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Urteil
Inbetriebnahme neuer Zustellbasis - Gefährdungsbeurteilung - Beteiligungsrecht des Betriebsrats - kein Anspruch auf Unterlassen des Umzugs der Betriebsstätte

Gericht:

LAG Schleswig-Holstein 1. Kammer


Aktenzeichen:

1 TaBVGa 4/20


Urteil vom:

12.01.2021


Grundlage:

Leitsätze:

1. Der Betriebsrat hat im Hinblick auf den beabsichtigten Umzug einer Betriebsstätte und der Inbetriebnahme eines neuen Arbeitsmittels keinen Anspruch auf Unterlassung dieses Umzugs, auch wenn der Arbeitgeber entgegen den §§ 3 Abs. 3 ArbStättVO, 4 Abs. 1 BetrSichVO keine mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung durchgeführt hat.

2. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei der Erstellung von Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung bleibt durch den Umzug unberührt.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Landesrechtsprechung Schleswig-Holstein

Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 02.12.2020 - 4 BVGa 60 b/20 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

A. Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Inbetriebnahme einer neuen Zustellbasis einschließlich einer Paketverteilanlage vor Durchführung einer mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung.

Die Antragsgegnerin (Arbeitgeberin) ist für die Zustellung und Verteilung von Briefen und Paketsendungen in S...-H... und Teilen M...-V... zuständig. Sie beschäftigt in ihrer Niederlassung ca. 6.000 Arbeitnehmer. Pakete werden im Paketzentrum N... angeliefert und von dort in die verschiedenen Zustellbasen verteilt, u.a. bislang in das Zustellzentrum in K...-G..., K....

Die Arbeitgeberin plante, in der E... ... in K...-W... eine neue mechanisierte Zustellbasis (MechZB) für die Paketzustellung in Betrieb zu nehmen. Es handelt sich hierbei um eine große Halle, an deren Längsseiten sich ca. 25 Verladetore für Paketzustellfahrzeuge befinden. Die Pakete sollen von N... aus angeliefert, entladen und über eine Paketverteilanlage zu den jeweiligen Beladetoren transportiert werden. Im Juli 2020 forderte der Antragsteller (Betriebsrat) die Arbeitgeberin auf, mit ihm Verhandlungen über die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung vor Inbetriebnahme der MechZB aufzunehmen.

Seit Januar 2019 verhandelt die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat in einer Einigungsstelle über die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, § 5 ArbSchG. Einen Antrag des Betriebsrats, wegen der von der Arbeitgeberin beabsichtigten Inbetriebnahme der MechZB eine weitere Einigungsstelle zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung vor Aufnahme der Tätigkeiten in der MechZB einzusetzen, hat das Arbeitsgericht Kiel mit Beschluss vom 26.11.2020 rechtskräftig zurückgewiesen, da hierfür die bereits bestehende Einigungsstelle zuständig sei (ArbG Kiel - 5 BV 61 f/20).

Am 05.01.2021 ist die MechZB mit geplanten 63 Zustellbezirken vollständig in Betrieb genommen worden, wobei bislang die Pakete nicht über die Paketverteilanlage, sondern über Rollbehälter angeliefert werden. Zuvor erstellte die Arbeitgeberin auf Grundlage einer ohne Zustimmung des Betriebsrats herangezogenen "Mustergefährdungsbeurteilung" eine Gefährdungsbeurteilung, die Handlungsbedarf auswies.

Am 04.08.2020 hat der Betriebsrat ein Hauptsacheverfahren vor dem Arbeitsgericht Kiel mit dem Ziel eingeleitet, der Arbeitgeberin die Aufnahme von Tätigkeiten in der MechZB vor Erstellung einer mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung zu untersagen. Ein Termin ist in diesem Verfahren aktuell für Mai 2021 anberaumt. Mit seinem am 18.11.2020 eingegangenen Antrag begehrt der Betriebsrat im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung die Untersagung der Aufnahme von Tätigkeiten in der MechZB sowie der Inbetriebnahme der Paketverteilanlage, bevor nicht eine von ihm mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung erfolgt ist.

Zur Begründung hat er auf sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hingewiesen sowie darauf, dass gemäß den §§ 3, 3a ArbStättVO, 4 BetrSichV vor Inbetriebnahme einer neuen Betriebsstätte und vor Verwendung eines neuen Arbeitsmittels eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden müsse. Bei einem Verstoß gegen dieses Mitbestimmungsrecht stehe ihm auch während eines laufenden Einigungsstellenverfahrens nach der Rechtsprechung des BAG ein Unterlassungsanspruch zu, damit es nicht zu einer betriebsverfassungswidrigen Lage komme. Dem entsprechend habe das BAG auch entschieden, dass eine Maßnahme des Gesundheitsschutzes, die ohne Einigung mit dem Betriebsrat durchgeführt worden sei, beseitigt werden müsse. Im Rahmen des laufenden Einigungsstellenverfahrens habe die Arbeitgeberin zu keinem Zeitpunkt darauf gedrungen, eine Betriebsvereinbarung über die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung vor Inbetriebnahme der MechZB einschließlich der Paketverteilanlage zu verhandeln. Die Arbeitgeberin müsse die Initiative zur Beilegung des bestehenden Streits ergreifen, was sie erkennbar nicht tue. Ohne Erlass einer einstweiligen Verfügung werde sein Anspruch auf Mitbestimmung über die Grundlagen der Gefährdungsbeurteilung vor Inbetriebnahme einer neuen Betriebsstätte vereitelt oder wesentlich erschwert. Ob auch Schutzinteressen der von ihm vertretenen Arbeitnehmer betroffen seien, sei nicht entscheidungserheblich.

Die Arbeitgeberin hat im Wesentlichen erwidert: In ihrem Betrieb würden die vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen schon immer nach einem in Abstimmung mit der zuständigen Berufsgenossenschaft entwickelten Verfahren (Mustergefährdungsbeurteilung) durchgeführt. Dies habe der Betriebsrat seit Jahren akzeptiert. Nach dieser Mustergefährdungsbeurteilung sei auch die MechZB bereits beurteilt worden. Es gebe eine baugleiche Paketverteilanlage in D.... Daher sei für die Vereinbarung der Grundlagen einer Gefährdungsbeurteilung für die Paketverteilanlage der GBR zuständig.

Die Anträge seien zu unbestimmt, eine Anspruchsgrundlage für die Begehren sei nicht erkennbar. Schließlich fehle es am Verfügungsgrund. Die erforderliche Interessenabwägung gehe zu ihren Gunsten aus. Der BR habe das Bestehen eines Verfügungsgrundes auch selbst widerlegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es fehle am Verfügungsgrund. Der Betriebsrat habe nicht dargelegt, dass der Belegschaft durch die Inbetriebnahme der MechZB wesentliche Nachteile drohten. Auch die Sicherung seines Mitbestimmungsrechts rechtfertige nicht den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Der Betriebsrat habe nicht vorgetragen, was er im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens unternommen habe, um eine vorläufige Regelung zur Gefährdungsbeurteilung zu erreichen. Hinter den Interessen der Arbeitgeberin wegen der zu erwartenden wirtschaftlichen Belastungen müssten die Interessen des Betriebsrats zurückstehen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschlusses wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.

Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts hat der Betriebsrat nach dessen Verkündung Beschwerde eingelegt und diese wie folgt begründet:

Er wiederholt seinen Hinweis auf die gesetzlichen Vorschriften, wonach vor Inbetriebnahme einer neuen Arbeitsstätte und vor Verwendung eines neuen Arbeitsmittels eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden müsse. Über das Verfahren zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung habe er mitzubestimmen. Daran fehle es. Deswegen habe die MechZB nicht in Betrieb genommen werden dürfen, der bereits aufgenommene Betrieb sei zu untersagen. Entsprechendes gelte für die Paketverteilanlage. Das folge aus dem im Bereich der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG anerkannten Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. Sein Mitbestimmungsrecht werde übergangen, wenn ohne Mitbestimmung der Betrieb aufgenommen werde. Dieses bestehe bereits vor Inbetriebnahme der Betriebsstätte und des Arbeitsmittels. Die sich aus der Betriebsuntersagung ergebende Härte habe sich die Arbeitgeberin selbst zuzuschreiben.

Fehlerhaft habe das Arbeitsgericht das Bestehen eines Verfügungsgrundes verkannt. Es sei nicht entscheidend, ob der durch die Beteiligung des Betriebsrats bezweckte Arbeitnehmerschutz unwiederbringlich vereitelt werde. Die einstweilige Verfügung diene in diesem Zusammenhang in erster Linie dazu, die Rechtsstellung des Betriebsrats zu sichern. Fehlerhaft nehme das Arbeitsgericht an, es fehle an einem Verfügungsgrund, weil er - Betriebsrat - sich nicht um eine Regelung im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens bemüht habe. Das verkenne, dass nicht er, sondern die Arbeitgeberin die Initiativlast für die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung trage, die sich aus den zitierten öffentlich-rechtlichen Bestimmungen ergebe. Die Arbeitgeberin habe ihren Vortrag zu den wirtschaftlichen Nachteilen nicht glaubhaft gemacht, sodass dies vom Arbeitsgericht nicht habe berücksichtigt werden dürfen. Da nunmehr der Hauptsachetermin erst für den 12.05.2021 anberaumt worden sei, sei eine einstweilige Regelung unerlässlich.

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin seien seine Anträge auch hinreichend bestimmt. Ggf. könne das Gericht von seiner Befugnis nach § 938 ZPO Gebrauch machen.


Der Betriebsrat beantragt,

1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 2.12.2020 - 4 BVGa 60 b/20 abzuändern,

2. der Antragsgegnerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens - 4 BV 31 b/20 - Arbeitsgericht Kiel, zu untersagen, Tätigkeiten in der MechZB K..., E... ..., ... K... aufzunehmen oder Arbeiten mit eigenen Beschäftigten oder Leiharbeitskräften dort ausführen zu lassen, bevor eine Gefährdungsbeurteilung auf Grundlage einer ggf. durch Spruch einer Einigungsstelle zustande gekommenen Einigung mit dem Betriebsrat durchgeführt und dokumentiert wurde,

3. der Antragsgegnerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens - 4 BV 31 b/20 - Arbeitsgericht Kiel, zu untersagen, die in der MechZB K..., E... ..., ... K..., installierte Paket-Verteilanlage zu verwenden, bevor auf Grundlage einer ggf. durch Spruch einer Einigungsstelle zustande gekommenen Einigung mit dem Antragsteller eine Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf die Verwendung der Paket-Verteilanlage in der MechZB durchgeführt wurde,

4. der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 EUR für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziff. 2 oder 3 anzudrohen.


Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Anträge seien bereits unzulässig, da sie nicht hinreichend bestimmt seien. Beide Anträge erfassten auch Sachverhaltskonstellationen, für die ein Unterlassungsanspruch unzweifelhaft nicht bestehe.

Für vorbetriebliche Gefährdungsbeurteilungen sei nicht der Betriebsrat, sondern der GBR zuständig.

Dem Betriebsrat gehe es vorliegend auch nicht um die Sicherung seines Mitbestimmungsrechts bei der Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung, vielmehr wolle er die Inbetriebnahme der Räumlichkeiten in der E... verhindern und dadurch Druck im Einigungsstellenverfahren ausüben. Der Unterlassungsanspruch rechtfertige auch nicht die Stilllegung der Betriebsstätte. Sein Mitbestimmungsrecht könne der Betriebsrat auch noch nach Inbetriebnahme der MechZB ausüben.

Darüber hinaus fehle es auch am Verfügungsgrund. Zu Recht habe das Arbeitsgericht das Interesse des Betriebsrats an der beantragten einstweiligen Verfügung als nachrangig beurteilt. Das Interesse des Betriebsrats an der Beteiligung an der Gefährdungsbeurteilung werde durch die Inbetriebnahme der MechZB nicht berührt. Das Mitbestimmungsrecht bestehe unverändert fort. Tatsächlich gehe es dem Betriebsrat um das Verhindern von Gefährdungen für Arbeitnehmer. Solche bestünden aber nicht, wie die Gefährdungsbeurteilung der baugleichen Paketverteilanlage in D... belege. Ihr drohten durch eine Verzögerung des Umzugs massive wirtschaftliche Schäden. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Betriebsrat trotz Kenntnis von der Inbetriebnahme Monate gewartet habe, bevor er das vorliegende Verfahren eingeleitet habe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im Einzelnen wird auf die Akte verwiesen.


B.

Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats zu Recht als unbegründet abgewiesen.


I. Die im Beschwerdeverfahren angekündigten Anträge bedürfen teilweise der Auslegung.

1. Aus dem Antrag zu 2. lässt sich - jedenfalls nach der rechtlich gebotenen Auslegung des Begehrens des Betriebsrats - mit hinreichender Bestimmtheit erkennen, was die Arbeitgeberin zukünftig unterlassen soll.

Soweit die Arbeitgeberin rügt, es sei nicht erkennbar, was unter dem Begriff des "Ausführenlassen von Arbeiten" gemeint sei, folgt dem das Gericht nicht. Wie dem gesamten Sachvortrag des Betriebsrats zu entnehmen ist, geht es ihm darum, dass die Arbeitgeberin es unterlässt, ihr Direktionsrecht gegenüber den vom Betriebsrat vertretenen Beschäftigten dahin auszuüben, dass diese in der Betriebsstätte in der E... ... ihre vertraglich geschuldeten Tätigkeiten verrichten müssen. Mit "Arbeiten" sind ersichtlich die vertraglich geschuldeten Tätigkeiten der Beschäftigten, die die Arbeitgeberin durch Ausübung des Direktionsrechts im Einzelnen konkretisiert, gemeint.

Soweit die Arbeitgeberin rügt, die Formulierung "Tätigkeiten in der MechZB K...... aufzunehmen" sei zu weit gefasst, weil keine Bezugnahme auf die Aktivität eines Arbeitnehmers erfolge, betrifft dies zum einen nicht die Bestimmtheit des Antrags, sondern allenfalls seine Begründetheit. Zum anderen ist aber auch hier dem gesamten Vorbringen des Betriebsrats hinreichend deutlich zu entnehmen, dass sein Begehren dahin geht, der Arbeitgeberin zu untersagen, auf Grundlage ihres Direktionsrechts Arbeitsanweisungen für die MechZB zu erteilen.

Soweit die Arbeitgeberin schließlich darauf abstellt, der Antrag zu 2. nehme nicht die Fälle aus, in denen das Einigungsstellenverfahren durch einen Spruch geendet habe, ist unabhängig von der Frage, ob diese Auslegung des Antrags zutrifft, ebenfalls festzustellen, dass dies keine Frage der Bestimmtheit, sondern wiederum eine Frage der Begründetheit des Antrags ist.

2. Auch der Antrag zu 3. ist hinreichend bestimmt. Für ihn gelten die vorstehenden Ausführungen im Wesentlichen entsprechend. Soweit die Arbeitgeberin moniert, die "Verwendung der Paketverteilanlage" sei nicht hinreichend definiert oder nicht hinreichend bestimmt, folgt dem das Beschwerdegericht nicht. Auch hier geht es dem Betriebsrat erkennbar darum, der Arbeitgeberin zu untersagen, gegenüber ihren Beschäftigten ihr Weisungsrecht dahingehend auszuüben, dass sie die Paketverteilanlage in Betrieb nehmen.


II. Die Anträge sind zulässig.

Gegen die Bestimmtheit der Anträge (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) besteht unter Berücksichtigung der vorstehend vorgenommenen Auslegung keine Bedenken.

Die Erweiterung des Antragstextes im Antrag zu 2. um die Formulierung "oder Arbeiten mit eigenen Beschäftigten... ausführen zu lassen" ist als reine Klarstellung des Begehrens zulässig. Die Auslegung des erstinstanzlichen Vortrags des Betriebsrats ergibt, dass es ihm bereits in der ersten Instanz darum ging, die Aufnahme von Tätigkeiten durch eigene oder Leiharbeitnehmer zu untersagen. Darauf bezog sich das gesamte erstinstanzliche Vorbringen des Betriebsrats.

Soweit man in diesem Zusatz eine Antragserweiterung sehen wollte, wäre diese im Übrigen ohne weiteres gemäß den §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6 ArbGG, 533 ZPO zulässig, da sie sachdienlich ist und weitere Tatsachenfeststellungen nicht erforderlich sind. Die Sachdienlichkeit folgt daraus, dass damit der Streit zwischen den Betriebspartnern um die Inbetriebnahme der MechZB einer vollständigen Klärung zugeführt werden kann.


III. Die Anträge zu 2. und 3. sind unbegründet, weil es am erforderlichen Verfügungsanspruch für den Erlass einer einstweiligen Verfügung fehlt. Damit ist auch dem Antrag zu 4. die Grundlage entzogen.

Der vom Betriebsrat gerügte Verstoß der Arbeitgeberin gegen ihr Mitbestimmungsrecht bei der Erstellung der Grundlagen für eine Gefährdungsbeurteilung rechtfertigt nicht die Untersagung der Tätigkeitsaufnahme in der MechZB und die Verwendung der dort installierten Paketverteilanlage. Der dem Betriebsrat dem Grunde nach zustehende Unterlassungsanspruch ist nicht auf diese Rechtsfolge hin gerichtet.

1. Die Mitbestimmung des Betriebsrats ist (auch) im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 7 Wirksamkeitsvoraussetzung für das Handeln des Arbeitgebers (GK-BetrVG/Gutzeit 11. Auflage, 2018, § 87, Rn. 669). Flankierend zu seinem Mitbestimmungsrecht kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber das Unterlassen mitbestimmungswidriger Maßnahmen verlangen. Ist das mitbestimmungspflichtige Verhalten bereits vollzogen, besteht auch ein Beseitigungsanspruch (BAG vom 16.06.1998 - 1 ABR 68/97 - Juris, Rz. 33 f; Gutzeit, a.a.O., Rn. 669 a.E.). Zu beseitigen/unterlassen ist das betriebsverfassungswidrige Verhalten (Gutzeit, a.a.O.). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den mitbestimmungswidrigen Zustand zu beseitigen (BAG, a.a.O., Rn. 34). So musste in dem vom BAG entschiedenen Fall eine mitbestimmungswidrige Anweisung zur Konkretisierung einer Unfallverhütungsschrift aus einem Handbuch des Arbeitgebers entfernt werden, weil durch die Aufnahme des Handbuchs der Anschein der Wirksamkeit dieser Anordnung entstand.

2. Nach diesen Grundsätzen kann der Betriebsrat im vorliegenden Fall die "Beseitigung" der Folgen der (bereits durchgeführten) Gefährdungsbeurteilung verlangen. Konkret ist sein Beseitigungsverlangen darauf gerichtet, dass die Dokumentation über die Gefährdungsbeurteilung, die den Anschein einer mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung erwecken kann, aus den Unterlagen, in denen sie aufbewahrt wird, zu entfernen ist. Dieser Anspruch ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Weitergehende Ansprüche, insbesondere auf Stilllegung des mittlerweile in der E... eröffneten Betriebs einschließlich der Paketverteilanlage, bestehen demgegenüber nicht.

a) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung vor Inbetriebnahme der MechZB und der Paketverteilanlage folgt vorliegend aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit den §§ 3 BetrSichV und § 3 ArbStättVO. Das ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Die Verpflichtung, die Gefährdungsbeurteilung vor Inbetriebnahme zu erstellen, folgt aus § 4 Abs. 1 BetrSichV und § 3 Abs. 3 ArbStättVO. Dass beide Gefährdungsbeurteilungen vor Aufnahme der Tätigkeiten bzw. Inbetriebnahme des Arbeitsmittels erfolgen müssen, wird dadurch belegt, dass anderenfalls Ordnungswidrigkeiten nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ArbStättVO bzw. § 22 Abs. 1 Nr. 7 BetrSichV vorliegen.

Mitzubestimmen hat der Betriebsrat aber (nur) bei der Festlegung der Regelungen, nach denen die Gefährdungsbeurteilung erfolgen soll. Der Zeitpunkt, an dem die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist, unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats, sondern ist als ordnungsrechtliche Vorschrift gesetzlich vorgegeben. Auch die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung als tatsächliche Handlung erfolgt ohne Beteiligung des Betriebsrats.

b) Die aus Sicht des Beschwerdegerichts unzweifelhaft vorliegende Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats liegt daher vorliegend darin, dass die Arbeitgeberin es unterlassen hat, vor Durchführung der Gefährdungsbeurteilung mit dem Betriebsrat über deren Grundlagen eine Vereinbarung herbeizuführen, nicht darin, dass sie die Gefährdungsbeurteilung selbst bereits vor Einigung mit dem Betriebsrat über deren Grundlagen durchgeführt hat. Dass sie diese Gefährdungsbeurteilung nicht vor Inbetriebnahme der MechZB und der Paketverteilanlage vorgenommen hat, begründet wiederum eine Ordnungswidrigkeit im Sinne der genannten Vorschriften. Zu deren Sanktionierung ist die zuständige Ordnungsbehörde berufen, nicht der Betriebsrat, der auch sonst die Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer gesetzlichen Vorschriften zu überwachen hat (§ 80 Abs. 1 BetrVG), aber nicht für deren Durchsetzung, ggf. durch Erlass eines Bußgeldbescheids, zuständig ist.

c) Folge der einseitig durch den Arbeitgeber erfolgten Gefährdungsbeurteilung ist daher deren Unwirksamkeit. In diesem Umstand liegt das zu beseitigende betriebsverfassungswidrige Verhalten der Arbeitgeberin. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht fort, es ist nicht etwa durch Zeitablauf erloschen, weil mittlerweile die MechZB und die Paketverteilanlage in Betrieb genommen wurden. Regelungen über die Grundlagen der Gefährdungsbeurteilung können und müssen auch jetzt noch vereinbart werden. Die Durchsetzung dieses Anspruchs des Betriebsrats ist dem Einigungsstellenverfahren vorbehalten.

Mit ähnlichen Erwägungen hat auch das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 09.03.2010 - 6 TaBV 15/09 - Juris, Rz. 56 und 59) in einer vergleichbaren Konstellation einen Unterlassungsantrag des Betriebsrats abgewiesen.

d) Die Einwendungen des Betriebsrats im Anhörungstermin vor der Beschwerdekammer rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Der Betriebsrat hat in diesem Zusammenhang auf den Unterlassungsanspruch aus § 111 BetrVG hingewiesen, bei dem trotz fehlender Mitbestimmtheit der betriebsändernden Maßnahme Unterlassung einer Betriebsänderung verlangt werden könne.

Dem folgt die Kammer nicht, weil die dort für die Begründung des Unterlassungsanspruchs getroffenen Erwägungen, soweit man ihnen überhaupt folgt, nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar sind. Bei § 111 BetrVG würde ohne den Erlass einer Unterlassungsverfügung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auf Dauer leerlaufen, weil mit Durchführung der betriebsändernden Maßnahme kein Raum mehr für Interessenausgleichsverhandlungen besteht. Vorliegend liegt der Sachverhalt gerade anders. Die Grundlagen einer Gefährdungsbeurteilung können ohne weiteres auch noch nach Inbetriebnahme der MechZB und der Paketverteilanlage zwischen den Betriebspartnern verhandelt werden. Die Grundlagen der Gefährdungsbeurteilung werden nicht deswegen anders zu regeln sein, weil der Betrieb in der E... bereits in Betrieb genommen worden ist. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Darüber hinaus sind die betroffenen Arbeitnehmer auch nicht schutzlos. Sie sind nicht verpflichtet unter Bedingungen zu arbeiten, die den Vorschriften über den Arbeitsschutz widersprechen und haben in diesem Fall ein Leistungsverweigerungsrecht (Gutzeit, a.a.O.). Das gilt jedenfalls, wenn die vom Arbeitgeber einseitig getroffen Arbeitsschutzmaßnahmen dem materiellen Arbeits- und Gesundheitsschutz widersprechen (Fitting, 29. Auflage, 2018, § 87, Rn. 291). Im Übrigen ist die Einhaltung der Vorschriften der Betriebssicherheitsverordnung und des Arbeitsstättengesetzes durch die Ordnungsbehörde zu gewährleisten.

IV. Kosten werden im Beschlussverfahren nicht erhoben. Gegen die Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel, §§ 92 Abs. 1 S. 3, 85 Abs. 2 ArbGG.

Referenznummer:

R/R8672


Informationsstand: 28.05.2021