Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Klägerin begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "RF" (Rundfunkgebührenermäßigung).
Sie ist 1973 geboren, verheiratet, hat zwei Töchter und bewohnt eine Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus im Hochparterre. Am April 2016 erlitt sie einen malignen Anterioinfarkt, in dessen Folge zur Entlastung des Hirndrucks die Schädeldecke geöffnet werden musste und im August 2016 wieder verschlossen werden konnte. Verblieben ist eine spastische Hemiparese sowie eine sensomotorische Aphasie. Bei ihr war zunächst eine Pflegestufe 2 anerkannt, die nach der gesetzlichen Änderung der Pflegeleistungen zum 1. Januar 2017 in einen Pflegegrad 3 überführt wurde.
Am 6. März 2019 beantragte sie bei dem Landratsamt L. (LRA) erstmals die Feststellung des
GdB und legte das Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 23. Juli 2018 (Wiederholungsgutachten) vor. Darin wurde weiterhin ein Pflegegrad 3 ermittelt. Zur Anamnese wurde ausgeführt, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Vorbegutachtung allseits orientiert gewesen sei. Die Stimmungslage habe sich unter Antidepressiva ausgeglichen gezeigt. Sie habe nur einzelne Worte sprechen, ihren Tagesablauf aber selbstständig strukturieren können. Im neu erhobenen Selbstauskunftsbogen hätten die Angehörigen keine Veränderungen des Gesundheitszustandes angegeben. Bei der häuslichen Begutachtung sei berichtet worden, dass sich nichts verändert habe. Es sei zu keiner Verschlechterung, aber auch zu keiner Verbesserung ihres Gesundheitszustandes gekommen.
Dr. D. sah in Auswertung des Pflegegutachtens versorgungsärztlich einen
GdB von 100 wegen der Schlaganfallfolgen, einer inkompletten Halbseitenlähmung rechts, einer Sprachstörung, eines Anfallsleidens, eines hirnorganischen Psychosyndroms sowie einer Depression. Daneben bestünden die Voraussetzungen für die Feststellung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), "B" (ständige Begleitung), "H" (hilflos) und "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Mit Bescheid vom 29. Juli 2019 stellte das LRA einen
GdB von 100 seit dem 6. März 2019 sowie die Merkzeichen "G", "B", "H" und "aG" fest, nicht hingegen das Merkzeichen "RF", da die Voraussetzungen nach § 4
Abs. 2 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages (RBStV) nicht gegeben seien.
Den auf die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" beschränkten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2019 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Voraussetzungen nach § 4
Abs. 2 RBStV unter anderem erfüllt seien bei behinderten Menschen, deren
GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 betrage und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könnten. Als öffentliche Veranstaltungen kämen Kino-, Theater-, Konzert-, Vortrags- und kirchliche Veranstaltungen sowie öffentliche Feste, Versammlungen und Sportveranstaltungen in geschlossenen Räumen oder im Freien in Betracht. Die Möglichkeit der Teilnahme nur an bestimmten Veranstaltungen begründe die Zuerkennung von "RF" nicht, dasselbe gelte für örtlich nur wenige oder fehlende Veranstaltungen. Der
GdB alleine begründe die gesundheitlichen Voraussetzungen nicht. Auch bei Vorliegen von Hilflosigkeit oder einer außergewöhnlichen Gehbehinderung dürfe nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der behinderte Mensch an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könne. Die Voraussetzungen seien vielmehr auch dann zu verneinen, wenn der behinderte Mensch Veranstaltungen mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln, wie einem Rollstuhl, besuchen könne. Da Rundfunk, Fernsehen und Telefon in der weitaus überwiegenden Zahl der Haushalte unabhängig von einer Behinderung vorhanden seien und deshalb zu den Bedürfnissen des täglichen Lebens gehörten, bestehe nach Sinn und Zweck des Merkzeichens "RF" allenfalls dann die Notwendigkeit für dessen Zuerkennung, wenn der Behinderte physisch nicht mehr in der Lage sei, an Veranstaltungen teilzunehmen und ausschließlich durch die genannten Kommunikationsmittel ein Kontakt zur Außenwelt hergestellt werden könne.
Am 18. November 2019 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und geltend gemacht, dass sich ihr Gesundheitszustand nicht verbessert, sondern verschlechtert habe. Das Sprachvermögen sei ebenso eingeschränkt wie die Merkfähigkeit. Soweit im Pflegegutachten davon ausgegangen werde, dass sie allzeit orientiert sei und ihren Tagesablauf selbstständig strukturieren könne, treffe dies nicht zu. Es komme zu aggressiven Durchbrüchen und sie sei ans Bett gefesselt. Öffentliche Veranstaltungen könne sie nicht besuchen, da sie auf eine Begleitperson angewiesen sei und diese durch Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten störe. Ergänzend hat sie das bereits aktenkundige Pflegegutachten vom 23. Juli 2018 vorgelegt.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das SG die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen angehört.
Die Fachärztin für Allgemeinmedizin G. hat bekundet, die Klägerin einmal in der Sprechstunde am 11. März 2019 gesehen zu haben. Es habe sich eine spastische Hemiparese rechts sowie eine Aphasie bei Zustand nach Medialinfarkt links 2016 gezeigt. Das Gehen sei nur mit Unterstützung des Ehemanns sowie mithilfe einer Beinorthese möglich gewesen. Weitere Vorstellungen in der Praxis seien nicht erfolgt. Ergänzend hat sie die Befundberichte der Fachärztin für Neurologie
Dr. L. über die ambulante Vorstellung am 11. Juni 2019 (hochgradige spastische Hemiparese rechts und Aphasie) und am 13. September 2019 (keine epileptischen Anfälle, spastische Hemiparese rechts bei beidseitig erhaltener Sensibilität, Stehen mit Unterstützung möglich, Gehen zwei bis drei Schritte) sowie den Entlassungsbericht des
SRH Bad W. über die stationäre Rehabilitation vom 27. Mai bis 1. August 2016 vorgelegt. In letzterem ist ausgeführt worden, dass sich die Parese leicht gebessert habe und eine kurzfristige Stehfähigkeit erreicht worden sei. Die Transfers könnten über den Stand durchgeführt werden, die sichere Fortbewegung am hohen Gehwagen sei mit geringer externer Hilfe möglich. Bei den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) benötige die Klägerin geringgradige Hilfe bei der Grundpflege sowie beim An- und Auskleiden. Viel Hilfe werde bei der Intimpflege und der Pflege des Unterkörperbereichs benötigt, da die Gebrauchsfähigkeit der betroffenen Hand noch hochgradig eingeschränkt sei. Logopädischerseits sei an der Verbesserung der Kommunikation bei schwerer motorischer Aphasie gearbeitet, eine Schluckstörung ausgeschlossen worden. Im Verlauf habe eine deutliche Stabilisierung und Steigerung der Mobilität erreicht werden können, der Stand sei mit externer Hilfe möglich, der Gang ohne Hilfsmittel nicht.
Die Neurologin
Dr. L. hat bekundet, dass die Klägerin an einer hochgradigen spastischen Halbseitenlähmung leide. Zudem bestehe eine sensomotorische Aphasie, sie könne nur erschwert verstehen und sich nicht verbal äußern. Sie sei im Rollstuhl mobilisierbar, könne sich aber nicht selbstständig fortbewegen. Mit Unterstützung könne sie stehen, sei aber nur zwei bis drei Schritte gehfähig. Mit Hilfe einer Begleitperson könne sie zwar öffentliche Veranstaltungen aufsuchen, auf Grund der ausgeprägten sensomotorischen Aphasie sei jedoch das Sprachverständnis hochgradig eingeschränkt und sie könne sich nicht verbal äußern. Die Einschränkung der verbalen Kommunikation entspreche der eines Hörgeschädigten. Sie nehme ihre Defizite auch wahr und ziehe aufgrund der körperlichen Behinderung die Blicke auf sich. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei daher ständig eingeschränkt. Vom SG ergänzend befragt hat
Dr. L. dargelegt, dass die Klägerin mit Rollstuhl und Begleitperson mobil sei. Es liege keine Entstellung vor und von der Klägerin gehe auch keine Geruchsbelästigung aus. Bislang seien drei große epileptische Anfälle aufgetreten, eine häufige Anfallsfrequenz liege hingegen nicht vor. Die Behinderung sei nicht abstoßend, vorstellbar sei aber, dass die Klägerin durch die Hemispastik Blicke auf sich ziehe. Betroffen sei das Sprachverständnis aufgrund der ausgedehnten Hirnschädigung, die Klägerin könne sich nicht nur nicht äußern, sondern auch das Sprachverständnis sei eingeschränkt. Ein Theaterbesuch sei dann wenig sinnvoll, wenn sie auf Grund der Sprachstörung der Handlung nicht folgen könne. Die Veranstaltung störe sie in keiner Weise, sie falle auch nicht durch unwillkürliche Lautäußerungen auf. Die Klägerin sei weder gehörlos noch liege eine dementielle Entwicklung vor. Die Einschränkungen im funktionellen Bereich seien aber durchaus den Beeinträchtigungen eines Gehörlosen vergleichbar.
Hierzu hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG), wonach es letztlich nur auf die körperliche Anwesenheit ankomme, überholt sei und eine Diskriminierung schwerbehinderter Menschen darstelle. Sie leide unter einer globalen Aphasie, sodass ihre Sprachproduktion und auch das Sprachverständnis massiv gestört seien. Sie sei absolut hilflos. Daneben überzeuge die These der
Dr. L., dass sie einer hörgeschädigten Person gleichzustellen sei. Wer sich bei den geringen Beiträgen auf eine enge Auslegung der Vorschriften zurückziehe, wolle dem schwerbeschädigten Menschen keinen Nachteilsausgleich gewähren.
Das SG hat den Sach- und Streitstand in nichtöffentlicher Sitzung am 17. September 2020 in Anwesenheit der Klägerin erörtert. Ausweislich des Protokolls hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie sich bei Fernsehsendungen nicht distanzieren könne und laut schreie, weswegen sie auch nicht ins Kino könne. Weiter hat der Ehemann der Klägerin darauf hingewiesen, dass sie gelegentlich Bus fahre, da er selbst Busfahrer sei.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2020 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin trotz der zahlreichen Funktionsbeeinträchtigungen nicht generell vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen sei, was sich schon daran zeige, dass sie Ärzte aufsuche, gemeinsam mit ihrem Mann Bus fahre und auch dem Gerichtstermin habe beiwohnen können. Die Behauptung, dass die Klägerin bei Fernsehsendungen laut schreie und aggressiv werde, da sie sich mit den Schauspielern identifiziere, könne weder anhand der persönlichen Beobachtungen noch anhand der Aussagen der behandelnden Ärzte nachvollzogen werden. Angesichts der Tatsache, dass die ursprüngliche Argumentation dahingehend gelautet habe, dass sie wegen fehlenden Sprachverständnis wie eine Hörgeschädigte zu behandeln sei, erscheine die Angabe nicht glaubhaft. Das Gericht habe in den zwanzig Minuten Gerichtsverhandlung nicht den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin kognitiv derart eingeschränkt gewesen sei, dass sie der Verhandlung nicht habe folgen können. Sie habe auch weder laute Schreie von sich gegeben noch Aggressionen gezeigt. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" seien eng auszulegen, es müsse praktisch eine Bindung an das Haus bestehen, was bei der Klägerin offensichtlich nicht der Fall sei. Schließlich seien zudem mögliche Störungen, welche durch eventuelle Ausrufe entstehen könnten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Inklusion von Menschen mit Behinderungen, von der teilnehmenden Öffentlichkeit als zumutbar hinzunehmen.
Am 16. November 2019 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (
LSG) eingelegt und geltend gemacht, dass die im Reha-Bericht des Gesundheitszentrums Bad W. genannten Therapieziele bis heute nicht erreicht worden seien, sie sei vielmehr unzweifelhaft an das Haus gebunden. Ihre Behauptung, bei Fernsehsendungen zu schreien und aggressiv zu werden, da sie sich mit den Schauspielern identifiziere, habe das SG nicht anhand seiner Beobachtung im Erörterungstermin beurteilen können.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. Oktober 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 29. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2019 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "RF" ab dem 6. März 2019 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung und ergänzend darauf, dass der Umstand, dass die Therapieziele nicht
bzw. nicht vollständig erreicht worden seien, für die Schwere der Beeinträchtigung spreche, die zu Recht mit einem
GdB von 100 bewertet worden seien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124
Abs. 2
SGG), ist statthaft (§§ 143, 144
SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 7. Oktober 2020, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54
Abs. 1
SGG) auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "RF" unter Abänderung des Bescheides vom 29. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95
SGG) vom 15. Oktober 2019 abgewiesen worden ist. Soweit in dem angefochtenen Bescheid noch über weitere Merkzeichen entschieden worden ist, hat die Klägerin den Bescheid bereits im Widerspruchsverfahren nicht angegriffen, sodass dieser insoweit bestandskräftig geworden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart in Ermangelung einer mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (
vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum
SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus das Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 29. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2019 ist im streitgegenständlichen Umfang rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54
Abs. 1 Satz 2
SGG). Sie kann die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "RF" nicht beanspruchen, da sich der Senat, ebenso wie der Beklagte und das SG, insbesondere nicht davon überzeugen konnte, dass sie ständig an der Teilnahme öffentlicher Veranstaltungen gehindert ist.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist
§ 152 Abs. 4 SGB IX in der in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch
Art. 1 und 26
Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz -
BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I
S. 3234). Demnach treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach § 152
Abs. 1
SGB IX. Nach § 152
Abs. 5
SGB IX in Verbindung mit
§ 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ist in den Schwerbehindertenausweis auf der Rückseite das Merkzeichen "RF" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt.
Seit dem 1. Januar 2013 sind diese Voraussetzungen im RBStV vom 15. Dezember 2010 geregelt, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18. Oktober 2011 zum 1. Januar 2013 in Kraft gesetzt worden ist. Nach § 4
Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge auf ein Drittel für die in § 4
Abs. 2
Nr. 1 bis 3 RBStV genannten natürlichen Personen ermäßigt. Die Voraussetzungen für die Beitragsermäßigung erfüllen (
Nr. 1) blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem
GdB von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung, (
Nr. 2) hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, oder (
Nr. 3) behinderte Menschen, deren
GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 4
Abs. 2
Nr. 1 bis 3 RBStV nicht. Sie ist nicht blind oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehindert mit einem
GdB von wenigstens 60 allein für die Sehbehinderung (§ 4
Abs. 2
Nr. 1 RBStV). Sie zählt auch nicht zum Kreis der in § 4
Abs. 2
Nr. 2 RBStV genannten hörgeschädigten Menschen, denn sie ist weder gehörlos noch ist ihr eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich. Beschrieben ist bei ihr eine Aphasie, durch die sie in der verbalen Kommunikation eingeschränkt ist, wie der Senat sowohl dem Entlassungsbericht des
SRH Gesundheitszentrums Bad W., den er im Wege des Urkundsbeweises (§ 118
Abs. 1
SGG i.V.m. §§ 415
ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) verwertet, wie auch der sachverständigen Zeugenauskunft der
Dr. L. entnimmt. Im Entlassungsbericht ist angegeben, dass die Klägerin auf einfache Fragen bereits mit Gestik antworten kann und
Dr. L. hat ebenfalls nur festgestellt, dass das Verstehen erschwert ist, was sie auch auf die Hirnschädigung zurückführt. Dementsprechend wird im Pflegegutachten ebenfalls ein unauffälliges Hörvermögen beschrieben und angegeben, dass die Klägerin die Begutachtungssituation erfassen konnte und sich Mühe gegeben hat, Angaben zu ihrem Gesundheitszustand zu machen, wobei sie nur einzelne Worte aussprechen konnte. Ein Hörschaden besteht bei der Klägerin somit nicht, sodass sie die Voraussetzungen des § 4
Abs. 2
Nr. 2 RBStV nicht erfüllt. Entgegen der - rechtlichen - Auffassung der
Dr. L. erfasst die Vorschrift nur Hörstörungen, aber keine Einschränkungen der verbalen Kommunikation, wie sie bei der Klägerin bestehen. Dabei begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass nicht allen verschiedenartigen Behinderungsgruppen, die in den Genuss einer Ermäßigung der Rundfunkgebühr kommen, jegliche Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen unmöglich ist (
vgl. BSG, Beschluss vom 9. November 2017 -
B 9 SB 35/17 B -, juris, Rz.10). Daneben muss berücksichtigt werden, dass die in den Ziffern 1 und 2 genannten Personengruppen das öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehangebot nur eingeschränkt nutzen können (
vgl. Bayerisches
LSG, Urteil vom 19. April 2017 - L 18 SB 105/16 -, juris, Rz. 24), was bei der Klägerin nicht der Fall ist. Dies ergibt sich aus dem Pflegegutachten, wonach sie sich gelegentlich über Inhalte im Fernsehen aufregt, tagsüber auf dem Tablet Spiele für Schlaganfallbetroffene spielt oder mit ihrer Mutter in der Türkei skypt.
Die Voraussetzungen des § 4
Abs. 2
Nr. 3 RBStV liegen bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats ebenso nicht vor. Der bei ihr mit Bescheid vom 29. Juli 2019 festgestellte
GdB beträgt zwar seit dem 6. März 2019 100. Ihr ist aber die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht ständig unmöglich.
Öffentliche Veranstaltungen sind Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art, die länger als 30 Minuten dauern (
vgl. BSG, Urteil vom 10. August 1993 -
9/9a RVs 7/91 -, juris, Rz. 12). Dazu gehören nicht nur Theater-, Oper-, Konzert- und Kinovorstellungen, sondern auch Veranstaltungen wie etwa Ausstellungen, Messen, Museen, Märkte, Gottesdienste, Volksfeste, Sportveranstaltungen, Tier- und Pflanzengärten sowie letztlich auch öffentliche Gerichtsverhandlungen (
vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. Juni 2019 - L 21 SB 347/16 -, juris, Rz. 32, 47). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, damit allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist; also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann (
vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 - 9 RVs 2/69 -, juris, Rz. 11; Bayerisches
LSG, Urteil vom 14. November 2018 -
L 18 SB 84/18 -, juris, Rz. 19). Maßgeblich ist dabei allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Hilfsmitteln, zum Beispiel einem Rollstuhl, und/oder mit Hilfe einer Begleitperson (
vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 - 9 RVs 2/96 -, juris, Rz. 12; Bayerisches
LSG, Urteil vom 14. November 2018 - L 18 SB 84/18 -, juris, Rz. 19).
Ausgehend hiervon ist die Klägerin mit dem Rollstuhl und einer Begleitperson hinreichend mobil, um an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen zu können, wie sich sowohl aus dem Reha-Entlassungsbericht wie auch den Darlegungen der Neurologin
Dr. L. in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft ergibt. Ihren durch den Schlaganfall begründeten Einschränkungen ist durch die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "aG", "B" und "H" bereits Rechnung getragen worden, wobei deren Anerkennung allein auch nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" rechtfertigt (
vgl. zum Merkzeichen "H":
BSG, Urteil vom 11. September 1991 - 9/9a RVs 15/59 -, juris, Rz. 15). Damit ist gleichzeitig berücksichtigt, dass die Klägerin aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen nicht in der Lage ist, öffentliche Veranstaltungen alleine und ohne Hilfsmittel aufzusuchen.
Soweit
Dr. L. auch darauf verweist, dass die Klägerin durch ihre Halbseitenlähmung Blicke auf sich ziehe und diese selbst von störendem Verhalten berichtet, kommt es hierauf nicht an und führt dies nicht zur Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Der auf die gesellschaftliche Teilhabe gerichtete Zweck des Merkzeichens würde nämlich in sein Gegenteil verkehrt, wenn es mit dem Ziel zuerkannt werden könnte, besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen und damit Behinderte quasi wegzuschließen, also gerade ihre Teilhabe zu verhindern. Deshalb steht das Merkzeichen auch besonders empfindsamen Behinderten nicht allein deshalb zu, weil sie die Öffentlichkeit um ihrer Mitmenschen willen meiden (
vgl. BSG, Beschluss vom 9. November 2017 - B 9 SB 35/17 B -, juris, Rz. 14). Diese Zielrichtung der gesellschaftlichen Teilhabe, die dem gesamten
SGB IX als Zielsetzung zugrunde liegt, übersieht die Klägerin bei ihrer Argumentation und nimmt daher auch zu Unrecht eine Diskriminierung von Schwerbehinderten an. In dem es gerade nicht darauf ankommen darf, inwieweit sich Teilnehmer an öffentlichen Veranstaltungen durch Behinderte gestört fühlen (
vgl. BSG, a.a.O.), wird einer Ausgrenzung von schwerbehinderten Menschen und damit auch einer Diskriminierung gerade entgegengewirkt.
Darüber hinaus meint das "Teilnehmen" im Sinne des Nachteilsausgleiches "RF" neben der körperlichen Anwesenheit nicht auch die geistige Aufnahmefähigkeit. Selbst wenn von gebührenrechtlichen Bedenken gegen eine derart erweiternde Auslegung abgesehen wird, wird sie von § 2
Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) deshalb nicht getragen, weil die Befreiung von
bzw. die Ermäßigung der Rundfunkgebührenpflicht zur sozialen Eingliederung, dem übergeordneten Ziel des Schwerbehindertenrechts (
vgl. § 10
SGB I), derartig Behinderter weder erforderlich noch geeignet ist. Der kostenlose
bzw. gebührenermäßigte Rundfunk- und Fernsehempfang ermöglicht oder erleichtert die durch die verminderte geistige Aufnahmefähigkeit beeinträchtigte Teilnahme am Gemeinschaftsleben nicht. Denn die Beeinträchtigung der geistigen Aufnahmefähigkeit wirkt sich bei öffentlichen Veranstaltungen und beim häuslichen Rundfunkempfang in gleicher Weise aus. Der Rundfunk kann insoweit keinen Ersatz für nicht mehr erreichbare öffentliche Veranstaltungen bieten. Dass auch Blinde und Hörgeschädigte von der Gebührenpflicht befreit werden (
vgl. § 4
Abs. 2
Nr. 1 und 2 RBStV), obwohl sich hier die Behinderung bei öffentlichen Veranstaltungen und dem häuslichen Rundfunkempfang ebenfalls in gleicher Weise auswirkt, betrifft einen Sonderfall. Die darin liegende mögliche Begünstigung beruht auf der herkömmlichen besonderen Bewertung dieser Behinderungen und kann deshalb nicht verallgemeinert werden (
vgl. BSG, Urteil vom 11. September 1991 -
9a/9 RVs 15/89 -, juris, Rz. 12
ff.).
Im Übrigen ist die Fähigkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht so zu verstehen, dass der Klägerin die Teilnahme an jeglicher Art von öffentlicher Veranstaltung möglich sein muss. Erforderlich, aber auch ausreichend ist die Teilnahmefähigkeit an einer nennenswerten Anzahl von öffentlichen Veranstaltungen, die nicht zwangsläufig Massenveranstaltungen sein müssen. Der Schwerbehinderte muss wegen seiner Leiden "allgemein" und "umfassend" von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sein (
vgl. BSG, Urteil vom 3. Juni 1987 -
9a RVs 27/85 -, juris, Rz. 10). Insofern obliegt es ihm, die Art der öffentlichen Veranstaltungen so auszuwählen, dass er körperlich und geistig in der Lage ist, diesen Veranstaltungen weitestgehend folgen zu können. Seine persönlichen Vorlieben, Bedürfnisse, Neigungen oder Interessen sind insoweit nicht entscheidend (
vgl. BSG, Urteil vom 10. August 1993 - 9/9a RVs 7/91 -, juris, Rz. 20;
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. Juni 2019 - L 21 SB 347/16 -, juris, Rz. 32). Dementsprechend reicht es nicht aus, dass sich die Klägerin gehindert sieht, Theaterveranstaltungen zu besuchen, weil sie den Abläufen nicht folgen könne, und Kinoveranstaltungen, weil sie durch aggressives Verhalten und laute Rufe auffalle, da sie sich mit den Schauspielern identifiziere.
In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass die Neurologin
Dr. L. aus medizinischer Sicht überzeugend verneint hat, dass die Klägerin Veranstaltungen stört oder durch unwillkürliche Lautäußerungen auffällt, was mit den Bewertungen im Pflegegutachten unter Punkt 4.3 "Verhaltensweisen und psychische Auffälligkeiten" korrespondiert, der mit 0 Punkten bewertet worden ist. Epileptische Anfälle, die 2017 beschrieben worden sind, hat sie bereits in ihrem Befundbericht vom 13. September 2019 überzeugend verneint. Dies korrespondiert mit den Feststellungen im Pflegegutachten, wonach es zwischenzeitlich zu depressivem und aggressivem Verhalten gekommen ist, welches sich nach einer Medikamentenumstellung wieder besserte und die Klägerin inzwischen wieder Lust zu Unternehmungen hat und bei therapeutischen Eigenübungen motiviert ist. Dementsprechend hat ihr Ehemann in der nichtöffentlichen Sitzung beim SG auch berichten können, dass er mit seiner Frau durchaus gelegentlich mit dem Bus fährt. Daraus wird ersichtlich, dass diese in keiner Weise an das Bett gefesselt ist, wie sie zur Klagebegründung geltend gemacht hat. Dies wird weiter dadurch untermauert, dass die Klägerin zu Arztbesuchen in der Lage ist und auch an der nichtöffentlichen Sitzung des SG teilnehmen konnte.
Ob die im Reha-Entlassungsbericht genannten Therapieziele vollständig erreicht worden sind, was die Klägerin zur Berufungsbegründung verneint, kann vor dem Hintergrund dahinstehen, dass sowohl die Notwendigkeit einer Rollstuhlnutzung als auch die einer Begleitperson durch die entsprechenden Merkzeichen berücksichtigt ist und nicht vorausgesetzt wird, dass die Klägerin öffentliche Veranstaltungen allein und ohne Hilfsmittel aufsuchen können muss. Im Übrigen ist zum Rehabilitationsergebnis mitgeteilt, dass eine allgemeine körperliche Stabilisierung erreicht und die Mobilität gesteigert werden konnte. Letztlich ist eine relevante Verschlechterung im Gesundheitszustand nicht belegt, nachdem eine solche fachärztlich nicht bestätigt worden ist und das Pflegegutachten, auch nach den Angaben der Angehörigen, keine Verschlechterung im Gesundheitszustand festgestellt hat.
Weiterer Ermittlungsbedarf hat nicht bestanden. Die vorliegenden Unterlagen haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen tatsächlichen Grundlagen vermittelt. Abgesehen davon, dass die von der Klägerin geltend gemachte Schreie bei Fernsehsendungen nicht entscheidungserheblich sind, konnten diese von der Fachärztin
Dr. L. nicht bestätigt werden, sodass es ohne weitere Anhaltspunkte sich jedenfalls um eine Ausforschung des Sachverhaltes
bzw. eine Ermittlung ins Blaue hinein (
vgl. BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2018 - B 9 V 20/18 B -, juris, Rz. 19) handeln würde, die nicht durchzuführen ist.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG.