Urteil
Vorzeitige Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit; Erfordernis der Durchführung eines sogenannten "BEM-Verfahrens"

Gericht:

OVG Mecklenburg-Vorpommern 2. Senat


Aktenzeichen:

2 LZ 537/21 OVG


Urteil vom:

08.04.2022


Grundlage:

Leitsatz:

Die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit steht nicht unter dem Vorbehalt, dass zuvor ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden ist.

Orientierungssatz:

Die Anordnung in § 84 Abs. 2 SGB 9 und das Dienstunfähigkeitsverfahren sind jeweils eigenständige Verfahren, die in rechtlicher Hinsicht nicht verknüpft sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 05. Juni 2014 - 2 C 22/13 - BVerwGE 150, 1 und juris; OVG Münster, Beschluss vom 15.12.2015 - 6 B 1022/15 -, juris).

Rechtsweg:

vorgehend VG Schwerin, Urteil vom 9.06.2021 - 1 A 2042/19 SN

Quelle:

Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 09 Juni 2021 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht.

Der Streitwert für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht wird auf 41.247,24 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Kläger wendet sich gegen seine mit Bescheid des Beklagten vom 29.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2019 ausgesprochene (vorzeitige) Versetzung in den Ruhestand.

Das Verwaltungsgericht hat seine dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 09.06.2021 abgelehnt. Formelle Mängel lägen nicht vor. Der Kläger habe die vom Beklagten angebotene Durchführung eines betrieblichen Eingliederungs-(BEM-)Verfahrens abgelehnt. Dass der Beklagten das spätere Angebot des Klägers auf Durchführung eines BEM-Verfahrens nicht mehr eingegangen sei, sei nicht zu beanstanden. Im Übrigen führe auch ein unterbliebenes BEM-Verfahren nicht zur Rechtswidrigkeit der Zurruhesetzungsverfügung. Ein solches sei weder förmlicher Verfahrensschritt noch Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Zurruhesetzungsverfügung. Der Beklagte habe aufgrund des amtsärztlichen Gutachtens sowie der arbeitsmedizinischen Untersuchung ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Kläger zur Erfüllung seiner Dienstpflichten als Hauptbrandmeister im Brandschutz- und Rettungsamt dauerhaft dienstunfähig sei. Angesichts der Feststellungen der Amtsärztin und unter Berücksichtigung der Stellenbeschreibung des Klägers könne auch nicht von einer begrenzten Dienstfähigkeit ausgegangen werden. Für den Kläger stünden im Übrigen in keinem Bereich der Hanse- und Universitätsstadt A-Stadt eine amtsangemessene Stelle zur Verfügung. Der Beklagte sei seiner Suchpflicht in ausreichendem Maß nachgekommen.

Der dagegen fristgerecht eingelegte und begründete Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO liegt nicht vor bzw. ist nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Ein auf den Grund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützter Zulassungsantrag muss sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernstlichen Zweifel bezüglich ihrer Richtigkeit begegnen. Die Begründung des Antrags muss an die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpfen und aufzeigen, weshalb sich diese aus der Sicht des Zulassungsantragstellers nicht als tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die angefochtene Entscheidung unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Zulassungsantragsteller muss sich insofern an der Begründungsstruktur des angefochtenen Urteils orientieren. Geht er auf eine Erwägung nicht ein, kann das Oberverwaltungsgericht diese nicht von sich aus in Zweifel ziehen. Diese Anforderungen an die Begründung eines Zulassungsantrags sind für den Zulassungsantragsteller auch zumutbar. Mit Blick auf den Vertretungszwang ist sichergestellt, dass Zulassungsantragsteller rechtskundig vertreten sind (vgl. Beschluss des Senats vom 20.02.2013 - 2 L 152/12 -, m.w.N.). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung können schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens nicht abschließend übersehen lassen, die Begründung des Zulassungsantrags aber die Einsicht vermittelt, der beabsichtigten Berufung seien durchaus hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen. Die Zulassung ist dagegen zu versagen, wenn sich die vom Zulassungsantragsteller geäußerten Zweifel ohne weiteres ausräumen lassen (Beschluss des Senats vom 20.02.2013 - 2 L 152/12 -).

Die Anwendung dieser Grundsätze führt hier dazu, dass die Berufung nicht wegen Zweifeln an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen ist.

Anders als der Kläger in der Begründung seines Berufungszulassungsantrags ausführt, stellt die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Verfügung des Dienstherrn über die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit dar.

Die Annahme einer zwingenden Rechtswidrigkeitsfolge der Ruhestandsversetzung im Falle eines unterbliebenen betrieblichen Eingliederungsmanagements ist mit dem Regelungssystem des Bundesbeamtengesetzes nicht in Einklang zu bringen. Ist ein Beamter wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der Dienstpflichten des ihm zuletzt übertragenen Amtes im abstrakt-funktionellen Sinn als dauernd unfähig anzusehen und kommt auch eine anderweitige oder zeitlich begrenzte Verwendung des Beamten nicht in Betracht, so ist er nach den einschlägigen beamtenrechtlichen Bestimmungen in den Ruhestand zu versetzen. Diese gesetzliche Anordnung steht nicht unter dem Vorbehalt, dass zuvor ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden ist; vielmehr ist im Falle der genannten Voraussetzungen für die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements kein Raum mehr. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vor, sind abweichende Entscheidungen auch dann nicht mehr denkbar, wenn die Möglichkeiten der präventiven Wiedereingliederung nach § 84 Abs. 2 SGB IX versäumt worden sind. Die in der genannten Vorschrift enthaltene Verpflichtung ist auch kein Bestandteil des auf den Erlass einer Ruhestandsversetzung gerichteten Verwaltungsverfahrens (vgl. § 9 VwVfG). Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist bereits förmlich nicht als Verfahrensschritt eines Zurruhesetzungsverfahrens ausgestaltet, das gesetzliche Regelungsgefüge sieht eine Verzahnung der jeweiligen Verfahren nicht vor. Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist auch nicht auf den Abschluss eines Zurruhesetzungsverfahrens gerichtet; es dient vielmehr dazu, bereits den Eintritt einer Dienstunfähigkeit und damit den materiellen Anknüpfungspunkt entsprechender Verfahren zu vermeiden.

Die Anordnung in § 84 Abs. 2 SGB IX und das Dienstunfähigkeitsverfahren sind jeweils eigenständige Verfahren, die in rechtlicher Hinsicht nicht verknüpft sind (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 05. Juni 2014 - 2 C 22/13 ebenso OVG Münster, Beschluss vom 15.12.2015 - 6 B 1022/15 -, jeweils zitiert nach juris). Im Übrigen hat der Kläger, worauf das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung hingewiesen hat, die Durchführung eines BEM-Verfahrens - zunächst - mit Erklärung vom 10.12.2018 ausdrücklich abgelehnt.

Soweit der Kläger weiterhin in seiner Beschwerdebegründung ausführt, der Dienstherr hätte berücksichtigen müssen, dass die vorhandene Grunderkrankung bereits jahrelang vorhanden gewesen sei, sich nicht verschlechtert habe und er die Tätigkeit als Ausbilder auf dem Feuerlöschboot - wie in der Vergangenheit - weiterhin hätte ausführen können, verhilft dies dem Berufungszulassungsantrag nicht zum Erfolg. Der Kläger setzt sich insoweit mit dem vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten amtsärztlichen Gutachten vom 05.03.2019, das das Verwaltungsgericht für hinreichend und nachvollziehbar begründet gehalten hat, nicht substantiiert auseinander.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 6 GKG.

Hinweis:

Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Referenznummer:

R/R9834


Informationsstand: 14.03.2025