Urteil
Eingliederungshilfe - Internatsunterbringung eines sehbehinderten Schülers an einer Schule für Blinde und Sehbehinderte

Gericht:

VG Frankfurt/Oder 6. Kammer


Aktenzeichen:

6 K 2810/02


Urteil vom:

07.11.2007


Grundlage:

  • BSHG § 39 Abs 1 |
  • BGB § 291 |
  • BSHG § 40 Abs 1 |
  • BSHG § 2 Abs 1 |
  • BSHG § 16 |
  • BSHGAG BB § 4 Abs 2 |
  • BSHGAG BB § 2 Abs 2 |
  • BSHG § 100 Abs 1 |
  • SGB VIII § 35a Abs 1

Orientierungssätze:

1. Erforderlichkeit bedeutet Notwendigkeit der stationären Unterbringung.

2. Der Schulbesuch eines blinden Schülers kann dessen Heimunterbringung im eingliederungsrechtlichen Sinn erforderlich machen, wenn sie auch dazu dient, die Integration zu fördern.

3. Bei Wohnheimen des Schulträgers handelt es sich um Einrichtungen ohne eingliederungsrechtlichen Förderbedarf.

4. Prozesszinsen sind auch im Fall einer Verpflichtungsklage begründet, wenn sie auf den Erlass eines die Zahlungspflicht auslösenden Verwaltungsakts gerichtet ist.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Tenor:

Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 27. August 2001 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 27. Februar 2002 und des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2002 verpflichtet, der Klägerin Eingliederungshilfekosten in Höhe von 19.136,05 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01. November 2002 zu erstatten.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Klägerin strebt die Erstattung von Kosten an, die sie als Eingliederungshilfe für die Internatsunterbringung eines sehbehinderten Schülers an der Brandenburgischen Schule für Blinde und Sehbehinderte in ... aufgewandt hatte.

Der im Herbst 1984 geborene ... (nachfolgend: Hilfeempfänger) ist seit einer Operation im Jahre 1992 sehbehindert; die Beteiligten sind sich einig, dass er grundsätzlich Eingliederungshilfe erhalten kann. Bis zum Sommer 1997 besuchte der Hilfeempfänger eine Grundschule auf dem Gebiet der Klägerin. Mit Bescheid vom 23. Mai 1997 stellte das Staatliche Schulamt für den Landkreis ... fest, der Hilfeempfänger habe einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne einer Sehschädigung. Er könne im Schuljahr 1997/98 die Förderschule besuchen, eine Aufnahme in das Wohnheim sei hierfür eine "notwendige und ergänzende Voraussetzung" und werde sowohl als Ausgleich sehgeschädigtenspezifischer Nachteile als auch zum Erwerb lebenspraktischer Fertigkeiten, räumlicher Mobilität und sozialer Kompetenzen für dringend erforderlich gehalten. Der Hilfeempfänger solle sich "umgehend" an das Sozialamt der Klägerin wenden, um dort Eingliederungshilfe zu beantragen. In der Folge bewilligte die Klägerin mit Bescheid vom 14. Juli 1997 dem Hilfeempfänger Eingliederungshilfe nach § 39 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und übernahm die Kosten für die Internatsunterbringung des Hilfeempfängers während seines Schulbesuches in ... ab dem Schuljahr 1997/98.

Die Kostenerstattung der Monate August bis Dezember 1997 sowie der Jahre 1998 und 1999 ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die der Klägerin für das Haushaltsjahr 2000 zu erstattenden gesamten Kosten der Eingliederungshilfe setzte der Beklagte mit Bescheid vom 27. August 2001 fest, die Internatskosten des Hilfeempfängers blieben nunmehr unberücksichtigt. Hiergegen legte die Klägerin wenig später Widerspruch ein; auch gegen einen die Eingliederungshilfekostenerstattung der Klägerin insgesamt neu regelnden Änderungsbescheid vom 27. Februar 2002, in dem die Kostenerstattung des Hilfefalls ... wiederum abgelehnt worden war, wandte sich die Klägerin mit dem Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2002 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Unterbringung in dem Internat sei nicht notwendig gewesen. Denn zu der Unterbringung sei es nur deshalb gekommen, weil im Wohnort des Hilfeempfängers oder der näheren Umgebung keine Sonderschule vorhanden gewesen sei. Welche Hilfe der Hilfeempfänger im Internat erhalten habe, die nur stationär bzw. teilstationär habe erbracht werden können, sei überdies unklar. Eine stationäre Hilfegewährung verlange eine tägliche zielgerichtete Therapie, und zwar über mindestens sechs Stunden täglich. Der Widerspruchsbescheid wurde am 02. Oktober 2002 zugestellt.

Am 01. November 2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Die Unterbringungskosten seien ausschließlich auf die Behinderung des Hilfeempfängers zurückzuführen. Der Bildungsempfehlung vom 22. Mai 1997 sei zu entnehmen, dass neben dem sonderpädagogischen Bedarf ein besonderer behinderungsbedingter psychologischer Betreuungsbedarf bei dem Hilfeempfänger bestanden habe, welcher außerhalb der Schulzeit im Internat zu decken gewesen sei. Die Internatsunterbringung sei jedenfalls auch erfolgt, um dem Hilfeempfänger psychologische Betreuung zu gewähren.


Die Klägerin beantragt,

unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 27. August 2001 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 27. Februar 2002 und des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2002 den Beklagten zu verpflichten, ihr Eingliederungshilfe für den Hilfefall . .. für das Haushaltsjahr 2000 in Höhe von 19.136,05 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. November 2002 zu erstatten.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Unterbringungskosten des Hilfeempfängers seien nicht "ausschließlich" auf die besonderen Verhältnisse der Behinderung zurückzuführen. Der Schwerpunkt der Eingliederungsmaßnahme habe im nichtbehinderungsbedingten Bereich gelegen, nämlich im Bereich der schulischen Bildung. Die Unterbringung im Internat sei lediglich darauf zurückzuführen, dass dem Hilfeempfänger der lange Fahrweg zwischen ... und dem Beschulungsort ... nicht zumutbar gewesen sei. Die geltend gemachten psychologischen Probleme hätten nichts mit der Behinderung des Hilfeempfängers zu tun und beruhten auf seiner schwierigen familiären Situation. Ohnehin gehörten Verhaltensauffälligkeiten als psychische Störungen zu den seelischen, nicht zu den körperlichen Behinderungen. Hinzu komme, dass die Klägerin auch deshalb zu Unrecht Eingliederungshilfe gewährt habe, weil sie den Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 BSHG nicht beachtet habe. Denn wenn Schülern wegen der Wohnortentfernung eine tägliche Anreise nicht zugemutet werden könne, sei nicht sie, sondern der Schulträger dafür zuständig, ein Wohnheim oder Internat bereitzustellen, § 99 Abs. 2 Brandenburgisches Schulgesetz (BbgSchulG); der Schulträger müsse hierfür auch die Personal- und Sachkosten übernehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (2 Hefter) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Erstattung der im Haushaltsjahr 2000 angefallenen Kosten des Hilfefalles . .. . Der Bescheid des Beklagten vom 27. August 2001, der Änderungsbescheid vom 27. Februar 2002 und sein Widerspruchsbescheid vom 25. September 2002 sind rechtswidrig, soweit sie diesen Anspruch ablehnen, § 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Anspruch folgt aus § 4 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (AG-BSHG). Danach erstattet das Land den Landkreisen und kreisfreien Städten zum Ausgleich der Kosten, die durch die Aufgabenübertragung nach § 2 Abs. 2 AG-BSHG entstehen, die angemessenen und notwendigen Kosten bzw. - für das 2. Halbjahr 2000 - 93 vom Hundert der Nettoausgaben der örtlichen Träger der Sozialhilfe. Durch § 2 Abs. 2 AG-BSHG sind den örtlichen Trägern der Sozialhilfe die Aufgaben nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) übertragen worden, d. h. die Aufgaben der stationären und teilstationären Eingliederungshilfe. Der Kostenerstattungsanspruch setzt weiter voraus, dass die stationäre oder teilstationäre Eingliederungshilfe rechtmäßig erfolgte; Kosten rechtswidriger Hilfegewährung sind nicht "durch" die Übertragung entstanden, sondern Folge eigener unzulänglicher Verwaltungstätigkeit.

Die Erstattungsvoraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Kosten, die die Klägerin geltend macht, sind ihr durch die Aufgabenübertragung entstanden. Sie hat dem Hilfeempfänger mit Bescheid vom 14. Juli 1997 rechtmäßig Eingliederungshilfe im Sinne des § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG gewährt. Ohne die Aufgabenübertragung hätte der Beklagte die Kosten, die der Höhe nach zwischen den Beteiligten nicht streitig sind, als überörtlicher Träger selbst tragen müssen.

1. a) Der Hilfeempfänger gehörte im maßgeblichen Zeitraum als nicht nur vorübergehend körperlich wesentlich behindertes Kind zum Personenkreis des § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Auf die außerschulische Förderung und Betreuung im Förderwohnheim hatte er Anspruch auf Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG a. F.), aber auch Anspruch auf Allgemeine Ausbildungshilfe für behinderte Menschen nach § 16 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV) .

b) Es war auch erforderlich, den Hilfeempfänger ganztägig in der Wohnstätte unterzubringen. Erforderlich ist eine stationäre Unterbringung stets dann, wenn die Behinderung oder das Leiden und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen eine Heimunterbringung gebieten. Der unbestimmte Rechtsbegriff "erforderlich" ist stets im Sinne von "notwendig" zu gebrauchen,

vgl. Schellhorn, BSHG-Kommentar, 16. Aufl., § 100 Rn. 26.

Nach diesen Maßstäben war die Hilfegewährung nach den konkreten Umständen notwendig. Denn ohne die Aufnahme in das Wohnheim hätte der Hilfeempfänger nicht die Schule für Blinde und Sehgeschädigte besuchen können. Es war auch gerade die Behinderung des Hilfeempfängers, wegen derer er nicht an seinem Wohnort zur Schule gehen konnte. Auch der weitere Hilfebedarf auf die Allgemeine Ausbildungshilfe für behinderte Menschen nach § 16 EinglHV ist nachgewiesen. Wenn der Beklagte einwendet, bei unterstellter wohnortnaher Beschulung der Hilfeempfängerin wäre eine ambulante Hilfe in ihrem Heimatort ausreichend gewesen, verkennt er, dass fiktive Vergleichsbetrachtungen in diesem Zusammenhang nicht statthaft sind. Hypothetische Fragen "Was wäre, wenn." - etwa: Was wäre, wenn es eine geeignete Schule am Wohnort gäbe oder was wäre, wenn der Hilfeempfänger näher am Schulort wohnte? - sind unzulässig,

vgl. Schellhorn, BSHG-Kommentar, 16. Aufl., § 100 Rn. 21 m. N. auf höchstrichterliche Rechtsprechung.

c) "Überwiegend andere Gründe" i. S. d. § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG, die zu der Hilfegewährung in der Einrichtung geführt haben, sind nicht ersichtlich. Primär erzieherischer Bedarf wird im hier streitgegenständlichen Zeitraum in keiner der aufgeführten Unterlagen genannt, er ist auch sonst nicht zu erkennen.

Die Sicherung des Schulbesuches, die nach Ansicht des Beklagten im Vordergrund der Hilfegewährung stand, dürfte von vornherein kein "anderer" Grund sein, denn § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG a. F. beinhaltet gerade die Hilfe zur schulischen Ausbildung. Jedenfalls war der Schulbesuch schon deshalb kein "überwiegender" anderer Grund i. S. d. § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG, weil die Unterbringung in dem Förderinternat bei wertender Gesamtbetrachtung die dem Schulbesuch gleichrangige Aufgabe hatte, dem blinden bzw. sehbehinderten Hilfeempfänger Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, die ihm später ein eigenständiges Leben in der Gemeinschaft möglich machen sollten. Es ging bei der Gewährung von Eingliederungshilfe nicht darum, dem Hilfeempfänger irgendeine Bleibe in ... zu verschaffen und so den Schulbesuch zu sichern. Ziel war auch, ihn als Insasse des Blindenwohnheims - unabhängig von der Schule - durch Hilfe in dem Heim in der alltäglichen Lebensführung, bei dem Gestalten sozialer Beziehungen, der Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben, bei Kommunikation und Orientierung zu fördern und zu aktivieren. Der Hilfeempfänger sollte etwa lernen, seinen Haushalt soweit wie möglich unabhängig von fremder Hilfe besorgen zu können - Hilfe i. S. § 16 Nr. 3 EinglHV - oder sich ohne fremde Hilfe sicher im Verkehr bewegen zu können (Hilfe i. S. § 16 Nr. 4 EinglHV). Der Entwicklungs- und Sozialbericht vom 15. Januar 2002 verdeutlicht dies. Aus ihm ergibt sich, dass der Hilfeempfänger gerade nicht nur Betreuungsbedarf aufwies, wie ihn "jeder 16-jährige Schüler in einem Internat" hat, wie der Beklagte zu Unrecht behauptet. Die Kammer, die in einer Reihe von Verfahren mit der Erstattung von Kosten der Einrichtung in ... befasst war, kennt keinen einzigen Hilfefall, bei dem nicht eine Förderung der lebenspraktischen Fertigkeiten der blinden oder sehschwachen Bewohner des Heimes notwendig gewesen wäre, etwa bei der Auswahl der täglichen Kleidung, beim Zusammenlegen von Kleidungsstücken, bei kleiner Handwäsche, beim Essen mit Messer und Gabel, bei der Zubereitung einfacher Speisen mit Hilfe des Erziehers, bei der Handhabung verschiedener technischer Geräte, beim selbständigen Decken und Abräumen des Tisches und bei vielen anderen alltäglichen Verrichtungen mehr. Da die Konzeption des Blindenwohnheims generell auf Förderung und Aktivierung der Eingliederungshilfeberechtigten ausgerichtet war - ohne eine solche Ausrichtung wäre das Internat im übrigen schon keine Einrichtung im Sinne des § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG - kommt es auch regelmäßig nicht darauf an, ob bzw. in welchem Umfang die Bewohner zusätzlich speziellen Förderbedarf aufweisen oder welcher Hilfebedarfsgruppe sie zuzuordnen sind. Allenfalls dann, wenn - anders als hier - ein blinder Schüler alle lebenspraktischen Fertigkeiten, die im Internat vermittelt werden, bereits sicher beherrscht, wäre sein Aufenthalt in dem Blindenwohnheim überwiegend aus anderen Gründen, nämlich schulischen Gründen, erforderlich. In einem solchen Fall könnte der Schüler grundsätzlich auch außerhalb des Blindenwohnheims, etwa in einer Pension oder einem möblierten Zimmer, untergebracht werden.

2. Der Einwand des Beklagten, die verfügte Hilfegewährung sei rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin gegen den Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 BSHG verstoßen habe, geht fehl.

a) Der Schulträger war nach § 99 Abs. 2 Satz 3 BbgSchulG schon deshalb nicht vorrangig in Anspruch zu nehmen, weil sich aus der genannten Bestimmung kein Anspruch auf Unterbringung in einem integrierten Förderwohnheim ergibt. Wohnheime i. S. d. § 99 Abs. 2 BbgSchulG sollen allein die Unterbringung der Schüler sichern. Die Blindenwohnstätte, die der Hilfeempfänger seinerzeit bewohnte, war, wie dargestellt, kein solches Wohnheim.

Nach § 99 Abs. 2 Satz 3 BbgSchulG soll der Schulträger ein Wohnheim oder ein Internat bereitstellen, wenn eine Schule von Schülern und Schülerinnen besucht wird, denen eine tägliche Anreise nicht zugemutet werden kann, wenn dafür ein Bedürfnis besteht, insbesondere in den ländlichen, dünn besiedelten Gebieten und bei Schulen mit landesweiter Bedeutung. Der Anspruch ist nicht auf Unterbringung in einem Wohnheim mit zusätzlicher, integrierter Förderung gleich welcher Art gerichtet. Dies gibt schon der Wortlaut des Gesetzes nicht her. Er vermittelt allen Schülern allenfalls Anspruch auf reine Unterbringung ( und ggf. Beaufsichtigung). Dass der Gesetzgeber schulrechtlich Eingliederungshilfeberechtigte nicht zusätzlich begünstigen wollte, lässt sich auch unschwer aus dem bestehenden sozialhilferechtlichen Anspruch auf Eingliederungshilfe erklären, der den Behinderten zur Seite steht. Eine gesetzessystematische Auslegung bestätigt dieses Ergebnis. Die Kostenbeteiligung der Internatsunterbringung, die in § 114 Abs. 4 BbgSchulG geregelt ist, sieht in § 114 Abs. 4 Satz 4 BbgSchulG einen ermäßigten Satz für Spezialschulinternate vor, nicht aber für Behindertenwohnheime. Wären Behindertenwohnheime Internate im Sinne des Schulrechts, dann sollte schon wegen des verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbotes (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz) zu erwarten sein, dass die behinderten Insassen in den Genuss ermäßigter Wohnheimplätze kommen.

b) Im übrigen ist ein Verstoß gegen den Nachranggrundsatz schon deswegen nicht zu verzeichnen, weil andere Hilfen - etwa vom Schulträger finanzierte Unterbringung - jedenfalls tatsächlich nicht gewährt wurden; der Frage, ob sich aus § 99 Abs. 2 Satz 3 BbgSchulG überhaupt subjektiv-öffentliche Rechte des einzelnen Schülers und/oder der Eltern herleiten lassen oder ob es sich nicht vielmehr um eine objektive Organisationsvorschrift handelt, muss deshalb an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Denn nur bereite Mittel hätte die Klägerin dem Hilfeempfänger seinerzeit entgegen halten können. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob der Hilfesuchende einen Rechtsanspruch gegen einen Dritten hat, sondern darauf, ob er die benötigte Hilfe auch tatsächlich erhält oder erhalten kann, der - vermeintliche - Anspruch gegen den Dritten also rechtzeitig realisiert werden kann,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. September 2003 - 5 B 259.02 -, Juris, m. w. N.

Bereite Mittel in diesem Sinne standen hier nicht zur Verfügung. Denn Schulträger und Schule haben seinerzeit eindeutig zu erkennen gegeben, dass ihrer Ansicht nach der Hilfeempfänger einen schulrechtlichen Anspruch auf Unterbringung nicht habe und er ausschließlich über Gewährung von Eingliederungshilfe zu einem Förderwohnheimplatz gelangen könne. So schrieb der Schulträger den Eltern des Hilfeempfängers, als er seinen Antrag auf einen Internatsplatz im Mai 1997 erhalten hatte, sie sollten Eingliederungshilfe beantragen, ohne "diese" Kostenübernahmeerklärung könne "keine" Aufnahme erfolgen ( Unterstreichung auch im Original). Weil Eingliederungshilfe noch nicht bewilligt war, bekräftigte der Schulträger kurz vor Schuljahresbeginn mit Schreiben an die Eltern vom 4. Juli 1997, dass er ohne sozialhilferechtliche Kostenübernahmeerklärung den Hilfeempfänger nicht "termingemäß zum 3. August 1997" aufnehmen wird. Entsprechende Äußerungen der Schule aus demselben Zeitraum, in denen diese strikt und unmissverständlich ablehnt, blinde und sehschwache Schüler in dem Blindenwohnheim aufzunehmen, wenn nicht eine Kostenübernahmeerklärung des örtlichen Sozialhilfeträgers nach Eingliederungshilferecht vorliegt, sind der Kammer aus anderen Verfahren bekannt. Dem sehgeschädigten Hilfeempfänger war es angesichts dieser Sachlage nicht zuzumuten, nur wenige Wochen vor Schuljahresbeginn die zumindest zweifelhafte und letztlich ungeklärte behördliche Zuständigkeit für die Internatskosten mit gerichtlicher Hilfe klären zu müssen.

3. Schließlich hat der Beklagte auch nicht nachgewiesen, dass vorliegend Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zu Lasten des Jugendhilfeträgers hätte gewährt werden müssen. Der Beklagte hat sich jahrelang mit der Kostenerstattung dieses Hilfefalles befasst. Hätte er irgendwann Hinweise auf eine seelische Störung gehabt, so hätte es nahe gelegen, hierzu ein umfassendes Gutachten mit eingehender Untersuchung des Hilfeempfängers einzuholen. Wenn er dies unterlässt, kann er sich nicht im Nachhinein mit Erfolg darauf berufen, seinerzeit habe auch eine seelische Behinderung gedroht, zu deren Therapie Eingliederungshilfe erforderlich gewesen sei. Denn das vorhandene Gutachten des Gesundheitsamtes der Klägerin vom 20. Mai 1997, in das auch fachärztliche Stellungnahmen eingeflossen sind, weist in andere Richtung: Der Hilfeempfänger habe keine Probleme in der Gemeinschaft, sei kontaktfreudig etc. Hinweise auf seelische Störungen finden sich nicht. In einer tabellarischen Auflistung sind in dem Gutachten die für Neurosen und Persönlichkeitsveränderungen, für körperlich nicht begründbare Psychosen oder für andere seelische Störungen vorgesehenen Zeilen ohne Einträge. Gerade weil sich aus der körperliche Behinderung der Hilfeempfänger regelmäßig mittelbar und unmittelbar besondere emotionale Belastungen für sie, ihre Familie und ihre Umwelt ergeben, dürfen einzelne Entwicklungsschwierigkeiten - die vor allem nach der Trennung der Eltern des Hilfeempfängers zu verzeichnen sind und die das Gericht vorliegend keineswegs übersieht - nicht unbesehen als Ausdruck einer eigenständigen Störung angesehen werden; aus ihnen ergeben sich noch nicht die für die Leistungen nach dem SGB VIII erforderlichen erzieherischen Bedarfe bzw. Hilfen auf der Grundlage einer seelischen Behinderung.

4. Der Anspruch auf Prozesszinsen folgt aus § 291 Satz 1 BGB. Die Vorschrift ist im öffentlichen Recht entsprechend anwendbar, wenn das einschlägige Fachgesetz keine gegenteilige Regelung enthält. Wird nicht unmittelbar auf Leistung des Geldbetrages geklagt, sondern mittels der Verpflichtungsklage auf Erlass eines Verwaltungsakts, der seinerseits die Auszahlung eines Geldbetrages anordnet, können Prozesszinsen dann verlangt werden, wenn die Klägerin, wie vorliegend, einen Verwaltungsakt anstrebt, der die Zahlung unmittelbar auslöst,

vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1973 - BVerwG 7 C 21.72 -, Buchholz 451.80 Nr. 19; zuletzt Beschluss vom 9. Februar 2005 - 6 B 80.04 -, Juris.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.

Der Streitwert wird auf 19.136,05 Euro festgesetzt.

Referenznummer:

R/R4248


Informationsstand: 22.07.2009