Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten, wobei die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 09.05.2012 hiervon unberührt bleibt.
Die Beteiligten streiten um die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" (Berechtigung für eine ständige Begleitung) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX).
Durch Bescheid vom 06.01.2011 stellte der Beklagte auf den Neufeststellungsantrag der Klägerin vom August 2010 bei ihr einen Grad der Behinderung (
GdB) von 90 sowie die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) fest. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) lehnte er ab.
Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 06.04.2011, beim Beklagten eingegangen am 12.04.2011, dass sie einen Überprüfungsantrag bezüglich der Ablehnung des Merkzeichens "aG" durch den Bescheid vom 06.01.2011 stelle. Weiter führte sie darin aus, dem Beklagten sei bekannt, dass sie aus psychischen Gründen gehindert sei, ihre Wohnung allein zu verlassen. Daher bestehe das Recht auf Begleitung.
Mit Bescheid 06.12.2011 lehnte die Beklagte den am 12.04.2011 eingegangenen Antrag ab, da eine neue Feststellung nach dem Schwerbehindertenrecht nicht getroffen werden könne. Die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" verneinte er. Es müsse bei der im Bescheid vom 06.01.2011 getroffenen Feststellung verbleiben.
Gegen den Bescheid vom 06.12.2011 legte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 17.12.2011 Widerspruch ein. Die daraufhin durch den Beklagten veranlasste ärztliche Untersuchung der Klägerin führte zu den folgenden Feststellungen (
vgl. ärztliches Gutachten vom 07.02.2012):
a) Verlust des Kehlkopfes, Tracheostoma (
GdB 80)
b) Psychische Störungen (Neurosen), Depression (
GdB 30)
c) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (
GdB 30)
d) Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes (
GdB 20)
e) Funktionsbehinderung des Schultergelenkes (
GdB 20)
f) Schwerhörigkeit (
GdB 20)
g) Chronische Bronchitis (
GdB 20)
h) Gleichgewichtsstörungen (
GdB 20)
i) Sehminderung links ) rechts (
GdB 10).
Im Gutachten wurde
u. a. ausgeführt, dass der Gesamt-
GdB von 90 auf 100 angehoben werden sollte. Der mobilitätsbedingte
GdB läge aber unter 50, so dass die Merkzeichen "G" und "B" nicht begründet seien. Eine Angsterkrankung bedinge nach den Richtlinien kein Merkzeichen "B".
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2012 entschied der Beklagte, dass der
GdB nunmehr 100 betrage und die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" weiterhin vorlägen. Im Übrigen wies er den Widerspruch vom 17.12.2011 als unbegründet zurück. Er führte zur Begründung aus, dass nach der versorgungsärztlichen Beurteilung die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" nicht vorlägen. Die Ausführungen der Klägerin ließen keine Gesichtspunkte erkennen, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten. Der Widerspruch habe daher keinen weitergehenden Erfolg gehabt.
Die Klägerin hat am 23. Mai 2012 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie ihr Begehren nur bezüglich der Anerkennung des Merkzeichens "B" weiter verfolgt. Die Klägerin trägt zur Klagebegründung im Wesentlichen vor:
Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" lägen vor. Wie dem Beklagten bekannt sei, könne sie sich ohne fremde Hilfe nicht mehr aus ihrer Wohnung bewegen. Sie könne infolge der seelischen Behinderung ohne fremde Hilfe das Haus nicht verlassen. Sie stehe damit schlechter als solche Personen, die aufgrund einer erheblichen Gehbehinderung nur mit Beeinträchtigungen am Straßenverkehr teilnehmen können. Infolge ihrer Behinderung sei sie nicht nur "regelmäßig", sondern vielmehr "stets" auf fremde Hilfe angewiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides 06.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2012 zu verurteilen, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt die angefochtenen Bescheide und verweist im Wesentlichen auf deren Gründe.
Das Gericht hat den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 13.07.2012 wegen fehlender Erfolgsaussichten abgelehnt. Die dagegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem Landessozialgericht (
LSG) Berlin-Brandenburg Erfolg (Beschluss v. 07.08.2013, Az. L 13 SB 162/12 B PKH).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte verwiesen.
Das Gericht konnte
gem. § 105
Abs. 1 Satz 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind zuvor gehört worden.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin kann das begehrte Merkzeichen "B" nicht zuerkannt werden.
Gemäß
§ 69 Abs. 4 SGB IX treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden - hier das Landesamt für Gesundheit und Soziales ( Versorgungsamt ) Berlin - die erforderlichen Feststellungen, wenn neben dem Vorliegen von Behinderungen weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind. Nach
§§ 145 Abs. 1,
146 Abs. 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt und hat Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr, wer als schwerbehinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (Merkzeichen "G"). Zur Mitnahme einer Begleitperson sind
gem. § 146
Abs. 2
S. 1
SGB IX schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind (Merkzeichen "B").
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" können hier nicht festgestellt werden, da die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" mit dem streitigen Widerspruchsbescheid bestandskräftig abgelehnt wurden und die alternativ heranzuziehenden Merkzeichen "H" (hilflos) und "Gl" (gehörlos) hier nicht Klagegegenstand geworden sind. Eine isolierte Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" ohne zumindest gleichzeitige Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "H" oder "Gl" sieht das Gesetz nach Überzeugung der Kammer nicht vor.
Die Kammer verweist hierzu auf das Zusammenspiel der Regelungen in § 145
SGB IX und § 146
SGB IX, aus denen sich die oben dargelegte Verzahnung zwischen dem Merkzeichen "B" und den Merkzeichen "G", "H" und "Gl" ergibt. Die Vergünstigungen bei Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "B" sind in § 145
Abs. 2
SGB IX näher geregelt. Gem. § 145
Abs. 2
Nr. 1
SGB IX besteht Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nah- und Fernverkehr für die Beförderung einer Begleitperson eines schwerbehinderten Menschen im Sinne des Absatzes 1, wenn die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen und dies im Ausweis des schwerbehinderten Menschen eingetragen ist. Es wird also in § 145
Abs. 2
Nr. 1
SGB IX zur Benennung der begünstigten Schwerbehinderten Bezug genommen auf § 145
Abs. 1
S. 1
SGB IX. Nach dieser Norm kommen in den Genuss einer unentgeltlichen Beförderung im Nahverkehr solche schwerbehinderten Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind und dies durch Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69
Abs. 5
SGB IX belegen können. Aus dem Zusammenspiel der Regelungen in § 145
Abs. 1 und
Abs. 2
SGB IX sowie § 146
Abs. 2
SGB IX folgt somit, dass die Berechtigung für die Mitnahme einer Begleitperson nur für schwerbehinderte Menschen im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit den Merkzeichen "G", "H" oder "Gl" gilt (
vgl. Kossens in: Kossens/von der Heide/Maaß,
SGB IX, 2. Aufl., § 145 Rn. 20). Ohne Vorliegen der Voraussetzungen für mindestens eines dieser Merkzeichen kann das Merkzeichen "B" einem Behinderten nicht zuerkannt werden. Das entspricht auch der zutreffenden Regelung in
Teil D Nr. 2 b) der Anlage zu § 2 der Versorgungs-Medizinverordnung (VersMedV).
Diese Rechtsauffassung wird bestätigt durch das unveröffentlichte Urteil des
LSG Berlin-Brandenburg vom 20.01.2012 (Az. L 11 SB 137/09) und die dort zitierten Entscheidungen. In jenem Urteil führte das
LSG zur der hier aufgeworfenen Rechtsfrage
u. a. wie folgt aus:
"Ungeachtet dessen fehlt es aber für alle genannten Merkzeichen - also auch für das Merkzeichen "G" - an der zwingenden Voraussetzung, dass deren gesundheitliche Voraussetzungen positiv festgestellt sind oder aufgrund Verurteilung des Senats im hiesigen Verfahren zulässigerweise festzustellen sind. Für die Merkzeichen "Gl" und "H" dürfte insoweit noch nicht einmal ein Verwaltungsverfahren durchlaufen worden sein. In Bezug auf das Merkzeichen "G" liegt eine bestandskräftige Ablehnung der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen durch Bescheid vom 12. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2007 vor. Soweit die erneute Ablehnung insoweit mit Bescheid vom 19. April 2011 infolge Widerspruchs nicht bestandskräftig ist, fehlt es gleichwohl an einer positiven Verwaltungsentscheidung des Beklagten. Damit können aber schon aus diesem Grund die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" nicht festgestellt werden. Auf die Verzahnung der Merkzeichen "G" und "B" hat bereits das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 11. November 1987 (
9a RVs 6/86 - juris) hingewiesen. Ohne Zuerkennung des Merkzeichens "G" kommt die Zuerkennung des Merkzeichens "B" demnach nicht in Betracht (
vgl. auch
BSG, Urteile v. 13. Juli 1988 -
9/9a RVs 14/87 - und vom 6. September 1989 -
9 RVs 1/88 -, Bayerisches Landessozialgericht, Urteil v. 28. Juli 2009 -
L 15 SB 151/06 - alle bei juris). Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht, dass nur so widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden können. Denn würde der Senat inzident das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" bejahen und dem Kläger das Merkzeichen "B" zusprechen, so wäre der Beklagte gleichwohl nicht daran gehindert, den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. April 2011 zurückzuweisen, dem Kläger das Merkzeichen "G" also nicht zuzuerkennen. Die (unsinnige) Folge wäre, dass nur die Begleitperson des Klägers unentgeltlich befördert würde, nicht aber der Kläger selbst."
Danach kann hier die Feststellung des Merkzeichen "B" nicht in Betracht kommen. Das Merkzeichen "G" wurde mit dem streitigen Widerspruchsbescheid bestandskräftig abgelehnt und die Merkzeichen "H" und "Gl" sind weder Gegenstand des Widerspruchs- noch des Klageverfahrens geworden. Eine positive Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "H" oder "Gl" liegt nicht vor und ist auch im Rahmen dieses Klageverfahrens nicht möglich.
Zu den geltend gemachten psychisch bedingten Angst- und Neurosezuständen, die nach Meinung der Klägerin eine Begleitperson erforderlich machen, bleibt zudem noch anzumerken, dass solche psychischen Funktionsbeeinträchtigungen keine erhebliche Gehbehinderung (Merkzeichen "G") begründen können (
vgl. BSG, Urteil v. 10.05.1994,
9 BVs 45/93). Damit können die geschilderten Beeinträchtigungen auch nicht mittelbar die Zuerkennung des Merkzeichens "B" ermöglichen. Gleiches gilt für die im Rahmen der ärztlichen Begutachtung von der Klägerin genannten Sprachschwierigkeiten
bzw. fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache.
Aus den obigen Gründen vermag die Kammer der abweichenden Entscheidung des
LSG Berlin-Brandenburg in dem im Prozesskostenhilfeverfahren ergangenen Beschluss vom 07.08.2013 (Az. L 13 SB 162/12 B PKH, abrufbar bei juris) nicht zu folgen.
Die Kammer kann entgegen der Auffassung der Klägerin schließlich nicht erkennen, dass die entscheidungserheblichen Normen gegen den Gleichheitssatz in
Art. 3 Grundgesetz (
GG) verstoßen würden. Behinderte Personen, die die Voraussetzungen nach § 145
Abs. 1
S. 1
SGB IX nicht erfüllen, können aus sachlich gerechtfertigten Gründen nicht mit solchen Menschen gleichbehandelt werden, die jene Voraussetzungen erfüllen. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot ist daher nicht feststellbar.
Es bleibt somit bei der Feststellung des Beklagten über die Ablehnung des Merkzeichens "B". Die angefochtenen Bescheide sind also nicht zu beanstanden. Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache, wobei die in Bestandskraft erwachsene Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 09.05.2012 zu berücksichtigen war.