Die Klage ist begründet. Der Einkommensteuerbescheid 2011 vom 26. September 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. September 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin die Aufwendungen für den Umbau der Dusche nicht in voller Höhe als außergewöhnliche Belastung abgezogen worden sind (
vgl. § 100
Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33
Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes -EStG-).
a) Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung können als außergewöhnliche Belastungen i.
S. des § 33
Abs. 1 EStG abziehbar sein, denn es sind größere Aufwendungen, als sie der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen. Diese Aufwendungen sind weder durch den Grund- oder Kinderfreibetrag (§ 32a
Abs. 1 EStG, § 32
Abs. 6 EStG) noch durch den Behinderten- und Pflege-Pauschbetrag abgegolten. Grund- und Kinderfreibetrag decken den gewöhnlichen Wohnbedarf des gesunden und nicht behinderten Steuerpflichtigen und seiner Angehörigen ab. Der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b
Abs. 1 bis 3 EStG gilt nur laufende und typische Mehraufwendungen des Behinderten ab, so dass "zusätzliche Krankheitskosten" nicht von der Abgeltungswirkung des Pauschbetrags erfasst werden. Dies gilt erst recht für den Pauschbetrag nach § 33b
Abs. 6 EStG, der nur die durch die Pflege einer Person veranlassten Aufwendungen erfasst (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 22. Oktober 2009
VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280,
m.w.N.).
Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen nach § 33
Abs. 2 Satz 1 EStG zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Aufwendungen infolge Körperbehinderung waren ebenso wie Krankheitskosten von jeher ein Anwendungsfall der Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen. Dies gilt insbesondere auch für behinderungsbedingte Mehrkosten eines Um- oder Neubaus. Denn eine schwerwiegende Behinderung des Steuerpflichtigen oder eines Angehörigen begründet eine tatsächliche Zwangslage, die eine behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfelds unausweichlich macht (BFH-Urteil vom 24. Februar 2011
VI R 16/10, BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012, unter II.1.a).
Zwar ist der Steuerpflichtige grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, ob er sich zur Befriedigung seiner Wohnbedürfnisse ein Haus bauen will oder stattdessen beispielsweise zur Miete wohnt. Das gilt selbst dann, wenn ein Steuerpflichtiger oder ein in seinem Haushalt lebender Angehöriger infolge einer Krankheit oder eines Unfalls in seiner bisherigen Wohnung
bzw. in seinem bisherigen Haus nicht wohnen bleiben kann. Entschließt sich der Steuerpflichtige in einem solchen Fall zum Um- oder Neubau einer eigenen Immobilie, hängt die konkrete Gestaltung des neuen Hauses zunächst von seinem Geschmack, seinen Lebensgewohnheiten, den ihm für den Bau zur Verfügung stehenden Mitteln und anderen selbstbestimmten Vorentscheidungen ab. Dieser Befund steht jedoch nur der Steuererheblichkeit von Baukosten entgegen, die keinen Bezug zu Krankheit oder Behinderung aufweisen und deshalb auch einem gesunden Steuerpflichtigen entstanden wären. Diese Entschließungsfreiheit des Steuerpflichtigen steht der Zwangsläufigkeit behinderungsbedingter Mehraufwendungen indes nicht entgegen. Denn die Notwendigkeit einer behindertengerechten Ausgestaltung des Wohnumfelds und damit die Zwangsläufigkeit der darauf entfallenden Mehrkosten aus tatsächlichen Gründen beruht nicht auf der frei gewählten Wohnsituation des Steuerpflichtigen, sondern auf seiner Krankheit oder Behinderung (BFH-Urteil in BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012, unter II.1.a).
Der behinderungsbedingte Mehraufwand steht dabei stets so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund tritt (BFH-Urteile in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280, unter II.1.c; in BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012, unter II.1.b). Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass die Behinderung auf einem nicht vorhersehbaren Ereignis beruht und deshalb ein schnelles Handeln des Steuerpflichtigen oder seiner Angehörigen geboten ist. Auch die Frage nach zumutbaren Handlungsalternativen stellt sich in solchen Fällen nicht. Es ist auch unerheblich, ob die der Krankheit oder Behinderung geschuldeten Mehrkosten im Rahmen eines Neubaus, der Modernisierung eines Altbaus oder des Umbaus eines bereits selbstgenutzten Eigenheims oder einer Mietwohnung entstehen (BFH-Urteil in BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012, unter II.1.b).
Im Streitfall ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Voraussetzungen für den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung dem Grunde nach gegeben sind.
b) Abzugsfähig sind die Mehraufwendungen, die durch die Behinderung des Steuerpflichtigen veranlasst und zur behindertengerechten Umgestaltung seines individuellen Wohnumfelds erforderlich sind (BFH-Urteil in BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012, unter II.1.b). Der BFH verlangt damit einen Kausalzusammenhang zwischen der Behinderung und der Baumaßnahme. Nicht abziehbar sind daher Aufwendungen für Baumaßnahmen, für die die Krankheit oder Behinderung nicht ursächlich sind und lediglich bei Gelegenheit eines behindertengerechten Umbaus durchgeführt werden.
Vorliegend wurde wegen der Behinderung der Klägerin die alte Duschwanne entfernt und durch ein bodengleiches Duschelement ersetzt. Die Aufwendungen für das entsprechende Material und die Arbeitsleistung dienen unmittelbar der Linderung der Beschwerden der Klägerin. Abziehbar sind aber als notwendige Folgekosten auch die Aufwendungen für eine neue - längere - Tür, da ansonsten die Dusche nicht mehr bestimmungsgemäß nutzbar wäre. Das gleiche gilt für die Wandfliesen und die Armaturen, die durch den Ausbau der alten Duschwanne zumindest teilweise beschädigt wurden
bzw. an die neue Tiefe der Dusche anzupassen waren. Im Übrigen wäre ohne die Behinderung der Klägerin die Dusche überhaupt nicht umgebaut und wären auch keine längere Tür sowie neue Fliesen und Armaturen notwendig geworden.
Die - vom FA vorgenommene - Sezierung der Baumaßnahme in einzelne Aufwandsposten ist dagegen zu eng und wäre überdies nicht praktikabel. Der BFH lehnt es bei behinderungsbedingten Baumaßnahmen gerade ab, dem Aufwand einen etwaigen Gegenwert gegenüberzustellen (siehe vorheriger Gliederungspunkt). Soweit der BFH für die Quantifizierung der auf die behindertengerechte Ausgestaltung eines Objekts beruhenden Mehrkosten die Einholung eines Sachverständigengutachten nahelegt, betrifft dies umfangreiche - insbesondere ein ganzes Gebäude umfassende - Baumaßnahmen, bei denen die behinderungsbedingten Mehrkosten für das Gericht nicht offenkundig sind (
vgl. BFH-Urteile in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280; in BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012).
Von einer Streichung der Kosten für einen neuen Handwischer von 9,06
EUR zuzüglich Umsatzsteuer sieht der Senat in Anbetracht der streitigen Summe von 5.736,05
EUR ab.
2. Wegen der Anerkennung der außergewöhnlichen Belastung entfällt nach § 35a
Abs. 5 Satz 1 EStG die Steuerermäßigung für die mit dem Umbau der Dusche zusammenhängenden Handwerkerleistungen in Höhe von 402
EUR (20 % von 2.011,10
EUR).
3. Die Übertragung der Neuberechnung der festzusetzenden Einkommensteuer auf das FA folgt aus § 100
Abs. 2 Satz 2 FGO.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136
Abs. 1 Sätze 1 und 3 FGO. Die Entscheidung ergeht nach § 90
Abs. 2 FGO durch Urteil, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO
i.V.m. § 708
Nr. 11 und §§ 709, 711 der Zivilprozessordnung.
5. Die Klägerseite beantragte, die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerseite durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgsversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Das Gericht hält hiernach die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (§ 139
Abs. 3 Satz 3 FGO).