Urteil
Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 60 auf 40 - GdB-Herabsetzung - Feststellungsverfahren

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat


Aktenzeichen:

L 13 SB 280/19


Urteil vom:

11.11.2021


Grundlage:

Orientierungssatz:

1. Ein Bescheid über die Herabsetzung eines Grads der Behinderung (GdB) ist nicht hinreichend bestimmt iS des § 33 Abs 1 SGB 10, wenn er den Zeitpunkt des Geltungsbeginns nur mit der Formel "ab Bekanntgabe" angibt. (Rn.12)

2. Will die Behörde erkennbar einen Zeitpunkt nach dem Erlass des Bescheides für die Herabsetzung des Bescheids bestimmen (hier durch die Formel "ab Bekanntgabe"), kommt eine geltungserhaltende Auslegung dahingehend, dass die Herabsetzung ab dem Datum des Bescheiderlasses erfolgen soll, nicht mehr in Betracht (Abgrenzung zu LSG Essen vom 16.11.2018 - L 13 SB 280/17). (Rn.14)

3. Die Vorschrift des § 37 Abs 2 SGB 10 führt nur dann über die Auslegung zu einem hinreichend bestimmten Geltungsdatum, wenn sich aus dem Bescheid selbst (und nicht erst aus Verwaltungsakten) der Tag der Aufgabe zur Post ergibt. (Rn.15)

4. Die Fiktion der Bekanntgabe nach § 37 SGB 10 greift ohnehin nur dann ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in der Behördenakte vermerkt wurde (vgl BSG vom 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R = BSGE 97, 279-285 = SozR 4-2700 § 136 Nr 2). (Rn.18)

5. Ob ein derartiger Vermerk in jedem Falle auch die Unterschrift oder zumindest das Namenskürzel des Sachbearbeiters erfordert (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 13.8.2019 - L 11 SB 156/18), konnte hier offenbleiben. (Rn.18)

Rechtsweg:

SG Berlin, Urteil vom 26. November 2019 - S 132 SB 1648/17

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. November 2019 geändert und der Bescheid des Beklagten vom 17. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 17. Oktober 2017 aufgehoben, soweit darin unter Aufhebung des Bescheides vom 2. September 2014 beim Kläger ein Grad der Behinderung von weniger als 50 festgestellt wurde.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zur Hälfte und des Berufungsverfahrens zur Gänze zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des zuletzt bei ihm festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 60 auf 40.

Mit Bescheid vom 2. September 2014 hatte der Beklage den zuvor beim Kläger festgestellten GdB von 40 auf 60 mit Wirkung ab dem 13. Mai 2014 angehoben und als Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt: chronisch-entzündliche Darmerkrankung (Einzel-GdB 40) sowie Gewebeneubildung des linken Hodens in Heilungsbewährung (Einzel-GdB 50). Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 7. Dezember 2016 setzte der Beklagte mit Bescheid vom 17. Januar 2017 den GdB herab. Konkret lautete der Tenor des Bescheides: "Ihr Grad der Behinderung (GdB) beträgt 40. Sie gehören zum Personenkreis der behinderten Menschen. Ein Schwerbehindertenausweis steht Ihnen nicht zu. Diese Entscheidung ist wirksam mit Bekanntgabe dieses Bescheides. Der Bescheid vom 2. September 2014 wird entsprechend aufgehoben." Der elektronisch gefertigte Bescheid enthält ebenso, wie der Rest des Verwaltungsvorganges, keinen Vermerk eines Sachbearbeiters über die Aufgabe des Bescheides zur Post. In der elektronischen Akte des Beklagten findet sich der Eintrag: "versendet am 18. Januar 2017".

Am 30. Januar 2017 ging beim Beklagten ein auf den 23. Januar 2017 datierter Widerspruch des Klägers ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2017 zurückwies.

Mit der am 3. November 2017 erhobenen Klage hat der Kläger vorgebracht, sein Gesundheitszustand rechtfertige keinesfalls die Absenkung des GdB auf einen Wert unterhalb von 50. Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt und weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Sch, der den Kläger am 27. Mai 2019 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 7. Juni 2019 zu der Einschätzung gelangt ist, nach Ablauf der Heilungsbewährung sei ab Mai 2016 noch ein GdB von 40 gerechtfertigt. Im Einzelnen leide der Kläger nunmehr noch unter einer Colitis ulcerosa, die mit einem GdB von 40 zu bewerten sei. Die weiter beim Kläger festzustellenden Funktionsbeeinträchtigungen Depression mit Hinweis auf Somatisierungsstörung, Verschleiß der Wirbelsäule, Krampfaderleiden, bösartige Gewebeneubildung der Hoden mit operativer Versorgung im Mai 2014 und Migräne ohne Aura seien jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen. Mit Gerichtsbescheid vom 26. November 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen auf das Ergebnis der Begutachtung gestützt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gerichtsbescheid Bezug genommen, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29. November 2019 zugestellt worden ist.

Mit der am 20. September 2019 eingelegten Berufung hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt jedoch dahingehend eingeschränkt, dass er nunmehr lediglich die Beibehaltung eines GdB von 50 erstrebt hat.


Er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. November 2019 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 17. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2017 aufzuheben, soweit darin unter Aufhebung des Bescheides vom 2. September 2014 bei ihm ein Grad der Behinderung von weniger als 50 festgestellt wurde.


Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat ausgeführt, ein Nachweis über die Aufgabe des Herabsetzungsbescheides zur Post sei nicht möglich, da Postbücher nicht geführt würden. Insoweit werde auf den Ausdruck des Bildschirminhaltes, aus dem IT-Fachverfahren, Bezug genommen. In einem anderen vor dem Senat anhängigen Verfahren gegen den Beklagten hat er insoweit klargestellt, die Angabe des Versanddatums im IT-Fachverfahren gebe nicht an, wann der Bescheid zur Post gegeben worden sei. Enthalte der Bildschirm den Vermerk "versendet am" bedeute dies, dass das Schriftstück elektronisch an einen externen Dienstleister zum Ausdruck und Versand geschickt worden sei. Das Fremdunternehmen, bei dem der Druck ausgeführt werde, habe insoweit die Auskunft erteilt, es werde dort die tägliche Verarbeitung der zugesandten Druckdateien dokumentiert und quittiert und anschließend gegenüber einem Mitarbeiter des IT-Bereiches des Beklagten per E-Mail bestätigt. Im Regelfall werde die Post am folgenden Arbeitstag dem Postdienstleister übergeben. Sofern es hierbei zu Problemen oder Verzögerungen komme, werde dies gegenüber dem Beklagten kommuniziert und in den Unterlagen dokumentiert. Die Abholung der in der Druckstraße gedruckten Post erfolge an Werktagen, also an auch Sonnabenden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagen Bezug genommen. Er hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 17. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 17. Oktober 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn er verstößt gegen das Gebot hinreichender Bestimmtheit gemäß § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X). Nach dieser Vorschrift muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Ein Verwaltungsakt ist nur dann hinreichend bestimmt, wenn der Inhalt der getroffenen Regelung ggf. im Zusammenhang mit den Gründen und den sonstigen bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umstände für die Beteiligten, insbesondere für die Adressaten des Verwaltungsaktes, vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist und auch die mit dem Vollzug Betrauten oder sonst mit der Angelegenheit befassten Behörden und deren Organe den Inhalt etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen oder sonstigen weiteren Entscheidungen zugrunde legen können.

Ebenso wie bei Urteilen ist eine Auslegung des Verfügungssatzes von Verwaltungsakten zwar möglich, jedoch darf diese ebenfalls wie bei Urteilen nur unter Rückgriff auf Tatbestand und Entscheidungsgründe, nicht aber unter Rückgriff auf Unterlagen außerhalb des Titels selbst erfolgen (BSG, Urteil vom 21. November 1958, 5 RKn 3/58, juris, Rdnr. 13; vgl. weiter BAG, Urteil vom 24. Juni 1969, 1 AZR 261/68, juris, Rdnr. 20; BFH, Urteil vom 15. März 2017, III R 12/16, juris, Rdnr. 39; BGH, Beschluss vom 5. März 2015, I ZB 74/14, juris, Rdnr. 21).

Der Maßstab für die notwendige Bestimmtheit eines Bescheides ergibt sich letztlich aus dem materiellen Recht (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 37 Rdnr. 5 zu dem mit § 33 Abs. 1 SGB X inhaltsgleichen § 37 Abs. 1 VwVfG). Das materielle Recht in Bezug auf die Feststellung eines GdB und/oder die Feststellungen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Nachteilsausgleiches erfordert nicht lediglich eine Feststellung über das Bestehen eines GdB bzw. die Voraussetzungen für einen Nachteilsausgleich, sondern auch über den Zeitpunkt, ab dem die betreffende Feststellung materiell wirkt. Dies ergibt sich aus § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX). Nach dessen Absatz 1 Satz 1 stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Nach Satz 2 der Vorschrift kann auf Antrag festgestellt werden, dass ein Grad der Behinderung oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird. Sowohl aus der Vorschrift selbst, aber auch aus dem Zweck der Festsetzung ergibt sich, dass der Zeitpunkt für die Feststellung des GdB bzw. der festzustellenden gesundheitlichen Merkmale unverzichtbarer Bestandteil der jeweiligen Feststellung ist, denn die Feststellung eines Grades der Behinderung bzw. gesundheitlicher Merkmale ist kein Selbstzweck, sondern dient der Inanspruchnahme von Vergünstigungen und Leistungen sowohl in öffentlichen wie auch im privatrechtlichen Bereich. Beispiele hierfür sind etwa die Gewährung von Pauschbeträgen aufgrund von § 33b Einkommenssteuergesetz, die Anerkennung so genannter Mehrbedarfe im Grundsicherungsrecht gemäß § 21 bzw. 23 Sozialgesetzbuch / zweites Buch (SGB II) oder auch Vergünstigungen, die behinderten Menschen im Privatrechtsverkehr zuteil werden. Für die Inanspruchnahme derartiger Leistungen und Vergünstigungen ist neben dem Bestehen einer Behinderung bzw. gesundheitlicher Merkmale deren Schwere bzw. Ausprägung und auch der jeweilige Zeitpunkt von Bedeutung. Insoweit erfüllt der Bescheid über die jeweilige Feststellung nicht lediglich eine Funktion gegenüber dem Adressaten des Bescheides, sondern dient darüber hinaus auch der Dokumentation gegenüber Dritten. Diese Dokumentationsfunktion des Feststellungsbescheides wird auch nicht durch den Schwerbehindertenausweis ersetzt, da dieser eine Behinderung erst ab einem GdB von 50 zu dokumentieren vermag. Der Dokumentationsfunktion der Feststellung nach § 152 Abs. 1 SGB IX trägt der Beklagte nach ständiger Beobachtung des Senates sowohl im Erstfestsetzungsverfahren, wie auch im Falle einer späteren Heraufsetzung des GdB bzw. der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen weiterer Nachteilsausgleiche insoweit Rechnung, als der Feststellungsbescheid stets das konkrete Datum nennt, ab dem die getroffene Feststellung Geltung beansprucht. Gehört indes im Falle der Feststellung einer Behinderung oder einer gesundheitlichen Eigenschaft der Zeitpunkt des Geltungsbeginns materiell zum notwendigen Inhalt der Feststellung, so gilt das Gleiche im Falle der Herabsetzung des GdB bzw. Feststellung des Entfallens gesundheitlicher Eigenschaften wegen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 SGB X für das Geltungsende. Soweit der Beklagte in dem hier streitgegenständlichen Bescheid und auch sonst in ständiger Praxis im Falle einer Herabsetzung des GdB bzw. einer Feststellung des Entfallens gesundheitlicher Eigenschaften den Zeitpunkt der Geltung dieser Neufeststellung und damit zugleich das Ende der Geltung der vormaligen Feststellung benennt "ab Bekanntgabe" fehlt es an der Benennung eines solchen Datums und ein solches ist auch nicht im Wege der Auslegung ermittelbar. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte insoweit auf das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16. November 2018 (L 13 SB 280/17, juris), denn im dort entschiedenen Fall fehlte es im streitgegenständlichen Herabsetzungsbescheid an jeglicher Angabe zum Zeitpunkt der Herabsetzung, weshalb das LSG den Bescheid so hat auslegen können, dass die Herabsetzung ab dem Datum des Bescheiderlasses Geltung beanspruchen sollte. Eine solche Auslegung ist im hier zu entscheidenden Fall indes schon deshalb nicht möglich, weil der Beklagte mit der Formulierung "ab Bekanntgabe" offenkundig einen Zeitpunkt nach Erlass des Bescheides für die Herabsetzung des GdB hat bestimmen wollen.

Entgegen der eingangs dargelegten Dokumentationsfunktion eines Feststellungsbescheides und damit auch eines Herabsetzungsbescheides gegenüber dem Adressaten und auch gegenüber Dritten - sei es der Finanzverwaltung, dem Arbeitsamt oder Teilnehmern am Privatrechtsverkehr - ist es in Ansehung der vom Beklagten gebrauchten Formulierung nicht möglich, einen genauen Zeitpunkt der Geltung zu bestimmen. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte insoweit auf § 37 Abs. 2 SGB X. Nach dieser Vorschrift gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches übermittelt wird, mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Diese Vorschrift betrifft für sich genommen das Wirksamwerden eines Verwaltungsaktes durch Bekanntgabe und hat keinen ihr innewohnenden eigenen Bezug zum Inhalt der im Verwaltungsakt getroffenen materiellen Regelung. Ein solcher Bezug wird erst durch den Beklagten mit Anordnung der Geltung der Neufeststellung ab Bekanntgabe des Verwaltungsaktes herstellt, ohne dass der Bescheid selbst eine Angabe zu seiner Aufgabe zur Post enthielte. Dies erfüllt indes die Anforderungen an eine hinreichende Bestimmtheit der mit dem Verwaltungsakt getroffenen Regelung nicht.

Wie eingangs ausgeführt, setzt die hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes voraus, dass der Adressat und auch betroffene Dritte vollständig, klar und unzweideutig erkennen können, was die den Verwaltungsakt erlassende Behörde will. Um dies in Bezug auf den Zeitpunkt der Herabsetzung sicher zu erkennen, bedürfte es sicherer Kenntnis über den Zeitpunkt der Aufgabe des Bescheides zur Post. Diese Erkenntnis ist indes allein aus dem Bescheid selbst nicht zu erlangen. Insoweit besteht eine Parallele zum notwendigen Inhalt eines Urteiles. So bestimmt etwa § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), dass eine Geldschuld vom Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen ist. Der Eintritt der Rechtshängigkeit ist in den jeweiligen Prozessordnungen unterschiedlich definiert. Während im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 94 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Rechtshängigkeit bereits mit Erhebung der Klage gemäß § 90 SGG eintritt, also dem Eingang der Klageschrift bei Gericht, tritt die Rechtshängigkeit im Zivilprozess gemäß § 261 Abs. 1 und § 253 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) mit Zustellung der Klageschrift an den Beklagen ein. In beiden Fällen lässt sich der Beginn der geschuldeten Verzinsung nur mit hinreichender Bestimmtheit im Sinne der Vollstreckbarkeit aus dem Tenor des Urteiles entnehmen, wenn darin das konkrete Datum genannt ist. Eine Tenorierung des Zinsanspruches "seit Rechtshängigkeit" kommt daher mangels Vollstreckbarkeit nicht in Betracht (vgl. Pukall, der Zivilprozess in der Praxis, 7 Aufl. 2013, Rdnr. 1190).

Soweit der auf die rechtlichen Bedenken des Senates hingewiesene Beklagte in Abkehr von seinem vormaligen Vorbringen mit Schriftsatz vom 14. Juni 2021 im Verfahren L 13 SB 11/20 (Zeichen des Beklagten: 3102-10104948) nunmehr vorträgt, er selbst habe mit der Formulierung "ab Bekanntgabe" tatsächlich nicht auf den Rechtsbegriff im Sinne von § 37 Abs. 2 SGB X abgestellt, sondern auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Der Begriff "Bekanntgabe" ist im Zusammenhang mit einem Verwaltungsakt ein feststehender Rechtsbegriff. Dass eine an das SGB X gebundene und daher mit ihm vertraut zu sein verpflichtete Behörde mit der Verwendung des Rechtsbegriffes tatsächlich eine andere als die mit ihm von Rechts wegen verbundene Regelung hat treffen wollen, ist fernliegend, zumal der Beklagte denselben Rechtsbegriff auch in der Rechtsbehelfsbelehrung verwandt, dort allerdings gewiss nicht - im Rechtssinne unzutreffend - als synonym mit Zugang hat verstanden wissen wollen.

Unabhängig davon erweist sich der hier streitgegenständliche Bescheid bereits deshalb als zu unbestimmt, weil es dem Beklagten nicht gelungen ist, den Zeitpunkt der Bekanntgabe, an den er die materielle Absenkungsentscheidung knüpft, nachzuweisen oder auch nur konkret zu benennen. Die Fiktion der Bekanntgabe nach § 37 SGB X greift nur ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde (BSG, Urteil vom 28. November 2006, B 2 U 33/05 R, juris, Rdnr. 15). Ob ein derartiger Vermerk in jedem Falle auch die Unterschrift oder zumindest das Namenskürzel des Sachbearbeiters erfordert (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. August 2019, L 11 SB 156/18, juris, Rdnr. 37), bedarf hier keiner Entscheidung, denn der Verwaltungsvorgang enthält gar keinen Vermerk, mit dem die Aufgabe des streitgegenständlichen Bescheides zur Post dokumentiert würde. Insoweit hat der Beklagte mitgeteilt, es gebe lediglich einen elektronischen Vermerk, der bei Ausdruck über einen externen Dienstleister laute "versandt am" und das Datum des Ausdrucks beim Dienstleister dokumentiere. Die eigentliche Aufgabe zur Post erfolge "in der Regel" erst am jeweils folgenden Werktag. Mithin fehlt es nicht nur an einem Vermerk über die tatsächliche Aufgabe des Bescheides zur Post, sondern der Beklagte selbst vermag noch nicht einmal aus eigenem Wissen im konkreten Fall ein Datum der Aufgabe zur Post zu nennen.

Vor diesem Hintergrund kann es dahinstehen, ob die medizinischen Voraussetzungen für eine Herabsetzung des GdB im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X vorgelegen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass der Kläger den Streitgegenstand im Berufungsverfahren gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren beschränkt hat, also der Gerichtsbescheid Rechtskraft erlang hat, soweit er die Absenkung des GdB von 60 auf 50 betrifft. Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

Referenznummer:

R/R9531


Informationsstand: 02.03.2023