Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und - hinsichtlich des Hilfsantrages - auch begründet.
Nach § 86b
Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b
Abs. 2 Satz 4
SGG i.V.m. § 920
Abs. 2 Zivilprozessordnung -
ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
Hauptantrag: Eingliederungshilfe
Nach den aus dem Akteninhalt bekannt gewordenen Umständen spricht viel dafür, dass der Ast. einen Anspruch auf die begehrte Eingliederungshilfe hat, sei es aus Mitteln der Sozialhilfe nach dem
SGB XII, sei es aus Mitteln der Jugendhilfe nach dem
SGB VIII. Hierüber braucht die Kammer jedoch noch nicht entscheiden (und damit die Hauptsache vorweg nehmen), da es insoweit am Anordnungsgrund fehlt. Bisher hat weder der Ag. als in Betracht kommender sachlich zuständiger überörtlicher Träger der Sozialhilfe nach dem
SGB XII noch der Beigeladene 2) als in Betracht kommender zuständiger Reha-Träger nach dem
SGB VIII sachlich gegenüber dem Ast. über dessen Antrag auf Eingliederungshilfe für die internatsmäßige Unterbringung in einer Förderschule entschieden. Der Schulträger hat auf telefonische Nachfrage des Gerichts mitgeteilt, dass ein Internatsplatz bis Ende Juli für den Ast. frei ist. Von heute gerechnet sind es bis dahin noch mehr als drei Wochen, in denen der für die Bescheidung des Antrags zuständige Reha-Träger eine Entscheidung treffen kann. Einer vorläufigen Entscheidung durch das Gericht bedarf es deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht.
Hilfsantrag: Klärung der Zuständigkeit
Der Ag. ist zur Entscheidung über den Antrag des Ast. auf Eingliederungshilfe verpflichtet, und zwar unverzüglich. Dies ergibt sich aus
§ 14 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Satz 1
SGB IX.
Der Ast. hat am 29.04.2010 beim Sozialamt des Beigeladenen 1) Eingliederungshilfe beantragt. Dem Umstand, dass der Antragsvordruck auf Seite 1 als aufnehmende Stelle die "Stadt A 50 - Sozialamt" aufweist, kommt keine weitere Bedeutung zu; Hintergrund ist, dass die Städeregion Aachen erst zum 21.10.2009 gebildet worden ist (
vgl. § 1
Abs. 1 Satz 1 des Gesetz zur Bildung der Städteregion Aachen [Aachen-Gesetz] vom 26.02.2008 - GVBl. NRW 2008, 162) und bisher eine Umstellung der dort verwendeten Formulare noch nicht erfolgt ist. Wie der betroffene Mitarbeiter bestätigt hat, ist der Antrag tatsächlich beim Sozialamt des Beigeladenen 1) aufgenommen worden. Entgegen der Auffassung des Ag. und des Beigeladenen 1) ist der Beigeladene 1) nicht nur als Antragsaufnehmer und Bote für den Ag. tätig geworden. Vielmehr hat er den Antrag als erstangeangener Reha-Träger im Sinne von § 14
Abs. 1
SGB IX aufgenommen. Nach dieser Vorschrift stellt der Reha-Träger, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Als für Eingliederungshilfe zuständiger Reha-Träger im Sinne von
§§ 6, 14
SGB IX kommen sowohl der Ag. als auch der Beigeladene zu 1) als auch der Beigeladene zu 2) in Betracht. - Die mögliche Zuständigkeit des Ag. für Eingliederungshilfe als überörtlicher Träger der Sozialhilfe ergibt sich aus § 3
Abs. 1 und 3
SGB XII, § 1
AG-SGB XII NRW und
§§ 53,
54, 97
Abs. 2 und 3
SGB XII i.V.m. § 2
Abs. 1
Nr. 1 a) AV-SGB XII NRW. - Die mögliche Zuständigkeit des Beigeladenen 1) für Eingliederungshilfe ergibt sich aus § 3
Abs. 1 und 2
SGB XII, §§ 1, 3
AG-SGB XII NRW und §§ 53, 54
SGB XII i.V.m. § 1 der Satzung des Ag. - Die mögliche Zuständigkeit des Beigeladenen 2) für Eingliederungshilfe ergibt sich aus §§ 35a, 69
SGB VIII i.V.m. §§ 1, 1a
AG-KJHG NRW. Stellt der antragsannehmende Reha-Träger bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Reha-Träger zu (§ 14
Abs. 1 Satz 2
SGB IX). Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Reha-Träger den Reha-Bedarf unverzüglich fest (§ 14
Abs. 2 Satz 1
SGB IX). Wird der Antrag weitergeleitet, gelten die Sätze 1 und 2 für den Reha-Träger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend (§ 14
Abs. 2 Satz 3
SGB IX).
Ziel der Vorschrift ist, durch ein auf Beschleunigung gerichtetes Zuständigkeitserklärungsverfahren die möglichst schnelle Leistungserbringung zu sichern. Sie enthält für Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen eine für die Reha-Träger abschließende Regelung, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit oder Leistungserbringung im
SGB I vorgeht und alle Fälle der Feststellung der Zuständigkeit für Leistungen zur Teilhabe erfasst. Dem Grundsatz nach darf ein Reha-Antrag nur höchstens einmal an einen anderen Träger weitergeleitet werden (Götz, in: Kossens/Heide/Maaß,
SGB IX, 3. Auflage 2009, § 14 Rn. 1). Nach dem Wortlaut und Sinn der §§ 6 und 14
SGB IX kann unter "Reha-Träger" nur der einzelne Sozialleistungsträger und nicht der gesamte Sozialleistungszweig gemeint sein. Insofern ist als Folge auch eine Weiterleitung nach
Abs. 1 Satz 2 zwischen Trägern des selben Sozialleistungszweigs möglich (Götz a.a.O., § 14 Rn. 8). Eine Weiterleitung im Sinne von § 14 liegt nicht vor, wenn ein Reha-Träger einen Antrag erkennbar für einen anderen Reha-Träger aufnimmt,
z.B. auf dessen Antragsvordrucken; in einem solchen Fall ist der Reha-Träger, für den der Antrag aufgenommen wurde, erstangegangener Träger (Götz a.a.O., § 14 Rn. 10). So liegt es hier jedoch nicht. Der Beigeladene zu 1) kam - wie oben aufgezeigt - als zuständiger Reha-Träger für Eingliederungshilfe in Betracht. Er hat, wie dem Antragsformular zu entnehmen ist, den Antrag nicht auf einem Vordruck des Ag. aufgenommen, sondern auf einem Vordruck, der für Eingliederungshilfe generell, also auch beim örtlichen Träger der Sozialhilfe verwendet wird. Dem Weiterleitungsschreiben des Beigeladenen 1) vom 30.04.2010 an den Ag. ist zu entnehmen, dass der Beigeladene 1) auch eine Prüfung seiner Zuständigkeit vorgenommen hat. Dies ergibt sich u.a. aus den Hinweisen auf die Art der Behinderung, dem weiteren Hinweis, dass die Übernahme der Kosten für eine internatsmäßige Unterbringung beantragt wird und insbesondere der Bemerkung, dass "aufgrund der Diagnose" die "Voraussetzungen
gem. § 53/97
SGB XII gegeben" seien, und deshalb gebeten werde, über den Antrag "in eigener Zuständigkeit" zu entscheiden. Allein schon der Hinweis auf die Diagnosen zeigt, dass der Beigeladene 1) die Antragsunterlagen gesichtet hat und - wohl im Hinblick auf die geistige Behinderung des Ast. und die begehrte internatsmäßige Unterbringung - die Zuständigkeit des Ag. angenommen hat. Hätte eine ausschließlich seelische Behinderung vorgelegen, so hätte der Beigeladene 1) den Antrag vermutlich an den Beigeladenen 2) weitergeleitet. Weder dem Antragsformular noch den Umständen der Antragstellung ist zu entnehmen, dass der Beigeladene 1) den Eingliederungshilfeantrag erkennbar (nur) für den Ag. aufgenommen hat und deshalb mit dem Schreiben vom 30.04.2010 den Antrag lediglich
gem. § 16
Abs. 2 Satz 1 - als Bote - weitergeleitet hat. Eine solche Antragsaufnahme- und Botenfunktion ist der Beigeladenen zu 1) auch nicht durch die Satzung des Ag. übertragen worden.
War nach alledem der Beigeladene 1) erstangegangener Reha-Träger im Sinne von § 14
Abs. 1
SGB IX, so hat er den Antrag innerhalb der 2-Wochen-Frist wirksam
gem. § 14
Abs. 1 Satz 2 an den Ag. als den nach seiner Auffassung zuständigen Reha-Träger weitergeleitet. Diese bindende Weiterleitung des erstangegangenen Reha-Trägers bewirkt, dass der zweitangegangene Reha-Träger nunmehr unverzüglich in die Prüfung des Antrages einzusteigen und ihn zu bescheiden hat. Die Zuständigkeit des Ag.
gem. § 14
Abs. 2 Satz 3
SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zum Ast. auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind. Dadurch wird eine nach außen verbindliche Zuständigkeit des zweitangegangenen Reha-Trägers geschaffen, die intern die Verpflichtung des eigentlich zuständigen Leistungsträgers - falls dies ein anderer als der zur Entscheidung verpflichtete zweitangegangene Träger sein sollte - unberührt lässt und die Träger insoweit auf den nachträglichen Ausgleich nach § 14
Abs. 4 Satz 1
SGB IX und §§ 102
ff. SGB X verweist (
BSG, Urteil vom 20.11.2008 -
B 3 KN 4/07 KR R = BSGE 102, 90 = SozR 4-2500 § 33
Nr. 21
m.w.N.;
BSG, Urteil vom 25.06.2009 -
B 3 KR 4/08 R = SozR 4-2500 § 33
Nr. 26).
Die erneute Weiterleitung des Ag. als zweitangegangener Reha-Träger an den Beigeladenen 2) durch das Schreiben vom 19.05.2010 war nach alledem nicht mehr von der Vorschrift des § 14
SGB IX gedeckt und somit unzulässig. Die Zuständigkeit eines drittangegangenen Reha-Trägers will § 14
SGB IX gerade vermeiden.
Der Ag. wird nunmehr unverzüglich - der Internatsplatz muss bis Ende Juli 2010 besetzt werden - über die beantragte Eingliederungshilfe sowohl nach den Vorschriften des
SGB XII als auch - wenn er deren Voraussetzungen verneint - nach den Vorschriften des
SGB VIII zu entscheiden haben. Falls er zum Ergebnis kommt, dass ein anderer Reha-Träger,
z.B. der Beigeladene 2), für die Leistung zuständig ist, hat er später die Möglichkeit, im Rahmen eines Kostenerstattungsverfahrens
gem. § 14
Abs. 4 Satz 1
SGB IX seine Aufwendungen bei diesem geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.