Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 7. April 2016 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 1. April 2016 bis 30. September 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die am 12. April 2016 eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 7. April 2016 ist statthaft und zulässig (§ 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein Streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund voraus, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung glaubhaft zu machen.
Dies zugrunde gelegt, hat der Antragsteller hier sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die 1. das 15 Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Diese Voraussetzungen liegen im Falle des am ..... 1995 geborenen Antragstellers vor. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, ist hilfebedürftig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob der Antragsteller erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 8 SGB II ist. Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dass der Antragsteller nicht mehr erwerbsfähig in diesem Sinne wäre, wurde bisher nicht festgestellt. Soweit der Antragsgegner unter Berufung auf die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB II die Auffassung vertritt, dass bei behinderten Menschen, die im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt sind, nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) i. V. m. § 1 Satz 1 Nr. 2a SGB VI eine dauerhafte, volle Erwerbsminderung vorliege und von einer Erwerbsfähigkeit im Sinne des §8 SGB II erst dann wieder ausgegangen werden könne, wenn die Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen durch Aufnahme eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses beendet sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen und sieht sich insoweit auch nicht an die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit gebunden. Denn diese Rechtsauffassung findet in den gesetzlichen Vorschriften keine Stütze. § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI bestimmt, dass voll erwerbsgemindert auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sind, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne. Zu den Versicherten nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI gehören u. a. behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen tätig sind. Danach führt allein der Besuch einer Werkstatt für behinderte Menschen nicht dazu, dass Erwerbsunfähigkeit anzunehmen ist. Vielmehr muss noch hinzukommen, dass der Hilfebedürftige wegen Art und Schwere seiner Behinderung tatsächlich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsatzfähig ist (so bereits LSG Hamburg, Beschluss vom 22.08.2014, L 4 AS 286/14; vgl. auch BSG, Urteil vom 24.04.1996, 5 RJ 34/95; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.12.2010, L 7 AS 1549/10 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.09.2009, L 3 AS 24/08; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.04.2014, L 19 AS 485/14 B ER). Dies steht aber im Falle des Antragstellers gerade nicht fest und bedarf weiterer Ermittlungen.
Mit Rücksicht darauf ist hier unter Zugrundelegung der Regelung des § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II weiterhin von der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers auszugehen. Nach dieser Vorschrift hat der Antragsgegner bis zur Klärung der Erwerbsfähigkeit in dem in § 44a Abs. 1 SGB II im Einzelnen geregelten Verfahren bei Vorliegen der übrigen Voraussetzung Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu erbringen. Die Erwerbsfähigkeit wird danach vorerst fingiert. § 44a Abs. Satz 7 SGB II enthält insoweit eine Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch in der Fassung vom 23. Dezember 2003, mit der zu Gunsten des Hilfebedürftigen sichergestellt werden soll, dass dieser nicht "zwischen den Stühlen sitzt" (vgtl. BSG, Urteil vom 7.11.2006, B 7b AS 10/06 R zur Vorgängerregelung des § 44a Abs. 1 Satz 3 SGB II). Diese Regelung ist nach ihrem Sinn und Zweck nicht nur bei einem schon bestehenden Streit zwischen den Leistungsträgern, sondern auch dann anzuwenden, wenn der Grundsicherungsträger von einer fehlenden Erwerbsfähigkeit ausgeht, sich aber nicht um eine Klärung der Angelegenheit mit dem zuständigen Leistungsträger des SGB XII bemüht hat (vgl. BSG, a.a.O.).
Der Antragsteller hat schließlich auch einen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Dieser ergibt sich schon aus dem existenzsichernden Charakter der begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Wie der Betreuer des Antragstellers fernmündlich mitgeteilt hat, erhält der Antragsteller seit April 2016 keinerlei Leistungen vom Antragsgegner mehr, so dass ihm ein Einkommen lediglich 190,- Euro Kindergeld und 75,- Euro an Ausbildungsbeihilfe verbleiben.
Die Höhe der Leistungen, die nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II grundsätzlich den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung umfassen, hat der Antragsgegner in eigener Zuständigkeit zu ermitteln. Die Dauer der Leistung ergibt sich aus § 41 Absatz 1 Satz 4 SGB II, wonach die Leistungen jeweils für sechs Monate bewilligt werden sollen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).