Urteil
Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch

Gericht:

BSG


Aktenzeichen:

B 8 SO 14/19 R


Urteil vom:

23.03.2021


Tenor:

Die Revision der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziff. 1 des Tenors des Urteils des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juli 2019 wie folgt gefasst wird:

"1. Die Beklagte wird in Abänderung des Bescheids vom 29. August 2017, in der Fassung der Bescheide vom 17. November 2017, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2017 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis 30. September 2017 weitere Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 109,93 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."

Die Beklagte hat dem Kläger auch seine außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Rechtsweg:

SG Stuttgart, Urteil vom 29. Juli 2019 - S 16 SO 279/18

Quelle:

Bundessozialgericht

Tatbestand:

Im Streit ist die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) im Zeitraum vom 1.7.2017 bis 30.9.2017.

Bei dem Kläger besteht eine autistische Persönlichkeitsstörung; neben einem Grad der Behinderung von 100 ist das Merkzeichen B festgestellt. Er bewohnt im (abbezahlten) Haus seiner Eltern einen 30 qm großen Wohnbereich im Dachgeschoss mit Schlaf- und Wohnraum und einem weiteren, überwiegend als Abstellfläche genutzten Zimmer mit (Rest-)Teilen einer alten Küche. Der Kläger nutzt dort noch einen Kühlschrank, nimmt die Mahlzeiten aber gemeinsam mit seinen Eltern ein. Ein förmlicher Mietvertrag zwischen dem Kläger und seinen Eltern wurde nicht abgeschlossen.

Die Beklagte bewilligte ihm zunächst Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem SGB XII bis 30.9.2017 in Höhe von zuletzt monatlich 390,03 Euro (Bescheid vom 24.4.2017). Für die Zeit vom 1.7.2017 bis 30.9.2017 bewilligte sie im Hinblick auf den mit Wirkung vom 1.7.2017 eingefügten § 42a SGB XII monatlich 418,84 Euro und berücksichtigte dabei erstmals Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 19,40 Euro (Änderungsbescheid vom 29.8.2017; zwei Bescheide vom 17.11.2017 wegen Berücksichtigung von Einkommenszufluss, darin jeweils enthalten Heizkosten in Höhe von 7,40 Euro und Nebenkosten in Höhe von 12 Euro; Widerspruchsbescheid vom 11.12.2017). Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger im streitigen Zeitraum weitere Unterkunftskosten in Höhe von 109,93 Euro monatlich zu gewähren und die darüber hinausgehende Klage abgewiesen (Urteil vom 29.7.2019). Zur Begründung hat es ua ausgeführt, mit der gesetzlichen Neuregelung zum 1.7.2017 und der pauschalierten Gewährung eines typisierten Unterkunftsbedarfs sei abweichend von § 35 SGB XII ein Loslösen von dem Erfordernis des Nachweises tatsächlicher Aufwendungen beabsichtigt. Zu Unrecht habe die Beklagte unter Hinweis auf das abbezahlte Hauseigentum der Eltern die Gewährung von Unterkunftsleistungen mit der Begründung abgelehnt, dass tatsächliche Aufwendungen nicht anfielen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Sprungrevision und macht eine Verletzung von § 42a Abs 3 Satz 2 und 3 SGB XII in der ab 1.7.2017 geltenden Fassung geltend. Maßgeblich für die Berechnung der Unterkunftskosten müssten nach dem Bedarfsdeckungsgrundsatz tatsächlich anfallende Aufwendungen sein. Der Kläger unterfalle zwar dem Grunde nach dem in § 42a Abs 3 SGB XII genannten Personenkreis. Da er keine mietvertraglichen Verpflichtungen habe und das Haus der Eltern abbezahlt sei, fielen aber keine mit dem Netto-Kaltmietzins vergleichbaren Kosten (Schuldzinsen), sondern nur kalte Betriebskosten sowie Heizkosten an. Die fehlerhafte Berechnung von Unterkunftsbedarfen durch das SG schlage auf die Heizkosten durch.


Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juli 2019 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.


Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Sprungrevision ist unbegründet und daher mit der aus dem Tenor erkennbaren Maßgabe zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz SGG).

Zu Recht hat das SG der Klage teilweise stattgegeben. Zwar hat die Beklagte im Ausgang zutreffend mit dem Änderungsbescheid vom 29.8.2017 den Bescheid vom 24.4.2017 nach § 48 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zu Gunsten des Klägers abgeändert, aber dabei zu Unrecht unter Hinweis auf das abbezahlte Hauseigentum der Eltern die Gewährung (noch) höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung abgelehnt. Insoweit ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und abzuändern (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), weshalb Ziffer 1 des Tenors des SG-Urteils, der sich ausschließlich auf die Verurteilung zur Leistung beschränkt, von Amts wegen klarstellend neu zu fassen war (vgl Bundessozialgericht BSG vom 20.5.2020 - B 13 R 9/19 R - BSGE 130, 171 = SozR 4-5075 § 1 Nr 10, RdNr 10).

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 29.8.2017 in der Fassung der beiden Bescheide vom 17.11.2017, die Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sind (§ 86 SGG), in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.12.2017 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 iVm § 56 SGG) wendet. Die Beteiligten haben den Streitgegenstand wirksam auf den insoweit abtrennbaren Verfügungsteil der Bedarfe für Unterkunft und Heizung beschränkt (vgl zu dieser prozessualen Möglichkeit BSG vom 14.4.2011 - B 8 SO 18/09 R - SozR 4-3500 § 29 Nr 3 RdNr 10; BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 18/10 R - SozR 4-3500 § 44 Nr 2; zum Recht des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende SGB II vgl BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78). Eine beratende Beteiligung sozial erfahrener Dritter vor Erlass eines Widerspruchsbescheids hatte abweichend von § 116 Abs 2 SGB XII nicht zu erfolgen (§ 9 des baden-württembergischen Gesetzes zur Ausführung des SGB XII (AGSGB XII), GBl 2004, 469, 534).

Die Beklagte ist örtlich (§ 46b Abs 1 SGB XII idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 1.10.2013 mWv 1.1.2013 (BGBl I 3733) iVm § 2a Satz 1 und § 1 Abs 1 AGSGB XII) und sachlich (§ 97 Abs 1 SGB XII iVm § 2 und § 8 Nr 2 AGSGB XII) für die Erbringung der begehrten Leistung zuständig. Die Zuständigkeit für den Erlass des Änderungsbescheids folgt der Zuständigkeit für die Leistung (§ 48 Abs 4 Satz 1, § 44 Abs 3 SGB X).

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X (wesentliche Änderung der Verhältnisse zugunsten des Betroffenen) iVm § 42a Abs 3 SGB XII (in der ab 1.7.2017 geltenden Fassung des Art 3a Nr 7 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016, BGBl I 3159), der lex specialis zu § 35 SGB XII ist (§ 42a Abs 1 SGB XII, vgl BT-Drucks 18/9984 S 93). Die Vorschrift des § 48 Abs 1 SGB X schafft die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen dafür, bei einer Umgestaltung des Rechts durch den Gesetzgeber auch laufende Fälle einzubeziehen, wenn und soweit der Gesetzgeber die Rechtslage neu gestaltet, wie dies vorliegend mit § 42a Abs 3 SGB XII mWv 1.7.2017 geschehen ist (vgl BSG vom 30.4.2020 - B 8 SO 1/19 R - SozR 4-3500 § 85 Nr 2 RdNr 17 mwN). Die Übergangsregelung (§ 133b SGB XII), die der Besitzstandswahrung von leistungsberechtigten Personen dient, die in Mehrpersonenhaushalten mit nahen Angehörigen oder in Wohngemeinschaften leben und vor dem 1.7.2017 höhere als die nunmehr in § 42a Abs 3 und 4 SGB XII vorgesehenen Leistungen für Unterkunft und Heizung erhalten hatten (vgl BT-Drucks 18/10519 S 24), ist vorliegend nicht einschlägig.

Nach § 42a Abs 1 SGB XII sind für Leistungsberechtigte nach dem Vierten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB XII angemessene Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzuerkennen. Leistungsberechtigt sind nach § 19 Abs 2 iVm § 41 Abs 1 und Abs 3 SGB XII (idF vom 21.12.2015, BGBl I 2557) ältere und dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen und Vermögen nach § 43 SGB XII bestreiten können. Leistungsberechtigt wegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS des § 43 Abs 2 des Sozialgesetzbuchs Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI ist und bei dem unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Der im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigte Kläger ist volljährig (§ 2 Bürgerliches Gesetzbuch BGB). Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG ist er auch dauerhaft voll erwerbsgemindert iS von § 43 Abs 2 SGB VI und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - SGB I) in S.

§ 42a Abs 3 Satz 1 SGB XII konkretisiert die Anerkennung angemessener Bedarfe für Unterkunft und Heizung, wenn eine leistungsberechtigte Person - ohne vertraglich zur Tragung von Unterkunftskosten verpflichtet zu sein - ua mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung iS von § 42a Abs 2 Satz 2 SGB XII zusammenlebt und der Elternteil oder die Eltern Mieter oder Eigentümer der gesamten Wohnung (Mehrpersonenhaushalt) sind (§ 42a Abs 3 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB XII).

So liegt der Fall hier. Der Kläger lebt zusammen mit seinen Eltern (§§ 1591 f BGB) in einer Wohnung, die nach der gesetzlichen Definition die Zusammenfassung mehrerer Räume ist, die von anderen Wohnungen oder Wohnräumen baulich getrennt sind und die in ihrer Gesamtheit alle für die Führung eines Haushaltes notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten umfassen (§ 42a Abs 2 Satz 2 SGB XII). Erfasst von dieser Definition ist auch das selbstgenutzte Eigenheim (Berlit in LPK-SGB XII, 12. Aufl 2020, § 42a RdNr 6), dessen Eigentümer die Eltern sind. Der Kläger lebt dort mit seinen Eltern auch in einem gemeinsamen Haushalt (Mehrpersonenhaushalt, § 42a Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB XII). Die Bejahung eines Mehrpersonenhaushalts scheitert nicht daran, dass der Kläger einen 30 qm großen Wohnbereich im Dachgeschoss mit Schlaf- und Wohnraum und einem weiteren, überwiegend als Abstellfläche genutzten Zimmer mit (Rest-)Teilen einer alten Küche nutzt. Maßgebend ist in Abgrenzung zur Wohngemeinschaft vielmehr hierfür, dass der Kläger nach den den Senat bindenden Feststellungen des SG keinen vom Haushalt seiner Eltern unabhängigen eigenen Haushalt führt.

Als Bedarf sind diejenigen Aufwendungen für Unterkunft anzuerkennen, die sich aus der Differenz der angemessenen Aufwendungen für den Mehrpersonenhaushalt entsprechend der Anzahl der dort wohnenden Personen ergeben und für einen Haushalt mit einer um eins verringerten Personenzahl (§ 42a Abs 3 Satz 2 SGB XII). Für die als Bedarf zu berücksichtigenden angemessenen Aufwendungen für Heizung ist der Anteil an den tatsächlichen Gesamtaufwendungen für die Heizung der Wohnung zu berücksichtigen, der sich für die Aufwendungen für die Unterkunft nach § 42a Abs 3 Satz 2 SGB XII ergibt (§ 42a Abs 3 Satz 3 SGB XII). Abweichend von § 35 SGB XII kommt es auf die nachweisbare Tragung von tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht an (§ 42a Abs 3 Satz 4 SGB XII).

Damit normiert § 42a Abs 3 SGB XII abweichend von §§ 35 f SGB XII und abweichend von der sog Kopfteilmethode eine Berechnung und Anerkennung pauschalierter fiktiver Unterkunftskosten nach der Differenz- bzw Mehraufwandsmethode. Die sog Kopfteilmethode besagt, dass tatsächlich anfallende Kosten im Regelfall unabhängig von Alter oder Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen sind, soweit Leistungsberechtigte eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, insbesondere Familienangehörigen, bewohnen (vgl etwa BSG vom 25.4.2018 - B 14 AS 14/17 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 96 RdNr 13; so bereits Bundesverwaltungsgericht BVerwG vom 21.1.1988 - 5 C 68.85 - BVerwGE 79, 17 = NJW 1989, 313; zu Abweichungen von der Kopfteilmethode vgl BSG vom 23.5.2013 - B 4 AS 67/12 R - BSGE 113, 270 = SozR 4-4200 § 22 Nr 68, RdNr 18 ff). Nach der vorliegend normierten Differenzmethode hingegen bemisst sich der Bedarf, ausgehend von den nach der Personenzahl gestaffelten abstrakten Angemessenheitsgrenzen, nach der Differenz zwischen den abstrakt angemessenen Aufwendungen für den Mehrpersonenhaushalt (nach der Anzahl der im Mehrpersonenhaushalt lebenden Personen, hier: drei) und den Aufwendungen mit einer um eins verringerten Personenanzahl (hier: zwei).

Maßgeblich nach Entstehungsgeschichte, Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik des § 42a Abs 3 SGB XII ist allein - unabhängig von tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft - die nominale Differenz der abstrakten Angemessenheitsgrenzen (so auch Berlit in LPK-SGB XII, 12. Aufl 2020, § 42a RdNr 17; Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 42a RdNr 23, 31, Stand Oktober 2017; Richter in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl 2020, § 42a RdNr 19; P. Becker, ZFSH/SGB 2020, 427, 433; diese Rechtsfolge ebenfalls bejahend, aber kritisch zum gesetzgeberischen Konzept Gebhardt in BeckOK Sozialrecht, SGB XII, Stand 1.3.2021, § 42a RdNr 27; Hammel, ZfF 2018, 104 f; Tomczyk, NZS 2018, 731 f).

Anders als § 35 Abs 1 Satz 1 SGB XII spricht § 42a Abs 3 Satz 2 SGB XII nämlich nicht von "tatsächlichen" Aufwendungen für die Unterkunft. Auch die Gesetzesbegründung zu § 42a Abs 3 SGB XII enthält keinen Hinweis auf eine konkrete Betrachtung, sondern spricht nur von dem nach der Differenzmethode "sich ergebenden Betrag" (BT-Drucks 18/9984 S 93), während sich bei den Heizkosten sowohl nach dem Wortlaut der Norm als auch nach der Gesetzesbegründung der übernahmefähige Bedarf nach dem Anteil an den "tatsächlichen" Gesamtaufwendungen für die Heizung der Wohnung bestimmt (§ 42a Abs 3 Satz 3 SGB XII, vgl BT-Drucks 18/9984 S 93). Eine Auslegung dahingehend, dass die nach der Differenzmethode abstrakt ermittelten pauschalierten Aufwendungen als Deckelung von nach der Kopfteilmethode ermittelten konkreten Bedarfen fungieren, ist mit dem Wortlaut der Norm ebenso wenig zu vereinbaren, wie eine Auslegung, die tatsächliche Aufwendungen bei der Bedarfsbestimmung als Korrektiv berücksichtigt. Für eine mehrschrittige Prüfung unter Berücksichtigung konkret anfallender Bedarfe gibt der Wortlaut keine Anhaltspunkte (vgl Gebhardt in BeckOK Sozialrecht, Stand 1.3.2021, RdNr 27; Tomczyk NZS 2018, 731).

Schließlich bestimmt § 42a Abs 3 Satz 4 SGB XII abschließend, dass es abweichend von § 35 SGB XII auf die nachweisbare Tragung von "tatsächlichen" Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht ankommt. Zwar kann dies auch so verstanden werden, dass ausschließlich auf den Nachweis verzichtet wird, dass vom Leistungsberechtigten Aufwendungen getragen werden. Allerdings ist bei einem Verzicht auf den Nachweis von Aufwendungen nicht mehr zu prüfen, ob und ggf in welcher Höhe der Leistungsberechtigte tatsächlich selbst Kosten für Unterkunft und Heizung erbringt. Im Ergebnis stellt die Beklagte auch nicht darauf ab, ob der Kläger als Leistungsberechtigter Kosten der Unterkunft und Heizung (zB Miete) aufbringen muss, sondern ob seine Eltern, die selbst gar nicht leistungsberechtigt sind, noch Aufwendungen für das Eigenheim tragen (ebenso Bindig in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl 2020, § 42a RdNr 78 f, 85; anders dagegen Berlit in LPK-SGB XII, 12. Aufl 2020, § 42a RdNr 17; Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 42a RdNr 31, Stand Oktober 2017; Richter in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl 2020, § 42a RdNr 19; P. Becker, ZFSH/SGB 2020, 427, 433). Wie sich aber aus § 42a Abs 3 Satz 5 SGB XII ergibt, sind Aufwendungen der nahen Angehörigen, mit denen der Leistungsberechtigte zusammenlebt, nach § 42a Abs 3 SGB XII nur dann von Bedeutung, wenn sie ihren Lebensunterhalt einschließlich der ungedeckten angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung aus eigenen Mitteln nicht decken können. Dies setzt aber voraus, dass die nahen Angehörigen selbst bedürftig sind und hat zur Folge, dass die (tatsächlichen) Kosten der Unterkunft nach Kopfteilen bemessen werden. Dieser Fall liegt hier aber nicht vor.

Auch nach Sinn und Zweck der Regelung ist kein Raum für die Berücksichtigung tatsächlicher Unterkunftskosten, sondern spricht alles für eine pauschalierende Betrachtungsweise. Nach früherem Recht mussten auch die mit nahen Angehörigen zusammenlebenden Leistungsberechtigten für die Anerkennung von Aufwendungen für Kosten der Unterkunft und Heizung den Nachweis führen, dass sie rechtlich wirksam zur Zahlung eines Anteils an den Unterkunftskosten verpflichtet waren und tatsächlich entsprechende Zahlungen leisteten (vgl BSG vom 14.4.2011 - B 8 SO 18/09 R - SozR 4-3500 § 29 Nr 3; BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 29/10 R - FEVS 63, 442) oder dass sie die Aufwendungen für die Wohnung zumindest faktisch mitgetragen haben, auch ohne dass eine entsprechende rechtliche Verpflichtung bestand (BSG vom 17.12.2015 - B 8 SO 10/14 R - SozR 4-3500 § 35 Nr 4). Um der damit einhergehenden Prüfungsdichte und dem Verwaltungsaufwand entgegenzuwirken und für den betroffenen Personenkreis einen vereinfachten Zugang zu Leistungen für Unterkunft und Heizung zu schaffen, hat der Gesetzgeber bewusst eine pauschalierte Bedarfsermittlung gewählt und dies nicht nur mit Aspekten der Verwaltungsvereinfachung begründet, sondern auch damit, dass eine Anlehnung an tatsächliche Gegebenheiten für die Betroffenen einen erheblichen Aufwand darstellten und den betroffenen Familien meist zusätzliche Schwierigkeiten bereiteten (vgl BT-Drucks 18/9984 S 93 f).

Auch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht für das gefundene Ergebnis. Die denkbaren Folgen der typisierenden pauschalierten Bedarfsermittlung sind im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens angesprochen und benannt worden. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Neuregelung sich "als für den leistungsberechtigten Personenkreis vorteilhaft" darstelle (vgl Ausschuss-Drucks 18[11]849 vom 25.11.2016, S 43, Sachverständiger Dr. Groth) und dass sich eine Leistungsbewilligung ergeben könne, auch wenn Bedarfe gar nicht anfielen (vgl Ausschuss-Drucks 18[11]849 vom 25.11.2016, S 79, Stellungnahme Deutscher Landkreistag und Deutscher Städtetag: "Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 17.12.2015 den Anspruch daran geknüpft, dass tatsächlich entsprechende Beträge fließen. Jetzt sollen Beträge pauschal anerkannt werden, auch wenn diese gar nicht anfallen"). In verschiedenen Stellungnahmen wurde die Anwendung der Kopfteilmethode empfohlen, auch um etwaige Verschlechterungen bei den Familien zu vermeiden (Ausschuss-Drucks 18[11]849 [mit Zusammenführung mehrerer Stellungnahmen/Drucksachen] vom 25.11.2016, S 79, 116 f, 130, 145, 151; so auch Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Rechtsvereinfachung und Weiterentwicklung des SGB XII, NDV 2019, 511, 516). Der Gesetzgeber ist diesen Einwänden im Rahmen seines ihm zustehenden Gestaltungsspielraums (dazu sogleich) nicht gefolgt (vgl die nach Abschluss und in Kenntnis der Ergebnisse der Sachverständigenanhörung verabschiedete Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, in der die Anwendung der Differenzmethode für Sachverhalte bekräftigt wird, in denen keine Verpflichtung zur Tragung von Unterkunftskosten bestehe, BT-Drucks 18/10519 23).

Systematische Erwägungen stützen das gefundene Ergebnis. Die pauschalierte Berechnung nach § 42a Abs 3 Satz 2 SGB XII kann im Einzelfall durch Berücksichtigung tatsächlicher Unterkunftsbedarfe durchbrochen werden, um das Existenzminimum sicherzustellen. Zum einen ist mit § 133b SGB XII eine Besitzstandsregelung geschaffen worden, da der Gesetzgeber erkannt hat, dass eine pauschalierte Leistungsgewährung nach § 42a Abs 3 Satz 2 und 3 SGB XII wegen der typisierenden Betrachtungsweise auch zu Verschlechterungen führen kann (vgl BT-Drucks 18/10519 S 24). Legen die mit der leistungsberechtigten Person zusammenlebenden Personen dar, dass sie ihren Lebensunterhalt einschließlich der ungedeckten angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung - insbesondere wegen des pauschalen Anteils für Unterkunftsbedarfe - aus eigenen Mitteln nicht decken können, findet zum anderen die Berechnung entsprechend § 42a Abs 4 Satz 1 SGB XII statt (§ 42a Abs 3 Satz 5 SGB XII). Dabei handelt es sich um die Rückkehr zur Kopfteilmethode, um Bedarfsunterdeckungen zu vermeiden (vgl E. Hahn, info also 2018, 6, 9; Hammel, ZfF 2018, 102). Diese Regelungen wären bei einer Berücksichtigung konkreter Unterkunftsbedarfe im Rahmen von § 42a Abs 3 Satz 2 SGB XII nicht erforderlich gewesen (s schon oben).

Soweit in der Literatur (rechtspolitische) Kritik an einer "besonderen Anerkennungsprämie" für die Aufnahme enger Angehöriger bei alters- oder behinderungsbedingter Hilfebedürftigkeit geübt wird, die nicht am fürsorgerechtlich anerkennenswerten individuellen Bedarf orientiert sei (so Hammel, ZfF 2018, 105), führt dies nicht zu einer anderen Auslegung der Norm. Der Gesetzgeber hat mit der in Frage stehenden Norm in der vorliegenden Fallkonstellation einen vereinfachten Zugang zu (erweiterten) Leistungen geschaffen; dafür steht ihm im Bereich der steuerfinanzierten Leistungen ein Gestaltungsspielraum zu (vgl zum Kinder- und Erziehungsgeld Bundesverfassungsgericht BVerfG vom 29.10.2002 - 1 BvL 16/95 ua - BVerfGE 106, 166 = SozR 3-5870 § 3 Nr 4; BVerfG vom 6.7.2004 - 1 BvL 4/97 - BVerfGE 111, 160 = SozR 4-5870 § 1 Nr 1; BVerfG vom 6.7.2004 - 1 BvR 2515/95 - BVerfGE 111, 176 = SozR 4-7833 § 1 Nr 4; zum engeren Gestaltungsspielraum bei existenzsichernden Leistungen vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 133; zur erlaubten Typisierung bei der realitätsgerechten Ausgestaltung von Sozialleistungen vgl BVerfG vom 4.5.2020 - 2 BvL 4/18 - DRiZ 2020, 316 - juris RdNr 52). Er hat außerdem im Hinblick auf das grundsicherungsrechtlich relevante Erfordernis tatsächlicher Bedarfsdeckung mit § 42 Abs 3 Satz 5 SGB XII eine Regelung geschaffen, die eine Unterdeckung existenznotwendiger Bedarfe vermeidet (s oben). Dass er typisierend davon ausgeht, die Aufnahme einer leistungsberechtigten Person lasse im Regelfall einen zusätzlichen Bedarf entstehen (vgl BT-Drucks 18/9984 S 28, wo als Beispiel ein zusätzliches Zimmer genannt wird), erscheint nicht willkürlich, sondern lebensnah und steht insofern gerade nicht im Widerspruch zu Grundsätzen der individuellen Bedarfsdeckung. Der pauschalierten Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung aufgrund eines vermuteten, typisierten Bedarfs liegen damit ähnliche Erwägungen wie der Gewährung des Regelbedarfs zugrunde, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat. Dass dadurch im Einzelfall eine "Bedarfsüberdeckung" entstehen kann (vgl Hammel, ZfF 2018, 105; Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Rechtsvereinfachung und Weiterentwicklung des SGB XII, NDV 2019, 511, 516), ist dem Wesen der Pauschale und der abstrakten typisierenden Bedarfsermittlung geschuldet und de lege lata hinzunehmen (Richter in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl 2020, § 42a RdNr 19).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger im streitigen Zeitraum Anspruch auf weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 109,93 Euro. Die von der Beklagten ermittelten abstrakten Angemessenheitsgrenzen, in die neben der Kaltmiete auch die kalten Betriebskosten einzustellen sind (vgl zum auf der Grundlage von Daten eines qualifizierten Mietspiegels erarbeiteten "schlüssigen Konzept" der Beklagten etwa LSG Baden-Württemberg vom 27.7.2016 - L 3 AS 2354/15 - mit Anm Theesfeld, jurisPR-MietR 3/2017 Anm 6; zum qualifizierten Mietspiegel als Erkenntnisquelle vgl BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 31; BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 37/19 R - juris RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen und zum Rückgriff auf einen qualifizierten Mietspiegel zur Herstellung von Spruchreife im Streitfall vgl BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 30) betragen nach den nicht angegriffenen Feststellungen des SG monatlich 675 Euro für einen Drei- und 564 Euro für einen Zweipersonenhaushalt, woraus sich die vom SG errechnete Differenz von 111 Euro ergibt. Zwar hat das SG weder deutlich gemacht, ob in den bezeichneten Angemessenheitsgrenzen auch die kalten Betriebskosten enthalten sind und keine weiteren Feststellungen zur Rechtmäßigkeit des schlüssigen Konzepts der Beklagten und den darin bestimmten abstrakten Angemessenheitsgrenzen getroffen, obgleich dies aufgrund des erstinstanzlichen klägerischen Begehrens, höhere Leistungen unter Zugrundelegung höherer abstrakter Angemessenheitsgrenzen zu erhalten, erforderlich gewesen wäre (zur Bestimmung abstrakter Angemessenheitsgrenzen durch die Gerichte trotz begrenzter Amtsermittlungspflicht vgl BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 37/19 R - juris RdNr 26 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Da der Kläger aber gegen das SG-Urteil und die teilweise Klageabweisung kein Rechtsmittel eingelegt hat, kommt eine Verurteilung der Beklagten über den genannten Betrag hinaus - etwa unter Berücksichtigung vom SG möglicherweise zu Unrecht nicht eingerechneter kalter Betriebskosten - nicht in Betracht (vgl § 123 SGG, "ne ultra petita", vgl BSG vom 30.4.2020 - B 8 SO 1/19 R - SozR 4-3500 § 85 Nr 2 RdNr 22; BSG vom 27.5.2014 - B 5 RE 6/14 R - SozR 4-2600 § 106 Nr 4 RdNr 19).

Für die als Bedarf zu berücksichtigenden Heizungskosten ist der Anteil an den tatsächlichen Gesamtaufwendungen für die Heizung der Wohnung zu berücksichtigen, der sich für die Aufwendungen für die Unterkunft ergibt (§ 42a Abs 3 Satz 3 SGB XII). Dazu muss zunächst der prozentuale Anteil des sich nach § 42a Abs 3 Satz 2 SGB XII ergebenden Betrags (hier: 111 Euro) an den abstrakt angemessenen Unterkunftskosten bestimmt werden; der so bestimmte Prozentsatz (16,44 % nach der Berechnung des SG, das von 675 Euro monatlich für einen Dreipersonenhaushalt ausgegangen ist) ist dann von den (berücksichtigungsfähigen) tatsächlichen Heizkosten zu tragen (vgl BT-Drucks 18/9984 S 93; Berlit in LPK-SGB XII, 12. Aufl 2020, § 42a RdNr 19). Nach den bindenden Feststellungen des SG betragen die berücksichtigungsfähigen Heizkosten vorliegend monatlich 111,49 Euro und damit der auf den Kläger entfallende Anteil (16,44 % von 111,49 Euro) 18,33 Euro. Damit besteht ein monatlicher Anspruch für die Kosten der Unterkunft und Heizung insgesamt in Höhe von 129,33 Euro (111 Euro pauschale Leistung für die Unterkunft und 18,33 Euro anteilige Heizkosten). Da die Beklagte monatlich 19,40 Euro gewährt hat, ergibt sich ein weiterer Anspruch in Höhe monatlich 109,93 Euro im streitigen Zeitraum.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R9423


Informationsstand: 13.06.2022