Urteil
Begleitende Hilfe im Arbeitsleben - Förderung einer technische Arbeitshilfe für eine Schwerbehindertenvertretung

Gericht:

VG Schleswig


Aktenzeichen:

15 A 23/02


Urteil vom:

27.11.2002


Grundlage:

Zum Begriff des Arbeitsplatzes im Schwerbehindertenrecht in Bezug auf die Förderung einer technischen Arbeitshilfe für eine Schwerbehindertenvertretung.

Rechtsweg:

OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.08.2003 - 2 LA 46/03

Quelle:

Judicialis
Behindertenrecht 01/2004

Aus den Gründen:

1. Der im Jahre 1948 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100. Er erfüllt das Merkzeichen "BL" (blind) seit November 1997. Eine Restsehfähigkeit ist vorhanden.

Der Kläger ist beschäftigt bei D. als Berater für Hilfsmittel für Schwerbehinderte. Zugleich ist er Schwerbehindertenvertreter, Gesamtschwerbehindertenvertreter, seit März 2000 Betriebsratsmitglied und stellvertetender Vorsitzender des Betriebsrates, Gesamtbetriebsratvorsitzender und im Beirat für Kriegsopferfürsorge.

Für den Arbeitsplatz des Klägers in der D.-Geschäftsstelle in R., der auch zuvor schon aktualisiert behindertengerecht angepasst worden war, erhielt sein Arbeitgeber zuletzt mit Bescheid vom 12.7.2002 durch den Beklagten den Zuschuss bis zur Höhe von 7.987,70 Euro für die Anschaffung neuer Software und eines Lesegeräts.

Bereits im Oktober 1999 hatte der Kläger beim Beklagten die Kostenübernahme für eine prozessorgesteuerte Lesehilfe für hochgradig Sehgeschädigte und Blinde sowie weitere Zusatzgeräte in einem Kostenumfang von damals insgesamt 19.000 DM für die Aufstellung zu Hause beantragt. Diesen Antrag hatte die Beklagte mit Bescheid vom 27.10.1999 und Widerspruchsbescheid vom 17.1.2000 abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage hatte das VG Schleswig mit Urteil vom 6.9.2000 - 15 A 65/00 - als unbegründet abgewiesen. Ein Rechtsmittel wurde nicht eingelegt.

Am 19.12.2000 beantragte der Kläger beim Beklagten die Kostenübernahme für ein transportables offenes Vorlesesystem im Gesamtpreis von 17.615,06 DM. Zur Begründung führte er aus, das er bei seiner letzten Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung erneut habe feststellen müssen, dass es ohne technische Hilfen am Fortbildungsort, also einer mobilen PC-Ausstattung nicht mehr gehe. Auch bei anderen Besprechungen, in denen es auf das Nachschlagen in Vorlagen und Texten ankomme, habe er vermehrt Schwierigkeiten. Insbesondere im Hinblick auch diese Schwierigkeiten und die neue Rechtslage (Novellierung des Schwerbehindertengesetzes) beantrage er ein mobiles, offenes Vorlese- und Schreibsystem für hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen. Hiermit wäre er in der Lage, ohne fremde Hilfe an jedem Ort an Fort- und Weiterbildungen, Sitzungen und an Besprechungen jeder Art teilzunehmen. Die sehr zeitaufwändigen Vor- und Nachbearbeitungen würden entfallen. Zudem befürchte er, dass er sich beruflich neu orientieren müsse, zumindest müsse er sich qualifizieren, um inner- und außerbetriebliche Bewerbungsmöglichkeiten wahrnehmen zu können.

Mit Bescheid vom 17.1.2002 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung hieß es, es ergebe sich kein neuer Sachverhalt gegenüber dem mit Antrag vom 4.10.1999 geltend gemachten Anspruch, der rechtskräftig abgelehnt worden sei. Auch wenn die vom Kläger nunmehr beantragte mobile PC-Ausstattung geringfügig preisgünstiger sei, handele es sich auch bei dieser um ein Hilfsmittel, das nicht unmittelbar der Arbeits- und Berufsförderung des Klägers diene, sodass auf die Begründung des Urteils des VG Schleswig vom 6.9.2000 - 15 A 65/00 - zu verweisen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich der Kläger nun beruflich neu orientieren müsse. Er verfüge über einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Kläger am 1.2.2002 Klage.


II. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides und auf Kostenübernahme durch den Beklagten gem. §§ 77 Abs. 5, 102 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1 Buchstaben b oder c SGB IX i.V.m. §§ 17, 19, 24 SchwbAV. Dies gilt auch im Hinblick auf den vom Kläger wegen der Regelung des § 102 Abs. 3 SGB IX, nach der die vom Beklagten zu gewährenden Integrationsleistungen Ermessensleistungen sind, gestellten Hilfsantrag. Gem. § 77 Abs. 5 Satz 1 SGB IX darf die Ausgleichsabgabe nur für besondere Leistungen zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben einschließlich begleitender Hilfe im Arbeitsleben (§ 102 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX) verwendet werden, soweit Mittel für denselben Zweck nicht von anderer Seite zu leisten sind oder geleistet werden. Gem. § 102 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX obliegt dem Integrationsamt, also dem Beklagten, die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben. § 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX bestimmt, welche Geldleistungen das Integrationsamt aus der Ausgleichsabgabe im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben an schwerbehinderte Menschen erbringen kann, und zwar nach Buchstabe a für technische Arbeitshilfen und nach Buchstabe e zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a SchwbAV können Leistungen an Schwerbehinderte für technische Arbeitshilfen (§ 19), nach Buchstabe f zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten ( § 24) und nach Buchstabe g in besonderen Lebenslagen (§ 25) erbracht werden.

Insoweit hat die Kammer bereits in ihrem Urteil vom 6. September 2000 - 15 A 65/00 - festgestellt, dass keine dieser Voraussetzungen vorliegt. Daran ist auch nach der Einführung des SGB IX zum 1. Juli 2001 (vgl. Art. 68 SGB IX) festzuhalten. Die hier maßgeblichen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (§§ 11, 31 und 7) sind wortgleich in die Vorschriften des SGB IX (§§ 77, 102 und 73) übernommen worden. Die SchwbAV ist dementsprechend auch nicht verändert worden. Im Einzelnen gilt Folgendes:

Die Förderung gem. § 102 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB IX, § 19 SchwbAV setzt voraus, dass es sich um eine technische Arbeitshilfe handelt. Hiermit ist gemeint, dass der Arbeitsplatz selbst mit den erforderlichen "technischen Arbeitshilfen" ausgestattet wird. Die technische Arbeitshilfe gem. § 19 SchwbAV setzt also voraus, dass diese am Arbeitsplatz selbst installiert wird. Der Arbeitsplatz ist gem. der Lagaldefinition des § 73 Abs. 1 SGB IX, die hier heranzuziehen ist, diejenige Stelle, an der ein Arbeiter, Angestellter, Beamter,. .. beschäftigt wird. Diese Definition des Arbeitsplatzes hat für alle Vorschriften des zweiten Teils des SGB IX und der zur Durchführung erlassenen Verordnungen Bedeutung sowie gerade auch für die Definition der technischen Arbeitshilfe gem. § 102 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB IX, § 19 SchwbAV. Da der Kläger seine Lesehilfe nicht an seinem Arbeitsplatz aufstellen möchte, dieser ist bereits durch Förderung des Beklagten mit einer technischen Lesehilfe ausgestattet, sondern ihn für Fortbildungen und im Rahmen seiner Tätigkeit als Schwerbehindertenvertreter und Betriebsrat benötigt, kann eine Förderung nicht erfolgen, da es sich hierbei nicht um den Arbeitsplatz im Sinne des § 19 SchwbAV (§ 102 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB IX) handelt. Dies zeigt sich auch daran, dass für Fortbildungsmaßnahmen und für die Tätigkeit als Schwerbehindertenvertreter und Betriebsratsmitglied besondere gesetzliche Regelungen vorgesehen sind.

Eine Zuschussgewährung gem. § 24 SchwbAV bzw. § 102 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe e SGB IX, wonach Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Erhaltung und Erweiterung der beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten Schwerbehinderter gefördert werden können bzw. die Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten gefördert werden kann, scheitert daran, dass es sich weder um eine inner- noch außerbetriebliche Maßnahme handelt, an welcher der Kläger zu dem vorgenannten Zwecke "teilnimmt". Insofern käme eine Förderung nur dann in Betracht, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang mit einer einzelnen Fortbildungsmaßnahme bestünde, wenn der Kläger also zur Teilnahme an einer speziellen Fortbildungsmaßnahme der Lesehilfe bedürfe. Das Gesetz sieht nicht vor, dass dem Kläger quasi vorsorglich vom Beklagten eine Lesehilfe zur Teilnahme an irgendwelchen künftig möglichen Fortbildungen zur Verfügung zu stellen hat.

Schließlich kommt auch eine Zuschussgewährung gem. § 25 SchwbAV nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift können andere Leistungen zur begleitenden Hifle im Arbeits- und im Berufsleben als die in §§ 19 - 24 SchwbAV geregelten Leistungen unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung erforderlich sind, um u.a. die Eingliederung in das Arbeits- und Berufsleben zu sichern. Eine Förderung gem. § 25 SchwbAV setzt jedoch, wie auch die anderen Fördermöglichkeiten, voraus, dass es sich um eine Maßnahme handelt, die unmittelbar der Arbeits- und Berufsförderung des Schwerbehinderten dient. Auf dem Umweg über die Auffangvorschrift des § 25 SchwbAV kann nicht die grundsätzliche Regelung des § 17 Abs. 2 SchwbAV wieder aufgehoben werden, wonach andere als die bezeichneten Leistungen, die der Berufs- und Arbeitsförderung des Schwerbehinderten nicht oder nur mittelbar dienen, gerade von der Förderung ausgeschlossen sind. Eine solche Regelung im Wege der AV würde zudem gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX verstoßen, der eine solche Möglichkeit ebenfalls nicht eröffnet. Bei der begehrten Lesehilfe handelt es sich um ein Hilfsmittel, das nicht unmittelbar der Arbeits- bzw. beruflichen Förderung des Klägers dient. Er kann mit der Lesehilfe erst mittelbar Maßnahmen ergreifen, die ihm letztlich dienen.

Eine Zuschussgewährung unter dem Aspekt, dass der Kläger die Lesehilfe für seine Tätigkeit als Schwerbehindertenvertreter bzw. als Betriebsratsmitglied nutzen möchte, scheitert daran, dass der Beklagte hierfür nicht der richtige Anspruchsgegner ist. Gem. § 96 Abs. 8 Satz 1 trägt die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entstehenden Kosten der Arbeitgeber. Gem. § 40 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz trägt der Arbeitgeber außerdem die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Insofern kommt auch die vom Kläger angeregte Beiladung seines Arbeitgebers nicht in Betracht, da für Ansprüche aus dem Betriebsverfassungsgesetz die Arbeitsgerichte zuständig sind, ebenso für den Anspruch aus § 96 Abs. 8 Satz 1 SGB IX (vgl. Masuch in: Hauck/Noftz SGB IX Loseblattkommentar § 96 Rn. 48 m. w.N.). Eine Beiladung durch das Verwaltungsgericht als ein insoweit zur Sachentscheidung nicht befugtes Gericht würde keine irgendwie gearteten Rechtsfolgen auslösen können. Sofern der Kläger Fortbildungsveranstaltungen im Hinblick auf die Tätigkeiten benennt, ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass nach § 96 Abs. 8 Satz 2 SGB IX der Arbeitgeber auch die Fortbildungskosten hinsichtlich derjenigen Veranstaltungen zu tragen hat, die nach § 96 Abs. 4 Satz 3 SGB IX Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sind. Allerdings hat der Kläger in seiner Aufstellung vom 2. Oktober 2002 Fortbildungsveranstaltungen nicht mehr genannt, sondern nur noch seine Tätigkeit im Rahmen der Schwerbehindertenvertretung, Gesamtschwerbehindertenvertretung, als Betriebsratsmitglied bzw. stellvertretender Vorsitzender und als Gesamtbetriebsratsvorsitzender.


bestätigende Entscheidung des OVG Schleswig vom 11.08.2003 - 2 LA 46/03

Referenznummer:

R/R1871


Informationsstand: 24.03.2004