Urteil
Anspruch eines sprachbehinderten Erwerbstätigen auf Gewährung einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme (Studium) - Erwerbstätigkeit steht Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung wie auch einer Förderung beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen nicht entgegen

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat


Aktenzeichen:

L 18 AL 19/16


Urteil vom:

09.11.2016


Grundlage:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Januar 2016 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2015 verpflichtet, den Teilhabeantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Teilhabemaßnahme bzw die Neubescheidung eines entsprechenden Antrags.

Der 1981 geborene, ledige Kläger ist Volljurist und arbeitet seit Oktober 2010 als freiberuflicher Rechtsanwalt nach eigenen Angaben mit einem monatlichen Netto-Entgelt iHv ca. 3.000,- EUR. Von 2010 bis 2011 war er als Dozent an der Hochschule für Ökonomie und Management und 2011 als Dozent an der Hochschule für Wirtschaft und Recht tätig. Er leidet unter einem Sprachfehler (Stottern), der sich insbesondere in Stresssituationen erheblich verstärkt. Wegen dieses Sprachfehlers befand sich der Kläger mehrfach in logopädischer Behandlung. Die Feststellung eines Grades der Behinderung wurde von ihm bislang nicht beantragt.

Bereits im Mai 2013 hatte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für einen Fachanwaltslehrgang im Strafrecht beantragt und diesen Antrag damit begründet, hierdurch seine Behinderung teilweise ausgleichen und seine Chancen bei potentiellen Arbeitgebern verbessern zu können. Die Beklagte ließ den Kläger von ihrem ärztlichen Dienst untersuchen (Gutachten vom 12. Juni 2013) und lehnte durch Bescheid vom 25. Juni 2013, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2013 den Antrag des Klägers ab, da der Kläger nach den ärztlichen Feststellungen auch mit seinen vorhandenen Leistungseinschränkungen weiterhin als Jurist tätig sein könne.

Im März 2015 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Beklagten. Die Beklagte ließ den Kläger nochmals von ihrem ärztlichen Dienst untersuchen; auf das Gutachten von Dr. B vom 23. März 2015 wird Bezug genommen. Mit Bescheid vom 24. April 2015 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab, da nach den Feststellungen des Ärztlichen Dienstes die bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht so wesentlich seien, dass der Kläger Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben bedürfe. Mit seinem Widerspruch hiergegen begehrte der Kläger nunmehr die Übernahme der Kosten eines weiterbildenden Masterstudiengangs. Mit diesem Studiengang könne er sich für eine Tätigkeit in einem "geschützten Bereich" gut qualifizieren, da viele auch in Rechtsabteilungen von Unternehmen gefragte Rechtsgebiete abgedeckt würden. Als Behinderter habe er einen Anspruch auf Förderung. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger gehöre nicht zum Personenkreis der behinderten Menschen iSd § 19 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) und er könne aus gesundheitlichen Gründen seinen erlernten Beruf als Jurist weiter ausüben.

Der Kläger hat hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben und vorgetragen, er müssen zunehmend Einkommenseinbußen hinnehmen. Seine Teilnahme am Masterstudiengang "Immaterialgüterrecht und Medienrecht" der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) sei deshalb zum Ausgleich seiner Behinderung notwendig. Durch Urteil vom 19. Januar 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Form der Kostenübernahme des Studiengangs. Zwar gehöre der Kläger wegen seines Sprachfehlers zum in § 19 SGB III genannten Personenkreis der Behinderten, die Kostenübernahme für den Studiengang sei jedoch nicht erforderlich, denn durch die Erweiterung seiner Kenntnisse werde seine Behinderung nicht behoben. Wesentlich sei, dass der Kläger als promovierter Jurist selbst zu der Erkenntnis gelange, dass er nur in der Sachbearbeitung tätig werden könne.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und macht nunmehr hilfsweise auch einen Anspruch auf Neubescheidung seines Teilhabeantrages geltend. Er trägt ergänzend vor, das Weiterbildungsstudium sei auch bei Rechtsabteilungen in Unternehmen sehr gut angesehen, er könne deshalb durch dessen Absolvierung seine Behinderung etwas ausgleichen, was zu einer wesentlichen Besserung seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber nicht behinderten Konkurrenten führe. Es komme entgegen der Ansicht des SG nicht darauf an, ob durch den Antrag auf Kostenübernahme für den Weiterbildungsstudiengang seine Behinderung behoben werde oder nicht. Eine Teilnahme an dem Studiengang könne infolge des Zeitablaufs und mangelnder Bewerbung nun erst zum Wintersemester 2018/19 erfolgen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Januar 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 24. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für den Masterstudiengang "Immaterialgüterrecht und Medienrecht" an der Humboldt-Universität zu Berlin zu übernehmen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, über seinen Teilhabeantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil unter Verweis auf ihr bisheriges Vorbringen für zutreffend. Der Kläger erziele ein akzeptables Einkommen und nehme damit am Arbeitsleben teil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Rechtsweg:

SG Berlin Urteil vom 19.01.2016 - S 56 AL 3349/15

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist (nur) begründet, soweit der Kläger im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsbescheidungsklage (§ 54 Abs. 1, § 131 Abs. 2 Satz 2 iVm Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), die in der erstinstanzlich erhobenen Leistungsklage enthalten ist (vgl BSG, Urteil vom 8. November 2007 - B 9/9a V 1/06 R - juris - Rn 17), hilfsweise eine Neubescheidung seines Teilhabeantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt; im Übrigen ist das Rechtsmittel (Leistungsklage) nicht begründet und war zurückzuweisen.

Die Beklagte ist schon deshalb zuständiger Rehabilitationsträger, weil sie als zuerst angegangener Träger den Teilhabeantrag nicht weitergeleitet hat (vgl § 14 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX -). Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellt der sog erstangegangene Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe beantragt sind, binnen zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Wird der Antrag - wie hier - nicht weitergeleitet, stellt der erstangegangene Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Die in § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX geregelte Zuständigkeit erstreckt sich dann im Außenverhältnis (behinderter Mensch/Rehabilitationsträger) auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind (dazu grundlegend BSGE 93, 283 ff Rn 8 mwN = SozR 4-3250 § 14 Nr 1; BSG, Urteil vom 20. April 2016 - B 8 SO 20/14 R - juris). Im Verhältnis zum behinderten Menschen wird dadurch eine eigene gesetzliche Verpflichtung des Trägers begründet, die - vergleichbar der Regelung des § 107 SGB X - einen endgültigen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistungen in diesem Rechtsverhältnis bildet.

Eine solche Zuständigkeit außerhalb des SGB III ist hier aber ohnehin nicht ersichtlich. Eine Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) erfüllt. Auch eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers scheidet aus, da der Kläger nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht zu dem Personenkreis gehört, der Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen könnte und dies auch bzgl Eingliederungsleistungen nach den §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) - im Verwaltungsverfahren nicht deutlich gemacht hat (vgl BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 - B 3 KR 13/13 R - juris - Rn 50). Eine (notwendige, vgl § 75 Abs. 2 Alt 1 SGG) Beiladung weiterer Leistungsträger als mögliche Leistungsverpflichtete kam daher nicht in Betracht.

In Bezug auf die im Hauptantrag weiter aufrecht erhaltene Leistungsklage gilt Folgendes: Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für das nunmehr erst zum Wintersemester 2018/19 angestrebte Masterstudium "Immaterialgüterrecht und Medienrecht" scheidet schon deshalb aus, weil es insoweit nunmehr an einer überprüfbaren Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehlt und die hierauf bezogene Leistungsklage daher unzulässig ist. Da eine Teilnahme des Klägers an dem im Wintersemester 2016/17 beginnenden Masterstudiengang - was der Kläger selbst vorträgt - wegen Zeitablaufs nicht mehr in Betracht kommt, haben sich die angefochtenen Bescheide insoweit erledigt (vgl § 39 Abs. 2 SGB X). Eine Fortsetzungsfeststellungsklage, gerichtet auf Feststellung, dass die Ablehnung der Förderung des Studiums rechtswidrig gewesen ist bzw eine allgemeine - vorbeugende - Feststellungsklage dahingehend, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für den nächsten Studiengang 2018/19 zu übernehmen, hat der Kläger, dessen trotz richterlichen Hinweises aufrecht erhaltener Leistungsantrag eigentlich zukunftsgerichtet ist, nicht erhoben. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein entsprechendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse (vgl § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG) bzw ein berechtigtes Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung (vgl § 55 Abs. 1 SGG) bestünde. Das Begehren des Klägers beträfe inhaltlich letztlich eine vorbeugende Feststellung, bei der an das Feststellungsinteresse hohe Anforderungen iS einer ernstlichen Wiederholungsgefahr gestellt werden müssen. Der Kläger hat indes über die zur Begründung seiner Leistungsklage dienenden Tatsachen hinaus nichts dargelegt, woraus sich ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung ergäbe. Insbesondere ist auch nicht ersichtlich, dass in fast zwei Jahren von einer unverändert gleichen Sachlage - sowohl was den gesundheitlichen Zustand des Klägers betrifft als auch dessen Wettbewerbs- und Eingliederungschancen - auszugehen wäre. Die bloße Möglichkeit, dass zu einem zukünftigen Zeitpunkt die einem solchen Feststellungsbegehren zugrunde liegende Frage in gleicher oder ähnlicher Art zum Streit führen könnte, vermag ein berechtigtes Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung nicht zu begründen (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 20. Dezember 2001 - B 4 RA 50/01 R - juris -; BSG SozR Nr 51 zu § 55 SGG).

Ohne dass dies im Hinblick auf die mit der Berufung weiter verfolgte Leistungsklage noch entscheidungserheblich gewesen wäre, weist der Senat zudem auf Folgendes hin: Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung verschiedentlich auf § 33 SGB IX, namentlich Abs. 1 der Vorschrift, abstellt und damit argumentiert, die Leistungen zur Teilhabe würden gemäß § 33 Abs. 3 Nr. 3 SGB IX Leistungen zur beruflichen Anpassung und Weiterbildung umfassen und zwar auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen, ist dies zwar grundsätzlich zutreffend. Nach § 7 Satz 2 SGB IX richten sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe jedoch nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, dh aus der Regelung des § 33 SGB IX selbst kann nicht unmittelbar ein Anspruch hergeleitet werden, sondern diese Regelung betrifft die konkrete Ausgestaltung eines bestehenden Teilhabeanspruchs.

Im Hilfsantrag ist die Klage indes begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Neubescheidung seines Teilhabeantrages. Die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben verkannt; sie hat damit ihr auf der Rechtsfolgenseite eröffnetes Ermessen bzgl des "Wie" der Leistungen (vgl hierzu Karmanski/Brand, SGB III, § 112 Rn 4, 5) nicht ausgeübt (sog Ermessensausfall).

Maßgebliche Anspruchsgrundlagen für die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben nach dem SGB III sind die §§ 112 Abs. 1, 115 Nr. 3, 116 Abs. 1 und 5 Nr. 1, 117 SGB III. Die Voraussetzungen einer Leistungserbringung auf der Grundlage des § 112 SGB III liegen vor. Nach § 116 Abs. 1 und 5 Nr. 1 SGB III kann eine berufliche Weiterbildung auch dann gefördert werden, wenn behinderte Menschen iSv § 19 SGB III (zu denen der Kläger aufgrund seiner schweren Sprachstörung, von der sich der Senat im Verhandlungstermin eindrücklich überzeugen konnte, zweifelsfrei gehört) nicht arbeitslos sind. Auch die sonstigen Fördervoraussetzungen des § 112 SGB III liegen vor. Für behinderte Menschen können gemäß § 112 Abs. 1 SGB III Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, soweit Art oder Schwere der Behinderung dies erfordern. Unter Erwerbsfähigkeit ist auch hier die Fähigkeit zu verstehen, die bisherige berufliche Tätigkeit im normalen Umfang möglichst dauernd ausüben zu können (Karmanski/Brand, SGB III, § 112 Rn 17). Zwar kann eine berufliche Weiterbildung bei behinderten Menschen nach § 116 Abs. 5 Nr. 1 SGB III auch dann gefördert werden, wenn diese (noch) nicht arbeitslos sind. Die berufliche Weiterbildung muss aber behinderungsbedingt erforderlich sein. Eine berufliche Neuorientierung ist dann als behinderungsbedingt anzusehen, wenn die angestrebte neue, auf Dauer angelegte Beschäftigung, dem durch die Behinderung eingeschränkte Leistungsvermögen des behinderten Menschen besser entspricht, so dass seine Wettbewerbssituation im Verhältnis zu nichtbehinderten Arbeitnehmern verbessert wird (Lauterbach in Gagel, SGB III, § 101, Rn. 17; Großmann in Hauck/Noftz, SGB III, § 166, Rn 35).

Der Kläger hat schriftsätzlich und im Verhandlungstermin plausibel dargelegt, dass er eine berufliche Neuorientierung als Jurist anstrebe, da er als Rechtsanwalt durch seinen erheblichen Sprachfehler Wettbewerbsnachteilen im sprachlichen Auftreten insbesondere gegenüber Mandanten ausgesetzt sei. Aufgrund der sprachlich äußerst schwierigen und teilweise unverständlichen Artikulation des Klägers, die es ihm in der mündlichen Verhandlung nicht erlaubte, einen zusammenhängenden Satz zu sprechen, hält es der Senat für überzeugend und nachvollziehbar, dass der Kläger zur Aufrechterhaltung seiner Erwerbsfähigkeit bestrebt ist, eine Beschäftigung als angestellter Jurist in einem "geschützteren" Bereich, zB in einem Unternehmen oder Behörde, mit geringerer sprachlicher Kommunikation zu suchen. Hierfür stellt eine fachliche Zusatzqualifikation jedenfalls einen Wettbewerbsvorteil gegenüber nicht sprachbehinderten Arbeitnehmern dar. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine von der Beklagten zu treffende Ermessensentscheidung über die Erbringung von Teilhabeleistungen waren danach erfüllt. Der Kläger ist insbesondere ein behinderter Mensch iSv § 19 SGB III, was die Beklagte in ihrer Widerspruchsentscheidung verkannt hat. Dass er derzeit nicht arbeitslos ist und Arbeitslosigkeit derzeit auch nicht droht, steht Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung wie auch einer Förderung beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen nicht entgegen (§ 116 Abs. 1 und Abs. 5 Nr 1 SGB III). Auch als derzeit noch in einem freien Beruf Tätiger gehört er zum Kreis der förderungsfähigen Personen, da § 112 SGB III grundsätzlich auf den zuletzt ausgeübten Beruf abstellt, der nicht zwingend eine abhängige Beschäftigung sein muss (vgl Karmanski/Brand, SGB III § 112 Rn 17, 18 mwN aus der Rspr des BSG). Die Fähigkeit des Klägers, in seinem Beruf als selbständiger Rechtsanwalt weiter tätig zu sein, ist behinderungsbedingt gemindert. Dies erhellt zum einen aus der zur Überzeugung des Senats vorliegenden, ganz erheblichen Sprachstörung, die sich in Belastungssituationen durch kaum verständliches Stottern und wiederholtes Schnappen nach Luft ohne jede Artikulationsmöglichkeit äußert. Ein zusammenhängender Vortrag ist dem Kläger dann schlechterdings nicht möglich. Hinzu kommt aber, dass bereits die von der Beklagten herangezogene Gutachterin Dr. B anlässlich der Begutachtung des Klägers am 23. März 2015 schlüssig dargelegt hatte, dass eine "schwerwiegende Leistungseinschränkung" vorliege, die "die Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben, nicht nur vorübergehend wesentlich mindert". Dr. B hat auch explizit bestätigt, und dies kann der Senat aus eigener Anschauung des Klägers nur unterstreichen, dass von einer "wettbewerbsfähigen Selbständigkeit" als Rechtsanwalt bei dem Kläger nicht ausgegangen werden kann. Bei dieser zur Überzeugung des Gerichts feststehenden Sachlage entspricht die gegenteilige Einschätzung der Beklagten nicht den Tatsachen. Es liegt gerade nicht der Fall vor, dass ein behinderter Mensch nach dauerhafter beruflicher Eingliederung die Nachteile seiner Behinderung überwunden hat und ihm daher für einen beruflichen Aufstieg nur die Fördermittel wie bei nicht behinderten Menschen zustehen, sofern nicht der Aufstieg behinderungsbedingt erschwert ist (vgl BSG, Urteil vom 26. August 1992 - 9b RAr 21/91 - juris). Damit sind im Ergebnis Teilhabeleistungen auch zur dauerhaften Eingliederung des Klägers erforderlich. Diese können, was die Beklagte indes ebenfalls nicht erkannt hat, auch Leistungen nach Maßgabe von § 117 SGB III sein.

Danach sind besondere Leistungen der Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben anstelle der allgemeinen Leistungen zu erbringen, wenn die allgemeinen Leistungen die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlichen Leistungen nicht oder nicht in erforderlichem Umfang vorsehen. Insoweit käme auch die Übernahme von Kosten zur Förderung eines Studiums als besondere Leistung in Betracht, wenn auf andere Weise keine Teilhabe am Arbeitsleben zu erreichen wäre (§ 127 Abs. 1 SGB III iVm § 33 Abs. 3 Nr 6 SGB IX; allgemein zur möglichen Förderung von Kosten eines Studiums auch Luik in Eicher/Schlegel, SGB III aF, § 102 Rn 37 ff, Stand September 2005; ders in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 117 Rn 39 ff mwN; zur Förderung von Kosten eines Gebärdensprachdolmetschers bzw von Mitschreibkräften vgl BSG, Urteil vom 20. April 2016 - B 8 SO 20/14 R). § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX stellt insoweit im Übrigen ausdrücklich (auch) auf die Erhaltung einer selbständigen Tätigkeit ab.

Liegen danach die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Teilhabeleistungen am Arbeitsleben vor, hatte der Kläger einen - entsprechend nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren - Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensbetätigung durch die Beklagte (vgl § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Dabei hat die Beklagte die Kriterien des § 112 Abs. 2 SGB III, des § 7 SGB III und der §§ 9, 33 SGB I zu beachten. Eine Ermessensentscheidung im dargelegten Sinn hatte die Beklagte indes nicht getroffen; sie hatte bereits - zu Unrecht - die tatbestandlichen Voraussetzungen verneint. Da das Gericht nicht seine Ermessenserwägungen anstelle derjenigen der Beklagten setzen darf, waren die angefochtenen Bescheide daher aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R7234


Informationsstand: 26.04.2017