Urteil
Erfüllung der Mindestversicherungszeit für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen aus der gesetzlichen Rentenversicherung - multilaterale Zusammenrechnung von in Deutschland, Serbien und Frankreich zurückgelegten Versicherungszeiten bei Anwendung des SozSichAbk YUG - Wechsel in eine andere Altersrente iS des § 34 Abs 4 Nr 3 SGB 6

Gericht:

LSG Baden-Württemberg 11. Senat


Aktenzeichen:

L 11 R 1005/17


Urteil vom:

23.10.2018


Grundlage:

  • SGB X § 44 |
  • SGB VI § 34 Abs. 4 |
  • DSJVA Art. 2 Abs. 2

Leitsätze:

Bei einer deutschen Staatsangehörigen, die rentenrechtliche Zeiten sowohl in Serbien als auch in Deutschland und in Frankreich hat, sind sämtliche Versicherungszeiten auf die Wartezeit für eine Altersrente für Schwerbehinderte nach § 37 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1992 anzurechnen. Der Ausschluss der multilateralen Zusammenrechnung von Versicherungszeiten (Kumulierungsverbot) steht dem nicht entgegen, weil das in diesem Fall noch zur Anwendung kommende Deutsch-Jugoslawische Sozialversicherungsabkommen keine sog. Abwehrklausel enthält.

Ein Wechsel in eine andere Altersrente iSd § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI liegt nur vor, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte (neue) Rente erst nach der Bewilligung und während des Bezugs der (bisherigen) Rente eingetreten sind.

(Der Senat hat die Revision zugelassen)

Rechtsweg:

SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 10.02.2017 - 4 R 3262/15
BSG, Urteil vom 26.02.2020 - B 5 R 21/18 R

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.02.2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2015 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 11.11.2005 aufzuheben und der Klägerin ab dem 01.01.2007 eine Altersrente für Schwerbehinderte zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:


Die Klägerin macht eine Neufeststellung ihrer Altersrente im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X geltend.

Die 1940 in Serbien geborene Klägerin ist seit Mai 1978 deutsche Staatsangehörige. Sie war sowohl im früheren Jugoslawien (Serbien) als auch in Frankreich und in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. In Deutschland war sie von Dezember 1969 bis September 1998 - mit Unterbrechungen - erwerbstätig. Von Oktober 1998 bis März 2000 wurden Pflichtbeiträge aufgrund des Bezugs von Sozialleistungen (Krankengeld und Arbeitslosengeld) entrichtet. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung liegen von 1987 bis 1997 vor. Die Gesamtzahl der rentenrechtlichen Zeiten nach deutschem Recht beträgt 364 Kalendermonate. Für die Zeit von März 1961 bis November 1969 bestätigte der jugoslawische Versicherungsträger rentenrechtliche Zeiten nach dem damaligen jugoslawischen Recht im Umfang von 46 Kalendermonaten. Im Jahr 1966 arbeitete die Klägerin in Frankreich; der französische Versicherungsträger bestätigte 4 Trimester an Versicherungszeiten nach französischem Recht. Ab 31.03.1998 war die Klägerin als schwerbehinderter Mensch anerkannt (Bl 354 f Band I der Verwaltungsakte der Beklagten).

Am 14.10.1999 beantragte die Klägerin bei der damaligen Landesversicherungsanstalt (LVA) N.-O. die Gewährung von Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für Versicherte, die als Schwerbehinderte anerkannt sind, und Altersrente für Frauen wegen Vollendung des 60. Lebensjahres. Die LVA N.-O. bewilligte der Klägerin mit Rentenbescheid vom 30.03.2000 Altersrente für Frauen ab dem 01.04.2000. Die Rente wurde unter Beachtung eines durchgeführten Versorgungsausgleichs sowie unter Berücksichtigung des im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland weitergeltenden Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 (DJSVA - BGBl II 1969 S 1437) berechnet. Aufgrund der kalendarischen Lage übernahm der Rentenversicherungsträger im Zeitraum vom 01.03.1961 bis 01.11.1969 als Versicherungszeiten in Serbien bzw Montenegro 4 Jahre und 11 Tage (Bl 410 und 464 Band I der Verwaltungsakte). Der Zugangsfaktor wurde für 3 Kalendermonate um 0,009 vermindert und betrug demzufolge 0,991. Der monatliche Rentenwert wurde auf der Grundlage von 24,6195 persönlichen Entgeltpunkten (pEP) ermittelt (24,8431 * 0,991). Der Bescheid enthielt folgenden Hinweis: "Voraussetzung für die Altersrente mit vollendetem 60. Lebensjahr wegen Schwerbehinderung ist unter anderem eine Wartezeit von 35 Versicherungsjahren (= 420 Monate). Da Sie allein mit deutschen Zeiten diese Wartezeit nicht erfüllen, haben wir den jugoslawischen Rentenversicherungsträger in Beograd um Aufstellung aller dort zurückgelegten Versicherungszeiten gebeten. Sobald uns die jugoslawischen Zeiten von Beograd bestätigt werden, überprüfen wir, ob die Wartezeit für die Altersrente gem. § 37 SGB VI erfüllt ist. Diese Rente könnte dann ab 01.04.2000 ohne Abschlag gezahlt werden. Wir werden dann die für Sie günstigere Rente ohne Abschlag rückwirkend gewähren." Einen Widerspruch der Klägerin vom 13.11.2006 gegen diesen Bescheid wies die LVA N.-O. mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2006 wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig zurück.

Mit Bescheid vom 11.11.2005 lehnte die LVA N.-O. den Antrag der Klägerin vom 14.10.1999 auf Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab. Zwar könnten zusätzlich zu den deutschen Zeiten auch Versicherungszeiten aus Serbien und Montenegro für den Erwerb des Leistungsanspruchs berücksichtigt werden. Nach Mitteilung des serbisch-montenegrinischen Versicherungsträgers lägen dort aber nur 39 Kalendermonate Versicherungszeiten vor. Zusammen mit den deutschen Zeiten ergäben sich nur 403 Kalendermonate für die Wartezeit.

Vom französischen Versicherungsträger erhält die Klägerin seit 01.09.2008 eine Alterspension.

Nachdem festgestellt worden war, dass die Klägerin auch französische Versicherungszeiten hat, wurde das Verwaltungsverfahren an die Deutsche Rentenversicherung (DRV) R.-P. (Beklagte) abgegeben. Mit Rentenbescheid vom 02.07.2009 stellte die Beklagte die Altersrente für Frauen unter Berücksichtigung einer in Frankreich zurückgelegten Pflichtbeitragszeit von 12 Monaten im Jahr 1966 neu fest, und zwar rückwirkend ab 01.01.2004. Die Berechnung der innerstaatlichen Rente ergab 24,6195 pEP, die zwischenstaatliche Berechnung 24,6259 pEP. Deshalb wurden für den Monatsbetrag der Rente 24,6259 pEP berücksichtigt (Bl 110 Band II der Verwaltungsakte). Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2009 zurück.

In einem Rechtsstreit, der sich aus einem Streit über die Rechtmäßigkeit einer im Jahr 2011 erfolgten Bescheidung über eine Rentenanpassung entwickelte, schlossen die anwaltlich vertretene Klägerin und die Beklagte vor dem 4. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (L 4 R 4097/13) am 13.08.2014 einen Vergleich, in dem sich die Beklagte bereit erklärte, im Rahmen eines Zugunstenverfahrens unter Zugrundelegung einer Antragstellung am 16.06.2011 den ursprünglichen Altersrentenbescheid vom 30.03.2000 in der Fassung der nachfolgenden Bescheide zu überprüfen und der Klägerin ggf eine höhere Altersrente zu gewähren. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.11.2014 (Bl 266 Band II der Verwaltungsakte) und Widerspruchsbescheid vom 02.03.2015 (Bl 299 ff Band II der Verwaltungsakte) ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen setze ua die Erfüllung einer Wartezeit von 420 Monaten voraus. Die Klägerin habe jedoch nur 376 Monate zurückgelegt. Bei der Berechnung der Wartezeit seien nur deutsche und französische Versicherungszeiten nach den EWG-Verordnungen berücksichtigt worden. Die von der Klägerin in Serbien behaupteten Zeiten könnten nicht zusätzlich zu den französischen Zeiten berücksichtigt werden. Die deutschen und die serbischen Zeiten ergäben lediglich 410 Monate. Auch damit sei die Wartezeit nicht erfüllt.

Am 20.07.2015 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist zu gewähren. Das SG hat der Klägerin mitgeteilt, die Klage vorläufig als zulässig zu behandeln. Mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2017 hat es die Klage als unbegründet abgewiesen.

Gegen den ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten am 13.02.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat sich die Klägerin am 08.03.2017 an das Bundessozialgericht (BSG) gewandt, welches die Unterlagen dem LSG übersandt hat, wo sie am 13.03.2017 eingegangen sind.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin vorgetragen, bezüglich einer serbischen Rente habe sie lediglich einen Anspruch auf 400 Dinar monatlich. Dies entspreche 3,34 EUR monatlich. Diese Rente habe sie nie abgeholt oder sich überweisen lassen, da an Bankkosten bereits 300 Dinar anfielen. Es sei deshalb nicht davon auszugehen, dass ihre Ausbildungs- und Arbeitszeiten aus Serbien in der Rente Berücksichtigung gefunden hätten.


Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 10.02.2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 30.03.2000 abzuändern und der Klägerin Altersrente für Schwerbehinderte, hilfsweise eine höhere Altersrente für Frauen jeweils unter zusätzlicher Berücksichtigung der in Serbien zurückgelegten Versicherungszeiten zu gewähren.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Auf eine Nachfrage des Senats hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, Sozialversicherungsabkommen regelten immer nur die Beziehungen zwischen zwei Staaten. Eine Verknüpfung von oder mit mehreren Abkommen sei wegen des Verbots der multilateralen Vertragsanwendung nicht möglich. Es könne deshalb dahinstehen, ob das DJSVA eine sog "Abwehrklausel" enthalte. Es komme im vorliegenden Fall nicht auf das Vorliegen dieser "Abwehrklausel" an, da die Zusammenrechnung von deutschen und französischen Zeiten im Rahmen der EWG/EG-Verordnungen erfolge. Für das zusätzliche Einbeziehen serbischer Zeiten fehle es an einer Rechtsgrundlage, da bilaterale Sozialversicherungsabkommen nicht zu den Rechtsvorschriften im Sinne der EWG/EG-Verordnungen gehörten. So habe der EuGH mit Urteil vom 02.08.1993 (Rechtssache C-23/92, G.-N.) entschieden, dass "Rechtsvorschriften" im Sinne der EWG-Verordnungen nicht Bestimmungen von zwischenstaatlichen Abkommen über die soziale Sicherheit sind, die nur zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat geschlossen worden sind.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:


Die Berufung der Klägerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, sie ist auch im Hauptantrag begründet, so dass es - hinsichtlich der Altersrente für Frauen - einer Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag nicht bedarf. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für Schwerbehinderte.

Im Hauptantrag ist Streitgegenstand die Gewährung einer Altersrente für Schwerbehinderte. Der Antrag der Klägerin vom 14.10.1999 auf Gewährung dieser Rente wurde allerdings nicht im Bescheid vom 30.03.2000 abgelehnt. Mit diesem Bescheid wurde der Klägerin eine ebenfalls am 14.10.1999 beantragte Altersrente für Frauen bewilligt. Der Antrag auf Gewährung einer Altersrente für Schwerbehinderte wurde aber noch nicht beschieden, da zunächst der Eingang der vom serbisch-montenegrinischen Versicherungsträger eingeholten Bestätigung abgewartet werden sollte. Dies folgert der Senat aus dem Hinweis, der dem Bescheid vom 30.03.2000 beigefügt war. Danach führte die LVA N.-O. ua aus, dass sie, sobald ihr die jugoslawischen Zeiten von Beograd bestätigt werden, überprüfen werde, ob die Wartezeit für die Altersrente gem. § 37 SGB VI erfüllt ist und, sollte dies der Fall sein, der Klägerin die für sie günstigere Rente ohne Abschlag rückwirkend gewähren werde. Damit wurde der Antrag auf die Gewährung von Altersrente für Schwerbehinderte erst mit Bescheid vom 11.11.2005 abgelehnt. Dieser Bescheid wird auch von dem im Vergleich vor dem 4. Senat des LSG Baden-Württemberg beantragten Zugunstenverfahrens umfasst. Dort wird zwar ausdrücklich nur der Bescheid vom 30.03.2000 erwähnt. Die im Vergleich beantragte Überprüfung sollte aber auch alle nachfolgenden Bescheide, also auch den Bescheid vom 11.11.2005, erfassen. In der Sitzungsniederschrift des LSG vom 13.08.2014 wird auch ausdrücklich erwähnt, dass es der Klägerin wichtig sei die Frage zu klären, ob bei der damaligen Antragstellung im Jahr 1999 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente wegen Schwerbehinderung erfüllt gewesen seien.

Rechtsgrundlage für eine Abänderung des Bescheides vom 11.11.2005 ist § 44 SGB X. Danach gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X). Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist (§ 44 Abs 3 SGB X). Bei Erlass des Bescheides vom 11.11.2005 ist die damals zuständig gewesene LVA N.-O. insoweit von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen als sie angenommen hat, dass die anerkannten rentenrechtlichen Zeiten keine 35 Jahre ergeben und der Klägerin deshalb keine Altersrente für Schwerbehinderte zusteht. Dies ist aber der Fall.

Nach § 37 SGB VI in der hier anzuwendenden Fassung des Art 1 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992) vom 18.12.1989 (BGBl I S 261 - SGB VI aF) haben Versicherte Anspruch auf Altersrente für Schwerbehinderte, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben, bei Beginn der Altersrente als Schwerbehinderte (§ 1 Schwerbehindertengesetz) anerkannt sind und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Sämtliche Voraussetzungen hat die Klägerin erfüllt. Sie war zumindest ab März 1998 und noch im März 2000 als Schwerbehinderte anerkannt und hat am 03.03.2000 das 60. Lebensjahr vollendet. Auch hat sie die Wartezeit von 35 Jahren (= 420 Kalendermonate) erfüllt.

Auf die Wartezeit von 35 Jahren werden gemäß § 51 Abs 3 SGB VI alle rentenrechtlichen Zeiten iSd § 54 Abs 1 Nr 1 und 2 SGB VI aF angerechnet. Die Gesamtzahl der rentenrechtlichen Zeiten nach deutschem Recht beträgt 364 Kalendermonate. Für die Zeit von März 1961 bis November 1969 bestätigte der jugoslawische Versicherungsträger rentenrechtliche Zeiten nach dem damaligen jugoslawischen Recht im Umfang von 46 Kalendermonaten. Im Jahr 1966 arbeitete die Klägerin in Frankreich; der französische Versicherungsträger bestätigte 4 Trimester (= 12 Kalendermonate) an Versicherungszeiten nach französischem Recht. Zusammen ergeben sich damit 422 Kalendermonate an rentenrechtlichen Zeiten, die auf die Wartezeit von 35 Jahren angerechnet werden. Versicherungszeiten aus einem Staat, mit dem Deutschland ein Sozialversicherungsabkommen hat, werden zusätzlich zu den Zeiten berücksichtigt, die der Versicherte neben deutschen Zeiten in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union zurückgelegt hat, wenn das anzuwendende Abkommen keine sog Abwehrklausel enthält.

Die Anrechnung der in Frankreich zurückgelegten Zeiten bestimmt sich nach dem zum Zeitpunkt der Antragstellung und dem Eintritt des Leistungsfalls im März 2000 noch gültigen Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 (VO Nr 1408/71). Diese Verordnung ist nach ihrem Art 2 Abs 1 auf die Klägerin anwendbar, da diese als deutsche Staatsbürgerin Staatsangehörige eines Mitgliedstaats ist. Ist nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Anspruchs auf die Leistungen eines Systems, das kein Sondersystem im Sinne des Absatzes 2 oder 3 ist, davon abhängig, dass Versicherungs- oder Wohnzeiten zurückgelegt worden sind, berücksichtigt der zuständige Träger dieses Mitgliedstaats, soweit erforderlich, gemäß Art 45 Abs 1 Satz 1 VO Nr 1408/71 die nach den Rechtsvorschriften jedes anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten. Zu diesem Zweck berücksichtigt er diese Zeiten, als ob es sich um nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegte Zeiten handelte (Art 45 Abs. 1 S. 2 VO Nr 1408/71; vgl in Bezug auf Österreich BayLSG 12.12.2012, L 13 R 53/10 juris).

Die Anrechnung der im früheren Jugoslawien und heutigen Serbien zurückgelegten Zeiten ergibt sich aus Art 25 Abs 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit (DJSVA) vom 12.10.1968 (BGBl II 1969 S 1437), das im Verhältnis zu Serbien weiterhin Anwendung findet. Diese Bestimmung greift ein, wenn - wie hier - nach deutschem und serbischen Recht anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden sind. In diesem Fall werden für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden (hier: deutschen) Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates (hier: Serbien) anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen (Art 25 Abs 1 Satz 1 DJSVA). In welchem Ausmaß Versicherungszeiten anrechnungsfähig sind, richtet sich den Rechtsvorschriften, die die Anrechnungsfähigkeit bestimmen (Art 25 Abs 1 Satz 3 DJSVA).

Der Anrechnung der in Serbien zurückgelegten Zeiten steht der Ausschluss der multilateralen Zusammenrechnung von Versicherungszeiten (Kumulierungsverbot) nicht entgegen. Ein solches Verbot ergibt sich nicht aus Art 25 Abs 1 DSJVA, obwohl diese Bestimmung im Verhältnis von der Bundesrepublik Deutschland und Serbien nur die Berücksichtigung der Zeiten nach den Rechtsvorschriften beider Staaten erwähnt, nicht hingegen Versicherungszeiten, die nach dem Recht eines Drittstaates (hier: Frankreich) oder einer Staatengemeinschaft zurückgelegt worden sind. Zudem ist in Art 2 Abs 1 Nr 1 c, Nr 2 b DSJVA geregelt, dass sich das Abkommen auf die deutschen Rechtsvorschriften über die Rentenversicherung und auf die jugoslawischen Rechtsvorschriften über die Pensionsversicherung (Alters- und Hinterbliebenenversicherung) bezieht. Aus Art 2 Abs 2 DSJVA geht hervor, dass Rechtsvorschriften im Sinne des Art 2 Abs 1 nicht diejenigen sind, die sich für einen Vertragsstaat aus zwischenstaatlichen Verträgen oder überstaatlichem Recht ergeben oder zu deren Ausführung dienen, soweit sie nicht Versicherungslastregelungen enthalten. Hieraus allein resultiert nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 08.03.1972, 11 RA 46/71, BSGE 34, 90) jedoch nicht ein Verbot einer multilateralen Zusammenrechnung. Vielmehr besagen diese Regelungen nur, dass sich die im Abkommen getroffenen Regelungen grundsätzlich allein im Verhältnis der beiden Vertragsstaaten zueinander auswirken, nicht aber zugleich auf das Abkommen eines Vertragspartners mit einem dritten Staat erstrecken. Dadurch werde verhindert, dass die Regelung einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, die ein Vertragspartner mit einem anderen Staat geschlossen hat und die durch das Zustimmungsgesetz innerstaatliches Recht geworden ist, von dem anderen Vertragspartner bei der Durchführung des Vertrages berücksichtigt werden muss, obwohl er mit dem dritten Staat kein Abkommen getroffen hat. Die nicht gewünschte Belastung eines anderen Staates durch ein weiteres Sozialversicherungsabkommen trete aber nicht ein, wenn lediglich der deutsche Versicherungsträger die jeweiligen Zeiten für die Berechnung der Wartezeit kumulativ berücksichtigen muss (BayLSG 12.12.2012, L 13 R 53/10, juris; ob diese enge Auslegung zwingend ist, hat das BSG im Urteil vom 21.01.1993, 13 RJ 7/91, BSGE 72, 25 offengelassen).

Gleiches gilt für die entsprechenden Regelungen über den Begriff "Rechtsvorschriften" in Art 1 Buchst j) VO (EWG) Nr 1408/71 und die Berücksichtigung von Versicherungszeiten in Art 45 Abs 1 VO (EWG) Nr 1408/71. Dem steht das Urteil des EuGH vom 15.01.2002, C-55/00, C.-Nr. 62000CJ0055, G.) nicht entgegen. Im Gegenteil anerkennt der EuGH in dieser Entscheidung, dass ein Mitgliedstaat (hier: Deutschland) mit einem Drittstaat (hier Jugoslawien bzw Serbien) ein bilaterales Abkommen über die soziale Sicherheit abschließen kann, das die Berücksichtigung der in diesem Drittstaat zurückgelegten Versicherungszeiten für den Erwerb des Anspruchs auf Leistungen bei Alter vorsehen kann. Der Mitgliedstaat ist sogar verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedsstaaten die gleichen Vorteile zu gewähren. Im konkreten Fall rügte der EuGH, dass Italien eine solche Anerkennung nur für italienische Staatsangehörige vorgesehen hatte. Die Anerkennung auch der serbischen Zeiten beruht auf Art 25 Abs 1 DJSVA und dem hierzu ergangenen Zustimmungsgesetz.

Auf die dargestellte Rechtsprechung des BSG hin erfolgte zwar eine Änderung in einer Reihe von Sozialversicherungsabkommen. Es wurde dabei eine Regelung aufgenommen, die dem deutschen Träger bei der Anwendung des einen Sozialversicherungsabkommens die gleichzeitige Anwendung eines anderen bilateralen Abkommens, dessen Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind, verbietet (sog Abwehrklauseln). Sind außer den Voraussetzungen für die Anwendung des Abkommens auch die Voraussetzungen für die Anwendung eines anderen Abkommens oder einer überstaatlichen Regelung erfüllt, so lässt der deutsche Träger aufgrund einer solchen Abwehrklausel bei Anwendung des Abkommens das andere Abkommen oder die überstaatliche Regelung unberücksichtigt, soweit diese nichts Anderes bestimmen (BayLSG 12.12.2012, L 13 R 53/10, unter Hinweis auf BSG 20.04.1993, 5 RJ 60/91, BSGE 72, 196). Eine solche Abwehrklausel enthält das DJSVA jedoch nicht. Damit sind im vorliegenden Fall für die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren deutsche, französische und serbische Versicherungszeiten, die nicht den gleichen Zeitraum betreffen, zusammenzurechnen.

Dies entspricht wohl auch der Praxis der Deutschen Rentenversicherung. In einem Informationsblatt der DRV B. S. zur Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit von 1968 mit Serbien (Stand April 2017) wird ua ausgeführt: "Auch wenn Versicherungszeiten in Deutschland und in Serbien zurückgelegt sind, wird die deutsche Rente vom Rentenversicherungsträger in Deutschland, die serbische Rente vom Träger in Serbien festgestellt. Die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (zB Erreichen der Altersgrenze, Minderung der Erwerbsfähigkeit, Wartezeit) müssen dabei nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht erfüllt sein. Allerdings werden bei der Anspruchsprüfung für geforderte Mindestversicherungszeiten die Zeiten in Deutschland und in Serbien zusammengezählt. Auch Versicherungszeiten in Staaten der Europäischen Union oder in weiteren Nachfolgestaaten Jugoslawiens können berücksichtigt werden."

Eine Altersrente für Schwerbehinderte ist rückwirkend ab 01.01.2007 zu gewähren. In dem vor dem 4. Senat des LSG Baden-Württemberg geschlossenen Vergleich (L 4 R 4097/13) am 13.08.2014 hat sich die Beklagte bereit erklärt, im Rahmen eines Zugunstenverfahrens unter Zugrundelegung einer Antragstellung am 16.06.2011 den ursprünglichen Altersrentenbescheid vom 30.03.2000 in der Fassung der nachfolgenden Bescheide zu überprüfen und der Klägerin ggf eine höhere Altersrente zu gewähren. Nach § 44 Abs 4 SGB X werden, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag. Auf der Grundlage eines Antrages vom 16.06.2011 steht der Klägerin die Altersrente für Schwerbehinderte ab 01.01.2007 zu.

Seit dem 01.08.2004 ist gemäß § 34 Abs 4 Nr 3 SGB VI nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters und - seit 01.01.2008 - auch für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente der Wechsel in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen. Diese Regelung greift hier jedoch nicht ein, da die Klägerin ihren Antrag auf Gewährung einer Altersrente wegen Schwerbehinderung zeitgleich mit dem Antrag auf Gewährung der Altersrente für Frauen gestellt hat und daher beide Renten (nach der materiellen Rechtslage) gleichzeitig beginnen. In diesem Fall liegt kein Wechsel in eine andere Altersrente vor. Ein Wechsel im Sinne des § 34 Abs. 4 SGB VI liegt immer dann vor, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte (neue) Rente erst nach der Bewilligung und während des Bezugs der (bisherigen) Rente eingetreten sind (LSG Nordrhein-Westfalen 26.01.2018, L 21 R 1030/16 zum Wechsel von einer Rente mit Abschlag und zu einer Rente ohne Abschlag mwN). Außerdem hat die Klägerin ihren Rentenantrag bereits vor Inkrafttreten von § 34 SGB VI gestellt (vgl auch LSG Baden-Württemberg 26.06.2014, L 10 R 5468/13, wonach ein aufgrund des Herstellungsanspruchs entstandener Anspruch auf Regelaltersrente nach altem Recht vom nachfolgenden Inkrafttreten des § 34 Abs 4 SGB VI unberührt bleibt).

Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente gleistet. Bei gleich hohen Renten geht die Altersrente für Schwerbehinderte einer Altersrente für Frauen in der Rangfolge vor (§ 89 Abs 1 SGB VI aF). Der Senat geht davon aus, dass die abschlagfrei zu gewährende Altersrente für Schwerbehinderte mindestens in gleicher Höhe wie die Altersrente für Schwerbehinderte zu gewähren ist. Gegenteiliges hat auch die Beklagte nicht geltend gemacht.

Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin unbegründet.

Die Klägerin ist nach ihrem Vorbringen der Auffassung, dass die in Serbien zurückgelegten Versicherungszeiten auch für die Rentenhöhe zu berücksichtigen sind. Dies ist jedoch unzutreffend. Nach den bereits erwähnten Bestimmungen des DJSVA erfolgt die Zusammenrechnung nur, soweit es um den Erwerb, nicht aber um die Höhe des Leistungsanspruches geht.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei wird berücksichtigt, dass die Klage der Klägerin überwiegend erfolgreich war, so dass eine Kostenteilung nicht angemessen erscheint.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (Reichweite des Kumulierungsverbots; Anwendungsbereich von § 34 SGB VI) zugelassen.

Referenznummer:

R/R8731


Informationsstand: 30.07.2021