I. Die Untätigkeitsklage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Kläger begehrt mit seiner Untätigkeitsklage eine Entscheidung des Beklagten über seinen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine ambulante Betreuung in einer Wohngemeinschaft als Leistung zur Teilhabe.
Der 1990 geborene Antragsteller leidet seit Jahren unter psychischen Erkrankungen, die medikamentös gut eingestellt seien. Er übte nach dem Abitur jahrelang verschiedene angelernte Tätigkeiten aus, insbesondere als Lagerarbeiter. Ab 26.09.2017 lebte der Antragsteller in einer Übergangseinrichtung für Menschen mit Suchterkrankungen in P.. Kostenträger dieser Maßnahme als Eingliederungshilfe für Wohnen und Tagesbetreuung seelisch behinderter Erwachsener und für Hilfe zum Lebensunterhalt war der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (Bescheid vom 09.11.2017).
Mit Schreiben vom 22.06.2018 teilte der Kläger der Bundesagentur für Arbeit (Beigeladene zu 1) mit, dass er eine nicht näher bezeichnete Berufsausbildung anstrebe. Nach mehreren Rückfragen wurde mitgeteilt, dass es sich um eine dreijährige Berufsausbildung zum Gärtner handle. Die Beigeladene zu 1 teilte dem Kläger mit Bescheid vom 07.08.2018 mit, dass sie die nach
§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX die für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständige Rehabilitationsträgerin sei. Der Kläger erhalte in Kürze nähere Informationen und gegebenenfalls erforderliche Leistungsanträge und Fragebögen zur Erbringung der bewilligten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. In der Folge bewilligte die Beigeladene zu 1 Ausbildungsgeld von monatlich 111,- Euro und das örtlich zuständige Jobcenter (Beigeladener zu 2) Arbeitslosengeld II.
Bereits mit Schreiben vom 07.08.2018 übermittelte die Beigeladene zu 1 den Leistungsantrag des Klägers wegen der Kosten des Wohnens an den Beklagten zur eigenverantwortlichen Bearbeitung im Rahmen von
§ 15 SGB IX (sog. Antragssplitting). Mit Schreiben vom 21.08.2018 teilte der Beklagte der Beigeladenen zu 1 mit, dass die Weiterleitung gemäß § 15
SGB IX vom 07.08.2018 fehl gehe. Es bestehe eine originäre Zuständigkeit der Beigeladenen zu 1 für die Kosten der Unterbringung im Rahmen von Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben gemäß
§§117,
127 SGB III i.V.m. § 49 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX. Die Beigeladene solle in eigener Zuständigkeit entscheiden.
Mit Schreiben vom 16.08.2018 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er beabsichtige, zum 15.10.2018 in eine ambulant betreute Wohngemeinschaft in
S. umzuziehen. Es werde hiermit die Kostenübernahme für diese Maßnahme (kalendertäglich 48,02 Euro) beantragt. Am 03.09.3018 begann die Berufsausbildung zum Gärtner. Mit Schreiben vom 12.09.2018 leitete der Beklagte das Schreiben des Klägers vom 16.08.2018 an die Beigeladene zu 1 weiter zur dortigen Bearbeitung in eigener Zuständigkeit. Zum 07.11.2018 zog der Kläger um in die ambulant betreute Wohngruppe.
Weil sich der Beklagte und die Beigeladene zu 1 in der Folge nicht über die Zuständigkeit für die Übernahme der Kosten der ambulanten Betreuung in der Wohngruppe einigen konnten, erhob der Kläger eine Untätigkeitsklage gegen die Beigeladene zu 1 und den Beklagten. Der Rechtsstreit gegen den Beklagten wurde hiervon abgetrennt und als das streitgegenständliche Klageverfahren fortgeführt. Die Bundesagentur für Arbeit wurde in dieser Klage gemäß § 75
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) notwendig beigeladen.
Im weiteren Verlauf erließ die Beigeladene zu 1 den Bescheid vom 09.12.2019. Sie sei für die Kosten der therapeutischen Wohngemeinschaft nicht zuständig. Es handle sich um eine pädagogische Maßnahme im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, nicht um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2020 zurückgewiesen. Dagegen erhob der Kläger am 28.01.2020 die Klage, über die noch nicht entschieden ist.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, über den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten der ambulanten Betreuung in der Wohngemeinschaft zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist aber unbegründet, weil aufgrund der Zuständigkeitsreglungen in
§§ 14,
15 SGB IX ein sachlicher Grund dafür besteht, dass der Beklagte nicht über den Antrag des Klägers entscheidet. Eine Aussetzung des Verfahrens unter Fristsetzung nach § 88
Abs. 1 Satz 2
SGG hat nicht zu erfolgen, weil der Beklagte über den Antrag überhaupt nicht zu entscheiden hat. Die Untätigkeitsklage ist daher abzuweisen.
1. Streitgegenstand ist die Frage, ob der Beklagte gemäß § 88
Abs. 1 Satz 1
SGG verpflichtet ist, über den Antrag des Klägers vom 16.08.2018 auf Übernahme der Kosten der ambulanten Betreuung in der Wohngemeinschaft zu entscheiden. Im Rahmen dieser Untätigkeitsklage kann der Kläger nur eine Bescheidung als solche verlangen, nicht eine Entscheidung eines bestimmten Inhalts, etwa die Bewilligung der begehrten Leistung. Es kommt hier also nicht darauf an, ob der Kläger einen Anspruch auf die begehrte Leistung hat und
ggf. gegen welchen Leistungsträger.
Für diese Klage besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Beigeladene zu 1 die Leistungserbringung wegen fehlender Zuständigkeit abgelehnt hat. Damit blieb die Frage offen, welche Behörde über den Leistungsanspruch in der Sache zu entscheiden hat. Weil die Frage der Außenzuständigkeit nach §§ 14, 15
SGB IX auch für die Beigeladene zu 1 nur einheitlich entschieden werden kann, wurde diese gemäß § 75
Abs. 2 Alt. 1
SGG notwendig beigeladen. Sie ist, sofern dieses Urteil rechtskräftig wird, gemäß § 141
Abs. 1
Nr. 1
SGG als Beteiligte daran gebunden.
2. Ein Bescheidungsanspruch besteht gemäß § 88
Abs. 1 Satz 1
HS. 1
SGG, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist. Die Untätigkeitsklage ist nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag zulässig § 88
Abs. 1 Satz 1
HS. 2
SGG; diese Sperrfrist ist längst abgelaufen.
a) Die Entscheidungszuständigkeit für den strittigen Antrag ergibt sich aus §§ 14, 15
SGB IX in der ab 01.01.2018 geltenden Fassung. Nach diesen Vorschriften hat die Beigeladene zu 1 umfassend über den Antrag auf Teilhabe zu entscheiden, auch in Bezug auf die Kosten der ambulanten Betreuung in der Wohngruppe. Daneben besteht kein Anspruch auf eine Entscheidung eines anderen Rehabilitationsträgers. Sonst würde mit einer Untätigkeitsklage die Zuweisung der Außenzuständigkeit nach §§ 14, 15
SGB IX unterlaufen werden.
§ 14
SGB IX führt im Bereich von Leistungen zur Teilhabe zu einer Zuständigkeitsfestlegung beim sogenannten leistenden Rehabilitationsträger. Bei Nichtweiterleitung binnen zweier Wochen nach Antragseingang entsteht beim erstangegangenen Träger eine umfassende Außenzuständigkeit gegenüber dem Antragsteller (§ 14
Abs. 2 Satz 1
SGB IX). Bei rechtzeitiger Weiterleitung binnen zweier Wochen nach Antragseingang wird der zweitangegangene Träger gegenüber dem Antragsteller umfassend zuständig (§ 14
Abs. 1
SGB IX). Eine weitere - zweite - Weiterleitung an einen dritten Träger wäre nach § 14
Abs. 3
SGB IX nur im Einvernehmen mit dem dritten Träger möglich; eine einvernehmliche Weiterleitung liegt hier nicht vor.
§ 15
Abs. 1
SGB IX eröffnet ein sogenanntes Antragssplitting, sofern der leistende Rehabilitationsträger feststellt, dass der Antrag neben den nach seinem Leistungsgesetz zu erbringenden Leistungen weitere Leistungen zur Teilhabe umfasst, für die er nicht Rehabilitationsträger nach
§ 6 Abs. 1 SGB IX sein kann. In diesem Fall leitet er den Antrag in Bezug auf diesen Teil unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu, der dann über diesen Teil in eigener Zuständigkeit entscheidet.
b) Über den Antrag auf Übernahme der Kosten der ambulanten Betreuung in der Wohngruppe hatte die Beigeladene zu 1 zu entscheiden.
aa) Zunächst erbrachte der Beklagte mit Bescheid vom 09.11.2017 Leistungen der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in einer vollstationären Einrichtung nach
§ 53 Abs. 1,
§ 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX a.F. Mit Schreiben vom 22.06.2018 beantragte der Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Berufsausbildung zum Gärtner. Diese Leistung bewilligte die Beigeladene zu 1 mit Bescheid vom 07.08.2018 dem Grunde nach. Zu diesem Zeitpunkt war von einem Umzug in eine ambulant betreute Wohngemeinschaft nicht die Rede und es war auch noch kein entsprechender Antrag gestellt. Deshalb ist die Aufforderung der Beigeladenen an den Beklagten mit Schreiben vom 07.08.2018, die Kosten für das Wohnen zu übernehmen, so zu verstehen, dass der Beklagte weiterhin die Kosten in der stationären Einrichtung übernehmen solle. Für die zuvor bewilligten Leistungen der sozialen Teilhabe nach
§ 5 Nr. 5 SGB IX war die Beigeladene zu 1 tatsächlich kein nach § 6
Abs. 1
SGB IX zuständiger Rehabilitationsträger, weil die Beigeladene zu 1 nur für Leistungen nach § 5
Nr. 2 und 3
SGB IX zuständig sein kann. Bei einem unveränderten Wohnen war die Teilweiterleitung auch in Hinblick auf § 15
Abs. 1
SGB IX naheliegend. Das Rückgabeschreiben des Beklagten vom 21.08.2018, das sich nicht auf den neuen Antrag vom 16.08.2018 bezog, geht auf diesen Zusammenhang nicht ein.
Die Situation änderte sich jedoch durch den Antrag vom 16.08.2018 auf Übernahme der Kosten für die ambulante Betreuung in der Wohngruppe nach dem Umzug. Der Wechsel von der stationären Unterbringung in P. in die ambulant betreute Wohngruppe in
S. infolge der Berufsausbildung markiert eine wesentlich veränderte Bedarfslage und damit, zusammen mit dem Beginn der Berufsausbildung, ein neues Rehabilitationsgeschehen (
vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2019, B 8 SO 8/18 R, juris Rn. 15, für einen Wechsel von ambulanter Betreuung zu einem stationären Aufenthalt).
Die ambulante Betreuung in der Wohngruppe war somit Teil des neuen einheitlichen Rehabilitationsgeschehens der beruflichen Ausbildung. Darüber hatte grundsätzlich die Beigeladene zu 1 zu entscheiden und zwar "umfassend" im Sinn von § 14
Abs. 2 Satz 1
SGB IX auch bezüglich Anspruchsgrundlagen, für die nach materiellem Leistungsrecht andere Rehabilitationsträger zuständig sind. Die Bewilligung der Beigeladenen zu 1 vom 07.08.2018 für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ist vor diesem Hintergrund eine unvollständige Entscheidung. Es ist aber bereits hier darauf hinzuweisen, dass damit nicht entschieden ist, ob der Leistungsanspruch besteht und welcher Leistungsträger nach materiellem Leistungsrecht tatsächlich dafür zuständig wäre. Hier geht es nur um die Frage, ob der Beklagte verpflichtet ist, im Außenverhältnis über den Leistungsantrag vom 16.08.2018 auf Übernahme der Kosten für die ambulante Betreuung in der Wohngemeinschaft zu entscheiden.
bb) Die umfassende Entscheidungszuständigkeit der Beigeladenen zu 1 für das neue einheitliche Rehabilitationsgeschehen ist nicht entfallen. Eine einvernehmliche Weiterleitung nach § 14
Abs. 3
SGB IX hat sich nicht ereignet. Die Voraussetzungen für ein Antragssplitting nach § 15
Abs. 1
SGB IX liegen nicht vor. Es fehlt an einer objektiv eindeutigen Nichtzuständigkeit der Beigeladenen zu 1 für den abzuspaltenden Rehabilitationsteil.
Wie oben ausgeführt, müsste es sich bei dem abzuspaltenden Teil um weitere Leistungen der Teilhabe handeln, für die der leistende Rehabilitationsträger von vornherein nicht Rehabilitationsträger nach § 6
Abs. 1
SGB IX sein kann. Ein Antragssplitting kann nur erfolgen, wenn die fehlende Zuständigkeit für den abzuspaltenden Teil objektiv eindeutig gegeben ist. § 15
Abs. 1
SGB IX ist als Ausnahmevorschrift zur grundsätzlichen Zuständigkeitskonzentration eng auszulegen. Außerdem wäre eine weite Auslegung von § 15
Abs. 1
SGB IX mit Sinn und Zweck des Zuständigkeitsverfahrens nach §§ 14 ff
SGB IX, in kurzer Zeit eine eindeutige Außenzuständigkeit für den Antragsteller sicherzustellen, nicht zu vereinbaren. Ob ein Antragssplitting auch einen Konsens der beteiligten Kläger darüber voraussetzt (der Wortlaut von § 15
Abs. 1
SGB IX spricht nicht dafür, das System von §§ 14 ff
SGB IX und § 19
Abs. 1
SGB IX dagegen schon), kann hier offenbleiben.
Für Leistungen zur sozialen Teilhabe nach § 5
Nr. 5
SGB IX wäre die Beigeladene zu 1 von vornherein nicht zuständig, weil diese Leistungen in der Aufzählung von § 6
Abs. 1
Nr. 2
SGB IX nicht genannt sind. Es war und ist aber gerade die Frage, ob es sich bei der strittigen Leistung um eine Leistung der sozialen Teilhabe im Rahmen der Eingliederungshilfe (wie zuvor bei der stationären Unterbringung) handelt oder um eine ergänzende Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach
§§ 112 ff, 127
SGB III i.V.m. § 49
Abs. 6
SGB IX. Danach umfassen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit diese erforderlich sind, die Ziele der Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49
Abs. 1
SGB IX zu fördern. Damit ist die Beigeladene zu 1 gerade nicht ein von vornherein gemäß § 6
Abs. 1
SGB IX ausgeschlossener Träger. Somit fehlt es an dieser Voraussetzung für das Antragssplitting.
c) Die Beigeladene zu 1 hat mit Bescheid vom 09.12.2019 über die Kosten der Betreuung in der therapeutischen Wohngemeinschaft ablehnend entschieden, weil sie nicht zuständig sei. Dieser Bescheid ist Gegenstand des Klageverfahrens, in der der Kläger den Leistungsanspruch geltend macht. Diese Untätigkeitsklage hier bindet die Beigeladene zu 1 gemäß § 141
Abs. 1
Nr. 1
SGG soweit, als der Streitgegenstand dieser Untätigkeitsklage reicht, mithin, dass der Beklagte über die strittigen Kosten der ambulanten Betreuung nicht zu entscheiden hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.