Die Beteiligten streiten um einen höheren Grad der Behinderung.
D. Kl., bei der aufgrund eines Bescheides der Beklagten vom 14. März 2016 ein Grad der Behinderung (
GdB) von 30 festgestellt war, stellte bei der Beklagten am 3. April 2019 einen Antrag auf Neufeststellung eines
GdB.
Nach Beiziehung medizinischer Unterlagen lehnte die Beklagte auf Grundlage einer gutachterlichen Stellungnahme vom 11. Mai 2019 die Feststellung eines höheren
GdB als 30 ab.
Mit ihrem Widerspruch vom 18. Juni 2019 machte d. Kl. die bekannten Funktionseinschränkungen geltend, die sich aus einer psychischen Störung, einem Diabetes mellitus und den Feststellungen aus dem Rehabericht der H. Klinik
S. 22. März 2019 ergäben.
Nach weiteren medizinischen Ermittlungen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2019 als unbegründet zurück. Mit der am 2. September 2019 erhobenen Klage begehrt d. Kl. einen
GdB von mindestens 50.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von Befundberichten des DM G vom 2. Dezember 2019,
Dr. G und DM B. Danach lägen gleichbleibende Beschwerden im Zeitraum 2018 - 2019 vor. Hinsichtlich des Diabetes mellitus lägen stabile Befunde vor, es sei keine Blutzuckermessung d. Pat. indiziert. Neu hinzugetreten sei eine Schilddrüsenzyste mit Besserung des Befundes nach viermaliger Vorstellung.
Das Gericht hat sodann das Sachverständigengutachten auf dem Fachgebiet Neurologie/Psychiatrie des
Dr. K. vom 5. November 2020 veranlasst. Danach leide d. Kl. unter einer rezidivierenden depressive Störung (mittelgradige Episode) mit Chronifizierungstendenz und deutlicher Somatisierungstendenz, aus der ein Einzel-
GdB von 40 folge. Ein Chronisches Fatigue-Syndrom sei ebenso mit einem Einzel-
GdB von 10 zu bewerten wie die Polyneuropathie gemischter Genese. Aus dem Diabetes mellitus Typ II folge ein Einzel-
GdB von 20. Der konkrete Zeitpunkt der Verschlimmerung des psychischen Leidens der Klägerin sei unklar, sei jedoch spätestens im Februar 2020 eingetreten. Der Gesamt-
GdB sei mit 50 festzustellen.
D. Kl. beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 23.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 02.08.2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bei d. Kl. einen Gesamtgrad der Behinderung von 50 festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass auch unter Berücksichtigung des vom Gutachter vorgeschlagenen Einzel-
GdB von 20 für den Diabetes mellitus ein Gesamt-
GdB von 50 nicht vergeben werden könne.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 02.08.2019 ist rechtwidrig und verletzt d. Kl. in ihren Rechten. Sie hat Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-
GdB von 50.
Nach den
§§ 2 Abs. 1,
69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (
SGB IX a.F.)
bzw. nach
§ 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (
SGB IX n.F.) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der
Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I
S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (
VMG) heranzuziehen. Liegen - wie hier - mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der
GdB gemäß § 69
Abs. 3
SGB IX a.F.
bzw. § 152
Abs. 3
SGB IX n.F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach
A 3c VMG ist bei der Beurteilung des Gesamt-
GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-
GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Nach den gutachterlichen Feststellungen besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit darüber, dass die aus dem führenden Leiden der rezidivierenden depressiven Störung mit Chronifizierungstendenz und deutlicher Somatisierungstendenz resultierende Funktionsbeeinträchtigung mit einem Einzel-
GdB von 40 nach
VMG Ziffer 3.7 zu bemessen ist.
Die Funktionsbeeinträchtigung im Funktionskreis Stoffwechsel, Innere Sekretion durch den bei d. Kl. vorhandenen Diabetes mellitus rechtfertigt nach
VMG Ziffer 15.1 und den Feststellungen des Sachverständigen, die in Übereinstimmung mit der gutachterlichen Stellungnahme der Beklagten im Widerspruchsverfahren und der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13. März 2020 steht, einen Einzel-
GdB von 20.
Hierbei ist einerseits zu berücksichtigen, dass nach der
VersMedV zwar nicht jeder
GdB von 20 gleichsam automatisch zur Anhebung des Gesamt-
GdB führt, andererseits aber der Gleichbehandlungsgrundsatz es gebietet, unterschiedliche Sachverhalte individuell zu würdigen und entsprechend den Unterscheidungen auch unterschiedlich zu behandeln. Wirkt sich mithin eine weitere Funktionsbeeinträchtigung nicht nur vernachlässigbar negativ auf die bereits durch das "führende Leiden" gegebene Teilhabebeeinträchtigung aus, muss dies bei der Bildung des Gesamt-
GdB auch zum Ausdruck kommen. Dies wird in aller Regel der Fall sein, wenn die jeweiligen Funktionsbeeinträchtigungen verschiedene Lebensbereiche ohne Überschneidungen betreffen. Vereinfacht beispielhaft ausgedrückt, liegt es auf der Hand, dass ein behinderter Mensch mit einer Gehbehinderung stärker bei der Teilhabe an der Gesellschaft beeinträchtigt ist, wenn er zusätzlich auch eine nicht unerhebliche Sehstörung aufweist (
vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09. März 2017 - L 13 SB 119/15 -, Rn. 32, juris). Unter Anlegung dieses Maßstabes ist nach Überzeugung des Gerichts hier eine Anhebung des
GdB von 40 für die depressive Störung um einen Grad von 10 wegen des Diabetes mellitus gerechtfertigt, weil es sich um völlig getrennte Funktionssysteme handelt, die keine Überschneidungen aufweisen und bei denen daher die festgestellte Funktionsbeeinträchtigung zu einer weiteren Einschränkung d. Kl. bei der Teilhabe an der Gesellschaft führt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und folgt dem Ergebnis des Rechtstreits.
Gründe für die Zulassung der Berufung (§ 144
Abs. 2
SGG) sind nicht ersichtlich.