Leitsatz:
1. Zur Frage eines verschlossenen Arbeitsmarktes bei stark eingeschränkter Gehfähigkeit ( Fortführung und Ergänzung von BSG vom 6.6.1986 5b RJ 52/85 = SozR 2200 § 1247 Nr 47).
Orientierungssatz:
Grenzziehung bei Gehfähigkeit für höchstens 500 m - abstrakte konkrete Betrachtungsweise - verschlossener Arbeitsmarkt für gehbehinderte Vollzeitarbeitskraft - berufsfördernde Maßnahmen - Rehabilitation vor Rente - konkrete Verweisungstätigkeit bei ungelerntem Arbeiter:*
1. Der Grundsatz, daß Versicherten, die noch in vollen Schichten erwerbstätig sein können, ein Umzug zuzumuten ist, sie also in der Regel innerhalb des gesamten Bundesgebietes verweisbar sind, darf nicht dazu führen, jeden in seiner Gehfähigkeit stark eingeschränkten Versicherten an den Ort mit den besten Verkehrsverbindungen zu verweisen. Gewisse Pauschalierungen sind bei der Prüfung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeiten nicht zu vermeiden.
2. Die problematische Fragestellung, ob und gegebenenfalls wie ein stark gehbehinderter Versicherter die verbliebene Arbeitskraft noch nutzen kann, läßt sich nicht vereinfachend unter dem Blickwinkel abstrakter oder konkreter Betrachtungsweise beantworten.
3. Die vordergründig an den konkreten Verkehrsverhältnissen an Orten mit dem dichtesten Netz an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ausgerichtete Verweisung nimmt wegen der jeden Realitätsbezug verlassenden Überzahl theoretischer Bewerber für eine recht beschränkte Zahl von Arbeitsplätzen abstrakte Züge an. Dem will der erkennende Senat mit einer Grenzziehung bei einer Gehfähigkeit, die höchstens Fußwege von 500 m Länge zuläßt, begegnen. Dabei handelt es sich um einen generalisierenden Maßstab, der den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt und für typische Fallgruppen ein gemeinsames Konzept darstellt (vgl BSG vom 28.6.1979 4 RJ 70/78 = SozR 2200 § 1246 Nr 45).
4. Es besteht kein unwiderlegbarer Erfahrungssatz, daß mit einer Gehfähigkeit von 500 m keine Arbeitsplätze von Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel aus erreicht werden können.
5. In den Fußweg einbezogen muß auch die Wegstrecke vom Werkstor zum eigentlichen Arbeitsplatz.
6. Die krankheitsbedingte Einschränkung der Gehfähigkeit auf maximal 500 Meter pro Gehstrecke stellt eine derartig schwere Leistungsbehinderung dar, die die Benennung zumindest einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich macht.
7. Der vom Senat gefundene Grenzwert von 500 m Wegstrecke bietet darüber hinaus einen Anhaltspunkt dafür, wann jedenfalls im Spannungsfeld zwischen Rehabilitation und Rente der Versicherungsträger sich bemühen muß, mit berufsfördernden Maßnahmen dem Versicherten zu helfen, um eine Rentenzahlung abzuwenden.
8. Bei dem Grenzwert von 500 m handelt es sich um eine Hilfe für Versicherungsträger und Tatsachengerichte, die einen realitätsbezogenen Orientierungspunkt für die Anforderungen an die Aufklärung des Sachverhalts bieten soll.
Diese Entscheidung wird zitiert von:
BSG 1989-02-21 5 RJ 61/88 Fortführung
BSG 1989-02-21 5/4a RJ 69/87 Vergleiche
Rechtszug:
vorgehend SG Duisburg 1986-06-20 - S 11 J 152/83
vorgehend LSG Essen 1987-08-18 - L 13 J 144/86