Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (
GdB) von 50 statt 40 und mithin der Schwerbehinderteneigenschaft.
Am 13. Januar 2017 stellte die 1966 geborene Klägerin einen Erstfeststellungsantrag beim Beklagten, der den Ausgangspunkt des hier anhängigen Rechtsstreits bildet. Ihre führende Erkrankung stellt eine Colitis ulcerosa dar, eine Darmerkrankung, aufgrund derer sie zur Zeit der Antragstellung seit
ca. 20 Jahren an Durchfällen litt und wegen der sie seit Jahren eine Cortisontherapie erhalten hatte. Nach einem Bericht des Klinikums J. vom 1. Februar 2015 hatte die Klägerin dort angegeben, im Laufe der Jahre hätten Schubfrequenz und Intensität zugenommen, derzeit komme es im Jahr zu bis zu sechs akuten Schüben mit einer Dauer von jeweils bis zu drei Wochen und während eines Schubes zu Blähungen, Bauchkrämpfen, Fieber und Schlafstörungen. Blähungen und empfindliche Verdauung bestünden auch in Phasen der Remission. Der Allgemeinzustand der Klägerin wurde indes als gut beschrieben. Eine von
Dr. K. am 25. Mai 2016 durchgeführte Koloskopie ergab einen Befall des gesamten Darmes, im Rektum weniger, mit Geschwürbildungen bei mäßiggradigerer,
z. T. deutlich florider entzündlicher Aktivität gemäß einem pathologischen Bericht des
Dr. L. vom 26. Mai 2016. Er verwies auf eine identische, vielleicht minimal erhöhte Aktivität verglichen mit einem Vorbefund aus 2012.
Ferner bestand eine Lungenfunktionseinschränkung (allergisches Asthma bronchiale mit geringer zentraler Obstruktion und grenzwertiger Restriktion gemäß Bericht des Klinikums J. vom 7. November 2016), welche der Ärztliche Dienst des Beklagten mit einem Einzel-
GdB von 10 bewertete. Der vorausgegangene zweiwöchige Klinikaufenthalt hatte zu einer Reduktion der Stuhlfrequenz geführt, außerdem hatte die Klägerin bei Entlassung nach diesem Bericht angegeben, "deutlich mehr Energie zu haben". Hinsichtlich der chronischen Darmentzündung schlug der Ärztliche Dienst einen Einzel-
GdB von 30 vor, der gemäß Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2017 ab Antragstellung entsprechend festgestellt wurde.
Die Klägerin legte Widerspruch ein und berief sich auf tägliche Durchfälle, starke Bauchschmerzen, Schlafstörungen und Kräfteverfall. Sie sei nur noch jeden zweiten Tag arbeitsfähig. Ergänzend legte sie einen Bericht ihrer Hausärztin M. vom 3. März 2017 bei. Hiernach habe sich die Allgemeinsituation der Klägerin aufgrund von zunehmenden Infekten und längerer Dauer der Schübe der Colitis verschlechtert. Verschiedene Therapieoptionen hätten bereits versagt. Der Ärztliche Dienst schlug nunmehr die Anhebung des
GdB hinsichtlich der chronischen Darmentzündung auf 40 vor, während die Schwerbehinderteneigenschaft nicht erreicht werde, was sich
u. a. auch aus einem Bericht des Klinikums J. vom 7. November 2016 ergebe. Hiernach sei die Entlassung aus der vom 24. Oktober bis 6. November 2016 dauernden stationären Behandlung in deutlich gebessertem Zustand erfolgt. Der Beklagte half dem Widerspruch gemäß Widerspruchsbescheid vom 11. April 2017 insoweit ab, als der
GdB ab Antragstellung 40 betrage, und wies den Widerspruch im Übrigen zurück.
Die Klägerin hat am 28. April 2017 Klage erhoben. Sie leide als Folge ihrer Erkrankung mit einer Vielzahl von Stuhlgängen an Schwäche, Abgeschlagenheit und erheblichen Schlafstörungen bei deutlich reduziertem Allgemeinzustand und mittlerweile ausgeprägtem Fatigue-Syndrom. Die Beschwerdesymptomatik der Erkrankung wie Bauchschmerzen, Übelkeit und Kräfteverfall habe sich ebenfalls manifestiert. Es handele sich nach den
Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) um eine Colitis ulcerosa mit schwerer Auswirkung (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle), die mit einem Einzel-
GdB von 50 bis 60 zu bewerten sei. Die Bewertung ihrer Beschwerden als mittelschwere Auswirkungen sei nicht ausreichend.
Das Sozialgericht (SG) Osnabrück hat ein Sachverständigengutachten des Internisten und Kardiologen
Dr. N. eingeholt, das dieser unter dem 24. April 2018 erstattet hat. Dort hat die Klägerin
u. a. berichtet, sie werde mindestens zwei Mal nachts mit Bauchkrämpfen wach und trage ständig Vorlagen, ständig gehe Stuhl ab. Sie leide an ständigem Schlafmangel, nahezu permanenten Bauchkrämpfen und ständiger Erschöpfung. Zweistündige Spaziergänge gingen nicht, weil sie es kräftemäßig nicht schaffe und weil sie eigentlich stets eine Toilette zur Verfügung haben müsse. Sie müsse auch ihren nahezu 80-jährigen Vater mitversorgen, der noch im Hause wohne. Seit 2017, als eine Therapieumstellung auf Humira erfolgt sei, seien die Schübe weniger geworden. Im letzten Jahr habe sie nur zwei Schübe gehabt. Früher seien es deutlich mehr gewesen. Jedoch mache Humira ihr erhebliche Schlafprobleme. Zu ihrer Arbeit als Sparkassenbetriebswirtin gehe sie jeden zweiten Tag, weil es nicht anders gehe. Der Sachverständige ist zu der Schlussfolgerung gekommen, fraglos stellte die chronische Darmentzündung bei der Klägerin eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität dar und Auswirkungen auf die allgemeine Leistungsfähigkeit seien nachvollziehbar. Ein
GdB von 50 bedinge eine erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, wobei die Klägerin bei einer Körpergröße von 172
cm ein Gewicht von 104
kg aufweise. Hier könne schwerlich von einer "erheblichen" Beeinträchtigung des Ernährungszustandes gesprochen werden. Auch bestehe kein Hinweis auf Muskelschwund. Der
GdB von 40 sei eher großzügig bemessen. Bei der bestehenden Körpergewichtssituation könnten die Aussagen hinsichtlich nahezu permanent vorhandener Bauchkrämpfe nicht plausibel nachvollzogen werden. Auch seien bislang keine schwerwiegenden fieberhaften Infektionen als Komplikation der Therapie mit Humira belegt. Die Klägerin hat hierzu ausgeführt, sie habe vor dem Medikament Humira 20 Jahre lang Cortison gegen die Entzündungen des Darms eingenommen. Beschrieben würden insoweit neben anderen erheblich beeinträchtigenden Begleiterkrankungen auch Verstopfungen. Insoweit habe das SG Hannover in einem Urteil aus 2014 -
S 25 SB 556/12 - zum Erkrankungsbild der Colitis ulcerosa auch ausgeführt, eine Steroidtherapie könne oftmals auch zu einer Gewichtszunahme führen. Gerade in diesen Fällen sei der Kräfte- und Ernährungszustand ein oftmals unzureichender oder sogar irreführender Indikator für die Schwere der Erkrankung.
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2018 hat das SG Osnabrück die Klage abgewiesen und ist in seiner Einschätzung dem Vorschlag des
Dr. N. gefolgt. Die durchgeführte Blutuntersuchung habe keinerlei Hinweise auf eine Blutarmut ergeben, ferner hätten keine Hinweise auf erhöhte Entzündungsparameter bestanden und auch die Klägerin habe angegeben, die derzeitige Therapie mit Humira habe zu einer deutlichen Verminderung der akuten Entzündungsschübe geführt. Die seitens der Klägerin geltend gemachte erhöhte Infektanfälligkeit habe sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht feststellen lassen. Ein höherer
GdB als 40 hinsichtlich der Darmerkrankung sei folglich nicht in Betracht gekommen, die Lungenerkrankung sei mit einem Einzel-
GdB von 10 korrekt bewertet und wirke sich nicht erhöhend auf den Gesamt-
GdB aus.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 12. Juli 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10. August 2018 Berufung eingelegt. Nach einem ersten Hinweis der vormaligen Berichterstatterin, die unter ausführlicher Darlegung die Entscheidungsgründe des SG Osnabrück für überzeugend erachtet hat, hat die Klägerin nochmals auf starke Gewichtszunahme durch die langjährige Cortisontherapie hingewiesen.
Auf Antrag der Klägerin ist in Anwendung des § 109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ein Sachverständigengutachten des hausärztlich praktizierenden Internisten O. eingeholt worden, das dieser unter dem 30. April 2019 erstattet hat; er ist Praxispartner der die Klägerin behandelnden Hausärztin M.. Dort hat die Klägerin ergänzend angegeben, ihre letzten Krankheitsschübe seien im August 2018 und zu Weihnachten
bzw. Silvester 2018 gewesen, diese hätten sich mit einer Steigerung der Stuhlfrequenz von mehr als 25mal täglich gezeigt, verbunden mit starken Bauchkrämpfen. Von dem Therapiewechsel auf Humira 2017 habe die Klägerin nach ihrem eigenen Empfinden nicht profitiert. Die ständige Erschöpfung und Kraftlosigkeit sei intensiver geworden. Hinzu kämen trockene Augen. Lediglich die Schubintervalle hätten sich verlängert, die Stuhleigenschaften und die Schubintensität nicht. Auch kämen Muskelkrämpfe hinzu. Die Colitis ulcerosa zeige sich, wie der Sachverständige in der Beantwortung der Beweisfragen ausgeführt hat, insbesondere in anhaltenden schweren wässrigen Durchfällen, verteilt über den gesamten Tag und auch in der Nacht. Auch würden starke Bauchschmerzen auftreten. Der adipöse Ernährungszustand der Klägerin hänge auch damit zusammen, dass hochkalorische leicht verdauliche Kohlenhydrate gut vertragen würden, Salat oder Gemüse aber zu Bauchschmerzen führten. Die Klägerin nehme Nahrungsergänzungsmittel und Eisentabletten ein. Durch den gestörten Elektrolyt- und Wasserhaushalt komme es auch zu rezidivierenden Muskelkrämpfen. Die Erkrankung führe zu schweren Beeinträchtigungen und erheblichem Kräftemangel und sei mit einem
GdB von 50 bis 60 zu bewerten. Der
GdB werde insgesamt mit 60 vorgeschlagen, unter Berücksichtigung eines Einzel-
GdB von 20 bis 40 wegen einer Afterschließmuskelschwäche, während die Lungenerkrankung mit einem Einzel-
GdB von 10 korrekt bewertet sei.
Die Klägerin hat dem Gutachten in der Folgezeit zugestimmt, der Ärztliche Dienst des Beklagten -
Dr. P. - hingegen nicht. Von dort ist erneut auf das Übergewicht der Klägerin hingewiesen worden. Zudem habe der Sachverständige eine Afterschließmuskelschwäche behauptet, ohne dies zu untersuchen, während sich bei der letzten diesbezüglichen Untersuchung im Mai 2016 ein normaler Tonus des Afterschließmuskels gezeigt habe. Es gebe keine Belege für eine diesbezüglich eingetretene Änderung. Aus versorgungsärztlicher Sicht bestehe weiterhin eine entzündliche Darmerkrankung mit mittelschwerer Ausprägung im Sinne von
Teil B Nr. 10.2.2 VMG. Der vorgesehene Beurteilungsspielraum von 30 bis 40 sei nach oben ausgeschöpft worden.
In einer dem Gericht im Oktober 2019 übersandten eigenen Stellungnahme der Klägerin hat diese dargelegt, ihr Afterschließmuskel sei voll funktionstüchtig, für den wässrigen Stuhl aber nicht geschaffen. Es habe zahlreiche Entzündungsschübe ihrer Darmerkrankung gegeben. Diese hätten auch zu Vernarbungen und einer Einschränkung der natürlichen Darmfunktion geführt, der Stuhl werde nicht mehr eingedickt und bleibe dünnflüssig bis wässrig. Durch Verdauungsbeschwerden komme es auch zu einer Bildung von Fäulnisgasen und dadurch zu einer starken Druckerhöhung im Darm mit bisweilen plötzlicher explosionsartiger Stuhlentleerung. Daher benötige sie immer sofort eine Toilette in ihrer Nähe. Eine normale Teilhabe am sozialen Leben (täglicher Einkauf, Sport, Verabredungen, Ausflüge) sei für sie so kaum darstellbar. Auch zwei bis drei Mal nachts träten diese explosionsartigen Durchfälle auf. Den Flüssigkeitsverlust könne sie zudem kaum durch ausreichende Wasseraufnahme wieder ausgleichen. Ihr Übergewicht führe sie auf die langjährige Cortison-Einnahme zurück. Hierzu hat der Beklagte unter dem 17. Oktober 2019 nochmals Stellung genommen.
Vom 12. bis 14. November 2019 hat sich die Klägerin erneut in stationärer Behandlung im Klinikum Q. befunden. Sie hat mittlerweile keine medikamentöse Therapie mehr erhalten und sich mit homöopathischen Mitteln selbst therapiert. Der Allgemeinzustand ist als ausreichend, der Ernährungszustand weiterhin mit übergewichtig beschrieben worden. Die Aktivität der Colitis ulcerosa sei derzeit mäßig. Eine Steroid-Therapie ist eingeleitet und für Januar 2020 eine erneute Therapieumstellung geplant und schließlich auch durchgeführt worden, und zwar im Rahmen einer erneuten stationären Behandlung vom 21. - 23. Januar 2020. Nunmehr ist seitens des Klinikums Q.,
Dr. R., bei weiterhin als mäßig beschriebener Aktivität der Colitis ulcerosa der Allgemeinzustand der Klägerin als gut bezeichnet worden, bei weiterhin übergewichtigem Ernährungszustand.
Der Senat hat es zwischenzeitlich für erforderlich erachtet, nach Vorliegen des Gutachtens eines Kardiologen und eines hausärztlich tätigen Internisten nunmehr einen Gastroenterologen mit einem Sachverständigengutachten zu beauftragen und hat mit Beweisbeschluss vom 14. Januar 2020 entsprechend den Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie
Dr. S. beauftragt, der für den Senat zuvor nicht gutachtlich tätig geworden war. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 3. Februar 2020 auf eine akute Erkrankung hingewiesen, sie sei beim Chefarzt
Dr. R. im Klinikum Q. in Behandlung gewesen. Im November 2019 habe eine Entzündung bestanden, diese sei im Dezember 2019 wieder aufgeflammt und im Januar 2020 sei dementsprechend nochmals eine stationäre Aufnahme ins Klinikum Q. erfolgt. Die Therapie sei nunmehr geändert worden in systemisch wirkendes Cortison, allerdings erfolglos bei weiterhin insgesamt
ca. 15 Durchfällen täglich mit krampfartigen Bauchschmerzen, blutigen Durchfällen, Fieberschüben und Schüttelfrost.
Sowohl der Internist und Gastroenterologe
Dr. R. in einer Stellungnahme vom 2. März 2020 als auch der hausärztliche Internist O. in einer Stellungnahme vom 25. Februar 2020 haben die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft in der Folgezeit ausdrücklich befürwortet.
Aufgrund einer von der Klägerin angegebenen Reiseunfähigkeit hat
Dr. S. sein Sachverständigengutachten in Absprache mit dem Berichterstatter des Senats nach Aktenlage erstattet und hat das Gutachten unter dem 25. Mai 2020 vorgelegt. Er hat hierbei die umfangreichen Untersuchungen ausgewertet, die das Klinikum Q. im November 2019 durchgeführt hat. Er hat ausgeführt, die vorliegenden endoskopischen Untersuchungsbefunde der Klägerin, insgesamt fünf und zuletzt im November 2019, zeigten jeweils eine mäßig- bis hochgradige entzündliche Aktivität der Colitis ulcerosa im gesamten Darm. Die Blutwerte und Untersuchungsergebnisse deckten sich mit den Angaben der Klägerin zu ihrem chronischen Müdigkeitssyndrom. Ein objektiver Nachweis einer Afterschließmuskelschwäche habe sich hingegen nicht finden lassen. Eine schubbedingte Gewichtsabnahme sei nur ein einziges Mal dokumentiert, nach dem Bericht der Kliniken J. vom 7. November 2016 - dort sei auch erstmals von einem Fatigue-Syndrom gesprochen worden - habe die Klägerin damals 47
kg gewogen, bei allen übrigen Messungen im Bereich von 95 bis 104
kg. Die Colitis ulcerosa zeige über viele Jahre hin einen chronisch aktiven Verlauf und sei über den gesamten Darm ausgedehnt bei anhaltenden und häufig rezidivierenden erheblichen Beschwerden mit häufigen täglichen, auch nächtlichen Durchfällen. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Ernährungszustandes oder eine ausgeprägte Anämie seien nicht zu beobachten. Der
GdB der chronisch entzündlichen Darmerkrankung sei auf der Grundlage der Befunde vom stationären Aufenthalt im Klinikum Q. vom 12. bis 14. November 2019 sowie der nachfolgenden ergänzenden Befunde mit 50 einzuschätzen, wobei der Sachverständige
Dr. S. unter Berücksichtigung weiterer Einzel-
GdB von 10 insgesamt auf einen Gesamt-
GdB von 60 gekommen ist. Die Befunde aus November 2019 deuteten auf eine deutliche Verschlechterung eines vorbestehenden Befundes hin. Dem Gutachten des
Dr. N. widerspreche er in der Beurteilung, während er den Gutachten des Internisten O. zustimme, hierbei allerdings das Fatigue-Syndrom im Zusammenhang mit einem latenten chronischen Eisenmangel sehe. Auch die Frage der Afterschließmuskelschwäche beurteile er anders. Der Afterschließmuskel weise eine gute Funktion auf. Sollte die Klägerin nach erneuter Therapieumstellung jetzt in eine anhaltende klinische Remission kommen, sei nach einem 2-jährigen Verlauf der Remission eine grundlegende morphologische Veränderung in der Darmwand zu erwarten und dadurch eine deutliche Verbesserung des klinischen Befundes mit erheblicher Reduktion der Stuhlfrequenz.
Die Klägerin hat das Gutachten des
Dr. S. für überzeugend gehalten, der Ärztliche Dienst des Beklagten hingegen nicht. Eine Spiegelung des Dickdarms am 12. November 2019 habe lediglich eine mäßige Aktivität der Erkrankung gezeigt. Ein Untergewicht liege nicht vor, eine Verminderung des Hämoglobins sei nur gering ausgeprägt. Aus versorgungsärztlicher Sicht bleibe es bei der Einschätzung mittelschwerer Auswirkungen der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung im Sinne von Teil B
Nr. 10.2.2
VMG. Von schweren Auswirkungen der Erkrankung im Sinne einer erheblichen Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes könne weiterhin nicht ausgegangen werden. Auch eine Afterschließmuskelschwäche sei mittlerweile ausgeschlossen worden.
Der Senat hat nachfolgend noch eine kurze gutachtliche Stellungnahme des Chefarztes
Dr. R. vom Klinikum Q. angefordert, der daraufhin - obwohl ihm nicht die Akten, sondern lediglich eine Kopie des Gutachtens
Dr. S. und der Stellungnahmen der Beteiligten vorgelegen haben - in eigenmächtiger Erweiterung des Auftrages ein vollständiges Sachverständigengutachten unter dem Datum vom 23. November 2020 gefertigt hat. Er hat nach umfänglicher Darstellung der Vorgeschichte die Einschätzung des Sachverständigen
Dr. S. uneingeschränkt unterstützt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen die vorbekannten Schilderungen der Klägerin zu ihrer Beeinträchtigung wiederholt. Laborchemisch habe sich zwar keine ausgeprägte Anämie gezeigt, jedoch hätten der Hämoglobin-Wert und der Färbeindex im unteren Normbereich
bzw. darunter gelegen. Daher könne die Colitis ulcerosa mit einem
GdB von 50 bewertet werden. Die niedrigen Werte seien Zeichen eines latenten Eisenmangels und begünstigten das von der Klägerin beschriebene Fatigue-Syndrom. Dies sei ergänzend mit einem
GdB von 20 zu berücksichtigen, wobei
Dr. R. hinsichtlich der Auswirkungen des Syndroms erneut die Schilderungen der Klägerin wiedergegeben hat. Unter Addition weiterer Einzel-
GdB von 10 in anderen Fachgebieten ist
Dr. R. zu einer Gesamteinschätzung des
GdB mit 80 gekommen.
Hierzu hat die Klägerin zustimmend Stellung genommen und ist nunmehr der Auffassung, der
GdB sei noch höher als mit 50 festzustellen, insbesondere sei
Dr. R. zu folgen, der zwar wohl die
VMG nicht korrekt angewandt habe, aber als Behandler ihren Gesundheitszustand seit Jahren kenne.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 10. Juli 2018 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2017 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, bei der Klägerin einen
GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 19. Januar 2021 -
Dr. P. -, wonach der
GdB sich allein aus der chronischen Darmentzündung rechtfertige und weiterhin mit 40 einzuschätzen sei.
Der Senat hat die Klägerin mit Schreiben vom 25. Januar 2021 noch um Mitteilung gebeten, ob sie tatsächlich im November 2016 lediglich 47
kg gewogen habe, wie dies in einem Bericht des Klinikums J. erwähnt sei. Nach Auskunft der Klägerin handelt es sich hierbei um einen Schreibfehler.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Die form- und fristgerecht (§ 151
Abs. 1
SGG) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143
SGG), aber nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 10. Juli 2018 sowie der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2017 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten, ihren
GdB mit mindestens 50 festzustellen.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines
GdB ist
§ 152 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz -
BTHG, BGBl. I 2016, 3234
ff.). Nach dieser Vorschrift, die im Rahmen der vorliegenden Anfechtungs- und Verpflichtungsklage anwendbar ist und die die bisherigen Regelungen des
§ 69 SGB IX (Fassung bis zum 31. Dezember 2017) im Wesentlichen unverändert übernommen hat, stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den
GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (
Abs. 1
S. 1). Als
GdB werden dabei nach § 152
Abs. 1
S. 5
SGB IX n. F. die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Grundlage der Bewertung waren dabei bis zum 31. Dezember 2008 die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (
AHP). Dieses Bewertungssystem ist zum 1. Januar 2009 ohne wesentliche inhaltliche Änderungen abgelöst worden durch die aufgrund des § 30
Abs. 17 (
bzw. Abs. 16) BVG erlassene und zwischenzeitlich mehrfach geänderte
Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1
Abs. 1 und 3, des § 30
Abs. 1 und des § 35
Abs. 1 BVG (
Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV -) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I 2412). Die darin niedergelegten Maßstäbe waren nach § 69
Abs. 1
S. 5
SGB IX (in der bis zum 14. Januar 2015 gültigen Fassung) auf die Feststellung des
GdB entsprechend anzuwenden. Seit dem 15. Januar 2015 existiert im Schwerbehindertenrecht eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Erlass einer
Rechtsverordnung, in der die Grundsätze für die medizinische Bewertung des
GdB und auch für die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen aufgestellt werden (
§ 70 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 15. Januar 2015 gültigen Fassung
bzw. § 153 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung). Hierzu sieht der zeitgleich in Kraft getretene
§ 159 Abs. 7 SGB IX (nunmehr
§ 241 Abs. 5 SGB IX n. F.) als Übergangsregelung vor, dass bis zum Erlass einer solchen Verordnung die Maßstäbe des § 30
Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30
Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten.
Als
Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (
VMG) erlassen worden, in denen u.a. die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (
GdS) i.
S. des § 30
Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind auch für die Feststellung des
GdB maßgebend (
vgl. Teil A Nr. 2 a VMG). Die
AHP und die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen
VMG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG],
vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 2014 -
B 9 SB 2/13 R - juris Rn. 10 m. w. N.).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der
GdB gemäß § 152
Abs. 3
S. 1
SGB IX n. F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des
GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (s.
§ 2 Abs. 1 SGB IX) und die damit einhergehenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den
VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-
GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-
GdB (
vgl. Teil A Nr. 3 c VMG) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-
GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in den
VMG feste Grade angegeben sind (Teil A
Nr. 3 b
VMG). Hierbei führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen
GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung und auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem
GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A
Nr. 3 d ee
VMG;
vgl. zum Vorstehenden auch
BSG, Urteil vom 17. April 2013 -
B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 29).
Die Bemessung des
GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (
vgl. BSG a.a.O. Rn. 30). Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Maßgeblich für die darauf aufbauende
GdB-Feststellung ist aber nach § 2
Abs. 1, § 152
Abs. 1 und 3
SGB IX n. F., wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (
BSG, Beschluss vom 20. April 2015 - B 9 SB 98/14 B - juris Rn. 6
m.w.N.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze sind der Gerichtsbescheid des SG und die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat vielmehr zu Recht die Feststellung eines höheren
GdB als 40 abgelehnt.
Maßgebliche Funktionsstörung der Klägerin ist die Darmstörung aufgrund einer Colitis ulcerosa. Nach Teil B
Nr. 10.2.2
VMG wird eine Colitis ulcerosa bei mittelschwerer Auswirkung (häufig rezidivierende oder länger andauernde Beschwerden, geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige Durchfälle) mit einem Einzel-
GdB von 30 bis 40 und eine Colitis ulcerosa mit schwerer Auswirkung (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle) mit einem Einzel-
GdB von 50 bis 60 bewertet. Die diesbezügliche Grenzziehung ist nicht eindeutig.
Ob die genannten Regelbeispiele alternativ oder kumulativ vorliegen müssen, dürfte entsprechend einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales als Verordnungsgeber dahingehend zu beantworten sein, dass es sich um nicht abschließende Beispiele handelt, wobei der Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes eine nicht unerhebliche Bedeutung zukommt (
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Juni 2014 -
L 13 SB 371/13 - juris Rn. 22;
vgl. auch SG Aachen, Urteil vom 8. Mai 2018 -
S 18 SB 255/17 - juris Rn. 57 m. w. N.), letztlich aber eine Gesamtbetrachtung entscheidend sein dürfte (
LSG Nordrhein-Westfalen,
a. a. O.). Wenn eine Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes nicht vorliegt, ist ein Einzel-
GdB von 40 als absoluter Höchstwert anzunehmen (Bayerisches
LSG, Urteil vom 25. April 2018 -
L 2 SB 199/17 - juris Rn. 84 f.). Bei der Frage der Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes wird teilweise Übergewicht als Kriterium gegen eine solche Minderung herangezogen (
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Februar 2018 - L 6 SB 4718/16 - juris Rn. 40), insbesondere in Verbindung mit einem attestierten guten Allgemeinzustand (
LSG Baden-Württemberg,
a. a. O.). Bei gutem Allgemeinzustand kann auch ein schlanker Ernährungszustand im noch normalgewichtigen Bereich der Annahme einer Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes entgegenstehen (
LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29. Juni 2010 - L 7 SB 8/05 - juris Rn. 64) und teilweise wird darüber hinaus bereits ein Gewicht im leicht untergewichtigen Bereich gegen eine Minderung des Ernährungszustandes angeführt (
LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17. Dezember 2013 -
L 3 SB 44/09 - juris Rn. 38). Nach einer Entscheidung des
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21. März 2013 -
L 6 SB 446/13 - juris Rn. 26) ist es zudem nicht zulässig, allein aus einem leichten Untergewicht eine Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes herzuleiten.
Die anspruchsbegründenden Tatsachen müssen hierbei zur vollen Überzeugung des Gerichts in der Weise nachgewiesen werden, dass vernünftige Zweifel nicht verbleiben und das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Auch hinsichtlich des geltend gemachten Ausmaßes einer Gesundheitsstörung ist für den Ausspruch einer entsprechenden Feststellung eine jeden vernünftigen Zweifel ausschließende volle Überzeugung erforderlich, dass die Funktionsstörung in diesem Ausmaß vorliegt und die Möglichkeit einer lediglich mit einem geringeren
GdB zu bewertenden Störung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausscheidet. Verbleiben insoweit Zweifel, ist auch im Falle überwiegender Wahrscheinlichkeit eines höher zu bewertenden Ausmaßes eine Höherbewertung nicht möglich, so lange deren Erforderlichkeit auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht mit dem entsprechenden Beweismaß der vollen richterlichen Überzeugung als erwiesen gelten kann.
Der Senat folgt nach den genannten Maßstäben im Ergebnis nicht den Ausführungen des Sachverständigen
Dr. S. und des behandelnden Arztes
Dr. R., die beide die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft befürwortet haben. Zuzugeben ist den Befürwortern der Annahme einer Schwerbehinderteneigenschaft zunächst, dass aufgrund der langjährigen Cortisontherapie wohl nicht entscheidend auf den Ernährungszustand und insbesondere nicht auf dessen Ableitung aus bestehendem Übergewicht der Klägerin abgestellt werden kann. Indes ist zu berücksichtigen, dass die Erkrankung schubweise verläuft und die teils schwerwiegenden Befunde keinen Dauerzustand abbilden. Bereits nach dem Bericht des Klinikums J. vom 1. Februar 2015 kam es bei Zunahme von Schubfrequenz und Intensität im Jahr "zu bis zu sechs" akuten Schüben mit einer Dauer von jeweils bis zu drei Wochen und während eines Schubes zu Blähungen, Bauchkrämpfen, Fieber und Schlafstörungen. Dies bildet demnach den Zustand in maximal einem Drittel der Gesamtzeit ab. Die von der Klägerin im Rahmen ihrer Klagebegründung geschilderte Beschwerdesymptomatik der Erkrankung in Form von Bauchschmerzen, Übelkeit und Kräfteverfall besteht demnach nicht permanent, dies unabhängig von der Angabe, dass gewisse Beschwerden - Blähungen und empfindliche Verdauung - nach ihren Angaben auch in Phasen der Remission bestanden haben. Der Allgemeinzustand der Klägerin war bei alledem gut, der Klinikaufenthalt zudem erfolgreich mit einer Besserung des Kräftezustandes und Reduktion der Stuhlfrequenz. Auch eine weitere stationäre Behandlung im Herbst 2016 war erfolgreich; seinerzeit hatte die Klägerin 12-15 breiig bis wässrige Stuhlgänge täglich im Rahmen eines akuten Schubes angegeben. Der Rückgang der Arbeitsfähigkeit der Klägerin auf "nur noch jeden zweiten Tag" ist zunächst lediglich ihre eigene Angabe und eine derartige eingeschränkte Arbeitsfähigkeit als Sparkassenbetriebswirtin im Zweitagesrhythmus allein aus medizinischen Gründen erscheint dem Senat auch nicht unmittelbar einleuchtend.
Weitere Zweifel am Bestehen der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin weckt das Sachverständigengutachten des Internisten und Kardiologen
Dr. N. vom 24. April 2018, dem das SG Osnabrück im Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2018 entscheidungstragend gefolgt ist. Beachtlich hierbei ist das Fehlen von Hinweisen zu einer geltend gemachten erhöhten Infektanfälligkeit und von Auffälligkeiten im Rahmen der Blutuntersuchung, insbesondere in Bezug auf fehlende Hinweise auf erhöhte Entzündungsparameter, dies in Verbindung mit der eigenen Angabe der Klägerin einer deutlichen Verminderung der akuten Entzündungsschübe (dies gegenüber vormals maximal einem Drittel der Gesamtzeit,
s. o.). Im Jahr vor der Untersuchung hat die Klägerin hiernach nur zwei Schübe gehabt, was ungefähr einem Zehntel der Gesamtzeit entsprechen dürfte, was nunmehr eindeutig gegen das Vorliegen anhaltender oder häufig rezidivierender erheblicher Beschwerden i.
S. von Teil B
Nr. 10.2.2
VMG spricht. In der übrigen Zeit sind nach den Angaben der Klägerin regelmäßig Toilettengänge im Abstand von tagsüber zwei Stunden erforderlich.
Das vom Sachverständigen
Dr. N. letztlich in den Vordergrund gestellte Körpergewicht der Klägerin hat nach Auffassung des Senats nicht die zentrale Bedeutung, die ihm
ggf. in den Gründen des Gerichtsbescheides des SG Osnabrück vom 10. Juli 2018 zugekommen sein mag, das diesen Ernährungszustand an den Beginn seiner Überlegungen gestellt hat. Auch das SG Osnabrück hat indes darauf hingewiesen, dass Muskelschwund nicht zu erkennen sei. Der Senat stellt demzufolge nicht den Ernährungszustand, der jedenfalls nicht gemindert ist, wobei der Senat den Hinweis der Klägerin auf die Möglichkeit starker Gewichtszunahme durch die langjährige Cortisontherapie für durchaus überzeugend hält, sondern vielmehr den Kräftezustand in Verbindung mit dem Fehlen anhaltender oder häufig rezidivierender erheblicher Beschwerden in den Vordergrund. Nach diesen Kriterien ist nach den Feststellungen des Sachverständigen
Dr. N. auch unabhängig vom bestehenden Übergewicht vom Erreichen eines Einzel-
GdB von 50 nach den Maßstäben des Teil B
Nr. 10.2.2
VMG nicht auszugehen. Eine "erhebliche" Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes durch die Erkrankung ist nach den getroffenen Feststellungen nicht belegt und auch nicht plausibel, bereits eine "geringe bis mittelschwere" Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes stellt eine eher großzügige Annahme dar. Eigentlich ist nämlich überhaupt keine Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes der Klägerin durch belastbare medizinische Feststellungen nachgewiesen, auch wenn eine solche Beeinträchtigung aufgrund der langjährigen Darmerkrankung durchaus plausibel ist und der Senat dies bei Bewertung der Darmerkrankung mit einem Einzel-
GdB von 40 auch berücksichtigt, allerdings ist damit auch das geltend gemachte Fatigue-Syndrom der Klägerin vollumfänglich mit bewertet.
Das Sachverständigengutachten des Internisten O. vom 30. April 2019 hat den Senat nicht überzeugt. Auch dort hat die Klägerin lediglich von zwei Schüben innerhalb des letzten Jahres berichtet, wenn diese nach ihren Angaben auch mit einer extremen Steigerung der Stuhlfrequenz und starken Bauchkrämpfen verbunden gewesen sein mögen. Die weiteren Angaben der Klägerin zu ihrem Erschöpfungszustand, angeblicher Kraftlosigkeit und teilweiser Nahrungsmittelunverträglichkeit sind nicht durch belastbare Feststellungen verifiziert. Der Sachverständige hat in seiner Diskussion im Wesentlichen die Angaben der Klägerin zugrunde gelegt und diese
z. T. mit Laborbefunden unterlegt, die während eines akuten Colitis-Schubes angefertigt worden sind, wobei jedoch auch andere Laboruntersuchungen eine ständige Entzündungsaktivität belegten. Zudem hat der Internist O. eine Afterschließmuskelschwäche angenommen, die in der Folgezeit sicher ausgeschlossen werden konnte. Insgesamt ist das Gutachten, dem sich die erforderliche kritische Würdigung der Angaben der Klägerin nicht entnehmen lässt und das im Hinblick auf die Afterschließmuskelschwäche sogar spekulative Züge aufweist, nicht von ausreichender Überzeugungskraft.
Weitere Zweifel am Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft folgen daraus, dass zwischenzeitlich allein eine Eigentherapie mit homöopathischen Mitteln erfolgt ist und schließlich im Januar 2020 eine erneute Therapieumstellung auf eine Steroid-Therapie erfolgt ist, wobei
Dr. R. bei mäßiger Aktivität der Colitis ulcerosa den Allgemeinzustand der Klägerin als gut bezeichnet hat.
Auch das nach Aktenlage erstattete Sachverständigengutachten des
Dr. S. hat den Senat nicht überzeugt. Es handelt sich bei ihm um einen Sachverständigen, der erstmals für den Senat tätig war und der nach dem Inhalt seines Gutachtens vom 25. Mai 2020 eine kritische Auseinandersetzung mit dem Akteninhalt vermissen lässt, die mangels Durchführung einer eigenen medizinischen Untersuchung umso mehr notwendig gewesen wäre. So ist etwa der Umstand, dass die Klägerin im November 2016 lediglich 47
kg gewogen haben soll und somit weniger als die Hälfte ihres noch ein Vierteljahr zuvor dokumentierten Gewichts, zumindest zu hinterfragen, was der Senat - anders als der Sachverständige
Dr. S. - mit dem aufgrund der kurzzeitigen erheblichen Abweichung naheliegenden Ergebnis getan hat, dass sich insoweit ein Schreibfehler herausgestellt hat. Den Kräftezustand der Klägerin sowie die Frage nach der Ausprägung der Beschwerden abseits des Auftretens eines akuten Schubes hat der Sachverständige nicht problematisiert, obwohl diese für die Bewertung nach Teil B
Nr. 10.2.2
VMG entscheidend sein dürfte; er hat diese Beschwerden ohne nähere Darlegung als erheblich i.
S. der
VMG gewichtet (
S. 16 des Gutachtens, zu Frage 7). Auch hat er die Angaben der Klägerin, etwa zu ihrer nur jeden zweiten Tag bestehenden Arbeitsfähigkeit, im Rahmen seiner Bewertung ohne kritische Reflexion übernommen (
S. 14 des Gutachtens, letzter Absatz). Gänzlich unverständlich ist die Bewertung der Afterschließmuskelschwäche, die der Sachverständige selbst für nicht nachgewiesen erachtet hat, gleichwohl mit einem Einzel-
GdB von 10; hierauf hat auch der Ärztliche Dienst des Beklagten in seiner Stellungnahme vom 1. Juli 2020 hingewiesen. Zudem zeigt sich der Sachverständige bei der Bildung des Gesamt-
GdB mit Teil A
Nr. 3 d) ee)
VMG in keiner Weise vertraut und zieht einen Einzel-
GdB von 50 mit mehreren Einzel-
GdB von 10 zu insgesamt 60 zusammen.
Auch
Dr. R. hat in seinem Sachverständigengutachten vom 23. November 2020, für dessen Anfertigung im Übrigen kein Auftrag seitens des Senats bestanden hat, keine kritische Aus-einandersetzung mit den Angaben der Klägerin vorgenommen und seine Angaben und Schlussfolgerungen bieten gegenüber dem Sachverständigengutachten des
Dr. S., dem er sich ausdrücklich uneingeschränkt angeschlossen hat, keinen weiteren Erkenntnisgewinn. Auch er hat sich in keiner Weise vertraut mit den Kriterien der Bildung des Gesamt-
GdB, insbesondere mit Teil A
Nr. 3 d) ee)
VMG, gezeigt und hat zudem auf die berufliche Leistungsfähigkeit abgestellt, der nach den Grundsätzen der
VMG keine maßgebliche Bedeutung zukommt.
Nach alledem vermag sich der Senat nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten nicht davon zu überzeugen, dass die unzweifelhaft in chronischer Form bestehende Erkrankung der Klägerin an Colitis ulcerosa den Kriterien entspricht, die nach Teil B
Nr. 10.2.2
VMG hinsichtlich einer Bewertung mit einem
GdB von 50 zu fordern wären. Auch vom Erfordernis einer eigenständigen Bewertung eines Fatigue-Syndroms (
Teil B Nr. 18.4 VMG) neben entsprechenden Gesundheitsstörungen als Folge der Colitis ulcerosa ist der Senat nicht überzeugt, jedenfalls ergäbe sich insoweit aufgrund entsprechender Überschneidungen (Teil A
Nr. 3 d cc
VMG) keine weitere Erhöhung des
GdB von 40.
Die weiteren Beschwerden der Klägerin rechtfertigen in Anwendung von Teil A
Nr. 3 d) ee)
VMG keine weitere Erhöhung des
GdB und nicht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160
Abs. 1 und
Abs. 2
SGG liegen nicht vor.