Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
I
Der Kläger wendet sich gegen seine Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit.
Der ... geborene Kläger ist seit dem 1. November ... beim Bundesnachrichtendienst (BND) beschäftigt, derzeit im Statusamt eines Regierungsobersekretärs (Besoldungsgruppe A 7 BBesO). Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (
GdB) in Höhe von 90 vom Hundert. Ihm sind die Merkzeichen "RF" und "GL" zuerkannt worden.
Der Kläger erlitt am 12. September 2015 einen Autounfall. Seitdem ist er durchgehend "arbeitsunfähig" erkrankt. Nach mehreren amtsärztlichen Untersuchungen und stationären Behandlungen sowie einer erfolglos durchgeführten Wiedereingliederung beauftragte der BND den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie
Dr. G. mit der Erstellung eines psychiatrisch-neurologischen Fachgutachtens. Der Sachverständige diagnostizierte unter dem 26. September 2018 folgende gesundheitliche Beeinträchtigungen beim Kläger:
- gemischte dissoziative Störung (
ICD-10: F44.7);
- posttraumatische Belastungsstörung, teilremittiert (
ICD-10: F43.1);
- rezidivierende depressive Störung, derzeit mittel- bis schwergradige Episode (
ICD-10: F33.1);
- somatoforme Schmerzstörung (
ICD-10: F45.4).
Hierzu teilte er mit, der Kläger sei aufgrund einer gravierenden seelischen Erkrankung dienstunfähig. Die Wiederherstellung der tätigkeitsbezogenen Leistungsfähigkeit sei nicht wahrscheinlich, weil die Erkrankung mittlerweile chronifiziert sei und nur ein gering ausgeprägtes Krankheitsverständnis bestehe.
In ihrer auf den 30. Oktober 2018 datierenden Stellungnahme schloss sich die Amtsärztin
Dr. S. dem Gutachten an. Sie führte aus, es bestehe keine verbliebene Leistungsfähigkeit, auch nicht für mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit, ebenso wenig für ein anderes Amt oder eine geringwertigere Tätigkeit.
Nachfolgend bat der BND mit an das Bundeskanzleramt gerichtetem Schreiben vom 7. Dezember 2018 um Zustimmung zur Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Das Bundeskanzleramt erteilte mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 "unter dem Vorbehalt, dass der Beamte keine Einwendungen (§ 47
Abs. 2 Satz 1 BBG) erhebt - gemäß § 47
Abs. 2 Satz 2 BBG zu der beabsichtigten Maßnahme" sein Einverständnis.
Mit Schreiben vom 30. Januar 2019 hörte der BND den Kläger zur beabsichtigten Versetzung in den Ruhestand an. Der Kläger nahm dazu mit anwaltlichem Schreiben Stellung. Die darin erhobenen Einwendungen führten zu einer ergänzenden Stellungnahme der Amtsärztin, die unter dem 11. April 2019 im Wesentlichen mitteilte, neben einer generell mit einer ungünstigen Prognose behafteten Diagnose bestünden sich gegenseitig verstärkende Komorbiditäten mit anderen psychiatrischen Krankheitsbildern. Die hochgradige Hörminderung des Klägers habe keine ausschlaggebende Bedeutung.
Gleichstellungsbeauftragte, Schwerbehindertenvertretung und der auf Antrag des Klägers hinzugezogene Personalrat erhoben keine Einwendungen gegen die beabsichtigte Versetzung des Klägers in den Ruhestand. Im Juni 2019 übersandte das Bundeskanzleramt unter anderem die Festsetzung der Versorgungsbezüge des Klägers sowie dessen Personalakte an den BND mit der Bitte um weitere Veranlassung.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2019 verfügte der Präsident des BND die Versetzung des Klägers in den vorzeitigen Ruhestand mit Ablauf des 31. Juli 2019 wegen dauernder Dienstunfähigkeit. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der BND mit Widerspruchsbescheid vom 5. März 2021 zurück. Mit Schreiben vom 4. Juli 2022 erteilte das Bundeskanzleramt seine ausdrückliche Zustimmung zur Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit.
Der Kläger hat am 16. Februar 2021 (Untätigkeits-)Klage erhoben.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage vor: Der Bescheid vom 15. Juli 2019 genüge nicht den Anforderungen an die Schriftform, weil er nicht unterschrieben worden sei. Das Vorliegen eines Vertretungsfalls aufgrund von Abwesenheit oder Verhinderung des Präsidenten des BND sei nicht dargetan worden. Die Beklagte stütze die Dienstunfähigkeit auf amtsärztliche Beurteilungen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids nahezu zwei Jahre alt und daher nicht mehr aktuell gewesen seien. Es sei zu prüfen gewesen, ob sich in Bezug auf die fehlende Behandlungsbereitschaft eine Änderung ergeben habe. Weiter sei fraglich, ob im Hinblick auf seine Schwerbehinderung der zutreffende Maßstab bei der Feststellung der Dienstunfähigkeit zugrunde gelegt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesnachrichtendienstes vom 15. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2021 aufzuheben und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid: Eine Verhinderung des Präsidenten des BND habe vorgelegen. Die fehlende Unterschrift im Bescheid vom 15. Juli 2019 sei rechtlich bedeutungslos. Die Dienstunfähigkeit des Klägers werde durch die ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten belegt.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich nicht an dem Verfahren.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2022 den Sachverständigen
Dr. G. zu dem von ihm erstatteten Gutachten befragt. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
II
Die zulässige Klage, über die das Bundesverwaltungsgericht nach § 50
Abs. 1
Nr. 4
VwGO in erster und letzter Instanz entscheidet, ist unbegründet. Der Bescheid des BND vom 15. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113
Abs. 1 Satz 1
VwGO).
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids ist § 44
Abs. 1 Satz 1
bzw. Satz 2 BBG in der zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids (
BVerwG, Urteile vom 5. Juni 2014 -
2 C 22.13 - BVerwGE 150, 1 Rn. 10, vom 19. März 2015 -
2 C 37.13 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009
Nr. 7 Rn. 9 und vom 16. November 2017 -
2 A 5.16 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009
Nr. 12 Rn. 16) gültigen und in der Folgezeit insoweit unveränderten Fassung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I
S. 160 (170)).
Nach § 44
Abs. 1 Satz 1 BBG ist der Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen des körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Nach § 44
Abs. 1 Satz 2 BBG kann als dienstunfähig auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Dienstunfähigkeit in diesem Sinne ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. In den Ruhestand wird nicht versetzt, wer anderweitig verwendbar ist (§ 44
Abs. 1 Satz 3 und
Abs. 2 bis 4 BBG). Kann der Beamte den Anforderungen seines Amtes und denjenigen einer anderweitigen Verwendung nicht mehr voll entsprechen, aber unter Beibehaltung des übertragenen Amtes seine Dienstpflichten noch während mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit erfüllen (
vgl. § 45
Abs. 1 BBG), soll er für begrenzt dienstfähig erklärt werden (
BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 - 2 A 5.16 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009
Nr. 12 Rn. 17).
Gemessen an diesen gesetzlichen Voraussetzungen ist die angegriffene Verfügung rechtmäßig. Sie begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken (1.). Die für die Zurruhesetzung erforderliche Zustimmung des Bundeskanzleramts liegt vor (2.). Einer Beteiligung des Integrationsamtes aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bedurfte es nicht (3.). Zudem ist der Kläger dienstunfähig und auch nicht anderweitig verwendbar (4.).
1. Der angefochtene Bescheid vom 15. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2021 ist formell rechtmäßig.
Entgegen der Auffassung des Klägers genügt der ohne Unterschrift, aber mit Namenswiedergabe versehene Bescheid vom 15. Juli 2019 den sich aus § 37
Abs. 3 Satz 1 VwVfG ergebenden Anforderungen an die Schriftform.
Nach § 37
Abs. 3 Satz 1 VwVfG muss ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Sinn von Unterschrift
bzw. Namenswiedergabe ist, dem Empfänger zu verdeutlichen, dass kein bloßer Entwurf vorliegt. Wird auf eine eigenhändige Unterschrift verzichtet, genügt die bloße Namenswiedergabe, ohne dass es zusätzlicher Anforderungen wie
z. B. einer Beglaubigung bedarf (
BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 1997 - 1 B 129.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990
Nr. 11
S. 21 f.).
2. Das Bundeskanzleramt hat als oberste Dienstbehörde die für die Zurruhesetzung des Beamten erforderliche Zustimmung nach § 47
Abs. 2 Satz 2 BBG erteilt.
Nach § 47
Abs. 2 Satz 1 BBG kann der Beamte innerhalb eines Monats Einwendungen gegen die beabsichtigte Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit erheben. Danach entscheidet die für die Ernennung zuständige Behörde über die Versetzung in den Ruhestand mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist (§ 47
Abs. 2 Satz 2 BBG).
Die Zustimmung, bei der es sich um ein Verwaltungsinternum ohne Verwaltungsaktqualität handelt, kann wegen des darin formulierten Vorbehalts zwar noch nicht im Schreiben des Bundeskanzleramts vom 10. Dezember 2018 erblickt werden. Dessen Mitwirkung ist jedoch spätestens durch die unter dem 4. Juli 2022 explizit erklärte Zustimmung zur Versetzung des Klägers in den Ruhestand und damit noch vor Abschluss der letzten Tatsacheninstanz mit heilender Wirkung nachgeholt worden (§ 45
Abs. 1
Nr. 5 und
Abs. 2 VwVfG).
3. Der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung steht nicht entgegen, dass der BND vor ihrem Erlass nicht nach
§§ 168 ff. SGB IX die Zustimmung des zuständigen Integrationsamtes eingeholt hat.
Der Beteiligung des Integrationsamtes bedurfte es nicht, obwohl beim Kläger bereits zu Beginn des Zurruhesetzungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 60 vom Hundert festgestellt und er als schwerbehinderter Mensch
i. S. v. § 2 Abs. 2 SGB IX anerkannt war. Denn § 168
SGB IX, wonach die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, ist nicht auf das Verfahren der Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten nach §§ 44
ff. BBG anzuwenden (
a. A. von Roetteken, ZBR 2018, 73 (79
ff.); ders. jurisPR-ArbR 50/2021
Anm. 8 zu
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juli 2021 -
4 B 14.19 -; Düwell, in: Dau/Düwell/Joussen/Luik,
SGB IX, 6. Aufl. 2022, Vorbem. § 168 Rn. 11; Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Aufl. 2022, § 168
SGB IX Rn. 3). Dies gilt selbst im Hinblick auf den Umstand, dass die Zurruhesetzung nach §§ 44
ff. BBG auch Fälle erfasst, in denen der zur Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft führende körperliche Zustand des Beamten zugleich die Dienstunfähigkeit
i. S. v. § 44
Abs. 1 BBG begründet.
a) Innerstaatliches Recht sieht eine (entsprechende) Anwendung des § 168
SGB IX auf die Zurruhesetzung von Lebenszeitbeamten nach §§ 44
ff. BBG nicht vor.
Der Gesetzgeber hat bereits früh klargestellt, dass die Verwendung des einheitlichen Begriffs "Arbeitgeber" lediglich der Vereinfachung dient und aus der Verwendung dieses dem Arbeitsrecht entlehnten Begriffs nicht folgt, dass auch andere, "im Gesetz verwendete arbeitsrechtliche Begriffe wie etwa Kündigung, Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung
usw. auf das Beamten- oder Richterverhältnis anzuwenden sind" (
vgl. BT.-Drs. 7/656
S. 25). Sofern der Gesetzgeber in der Vergangenheit die Beteiligung des Integrationsamtes (früher: Hauptfürsorgestelle) im Zurruhesetzungsverfahren für erforderlich gehalten hat, hat er dies stets eindeutig zum Ausdruck gebracht. So sah § 35
Abs. 2 des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter (Schwerbeschädigtengesetz -
SchwbG - vom 16. Juni 1953 - BGBl. I
S. 389 (400)) vor, dass in dem Fall, dass schwerbeschädigte Beamte auf Lebenszeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt oder schwerbeschädigte Beamte auf Widerruf oder auf Probe entlassen werden sollen, vorher der Vertrauensmann der Dienststelle, die den Beamten beschäftigt, und die Hauptfürsorgestelle zu hören sind.
§ 128 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in der Fassung vom 19. Juni 2001 (BGBl. I
S. 1046 (1083)) beschränkte sich ebenfalls auf eine bloße Anhörung des Integrationsamtes und wurde, ohne dass der Begründung des Gesetzentwurfs die Motive für die Änderung des Gesetzes zu entnehmen sind (BT-Drs. 15/1783
S. 19), durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. April 2004 (BGBl. I
S. 606 (610)) gestrichen. Vor diesem Hintergrund ist eine (analoge) Anwendung des § 168
SGB IX oder seiner Vorgängernormen in der Rechtsprechung verneint worden (
vgl. § 85 SGB IX a. F.,
OVG Münster, Beschlüsse vom 13. September 2012 -
1 A 644/12 - juris Rn. 7, vom 7. Januar 2013 -
6 A 2371/11 - DÖD 2013, 126 und vom 7. März 2013 -
6 B 11/13 - juris Rn. 6;
VG Bayreuth, Urteil vom 18. August 2015 -
B 5 K 14.255 - juris Rn. 30;
BAG, Urteil vom 24. Mai 2012 -
6 AZR 679/10 - BAGE 142, 1).
b) Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung von
Art. 7
Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/
EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (im Folgenden: RL 2000/78/
EG) führt nicht dazu, dass die Vorschriften der §§ 168
ff. SGB IX auf das Verfahren der Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten nach Maßgabe der §§ 44
ff. BBG anzuwenden sind.
Nach
Art. 7
Abs. 2 RL 2000/78/
EG steht im Falle von Menschen mit Behinderung der Gleichbehandlungsgrundsatz weder dem Recht der Mitgliedstaaten entgegen, Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beizubehalten oder zu erlassen, noch steht er Maßnahmen entgegen, mit denen Bestimmungen oder Vorkehrungen eingeführt oder beibehalten werden sollen, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese Eingliederung fördern. Diese Bestimmung hat der Europäische Gerichtshof dahingehend ausgelegt, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Maßnahmen im Sinne des
Art. 7
Abs. 2 RL 2000/78/
EG beizubehalten oder zu erlassen, dies aber nicht den Schluss zulässt, dass von den Mitgliedstaaten erlassene Bestimmungen außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts liegen. Ist der Bereich des Unionsrechts eröffnet, haben die Mitgliedstaaten ihr Ermessen bei der Wahl zwischen den verschiedenen Durchführungsmodalitäten unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts auszuüben, zu denen insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung gehört (EuGH, Urteil vom 9. März 2017 -
C-406/15, Milkova - NZA 2017, 439 Rn. 52 f.).
Eine solche Maßnahme stellt auch § 168
SGB IX dar, dessen allgemeiner Zweck darin besteht, den schwerbehinderten Menschen vor Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt zu schützen, die mit seiner Behinderung in Zusammenhang stehen. Die Erreichung dieses Zwecks hängt nicht von der zugrundeliegenden rechtlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses ab. Obwohl der Gesetzgeber das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit von der Anwendung des § 168
SGB IX ausgenommen hat, hat er damit keine unmittelbar auf der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von
Art. 1 in Verbindung mit
Art. 2
Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/
EG geschaffen. Denn es wird auf ein Kriterium abgestellt, das nicht untrennbar mit der Behinderung verbunden ist (ebenso bezogen auf den Sachverhalt des Vorabentscheidungsersuchens EuGH, Urteil vom 9. März 2017 - C-406/15, Milkova - NZA 2017, 439 Rn. 42).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erlaubt es
Art. 7
Abs. 2 RL 2000/78/
EG den Mitgliedstaaten grundsätzlich, durch eine gesetzliche Regelung, wie §§ 168
ff. SGB IX, Arbeitnehmern mit bestimmten Behinderungen einen spezifischen vorherigen Schutz bei Entlassungen zu gewähren, ohne einen solchen Schutz auch Beamten mit den gleichen Behinderungen zuzubilligen. Allerdings darf diese unterschiedliche Behandlung von schwerbehinderten Menschen im Zusammenhang mit Beschäftigung und Beruf keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz begründen (EuGH, Urteil vom 9. März 2017 - C-406/15, Milkova - NZA 2017, 439 Rn. 64). Der Gerichtshof hat es dem nationalen Gericht überantwortet zu prüfen, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung vorliegt. Der hierbei anzustellende Vergleich muss auf einer Prüfung des gesamten nationalen Rechts zur Regelung der Stellung einerseits der Arbeitnehmer mit einer bestimmten Behinderung und andererseits der Beamten mit der gleichen Behinderung beruhen, wobei das Ziel des Schutzes vor der Entlassung zu berücksichtigen ist. Maßgeblich ist, ob die anwendbaren Vorschriften des nationalen Rechts den Beamten mit Behinderungen insgesamt ein Schutzniveau gewähren, das demjenigen entspricht, das für Arbeitnehmer mit Behinderungen vorgesehen ist. Die Situationen müssen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt sein, sondern muss spezifisch und konkret unter Berücksichtigung von Gegenstand und Ziel der nationalen Regelung, mit der die fragliche Unterscheidung eingeführt wird, erfolgen (EuGH, Urteil vom 9. März 2017 - C-406/15, Milkova - NZA 2017, 439 Rn. 56 bis 64).
Nach diesen Vorgaben begründet der Umstand, dass zwar die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber, nicht aber die Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten wegen Dienstunfähigkeit nach §§ 44
ff. BBG der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Die Prüfung des gesamten nationalen Rechts zur Regelung der Stellung einerseits der Arbeitnehmer mit einer bestimmten Behinderung im Bereich der beruflichen Beschäftigung und andererseits der Lebenszeitbeamten mit der gleichen Behinderung ergibt, dass die Situationen der beiden Gruppen auch ohne Erstreckung des Erfordernisses der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes nach § 168
SGB IX auf die Zurruhesetzung nach §§ 44
ff. BBG zumindest vergleichbar ist. Jedenfalls bleibt das durch das Verfahren der Zurruhesetzung für Lebenszeitbeamte bewirkte Schutzniveau nicht hinter dem durch §§ 168
ff. SGB IX für Arbeitnehmer begründeten zurück.
Die Zustimmung des Integrationsamtes ist ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt mit Doppelwirkung. Ihre Erteilung ist öffentlich-rechtliches Wirksamkeitserfordernis der vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung. Die Zustimmung beseitigt eine öffentlich-rechtliche Verbotsschranke, deren Anordnung dem Zweck dient, bereits im Vorfeld der Kündigung die spezifischen Schutzinteressen schwerbehinderter Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen und eine mit den Schutzzwecken des Gesetzes unvereinbare Kündigung präventiv zu verhindern (
BVerwG, Urteil vom 10. September 1992 -
5 C 39.88 - BVerwGE 91, 7 (9 f.) zu §§ 12 und 18
SchwbG). Dementsprechend ist eine ohne vorherige Zustimmung ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 134
BGB nichtig (
BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 -
5 C 24.93 - BVerwGE 99, 336 (340);
BAG, Urteil vom 22. September 2016 -
2 AZR 700/15 - NZA 2017, 304 Rn. 18). §§ 168
ff. SGB IX bezwecken danach in erster Linie den Ausgleich der typischerweise geringeren Wettbewerbsfähigkeit schwerbehinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Sie sollen vor den besonderen Gefahren, denen sie wegen ihrer Behinderung auf dem Arbeitsmarkt infolge der beabsichtigten Kündigung ausgesetzt sein werden, bewahrt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass sie gegenüber den übrigen Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen geraten (
BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1992 -
5 C 51.90 - BVerwGE 90, 287 (293) zu § 15
SchwbG und vom 12. Juli 2012 -
5 C 16.11 - BVerwGE 143, 325 Rn. 24; VGH München, Beschluss vom 17. März 2010 - 12
ZB 08.28 46 - juris Rn. 6). Die Aufgabe des Integrationsamtes besteht folglich darin, einen Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigung zu prüfen und gegebenenfalls das Auflösungsinteresse des Arbeitgebers einerseits und den Schutz des Schwerbehinderten andererseits im Rahmen einer Interessenabwägung zu gewichten (
BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 -
5 C 51.90 - BVerwGE 90, 287 (293);
OVG Saarlouis, Beschluss vom 15. Juli 2021 -
2 A 42/21 - NZA-RR 2021, 622). Der die Entscheidung nach § 168
SGB IX prägende Aspekt des Ausgleichs der typischerweise geringeren Wettbewerbsfähigkeit schwerbehinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt im Falle der Beendigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses ist für die Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten wegen Dienstunfähigkeit nicht von Bedeutung.
§ 44 BBG erfasst nur den Beamten auf Lebenszeit und damit einen Beschäftigten, der sich darauf eingerichtet hat, bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze im Dienst seines Dienstherrn zu stehen. Die die Folgezeit betreffende Überlegung, ob und inwieweit der Beschäftigte voraussichtlich Schwierigkeiten haben wird, nach der Beendigung des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine anderweitige Beschäftigung zu finden, spielt für das Zurruhesetzungsverfahren gerade keine Rolle. Denn die rechtlichen Vorgaben für die anderweitige Verwendung eines Lebenszeitbeamten sind im Gesetz so eng gefasst, dass, sollte noch ein Restleistungsvermögen bestehen, dieses regelmäßig innerhalb des auf Lebenszeit begründeten Beamtenverhältnisses für den bisherigen Dienstherrn (§ 44
Abs. 2 bis 4 und § 45 BBG) und nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu nutzen ist. Der wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig zur Ruhe gesetzte Beamte ist nicht darauf verwiesen, sich im Anschluss an die Zurruhesetzung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt um eine anderweitige Beschäftigung zu bemühen.
Wie bereits dargelegt ist für die dem Integrationsamt obliegende Entscheidung von wesentlicher Bedeutung, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben. In diesem Fall sind an die im Rahmen der interessenabwägenden Entscheidung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen, um den im Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck kommenden Schutzgedanken der Rehabilitation verwirklichen zu können. Diese Abwägung kann in Ausnahmefällen sogar zur Verpflichtung des Arbeitgebers führen, den schwerbehinderten Arbeitnehmer "durchzuschleppen"; andererseits findet die im Interesse der Fürsorge für den schwerbehinderten Menschen gebotene Sicherung des Arbeitsplatzes auf jeden Fall dort ihre Grenze, wo eine Weiterbeschäftigung des schwerbehinderten Menschen allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widersprechen, insbesondere dem Arbeitgeber einseitig die Lohnzahlungspflicht auferlegt würde (
BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 -
5 C 24.93 - BVerwGE 99, 336 (339) m. w. N.). Dagegen ist für die Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten ohne Bedeutung, ob die hierfür maßgeblichen Gründe ihre Ursache in einer Behinderung haben. Für die Feststellung der Dienstunfähigkeit kommt es allein auf den kausalen Zusammenhang zwischen der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Beamten als Ursache und der dauernden Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstleistungspflicht als Wirkung an (
BVerwG, Beschluss vom 16. April 2020 - 2 B 5.19 - Buchholz 232.01 § 26 BeamtStG
Nr. 11 Rn. 9 f.).
Der Zweck des Erfordernisses der Zustimmung des Integrationsamtes wird auch darin gesehen, dass die besonderen gesetzgeberischen Anstrengungen, schwerbehinderten Menschen zu einer ihren Fähigkeiten und Kenntnissen angemessenen Beschäftigung zu verhelfen, nicht wieder dadurch zunichte gemacht werden, dass sich Arbeitgeber ihrer aus sozialpolitischen Gründen auferlegten Pflicht zur Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in den Arbeitsprozess im Einzelfall durch Kündigung wieder entledigen (
BAG, Urteil vom 16. März 1994 - 8 AZR 688/92 - BAGE 76, 142 Rn. 19). Auch dieser Aspekt ist für die Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten irrelevant. Denn dem Dienstherrn ist die vorzeitige Beendigung des von ihm begründeten Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit nur unter ganz engen, im Gesetz genannten Voraussetzungen möglich.
Auch die Vorgaben für die Entscheidung des Integrationsamtes nach
§ 172 SGB IX belegen, dass das Schutzniveau der Vorschriften über die Zurruhesetzung nach §§ 44
ff. BBG über das der §§ 168
ff. SGB IX hinausgeht. § 172
SGB IX nennt einige Fälle, in denen das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung zu erteilen hat oder erteilen soll; im Übrigen handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Sie erfordert eine Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes (
BVerwG, Urteil vom 5. Juni 1975 - 5 C 57.73 - BVerwGE 48, 264 (266 f.)). Ferner bestimmt sie die Grenzen dessen, was zur Verwirklichung der dem Schwerbehinderten gebührenden weitgehenden Fürsorge dem Arbeitgeber zugemutet werden darf (
BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 51.90 - BVerwGE 90, 287 (292 f.)). Demgegenüber geht es bei §§ 44
ff. BBG nicht lediglich um eine Abwägungsentscheidung zwischen der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers und der persönlichen Situation des Arbeitnehmers, bei der die Behinderung angemessen zu berücksichtigen ist. Im Vordergrund steht hier das auf Lebenszeit begründete Beamtenverhältnis, das nur unter ganz engen, im Gesetz genau geregelten Voraussetzungen in ein Ruhestandsbeamtenverhältnis umgewandelt werden kann, insbesondere wenn kein Restleistungsvermögen mehr besteht, das im aktiven Beamtenverhältnis zu nutzen ist.
§ 172
Abs. 1 Satz 1
SGB IX nennt einen Fall der zwingenden Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes. Satz 2 beschreibt eine Konstellation, in der das Integrationsamt die Zustimmung erteilen soll. In vergleichbaren Konstellationen gelten die den Beamten schützenden Vorgaben des § 44 BBG dagegen uneingeschränkt. § 172
Abs. 1 Satz 3
SGB IX macht die Geltung der Sätze 1 und 2 vom Einverständnis des schwerbehinderten Menschen abhängig. Dagegen sind die Aspekte der anderweitigen Verwendung im Rahmen des Zurruhesetzungsverfahrens nicht von der Zustimmung des betroffenen Beamten abhängig. Die Unvereinbarkeit des Verfahrens nach §§ 168
ff. SGB IX mit dem Zurruhesetzungsverfahren nach §§ 44
ff. BBG zeigt sich ferner an der Regelung des § 172
Abs. 2
SGB IX. Denn dessen Fallkonstellation ist für das Zurruhesetzungsverfahren nicht relevant. Sofern in der betreffenden Beschäftigungsbehörde ein dem Statusamt entsprechender Dienstposten gefunden wird, der gesundheitlich für den Beamten geeignet ist, ist dieser bereits nicht dienstunfähig. Wird ein geeigneter Arbeitsplatz außerhalb der Beschäftigungsbehörde im Geschäftsbereich des Dienstherrn gefunden, ist der Beamte unter dem Aspekt der anderweitigen Verwendung nach § 44
Abs. 1 Satz 3 BBG nicht in den Ruhestand zu versetzen.
§ 173 SGB IX führt Fälle auf, in denen die Vorgaben der §§ 168
ff. SGB IX nicht gelten
(z. B. in Abhängigkeit vom Alter). Demgegenüber ist der Schutz der §§ 44
ff. BBG unabhängig vom Alter des Beamten oder der Dauer des Bestands des Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit.
Schließlich ist die Rechtslage nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses des schwerbehinderten Menschen zu berücksichtigen. Auch insoweit ist ein schwerbehinderter Beamter bessergestellt als ein vergleichbarer Arbeitnehmer. Während im Falle der Kündigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich keine rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien mehr bestehen und der Arbeitnehmer nur unter ganz engen Voraussetzungen die erneute Begründung des Verhältnisses verlangen kann, wird durch die Zurruhesetzung ein Ruhestandsbeamtenverhältnis begründet, aufgrund dessen der Dienstherr dem Beamten in vielfältiger Hinsicht verpflichtet ist. Dazu zählt insbesondere die Reaktivierung im Falle der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Beamten (
vgl. § 46 BBG), auf die er nach Maßgabe des § 46
Abs. 5 BBG einen Anspruch hat (
vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2009 - 2 C 68.08 - Buchholz 232.0 § 46 BBG 2009
Nr. 1). Nach § 46
Abs. 1 Satz 2 BBG ist der Dienstherr grundsätzlich verpflichtet, in regelmäßigen Abständen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Dienstunfähigkeit zu überprüfen. Wird der Beamte nach seiner Gesundung erneut in das Beamtenverhältnis berufen, gilt das frühere Beamtenverhältnis nach § 46
Abs. 8 BBG als fortgesetzt (
vgl. für Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbänden § 29
Abs. 1, 2, 5 und 6 BeamtStG).
4. Der Kläger ist dienstunfähig, weil er aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist (§ 44
Abs. 1 BBG).
a) Der Begriff der Dienstunfähigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Feststellung der gesundheitsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit eines Beamten kommt dem Dienstherrn kein der Kontrollbefugnis der Gerichte entzogener Beurteilungsspielraum zu (
BVerwG, Urteile vom 5. Juni 2014 - 2 C 22.13 - BVerwGE 150, 1 Rn. 17 und vom 16. November 2017 -
2 A 5.16 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009
Nr. 12 Rn. 20).
Zur Annahme einer Dienstunfähigkeit reicht es nicht aus, dass der Beamte die Aufgaben des von ihm wahrgenommenen Amtes im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten) nicht mehr erfüllen kann. Denn Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist das dem Beamten zuletzt übertragene Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (stRspr,
vgl. etwa
BVerwG, Urteile vom 26. März 2009 -
2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 Rn. 14 und vom 16. November 2017 - 2 A 5.16 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009
Nr. 12 Rn. 21).
Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen die gesundheitlichen Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Dies setzt in der Regel medizinische Sachkunde voraus, über die nur ein Arzt verfügt. Dementsprechend sieht § 47
Abs. 1 Satz 1 BBG vor, dass der Dienstherr seine Einschätzung auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens zu treffen hat (
BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 - 2 A 5.16 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009
Nr. 12 Rn. 22; Beschluss vom 5. September 2019 - 2 B 2.19 - juris Rn. 7).
Ein ärztliches Gutachten muss, um Grundlage für eine vorzeitige Zurruhesetzung zu sein, die medizinischen Befunde und Schlussfolgerungen so plausibel und nachvollziehbar darlegen, dass die zuständige Behörde auf dieser Grundlage entscheiden kann, ob der Beamte zur Erfüllung der Dienstpflichten seines (abstrakt-funktionellen) Amtes dauernd unfähig ist. Es muss nicht nur das Untersuchungsergebnis mitteilen, sondern auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die zu treffende Entscheidung erforderlich ist. Es muss darüber hinaus auch in medizinischer Hinsicht die erforderlichen tatsächlichen Grundlagen dafür liefern, dass der Dienstherr darüber entscheiden kann, ob der Beamte anderweitig auf einem anderen (und
ggf. wie beschaffenen) Dienstposten verwendbar ist (§ 44
Abs. 2 bis 4 BBG;
vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 - 2 A 5.16 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009
Nr. 12 Rn. 23 m. w. N. zur Rspr des Senats).
Die Einschaltung eines Arztes bedeutet nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen werden darf. Aufgabe des Arztes ist es (lediglich), den Gesundheitszustand des Beamten festzustellen und medizinisch zu bewerten; hieraus die Schlussfolgerungen für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen, ist dagegen Aufgabe der Behörde und
ggf. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist (stRspr,
vgl. etwa
BVerwG, Urteile vom 5. Juni 2014 - 2 C 22.13 - BVerwGE 150, 1 Rn. 18 und vom 16. November 2017 - 2 A 5.16 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009
Nr. 12 Rn. 25). Der Dienstherr muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (
BVerwG, Urteile vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 - BVerwGE 147, 244 Rn. 11, vom 30. Oktober 2013 - 2 C 16.12 - BVerwGE 148, 204 Rn. 31
ff. und vom 16. November 2017 - 2 A 5.16 - Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009
Nr. 12 Rn. 25).
b) Ausgehend hiervon ist die Annahme der Beklagten, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig, mithin dienstunfähig
i. S. v. § 44
Abs. 1 BBG, nicht zu beanstanden.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten fachärztlichen Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie
Dr. G. vom 26. September 2018, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 98
VwGO in Verbindung mit § 415
ff. ZPO), sowie den ergänzenden Erläuterungen des Sachverständigen anlässlich der mündlichen Verhandlung am 7. Juli 2022. Danach bestanden beim Kläger zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids folgende gesundheitliche Beeinträchtigungen:
- gemischte dissoziative Störung (
ICD-10: F44.7);
- posttraumatische Belastungsstörung, teilremittiert (
ICD-10: F43.1);
- rezidivierende depressive Störung, derzeit mittel- bis schwergradige Episode (
ICD-10: F33.1);
- somatoforme Schmerzstörung (
ICD-10: F45.4).
Die einzelnen Diagnosen, deren Ausprägung aber auch deren Wechselwirkung untereinander, die zu einer Verstärkung des Beschwerdebildes beim Kläger führen, hat der Sachverständige
Dr. G. ausführlich und unter detaillierter Benennung der im Falle des Klägers bestehenden Belastungsfaktoren bei gleichzeitiger Abwesenheit von stützenden Faktoren plausibilisiert. Insbesondere hat der Sachverständige unter Offenlegung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes in sich stimmig begründet, warum er beim Kläger die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt hat, obwohl das "A-Kriterium" bei ihm in Anbetracht des Autounfalls lediglich subjektiv erfüllt war. Dass die posttraumatische Belastungsstörung zum hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr voll ausgebildet war, sondern es insoweit zu einer Teilremission gekommen ist, ergibt sich für den Senat nachvollziehbar aus den Erläuterungen des Sachverständigen und aus den dem Gutachten zugrundeliegenden Entlassberichten, denen sich eine geringer werdende Ausprägung plausibel entnehmen lässt.
Vorgenannte Diagnosen führen beim Kläger zu körperlichen, insbesondere aber auch schwerwiegenden seelischen Beeinträchtigungen, die seine Dienstunfähigkeit bezogen auf das von ihm zuletzt ausgeübte abstrakt-funktionelle Amt zur Folge haben.
Hierzu hat der Sachverständige erschöpfend sowie nachvollziehbar begründet ausgeführt, dass gerade bei der das Krankheitsbild des Klägers dominierenden und schwer behandelbaren dissoziativen Störung die Prognose ungünstig ist, weil es den Betroffenen an Krankheitseinsicht mangelt und deshalb therapeutische Angebote nicht wahrgenommen werden. Ein fehlendes Krankheitsverständnis bei fehlender Krankheitseinsicht hat der Sachverständige explizit auch bezogen auf den Kläger festgestellt, der gegenüber dem Sachverständigen zudem selbst angegeben hat, er habe "sich bis heute nicht mit der psychischen Erklärung für seine Probleme anfreunden" können.
Erschwerend kommt hinzu, dass nach den plausiblen Angaben des Sachverständigen zur Überzeugung des Senats beim Kläger von einer Chronifizierung des Krankheitsbildes auszugehen ist. Dieses Bild vervollständigend hat der Sachverständige überzeugend dargetan, dass sich der beim Kläger festzustellende hohe Leidensdruck gerade auch in der fehlenden Medikamenteneinnahme und der unterbliebenen Inanspruchnahme fachärztlicher Behandlungsangebote auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet manifestiert. In diesen Zusammenhang fügt sich zwanglos die Feststellung im Entlassungsbericht der ... Klinik, B. ... vom 5. September 2016 zum stationären Aufenthalt des Klägers vom 2. Juni bis 21. Juli 2016 ein, wonach der Kläger nicht von traumatherapeutischen Interventionen (im Bericht: "Intentionen") und nur teilweise von psychotherapeutisch orientierten Bewegungstherapien profitiert habe.
Hinzu kommen die weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Vielmehr hat der Sachverständige in seinem Gutachten nachvollziehbar herausgearbeitet und zudem vor dem Senat betont, dass sich beim Kläger die psychiatrischen Komorbiditäten gegenseitig negativ verstärken und insgesamt in eine negative Wechselwirkung mit der dissoziativen Erkrankung treten.
Die beim Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen in ihrer konkreten Ausprägung zu Funktionsbeeinträchtigungen, die eine vollständige Aufhebung seines Leistungsvermögens zur Folge haben.
Der Sachverständige hat hierzu gestützt auf seine eigene Anamnese und die Auswertung des medizinischen Akteninhalts plausibel hervorgehoben, dass die Gesamtheit der psychischen Beeinträchtigungen in einem hohen Maße zu einer generellen Minderung des psychisch-physischen Restleistungsvermögens beim Kläger führt. Dies hat der Sachverständige nachvollziehbar mit den beim Kläger auftretenden kognitiven Beeinträchtigungen, seinen chronischen Schmerzen und einer sehr geringen
bzw. stark eingeschränkten Belastungsfähigkeit begründet. Danach stehen dem Kläger nur sehr geringe Ressourcen zur Verfügung, um mit Belastungen umzugehen. Zudem ist von "sehr" insuffizienten Reaktionsformen
bzw. Bewältigungsversuchen auszugehen.
Die mangelnde Belastungstoleranz hat sich nicht nur gegenüber dem Sachverständigen selbst gezeigt, sondern wird auch im Bericht der Fachklinik für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik B. ... vom 19. Februar 2018 zum stationären Aufenthalt des Klägers vom 9. Januar bis 20. Februar 2018 eindrücklich beschrieben. So konnte der Kläger im Rahmen der Arbeitstherapie unter anderem den Arbeitsplan zwar mit Einschränkungen erfassen und umsetzen, ging hierbei aber langsam und mit reduzierter Aufmerksamkeit vor. Auftretende Fehler wurden nur mit Unterstützung gefunden und widerstrebend korrigiert. Hierbei bedurfte es wiederholter Hilfestellungen, ohne dass der Kläger nach eigenen Lösungsmöglichkeiten suchte. Weiter wird von einer unterdurchschnittlich längerfristigen konzentrativen Belastbarkeit
bzw. einer unterdurchschnittlichen Konzentrationsfähigkeit und einem unterdurchschnittlichen Leistungsniveau im Bereich des Arbeitstempos berichtet.
Dass von einer generellen Minderung des (Rest-)Leistungsvermögens in hohem Maße besonders im beruflichen Bereich auszugehen ist, diese hingegen im privaten und sozialen Bereich weniger eine Rolle spielt, hat der Sachverständige anschaulich damit begründet, dass im beruflichen Umfeld keine
bzw. weniger Ausweichmöglichkeiten bestehen, während der private und soziale Bereich ein Vermeidungsverhalten (eher) zulassen.
Diese medizinisch begründete Einschätzung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem Sachverständigen eine Beschreibung der Tätigkeit des Klägers bezogen auf sein abstrakt-funktionelles Amt nicht vorlag. Denn Aufgabe des Arztes ist, wie bereits ausgeführt, (lediglich), den Gesundheitszustand des Beamten festzustellen und medizinisch zu bewerten; hieraus die Schlussfolgerungen für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen, ist dagegen Aufgabe der Behörde und
ggf. des Gerichts.
Die Würdigung der vorliegenden (amts-)ärztlichen Stellungnahmen sowie des Gutachtens und der mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen führt zur Überzeugung des Senats zwingend zu der Schlussfolgerung, dass der Kläger dienstunfähig im Sinne des § 44
Abs. 1 BBG ist.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass zwischen dem Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens und dem Erlass des Widerspruchsbescheids etwas mehr als 18 Monate liegen. Allein durch den damit verbundenen Zeitablauf wird die amts-
bzw. fachärztliche Beurteilung jedoch nicht in Frage gestellt. Denn zum einen ist beim Kläger vom Vorliegen eines chronifizierten Krankheitsbildes auszugehen, zum anderen hat der Kläger trotz Aufforderung des Senats keine auf den Zeitpunkt nach der Begutachtung datierenden medizinischen Unterlagen vorgelegt. Vor diesem Hintergrund fehlt es an Anhaltspunkten für eine (wesentliche) Änderung des Gesundheitszustands des Klägers, die Anlass für eine medizinische Neubewertung bezogen auf den hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids geben könnten.
Da die Dienstunfähigkeit des Klägers ausgehend von den überzeugenden schriftlichen wie mündlichen Einlassungen des Sachverständigen sowie der weiteren medizinischen Unterlagen auf ein vollumfänglich aufgehobenes (Rest-)Leistungsvermögens des Klägers bei ausgeprägtem negativem Leistungsbild zurückzuführen ist, stellt sich die Frage einer anderweitigen Verwendbarkeit des Klägers (
vgl. § 44
Abs. 1 Satz 3,
Abs. 2 bis 4 BBG) nicht.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154
Abs. 1
VwGO.