1.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54
Abs. 1
SGG zulässig. Sachlich (§ 51
Abs. 1
Nr. 2
SGG) und örtlich (§ 57
Abs. 1
SGG) zuständig ist das Sozialgericht München. Das erforderliche Vorverfahren wurde durchgeführt und die Klage fristgemäß erhoben.
2.
Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Versorgung mit dem Hilfsmittel lnnowalk medium zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung
gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 1. Variante SGB V.
Gem.
§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach §§ 27
Abs. 1 Satz 2
Nr. 3, 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V umfasst die Krankenbehandlung die Versorgung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen.
Der begehrte Trainer ist als sächliche medizinische Leistung als Hilfsmittel einzustufen. Er ist weder Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens noch nach
§ 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen. Zwar ist der Innowalk nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet, dies schließt eine Bewilligung jedoch nicht aus (
vgl. Becker/ Kingreen,
SGB V, 7.A. 2020, § 139 Rn 3; Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung 108. EL, § 33
SGB V Rn 31). Denn das Hilfsmittelverzeichnis ist keine abschließende Auflistung, sondern stellt eine unverbindliche Auslegungs- und Entscheidungshilfe dar und dient der lnformation der Versicherten, Leistungserbringer, Vertragsäzte sowie Krankenkassen (
vgl. auch Kass-Komm/Nolte § 33
SGB V Rn 3l).
Die Fallgruppe des Behinderungsausgleichs (§ 33
Abs. 1 Satz 1 3. Variante
SGB V) ist vorliegend nicht
bzw. nicht hinreichend erfüllt. Das Grundbedürfnis des "Gehens" ist mangels Fortbewegungsmöglichkeit nicht gegeben. Hingegen kann der Innowalk das Grundbedürfnis "Stehen" ermöglichen, da er den Versicherten in eine vertikale Position bringt und hält. Dies ließe sich allerdings ebenso mit einer üblichen und gleichzeitig günstigeren Stehhilfe erreichen, weswegen eine Bewilligung an der Erforderlichkeit und am Wirtschaftlichkeitsgebot (
§ 12 SGB V) scheitert. Ein Stehübungsgerät steht dem Kläger zudem bereits zur Verfügung.
Das begehrte Gerät dient jedoch der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung (§ 33
Abs. 1 Satz 1 1. Variante
SGB V), da es spezifisch im Rahmen der Krankenbehandlung eingesetzt werden soll. Dies lässt sich auch dem gerichtlichen Gutachten entnehmen, wonach ein Durchbewegen der Knie- und Hüftgelenke mittels Innowalk einer weiteren Gelenkeinsteifung hinsichtlich der Beuge- und Streckbewegungen beim Kläger entgegenwirkt.
In Fällen, in denen ein Hilfsmittel den Erfolg der Krankenbehandlung sichern (§ 33
Abs. 1 Satz 1 1. Variante
SGB V) und dabei eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne vom
§ 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V zum Einsatz kommen soll, ist jedoch erforderlich, dass der
G-BA diese anerkannt hat. Ein diesbezüglicher Beschluss des zuständigen Beschlussgremiums des
G-BA zum Einsatz des Innowalks existiert bisher nicht. Damit haben die Gerichte - solange das zuständige Beschlussgremium des
G-BA zu einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode noch keine Bewertung abgegeben hat - zu prüfen, ob die Methode im Vergleich zu bereits anerkannten Methoden oder zugelassenen vertragsärztlichen Leistungen so deutliche Unterschiede aufweist, dass eine selbstständige Bewertung durch den
G-BA erforderlich ist; der
G-BA kann dann später dennoch aufgrund seines Sachverstandes dazu kommen, dass die Unterschiede zu bereits anerkannten oder zugelassenen Verfahren letztlich im Hinblick auf Wirkprinzipien, Anwendungsgebiete, Risiken, Nutzen und Wirtschaftlichkeit nicht wesentlich sind (
BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 1/16 R - juris, Rn. 41).
Die erkennende Kammer ist der Ansicht, dass das mit dem Innowalk verfolgte Konzept in einer Kombination der unterstützten Vertikalisierung und des fremdkraftbetriebenen Beintrainings besteht (
vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2017 -
L 4 KR 635/19 ER-B -, Rn. 33, juris) und dass jede dieser Einzelkomponenten bereits zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört (
vgl. hierzu die Produktgruppen 28 und 32 im Hilfsmittelverzeichnis). Somit handelt es sich nicht um neue Behandlungsansätze oder -methoden, sondern vereinigt die bislang angebotenen "Einzelbestandteile" in einem Gerät. Die Errungenschaft besteht folglich darin, dass dadurch eine ganzheitliche Behandlung unter Nutzung dabei zugleich eintretender Synergieeffekte ermöglicht wird. Ein zusätzlicher therapeutischer Nutzen im Vergleich zu den bisher im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Hilfsmitteln (zB Muskelaktivierung insgesamt, allgemeine Aktivierung von Herz-Kreislauffunktion) führt indessen nicht schon zur Annahme einer neuen Behandlungsmethode i.s.e. eigenen theoretisch-wissenschaftlichen Konzepts (
vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2017 - L 4 KR 635/19 ER-B -, Rn. 38, juris).
Das Gericht schätzt zudem den Einsatz des Innowalks für wenig risikobehaftet für den Anwender ein. Die Geräteeinstellungen können nur vom Fachpersonal verändert werden, das Produkt ist CE-zertifiziert und verfügt über eine Spasmenkontrolle sowie einen Notausschalter.
Nach den Feststellungen des gerichtlichen Gutachters, denen sich die erkennende Kammer anschließt, ist das begehrte Hilfsmittel auch geeignet, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Der Innowalk bewirkt beim Kläger ein Durchbewegen der Knie- und Hüftgelenke und beugt somit einer weiteren Gelenkeinsteifung hinsichtlich der Beuge- und Streckbewegungen vor. Beim Kläger ist eine intensive physikalische Therapie notwendig, um den Gelenkkontrakturen entgegenzuwirken. Die seitens der Krankenkasse bislang zur Verfügung gestellten Hilfsmittel lassen die notwendige passive Mobilisierung von Hüfte und Kniegelenk unberücksichtigt. Das begehrte Hilfsmittel eröffnet diese zusätzlichen therapeutischen Optionen und kann - wenigstens im Bereich von Hüfte und Knie - die praktizierte krankengymnastische Übungsbehandlung sinnvoll ergänzen und dabei eine allgemeine Aktivierung von Herz-Kreislauffunktion und des aktiven Bewegungsapparates fördern (
S. 18, erster Absatz). Der Gutachter konnte darüber hinaus die emotionale Akzeptanz zweifelsfrei beobachten (
S. 21 ).
Demnach schätzt das Gericht entgegen dem Vortrag der Beklagten die praktizierte, krankengymnastische Behandlung für die passive Mobilisierung unter anderem des Knie- und Hüftgelenks als eben nicht ausreichend ein und sieht anders als der MDK die medizinische Notwendigkeit für gegeben.
Zwar konnte der Gutachter die behaupteten Verbesserungen des Gesundheitszustandes (wie zB Kopfkontrolle) nicht bestätigen; dies hält die erkennende Kammer jedoch für unschädlich. Der therapeutische Erfolg von vorrangig "Vermeidung des Fortschreitens weiterer Gelenkkontrakturen" wird mit dem Hilfsmittel erst angestrebt. Es geht im zu entscheidenden Fall gerade nicht nur um die Sicherung eines schon eingetretenen Heilerfolgs. Nicht übersehen werden darf hier nach Auffassung des Gerichts zudem das angehend jugendliche Alter des Klägers im Vergleich zur Behandlung eines Erwachsenen, dessen Wachstum abgeschlossen ist. Mit Beginn der Pubertät kommt es von Natur aus zu einem Rückschritt der koordinativen Fähigkeiten, da der jugendliche Körper vor allem mit dem Wachstum beschäftigt ist und sich erst wieder an seine neuen Längenmaße gewöhnen muss. Gerade die Wachstumsschübe in der Pubertät stellen alle bisherigen Bewegungsabläufe in Frage. Das gilt für alle Jugendlichen gleichermaßen, folglich auch für einen behinderten Jugendlichen, mit der Folge, dass die zwischenzeitlich erworbene Körperkoordination erst wieder zurückgewonnen werden muss, wobei der Erfolg vorliegend bereits "im Kleinen" liegt und für die Augen eines Außenstehenden nicht immer ohne Weiteres erkennbar sein wird.
Die Bewilligung eines Innowalks ist nach Ansicht des Gerichts wirtschaftlich isd
§ 12 SGB V. Ein gleichwertiges, aber günstigeres Hilfsmittel steht nicht zur Verfügung. Der bereits zur Verfügung stehende Stehständer ermöglicht nur eine Vertikalisierung des Klägers. Jedoch lassen die seitens der Krankenkasse bislang zur Verfügung gestellten Hilfsmittel die notwendige passive Mobilisierung von Hüfte und Kniegelenk unberücksichtigt wie auch der gerichtliche Gutachter bestätigt. Die praktizierte krankengymnastische Behandlung ist nicht ausreichend (s.o.). Ein fremdkraftbetriebener Arm- und Beinbewegungstrainer, den die Beklagte zuletzt in der mündlichen Verhandlung als wirtschaftlichere Lösung anführte ("Motomed"), könnte wegen der fehlenden Fähigkeit des Klägers zum selbstständigen Sitzen allenfalls in der Liegeversion ("letto") zur Anwendung kommen. Ob diese allerdings mangels der für den Kläger aufgrund seiner Klumpfußdeformität erforderlichen Schienenführung einsetzbar wäre, ist zweifelhaft. Eine Ausführung eines fremdkraftbetriebenen Beintrainers, die ein Training im Stehen erlaubt, ist nicht verfügbar. Bereits der MDK legt sich hinsichtlich eines Arm- und Beinbewegungstrainers nicht fest, sondern meint lediglich "
evtl.". Auch der Gutachter benennt kein alternatives Hilfsmittel; vielmehr weist er darauf hin, dass das angestrebte Hilfsmittel zusätzliche therapeutische Optionen eröffnet. Dies sieht die Kammer als Beleg dafür, dass es kein vergleichbares ebenso gutes und zugleich günstigeres Hilfsmittel
bzw. keine Kombination mehrerer für den Kläger geeigneter Hilfsmittel gibt. Ergänzend sei noch auf die ersparten Kosten der Beklagten für bei Nutzung des lnnowalks nicht erforderliche Abführmittel verwiesen. Der begehrte lnnowalk überschreitet nicht das Maß des Notwendigen.
3.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193
SGG.