Urteil
Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) - GdB-Erhöhung bei Diabetes mellitus und Polyneuropathie

Gericht:

SG Halle (Saale) 24. Kammer


Aktenzeichen:

S 24 SB 35/20


Urteil vom:

06.12.2021


Grundlage:

Orientierungssatz:

1. Ein gestörter Nachtschlaf durch den Therapieaufwand für eine Diabetes-mellitus-Erkrankung reicht allein nicht aus, um eine wesentliche zusätzliche Beeinträchtigung in der Lebensführung iS von Teil B Nr 15.1 Abs 4 VMG zu begründen. (Rn.44)

2. Allerdings kann bei Erforderlichkeit gelegentlicher, aber nicht ganz seltener Fremdhilfe das Vorliegen einer außergewöhnlich schwer regulierbaren Stoffwechsellage nach Teil B Nr 15.1 Abs 5 VMG bejaht werden, welche höhere GdB-Werte bedingt. (Rn.47)

3. Hierbei muss es sich nicht um medizinische Fremdhilfe handeln. (Rn.53)

4. Zur fehlenden GdB-erhöhenden Wirkung von leichten Beeinträchtigungen mit einem GdB von 10 im Rahmen der Bildung eines Gesamt-GdB (vgl Teil A Nr 3 Buchst d DBuchst ee VMG). (Rn.65)

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justiz Sachsen-Anhalt

Tenor:

Der Bescheid vom 13.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2020 wird dahingehend abgeändert, dass der Beklagte verpflichtet wird, bei der Klägerin ab dem 17.12.2018 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung.

Nachdem die Klägerin am 17.12.2018 die Feststellung eines Grades der Behinderung beantragt hatte, stellte der Beklagte nach Beiziehung medizinischer Befunde mit Bescheid vom 13.09.2019 einen GdB von 40 fest.

Den Widerspruch der Klägerin vom 30.09.2019 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2020 zurück, in welchem er feststellte, dass für einen Diabetes mellitus ein Einzel-GdB von 40, eine venöse Umlaufstörung der Beine ein Einzel-GdB von 10 und eine Polyneuropathie ebenfalls ein Einzel-GdB von 10 angemessen seien. Der Gesamtgrad der Behinderung sei mit 40 zu bilden.

Mit der am 10.02.2020 beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage vom selben Tag begehrt die Klägerin weiterhin die Feststellung eines Grades der Behinderung von 50, mithin also die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.

Zur Begründung führt die Klägerin aus, dass bei ihr eine instabile Stoffwechsellage bei hohem Therapieaufwand vorläge. Im Einzelnen hat sie ausgeführt, dass sie neben Folgen wie häufige Müdigkeit und Erschöpfung auch unter Hypoglykämien leiden würde, welche die Hilfestellung ihres Lebensgefährten erfordern würden.


Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 13.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2020 zu verurteilen, bei der Klägerin einen GdB von 50 ab Antragstellung festzustellen.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Bei der Klägerin seien überwiegend Blutzuckerwerte festzustellen, welche im Zielbereich lägen. Einzelne Hypoglykämien lägen zwar vor, hätten aber nicht zu Schocksituationen mit der Notwendigkeit medizinischer Fremdhilfe geführt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Das Gericht hat Befundberichte eingeholt, namentlich von der behandelnden Orthopädin und der behandelnden Diabetologin. Auf den Inhalt der Befundberichte nebst Anlagen wird Bezug genommen.

Das Gericht hat zudem Beweis erhoben durch Vernehmung des Lebensgefährten der Klägerin ..., wobei wegen des Inhalts der Vernehmung auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 17.03.2021 verwiesen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft. Der Antrag auf Aufhebung eines Bescheides (Anfechtung) kann mit dem Begehren verknüpft werden, den Beklagten zu einer bestimmten Leistung zu verpflichten.

Das Gericht konnte gem. § 124 Abs. 2 SGG auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Das Einverständnis der Beteiligten lag vor und es wurde ihnen auch in schriftlicher Form hinreichend rechtliches Gehör gewährt.

Die Klage ist auch begründet, da der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides einen Rechtsfehler zum Nachteil der Klägerin enthält und diese damit in ihren Rechten verletzt.

Gemäß § 152 Absatz 1 Satz 1 SGB IX (früher: § 69 Absatz 1 Satz 1 SGB IX) setzt die Versorgungsverwaltung den GdB auf Antrag eines behinderten Menschen fest. Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und damit ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Absatz 1 SGB IX).

Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 6 SGB IX (früher § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX) ist eine Feststellung nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt.

Die Festsetzung des GdB ist im Wesentlichen ein Akt der Bewertung. Die rechtliche Bewertung von Tatsachen erfasst solche auf beruflichem, privatem, medizinischem und gesellschaftlichem Gebiet.

Bei der Bewertung ist die Versorgungsmedizinverordnung heranzuziehen, welche ihrerseits im § 2 auf die Versorgungsmedizinischen Grundsätze verweist, welche als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind.

Unter Beachtung der genannten Grundsätze gelangt das Gericht zu folgenden Feststellungen:

- Diabetes mellitus: GdB 50

- Venöse Umlaufstörungen der Beine: GdB 10

- Polyneuropathie: GdB 10

- Funktionsstörung rechter und linker Fuß: GdB 10

Gesamtgrad der Behinderung: 50

Das Gericht hat sich dabei von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Der Diabetes mellitus ist mit einem GdB von 50 zu bewerten.

Die Klägerin leidet an Diabetes Typ I. Festgestellt wurde diese Erkrankung spätestens im Jahr 1996. Seit einigen Jahren findet bei der Klägerin eine Insulintherapie statt, bei der die Klägerin mindestens viermal am Tag den Insulinwert misst, bei Bedarf auch öfter. Eine Verabreichung von Insulin erfolgt mittels Spritze mindestens viermal am Tag.

Dies folgt aus den Ausführungen der behandelnden Ärztin, die korrespondierende Messergebnisse beigefügt hat, im Verwaltungsverfahren. Die Klägerin hat sich auf diese Ausführungen auch im Klageverfahren berufen, weshalb das Gericht davon ausgeht, dass sich an der Befundlage insoweit nichts geändert hat.

Für die Bewertung des Grades der Behinderung bei einer Diabeteserkrankung ist Ziff. 15.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze maßgeblich.

Diese lautet wie folgt:

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt.

Der GdS beträgt 0.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung.

Der GdS beträgt 20.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung.

Der GdS beträgt 30 bis 40.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein.

Der GdS beträgt 50.

Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen.

Bei der Klägerin besteht eine sehr hohe Behandlungsintensität, wie sich aus den Befundberichten unstreitig ergibt.

Damit liegen bei der Klägerin weitgehend die Voraussetzungen der letzten Fallgruppe der oben dargestellten Ziff. 15.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vor, denn die Klägerin wird derart therapiert, dass mindestens vier Insulininjektionen, die eine Hypoglykämie (Unterzuckerung) auslösen können, nach vorheriger Messung am Tag vorgenommen werden müssen. Der GdB beträgt allein deshalb mindestens 40.

Eine Erhöhung ist möglich bei weiteren erheblichen Einschnitten in der Lebensführung. Diese müssen nach ständiger Rechtsprechung des BSG kumulativ zu den Beeinträchtigungen hinzutreten, die aufgrund des Therapieaufwandes entstehen.

Hierzu fehlt es an näherem relevanten Vortrag. Der Therapieaufwand reicht auch bei gestörtem Nachtschlaf nicht aus, eine wesentliche zusätzliche Beeinträchtigung zu begründen.

Aber auch eine außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellage kann entsprechend Ziff. 15.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, letzter Satz, einen höheren Wert bedingen.

Eine häufige Folge einer außergewöhnlich schwer regulierbaren Stoffwechsellage ist eine Unterzuckerung des Patienten, die dieser nicht immer rechtzeitig erkennt. In derartigen Fällen tritt beim Patient ein Zustand auf, der Benommenheit ähnelt und zu Ohnmacht führen kann. Je nach Ausmaß sind Patienten überhaupt nicht mehr in der Lage, zu reagieren. In leichteren Fällen kann Ihnen die Fähigkeit abhandenkommen, Verpackungen von Traubenzuckerstücken oder gesüßten Getränken zu öffnen. In schwereren Fällen müssen Dritte den Patienten durch Ansprache oder Berührung aus einer bereits eingetretenen Benommenheit "wecken", während es in Ausnahmefällen, in denen schon ein Zustand ähnlich einer Bewusstlosigkeit vorliegt, notwendig wird, dem Patienten, der zu einer oralen Aufnahme nicht mehr fähig ist, eine Glukosespritze zu verabreichen. Ohne derartige Hilfe anderer Personen kann es dann schnell zu einem kritischen Zustand kommen. Hier wird die Notwendigkeit gelegentlicher oder häufiger sogenannter Fremdintervention als Kriterium für massive Probleme mit der Regulierung des Stoffwechsels gesehen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Hilfe durch medizinisches Personal geleistet wird. Maßgeblich ist allein, dass die Fremdintervention kausal für die gebotene schnelle Zuckeraufnahme geworden ist.

Nach Überzeugung des Gerichts liegt eine schwer regulierbare Stoffwechsellage mit der Erforderlichkeit gelegentlicher, aber nicht ganz seltener, Fremdhilfe vor.

Dabei erkennt auch das Gericht eine über weite Bereiche gute Einstellung der Therapie, was sich unter anderem darin äußert, dass Monatsübersichten aus dem Frühjahr 2020 ergaben, dass beim ganz überwiegenden Teil der Messungen der Glukosedurchschnittswert 6,6 mmol/L betrug, mithin also im Zielbereich lag. Abweichungen unter dem Zielbereich, also Unterzuckerungen, lagen in einem Bereich von ca. 10 %.

Soweit die Klägerin dagegen vorträgt, es seien immer wieder Zustände aufgetreten, bei denen sie wegen Unterzuckerung auf Fremdhilfe angewiesen war, hat das Gericht zu diesem Punkt Beweis erhoben durch Vernehmung des Lebensgefährten der Klägerin.

Dieser hat in der nichtöffentlichen Sitzung am 17.03.2021 ausgesagt, dass er Ausfallerscheinungen mitbekommen habe. Diese seien auch in der Nacht aufgetreten und hätten sich darin geäußert, dass die Klägerin unruhig geworden sei und geschwitzt habe. Bei den Fällen, in denen die Klägerin noch ansprechbar gewesen wäre, habe es genügt, ihr ein gesüßtes Getränk zu reichen. Sei sie nicht mehr ansprechbar gewesen, habe er auf eine Zuckerspritze zurückgreifen müssen. Dies sei in den letzten 2 Jahren ungefähr 10-12-mal, überwiegend in der Nacht, der Fall gewesen. Nach dem Eingreifen hätte er dann den Blutzuckerwert gemessen und gegebenenfalls der Klägerin weiterhin Saft verabreicht. Der Zeuge hat zur Erläuterung hinzugefügt, dass er die Klägerin schon länger kenne und ihm bekannt sei, dass diese schon seit 1997 an Diabetes Typ 1 leide. Er sei deshalb sowohl mit der Krankheit als auch mit dem Umgang der Klägerin mit dieser Krankheit vertraut.

Das Gericht hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass der Zeuge die Unwahrheit sagen würde. Gleichwohl hat das Gericht die Aussage inhaltlich dadurch überprüft, dass es einen weiteren Befundbericht der behandelnden Diabetologin unter Mitteilung der Angaben des Zeugen eingeholt hat. Die Fachärztin hat bestätigt, dass der Wert HbA1 zwar grundsätzlich im akzeptablen Zielbereich läge, bei der Sensorauswertung in 92 Tagen 102 Hypoglykämien, also Unterzuckerungen, aufgefallen seien. Die Angaben des Zeugen seien nach Auslesen des Messgerätes nachvollziehbar. Derartige Hypoglykämien würden zu einer Reduzierung des Allgemeinzustandes führen, den die Klägerin allerdings durch ihre freie Arbeitszeiteinteilung kompensieren könne.

Nach Ansicht der Kammer ist damit die Notwendigkeit nicht seltener Fremdhilfe nachgewiesen. Diese begründet die Feststellung einer außergewöhnlich schwer regulierbaren Stoffwechsellage.

Soweit der Beklagte davon spricht, dass nur medizinische Fremdhilfe relevant sei, so kann dies nicht überzeugen. Dies ist zwar gelegentlich in der obergerichtlichen Rechtsprechung diskutiert worden, lässt sich aber sachlich nicht begründen.

Die Gefahr einer Hypoglykämie, auf deutsch: Unterzuckerung, führt zu schweren Stresssymptomen einschließlich Herzrasen und kann bis zur lebensbedrohlichen Bewusstlosigkeit führen. Maßgeblich ist deshalb nicht, ob es bereits zu einer hypoglykämischen Schocksituation gekommen ist, sondern vielmehr, ob eine solche Gefahr ohne Fremdhilfe gedroht hätte.

Die Zufuhr von Zucker führt zu einer sofortigen Reduzierung der Symptome und einer Stabilisierung des Zustandes. Bis zu dem Moment, indem eine schwere Bewusstlosigkeit mit beginnender Atemlähmung vorliegt, lässt sich die notwendige Zuckerzufuhr in vielen Fällen einfach dadurch gestalten, dass der Patient, der Anzeichen von Benommenheit zeigt, deutlich angesprochen wird. Gegebenenfalls kann ihm bei gestörter Feinmotorik dadurch geholfen werden, dass Verpackungen von entsprechenden Lebensmitteln (Schokoriegel, Traubenzucker etc.) für ihn geöffnet werden. Bei stärkerer körperlicher Beeinträchtigung ist es notwendig Getränke derart zuzuführen, dass Flaschen, Becher oder Gläser den Patienten an den Mund gehalten werden. Bei bereits leichter Bewusstlosigkeit oder starker Benommenheit kann auch eine Zuckerlösung injiziert werden. Hierfür halten Diabetespatienten sogenannte Notfallspritzen vor, die sie selbst oder instruierte Personen verabreichen können.

Alle diese Maßnahmen führen zu einer sofortigen Besserung und damit Vermeidung eines hypoglykämischen Schocks. Diese Maßnahmen bedürfen keiner medizinischen Ausbildung, weshalb es an der Sache vorbeigeht, die Relevanz der Fremdhilfe auf medizinische Tätigkeiten zu reduzieren. Maßgeblich ist allein dass die betroffene Person die Unterzuckerung nicht rechtzeitig bemerkt. dies und nicht ein massiver Schock wegen fehlender rechtzeitiger Hilfe indiziert die erheblichen Probleme bei der Einstellung der Stoffwechsellage.

Das Gericht setzt deshalb den GdB wegen der außergewöhnlich schwer regulierbaren Stoffwechsellage bei hohem Therapiebedarf auf 50 fest.

Venöse Umlaufstörungen der Beine

Bei der Klägerin ist in der Vergangenheit eine chronisch venöse Insuffizienz diagnostiziert worden, welche zu Kribbeln und Kältegefühl in den Füßen führt. Der behandelnde Angiologe hat eine PAVK, also eine arterielle Verschlusskrankheit, ausschließen können. Eine Einschränkung der Gehstrecke war ebenfalls nicht feststellbar. Das Gericht bezieht sich insoweit auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Befundberichte (VA Bl. 21 ff). Von einer Verschlechterung insoweit ist nicht berichtet worden. Der GdB ist vom Beklagten zutreffend entsprechend Ziff. 9.2.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit 10 festgesetzt worden.

Polyneuropathie

Anfang 2019 wurde bei der Klägerin der Verdacht auf eine beginnende Polyneuropathie festgestellt, welche nicht zu dauerhaften Missempfindungen im Bereich beider Füße geführt hatte. Es ist damals eine Schmerzbelastung im Bereich der linken Ferse festgestellt worden, die seitens der behandelnden Neurologen auf eine Weichteilinfektion zurückgeführt worden war. Das Gericht bezieht sich insoweit auf den im Verwaltungsverfahren eingeholten Befundbericht (VA Bl. 16). Über eine negative Entwicklung hat die Klägerin nicht berichtet, vielmehr hat sie auf beginnende orthopädische Probleme im Bereich der Füße hingewiesen. Der entsprechend der Ziff. 3.11 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vom Beklagten festgestellte GdB von 10 ist deshalb auch nach Auffassung der Kammer angemessen.

Funktionsstörung rechter und linker Fuß

Bei der Klägerin ist postoperativ am linken Fuß im Bereich der Ferse Narbengewebe verblieben, welches nach Angabe der behandelnden Orthopäden zu leichten Beeinträchtigungen infolge eines sogenannten Schuhkonfliktes und einer Achillessehnenansatzreizung führt. Im Bereich des rechten oberen Sprunggelenkes ist eine beginnende Arthrose erkennbar, die eine Schmerzbelastung mit eingeschränkter Gehstrecke zur Folge hat.

Eine hier aufgrund der Wechselwirkungen gebotene Gesamtbetrachtung der Beeinträchtigungen beider Füße lässt die Feststellung eines GdB von 10 entsprechend Ziff. 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu.

Bei der Bildung des Gesamtgrades der Behinderung sind entsprechend Teil A: 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze die einzelnen Werte nicht zu addieren. Es ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt um dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und in wieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Die festgestellten leichteren Behinderungen, die jeweils mit einem GdB von 10 versehen sind, führen nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB. Dieser wird deshalb ebenfalls auf 50 festgesetzt.

Der Klage, die auf die Feststellung eines GdB von 50 ab Antragstellung gerichtet war, war deshalb stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Referenznummer:

R/R9536


Informationsstand: 06.03.2023