Rede sein kann (
vgl. Sächs.
LSG, Urteil vom 21.01.2003, a.a.O.). Auch weil dieses Auswahlermessen vorliegend nicht ausgeübt wurde, liegt ein hinreichend konkretes Angebot über Leistungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nicht vor (im Ergebnis ebenso: Sächs.
LSG, Urteil vom 15.01.2003, a.a.O.; Sächs.
LSG, Urteil vom 21.01.2003, a.a.O.; a.A. Bayerisches
LSG, Urteil vom 14.05.2002, Az.:
L 19 RJ 216/01). Da die Klägerin nicht in der Lage ist, den Weg zu einem Arbeitsplatz zurückzulegen, steht ihr ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Die volle Erwerbsminderung lag seit Rentenantragstellung (11.09.2001) vor. Weil die Rente wegen der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes aufgrund der fehlenden Wegefähigkeit gewährt wurde, hat das SG sie zu Recht nach Maßgabe des § 102
Abs. 2 Sätze 1 und 2
SGB VI befristet. Allerdings war die Rente gemäß § 101
Abs. 1
SGB VI vom 01.04.2002 bis 31.03.2005 zu gewähren gewesen (
vgl. Niesel, in: KassKomm, Rn. 4 zu § 101
SGB VI).
Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und das Urteil des SG entsprechend dem Begehren der Anschlussberufung abzuändern. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193
SGG. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG).